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TVR 2019 Nr. 30

Hinterlassenenleistungen (Todesfallkapital); Auslegung von Reglementsbestimmungen


Art. 50 BVG, Art. 73 BVG, § 37 EG ZGB


Reglemente privater Vorsorgeeinrichtungen sind, wo sich in Bezug auf die zur Streitigkeit Anlass gebenden Vorschriften kein übereinstimmender wirklicher Parteiwille feststellen lässt, nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Bei Vorsorgeeinrichtungen des öffentlichen Rechts erfolgt die Interpretation von Statuten- und Reglementsbestimmungen dagegen nicht nach dem Vertrauensprinzip, sondern gehorcht der Gesetzesauslegung.


W ist am 8. Februar 2017 verstorben. Er war bei der PKL nach der Bundesgesetzgebung über die berufliche Alters- und Invalidenvorsorge versichert. Per 1. Dezember 2014 war W ordentlich pensioniert worden und hatte ab diesem Datum eine Altersrente bezogen. Er hinterliess bei seinem Tod als gesetzliche Erben seine Töchter D und A. Am 23. März 2017 teilte die PKL D mit, ein Anspruch auf das Todesfallkapital sei bei einem Altersrentner nur möglich, sofern er vor Erreichen des ordentlichen Pensionsalters sterbe und Einkäufe für seine vorzeitige Pensionierung getätigt habe. Da keine weiteren Leistungen fällig würden, trete die Police ausser Kraft. Am 7. August 2018 gelangten D und A mit gegen die PKL gerichteter Klage ans Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht mit dem Rechtsbegehren, die PKL sei zu verpflichten, ihnen ein Todesfallkapital in der Höhe von Fr. 301‘214.-- zu bezahlen.
Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht weist die Klage ab.

Aus den Erwägungen:

1.
1.1 Unter dem Namen PKL besteht gemäss § 1 der Verordnung der Katholischen Synode des Kantons Thurgau über die PKL (RB 188.26) eine öffentlich-rechtliche Körperschaft im Sinne von § 37 EG ZGB. (…)

1.2 (Feststellung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht nach Art. 73 BVG)

1.3 (…)

2. Strittig ist, ob den Klägerinnen als gesetzliche Erben von W gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Ausrichtung eines Todesfallkapitals zukommt. Unbestritten ist, dass im Obligatoriumsbereich kein Anspruch der Hinterlassenen oder der Erben auf ein Todesfallkapital der beruflichen Vorsorge besteht (vgl. Stauffer, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl., Basel/Zürich/Genf 2012, Rz. 850 ff.). Ein Anspruch der Klägerinnen im eingeklagten Sinn könnte sich nur gestützt auf das Reglement der Beklagten ergeben. Die Klägerinnen machen geltend, Art. 36 Abs. 1 des Vorsorgereglements der PKL (Stand 1. Januar 2014), sehe einen Anspruch auf ein Todesfallkapital beim Tod eines Rentners vor. Demgegenüber vertritt die Beklagte den Standpunkt, aus den Absätzen 2 und 3 der Bestimmung von Art. 36 des Reglements (Stand 1. Januar 2014) gehe klar hervor, dass ein Todesfallkapital einzig beim Tod eines Versicherten vor Eintritt seines Pensionsalters geschuldet sei.

3.
3.1 und 3.2 (…)

3.3 Bei der Beurteilung der Frage, welches Recht bei einer Änderung der Rechtsgrundlage Anwendung findet, gilt der Grundsatz, dass diejenigen Rechtsgrundsätze massgebend sind, die bei der Erfüllung der rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatsachen Geltung haben (Stauffer, Die berufliche Vorsorge, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 3.?Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, S. 161 unter Verweis auf SZS 1996, 145 E. 4 mit Verweis auf BGE 119 I b 110). Die Parteien sind sich denn auch dabei darüber einig, dass der zu Rechtsfolgen führende Tatbestand vorliegend in der Erreichung des ordentlichen Pensionsalters durch den Versicherten und Vater der Klägerinnen per 1. Dezember 2014 zu sehen ist (vgl. § 34 Abs. 3 R-PKTG) und das Reglement der Beklagten Stand 1. Januar 2014 massgeblich ist.?

4. Wie dargelegt (vgl. E. 1.1 vorstehend) handelt es sich bei der Beklagten um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, welche auf der im Rechtsbuch des Kantons Thurgau publizierten Verordnung der Katholischen Synode des Kantons Thurgau über die PKL basiert. Wie sich aus dem in § 2 der Verordnung festgehaltenen Zweck der PKL ergibt, gibt die Verordnung auch den Kreis der möglichen Versicherten und die Organe der PKL (dazu § 5 der Verordnung) vor, wobei § 6 regelt, aus wie vielen Mitgliedern die Verwaltungskommission zu bestehen hat und dass der Kirchenrat mit mindestens einer Person in der Kommission vertreten sein muss. Diese der Beklagten zugrunde liegende Verordnung hat auch zur Folge, dass das Vorsorgereglement der PKL auf einer öffentlich-rechtlichen Grundlage basiert.

