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TVR 2019 Nr. 3

Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung; Frage der "wichtigen persönlichen Gründe" bei behaupteter "Verstossung" und durchlaufenem Eheschutz- und Ehescheidungsverfahren verneint.


Art. 42 Abs. 1 AuG, Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG, Art. 50 Abs. 2 AuG


1. Bei einem nach schweizerischem Recht durchlaufenen Eheschutz- und Ehescheidungsverfahren liegt keine "Verstossung" vor.

2. Häusliche Gewalt liegt nicht vor, wenn als einziges Ereignis ein „Rauswurf" aus der ehelichen Wohnung mit nachgängiger Weigerung, das Eheleben wieder aufzunehmen, beklagt wird.

3. Trotz der schlechteren Rahmenbedingungen wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Kosovo ist beim Scheitern einer kurzen Ehe einer Kosovo-Albanerin mit einem in der Schweiz eingebürgerten Landsmann nicht auf einen Daueraufenthaltsanspruch zu schliessen. Dies erst recht nicht, wenn wie im Falle der Beschwerdeführerin die prägenden Lebensjahre im Heimatland verbracht wurden.


A, geboren am 18. Januar 1993, stammt aus dem Kosovo. Sie reiste am 3. August 2013 in die Schweiz und heiratete am 16.?August 2013 den Schweizer P, geboren am 28. November 1992. Am 13.?September 2013 erhielt sie eine bis 2. August 2014 gültige Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Ehemann. Die Bewilligung wurde letztmals am 2.?August 2016 verlängert. Am 19. Mai 2016 nahm der Eheschutzrichter des Bezirksgerichts D davon Vormerk, dass A und P seit dem 20. Juli 2015 getrennt lebten. Am 6. Februar 2017 entschied das Migrationsamt, dass die Aufenthaltsbewilligung von A?widerrufen bzw. nicht verlängert werde. A wurde weggewiesen und angehalten, innert 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids aus der Schweiz auszureisen. Gegen diesen Entscheid gelangte A?mit Rekurs an das DJS. Dieses wies den Rekurs ab. Die hiergegen von A erhobene Beschwerde wird vom Verwaltungsgericht ebenfalls abgewiesen.

Aus den Erwägungen:

2. Ausländische Ehegatten von Schweizern haben Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (Art. 42 Abs. 1 AuG). Nach Auflösung der Ehe besteht der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung weiter, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG) oder wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG). Wichtige persönliche Gründe nach Abs. 1 lit. b können namentlich vorliegen, wenn die Ehegattin oder der Ehegatte Opfer ehelicher Gewalt wurde oder die Ehe nicht mit freiem Willen geschlossen hat oder die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AuG).

3. (…)
3.1 Die Beschwerdeführerin beruft sich in diesem Zusammenhang im Wesentlichen darauf, dass sie von ihrem Ehemann und ihrem Schwiegervater gewaltsam verstossen und gezwungen worden sei, die eheliche Wohnung zu verlassen. Am 20. Juli 2015 habe ihr Ehemann bzw. ihr Schwiegervater sie gezwungen, die eheliche Wohnung zu verlassen. Ihr Ehemann habe sich fortan geweigert, mit ihr die Ehe weiterzuführen und versucht, sie zurück in den Kosovo abzuschieben. Sie habe ihren Onkel und dessen Familie als letzte Hilfe notfallmässig in Anspruch nehmen und sofort eine Erwerbstätigkeit ergreifen müssen, damit sie überlebe.

3.2 In diesem Zusammenhang ist einleitend klarzustellen, dass die Beschwerdeführerin keiner Verstossung nach islamischen Recht im Sinne einer allein vom Ehemann ausgesprochenen Scheidungserklärung mit sofortiger Wirkung ausgesetzt war. Vielmehr durchlief sie - was aktenkundig ist - ein dem schweizerischen Rechtsstaat entsprechendes Eheschutz- sowie Ehescheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht D. Eine „Verstossung" der Beschwerdeführerin liegt also - entgegen ihrer Darstellung - nicht vor.

3.3, 3.3.1 und 3.3.2 (…)

3.3.3 Selbst wenn bezüglich der Trennungsumstände allein auf die aktenkundige Darstellung der Beschwerdeführerin abgestützt würde, ist offensichtlich, dass kein Fall vorliegt, in welchem durch den Ehemann oder seine Familie während der Ehe oder anlässlich der Trennung häusliche Gewalt auf die Beschwerdeführerin ausgeübt worden wäre. Häusliche Gewalt bedeutet systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben (BGE 138 II 229 E. 3.2.1 unter Verweis auf BGE 136 II 1 E. 5 S. 3 ff.). Das einzige Ereignis, das die Beschwerdeführerin beklagt, ist der von ihr geltend gemachte „Rauswurf" aus der ehelichen Wohnung, eine nachgängige Weigerung, das Eheleben wiederaufzunehmen und die an sie gerichtete Forderung, auf dem Notariat ein Dokument zwecks Regelung der Finanzen zu unterzeichnen. Eine Druckausübung, welche die Qualität einer Nötigung erreicht hätte, wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Der Forderung, die Finanzen notariell zu regeln, kam die Beschwerdeführerin offensichtlich denn auch nicht nach. Ob die Trennung tatsächlich gegen ihren Willen erfolgt ist, oder ob sie sich mit der Form des Zusammenlebens inklusive der engen Verknüpfung von Privat- und Geschäftsleben in der Familie ihres Ex-Ehemannes nicht einverstanden erklären konnte oder wollte und deshalb selbst eine Trennung wünschte, ist angesichts der divergierenden Aussagen der Beschwerdeführerin einerseits und ihres Ex-Ehemannes andererseits unklar. Immerhin ist aktenkundig, dass sich die Beschwerdeführerin mit dem Festhalten einer freiwilligen Trennung im Eheschutzverfahren „aus fremdenpolizeilichen Gründen" nicht einverstanden erklären wollte - und nicht etwa, weil sie darauf bestanden hätte, dass der Trennungswille einseitig von ihrem Ex-Ehemann ausgegangen wäre. Dass es vorgängig der Trennung zu systematischer psychischer oder physischer Misshandlung gekommen wäre, wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Eine anhaltende, erniedrigende Behandlung ist nicht auszumachen. Offensichtlich konnte die Beschwerdeführerin, nachdem sie die eheliche Wohnung verlassen hatte, zudem sogleich Unterschlupf in der Familie ihres Onkels finden und wenig später auch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Sie stand also zu keiner Zeit ohne Obdach auf der Strasse. Ein Unterhalt wurde im Eheschutz- und Scheidungsverfahren, in welchem die Beschwerdeführerin anwaltlich vertreten war, nicht zugesprochen. Das macht deutlich, dass sie ihren Lebensunterhalt trotz der Trennung aus eigenen Mitteln decken konnte und nicht in finanzielle Not geriet. (…) Unabhängig davon, ob die Beschwerdeführerin ihren Ehemann freiwillig oder - wie sie es geltend macht - gegen ihren Willen verlassen hatte, kann daher weder davon ausgegangen werden, sie sei während des ehelichen Zusammenlebens Opfer psychischer oder physischer Gewalt geworden, noch kann von einer besonders belastenden Trennung die Rede sein. Über die mit der Trennung als solche verbundenen Unannehmlichkeiten hinausgehende besonders negative Umstände können nicht ausgemacht werden. Nicht jede gemäss der Darstellung der Beschwerdeführerin nicht den eigenen Vorstellungen entsprechende und so gesehen belastende Trennung einer Beziehung begründet aber einen nachehelichen Härtefall und ein weiteres Anwesenheitsrecht in der Schweiz. Selbst wenn auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin selbst abgestützt wird, liegt in diesem Zusammenhang also kein Härtefall vor.