5.
5.1 Reglemente privater Vorsorgeeinrichtungen sind, wo sich in Bezug auf die zur Streitigkeit Anlass gebenden Vorschriften kein übereinstimmender wirklicher Parteiwille feststellen lässt, nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (Urteil des Bundesgerichts 9C_ 200/2015 vom 19. Juni 2015 E. 3.1). Bei Vorsorgeeinrichtungen des öffentlichen Rechts erfolgt die Interpretation von Statuten- und Reglementbestimmungen dagegen nicht nach dem Vertrauensprinzip, sondern gehorcht den Regeln der Gesetzesauslegung (Urteil des Bundesgerichts 9C_200/2015 vom 19. Juli 2015 E.?3.3.1 unter Verweis auf BGE 140 V 470 E. 3).

5.2 Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrundeliegenden Wertung. Wichtig ist auch der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, das heisst eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, unter anderem dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 144 V 327 E. 3 unter Hinweis auf BGE 142 V 129 E. 5.2.1 S. 134; BGE 139 V 66 E. 2.2 S. 68; je mit Hinweisen).

6.
6.1 Wird ausschliesslich der Wortlaut von Art. 36 Abs. 1 des Reglements der Beklagten betrachtet, könnte tatsächlich der Anschein entstehen, dass in jedem Fall ein Todesfallkapital auszuzahlen ist, wenn ein Altersrentner stirbt.

6.2 Diese isolierte, aus dem Gesamtzusammenhang herausgelöste Betrachtungsweise der Bestimmung (bzw. des Bestimmungsteiles), wie sie die Klägerinnen vornehmen wollen, trägt vorliegend ihrem wahren Gehalt aber offensichtlich nicht Rechnung (vgl. dazu E. 6.3 ff.). Vielmehr ist deren Inhalt in Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu ermitteln (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_837/2017 vom 7. Juni 2018 = SVR 2019 BVG Nr. 11, E. 5.1 und 5.2).

6.3 Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass in Art. 36 Abs. 2 und 3 des Reglements, wo es um die Höhe des Todesfallkapitals bei unverheirateten und verheirateten Versicherten geht, ausdrücklich festgehalten wird, ein Todesfallkapital werde nur fällig, wenn die betreffende Person vor Erreichen des Pensionsalters stirbt. Beide Absätze enthalten eine entsprechende Formulierung („Stirbt eine unverheiratete versicherte Person vor Erreichen des Pensionsalters …" bzw. „Stirbt eine verheiratete versicherte Person vor Erreichen des Pensionsalters …").

6.4 Für den Fall, dass eine versicherte Person nach Erreichen des Pensionsalters stirbt, wird die Höhe eines Todesfallkapitals im Vorsorgereglement der Beklagten nicht definiert. Demgegenüber enthält das Reglement in Art. 36 Abs. 2 und 3 Angaben zur Höhe des Todesfallkapitals bei Tod der versicherten Person vor Erreichen des Pensionsalters (..). Weil Bestimmungen zur Ermittlung der Höhe der Leistung, wie sie die Klägerinnen beanspruchen, fehlen, könnte anhand des Reglements der Beklagten gar nicht bestimmt werden, wie hoch denn das Todesfallkapital sein sollte. Der Umstand, dass eine solche Bestimmung fehlt, spricht dafür, dass das Reglement keinen solchen Anspruch begründet.

6.5 In Art. 36 Abs. 5 des Reglements der Beklagten wird zudem festgehalten, dass nicht ausbezahlte Todesfallkapitalien oder Altersguthaben an die Beklagte fallen. Dies entspricht dem Grundsatz der Solidarität im beruflichen Vorsorgebereich und widerlegt die Argumentation der Klägerinnen, wonach der christliche Grundgedanke die Ausrichtung eines Todesfallkapitals an die Erben eines Altersrentners verlange. Nicht benötigte Kapitalien werden nicht ausbezahlt, sondern dienen zugunsten anderer versicherter Personen der Finanzierung von Leistungen. Nicht ausbezahlte Altersguthaben sollen gerade nicht den Begünstigten der verstorbenen Versicherten zu Gute kommen. Auch diese Bestimmung ist bei der Auslegung von Art. 36 Abs. 1 des Reglements mit zu berücksichtigen.

6.6 Nachvollziehbar ist schliesslich, dass die Beklagte im Rahmen von Nachtrag?I auch Art. 36 Abs. 1 des Reglements präzisiert hat, da ohnehin aufgrund von Gesetzesänderungen Anpassungen vorzunehmen waren. Hieraus lässt sich aber ebenfalls nicht ableiten, das Reglement sehe bei Tod eines Altersrentners nach Erreichen des Rentenalters ein Todesfallkapital zugunsten seiner Erben vor.

6.7 Weil es bei den Ehegattenrenten gerade keinen Unterschied macht, ob die versicherte Person vor oder nach Bezug einer Altersrente stirbt, überzeugen auch die Vergleiche der Klägerinnen mit den Bestimmungen von Art. 32 und 34 des Reglements der Beklagten nicht. Anders als für das Todesfallkapital ist hier im Reglement zudem ausdrücklich vorgesehen, dass Lebenspartner und Lebenspartnerinnen gerade auch beim Tod eines Altersrentners nach Erreichen des ordentlichen Pensionierungsalters Leistungen erhalten sollen (vgl. etwa Art. 32 Abs. 1 und Abs. 4 des Reglements). Eine vergleichbare Regelung fehlt in Art. 36 des Reglements.

6.8 Zusammenfassend ergibt sich, dass dann, wenn Art. 36 Abs. 1 des Reglements der Beklagten rechtskonform im Kontext des gesamten Artikels und nach Sinn und Zweck der Regelung ausgelegt wird, den Klägerinnen kein Todesfallkapital zusteht.

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2018.186/E vom 27. März 2019

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