3.4 Das gilt auch betreffend die soziale Wiedereingliederung der Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsland. Zwar kann die starke Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland für sich allein genommen einen wichtigen persönlichen Grund im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG darstellen (BGE 138 II 229 E. 3.2.2 unter Verweis auf BGE 136 II 1 E. 5). Allerdings gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Beschwerdeführerin erst anlässlich ihrer freiwilligen Heirat im August 2013 in die Schweiz eingereist ist. Sie ist in einem kosovarischen Umfeld aufgewachsen und lebte auch während ihres Aufenthalts in der Schweiz in einem solchen. Die Beschwerdeführerin hat keine aus der gescheiterten Ehe hervorgegangene Kinder zu betreuen, was ihre berufliche Reintegration im Kosovo erheblich vereinfacht. Sie ist mit den Verhältnissen im Kosovo bestens vertraut. In ihrem Heimatland hat die Beschwerdeführerin die Matura absolviert. Sie ist somit befähigt, qualifizierte Arbeit auszuüben oder ein Studium zu absolvieren. Entgegen ihrer Behauptung ist sie schulisch damit sehr gut ausgebildet, was die Wiedereingliederung zusätzlich vereinfacht. Dass der Beschwerdeführerin eine güterrechtliche Ausgleichszahlung im Betrag von Fr. 55‘000.-- zugesprochen wurde, erleichtert ihr die Rückkehr zusätzlich. Selbst unter Berücksichtigung der von ihrem Rechtsvertreter mit Fr.?27‘031.70 angegebenen Anwaltskosten verbleibt der Beschwerdeführerin ein Grossteil dieses Geldes, zumal sie gemäss ihren eigenen Angaben im Eheschutzverfahren ihren Anwalt mit dem Einkommensüberschuss bezahlt hatte. Sie musste dafür also nicht auf ihre güterrechtliche Abfindung zurückgreifen. Mit dem Geld verfügt die Beschwerdeführerin über eine finanzielle Starthilfe, auf die sie beispielsweise zurückgreifen könnte, wenn sie ein Studium absolviert. Die Beschwerdeführerin ist entgegen ihren Behauptungen also keinen schlechten finanziellen Verhältnissen ausgesetzt. Aus dem von ihr ins Recht gelegten Themenpapier ergibt sich auch nicht, dass sie als geschiedene Frau in untragbarer Weise einer Männergesellschaft ausgesetzt wäre, wie dies von ihrem Rechtsvertreter geltend gemacht wird. Zwar unterscheiden sich die sozialen Rahmenbedingungen im Kosovo unbestrittenermassen von jenen in der Schweiz und es ist auch durchaus vorstellbar, dass die Beschwerdeführerin als geschiedene Frau in ihrer Heimat nicht das höchste gesellschaftliche Ansehen geniesst. Dies allein genügt jedoch nicht, um auf eine Unzumutbarkeit der sozialen Reintegration zu schliessen. Selbstverständlich kann nicht jedes Scheitern der Ehe einer Kosovo-Albanerin mit einem in der Schweiz eingebürgerten Landsmann dazu führen, dass nach kurzer Ehe regelmässig mit Blick auf die im Vergleich zu den Gegebenheiten in der Schweiz schlechteren Rahmenbedingungen wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Kosovo auf einen Daueraufenthaltsanspruch geschlossen würde. Dies erst recht nicht in Fällen wie jenem der Beschwerdeführerin, welche die prägenden Lebensjahre in ihrem Heimatland verbracht hat, mithin mit den Verhältnissen in ihrer Heimat bestens vertraut ist und nur relativ kurze Zeit in der Schweiz lebte.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.108/E vom 20. Dezember 2017

Das Bundesgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Verfügung 2C_207/2018 vom 21. März 2019 infolge Rückzuges als erledigt abgeschrieben.

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