TVR 2019 Nr. 8
Ersatz ausseramtlicher Kosten, privatrechtlicher Vergleich
Schliessen zwei Parteien im Rahmen einer privatrechtlichen Bauverbotsklage im Rahmen eines Vergleichs eine Vereinbarung, wonach mit dem vollständigen Vollzug des Vergleichs die Parteien per Saldo aller gegenseitigen Ansprüche auseinandergesetzt seien, so ist diese Saldoklausel auch beim durch den Vergleich verursachten Abschreibungsentscheid im Rekursverfahren bei der Festlegung der Parteientschädigung zu berücksichtigen.
Die Politische Gemeinde O erteilte der T AG die Baubewilligung für den Neubau eines Glaslifts (Anbau) auf der Liegenschaft Nr. X. Gleichzeitig wurde die dagegen von W erhobene Einsprache abgewiesen. Dagegen erhob W Rekurs, wobei unter anderem beantragt wurde, das Rekursverfahren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides über die von W erhobene, privatrechtliche Bauverbotsklage zu sistieren. Das DBU sistierte das Verfahren in der Folge formlos. Anlässlich der Schlichtungsverhandlung beim Friedensrichteramt Z schlossen die Parteien einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt mit folgendem Wortlaut:
„1. - 2. (…)
3. Die Parteikosten werden wettgeschlagen.
4. Mit dem vollständigen Vollzug dieses Vergleichs sind die Parteien per Saldo aller gegenseitigen Ansprüche auseinandergesetzt.
5. - 6. (…)"
Der Vergleich wurde in der Folge nicht widerrufen, weshalb dem DBU mitgeteilt wurde, dass eine Einigung zustande gekommen sei. In der Folge wurde das Rekursverfahren zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben. Die amtlichen Kosten von Fr. 200.-- wurden auf die Staatskasse genommen. Das DBU verpflichtete die T AG, W ausseramtlich mit Fr. 1'200.-- inklusive Barauslagen zuzüglich 7,7% Mehrwertsteuer zu entschädigen. Zur Begründung wurde ausgeführt, gestützt auf § 80 Abs. 2 VRG habe die obsiegende Privatpartei in der Regel Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten. In der Regel trage der die Gegenstandslosigkeit verursachende Beteiligte die Kosten. Vorliegend habe die T AG durch den Rückzug des Baugesuchs die Gegenstandslosigkeit des Rekursverfahrens verursacht. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände rechtfertige sich eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'200.--.
Gegen diesen Rekursentscheid erhob die T AG Beschwerde, in der sie verlangte, der Entscheid des DBU sei aufzuheben und sie sei von der Verpflichtung, W eine Parteientschädigung auszurichten, zu befreien. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Vorliegend geht es darum, ob der in einem zivilrechtlichen Bauverbotsverfahren abgeschlossene Vergleich mit Saldoerklärung auch den Verzicht auf die Zusprechung einer Parteientschädigung im parallel geführten, hängigen Rekursverfahren betreffend die Baubewilligung beinhaltete. Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, die Saldoklausel in Ziff. 4 des Vergleichs könne nicht ohne weiteres auf das Verfahren vor dem DBU erstreckt werden. Der Verfahrensbeteiligte führt hierzu aus, die verwaltungsinternen Rechtspflegebehörden seien an privatrechtliche Vereinbarungen, welche das öffentlich-rechtliche Verfahren betreffen würden, nicht gebunden. Sie hätten ihre Entscheidungen unbesehen solcher privatrechtlicher Verträge zu fällen.
2.2
2.2.1 Die Beschwerdeführerin und der Verfahrensbeteiligte haben am 18. September 2018 einen Vergleich abgeschlossen. Ein Vergleich beinhaltet eine vertragliche Einigung der Parteien, in der sich diese nach Einleitung des Rechtsmittelverfahrens mittels gegenseitiger Zugeständnisse über den Streitgegenstand verständigen. Die Verfahrenserledigung durch Vergleich kann auch eine nur teilweise sein, indem dieser lediglich einzelne Aspekte des Rechtsstreits beschlägt und das Rekursverfahren im Übrigen weiterzuführen ist. Der Vergleich weist eine doppelte Rechtsnatur auf: Einerseits ist er ein materiellrechtlicher Vertrag des öffentlichen Rechts, anderseits eine formelle Prozesshandlung. Verfahrensrechtlich stellt er einen gemeinsamen Antrag der beteiligten Parteien an die Rekursinstanz betreffend die Erledigung der Streitsache dar. Die zwingende Natur des öffentlichen Rechts hat zur Folge, dass ein Vergleich nur insoweit zulässig ist, als die den betreffenden Gegenstand erfassende öffentlich-rechtliche Regelung den Parteien einen Gestaltungsspielraum belässt. Dies setzt der vergleichsweisen Erledigung eines Rekursverfahrens relativ enge Schranken. Die Rekursinstanz darf das Verfahren deshalb nicht unbesehen als zufolge Vergleichs erledigt abschreiben, sondern muss - mindestens summarisch - prüfen, ob die Erledigung durch Vergleich als solche wie auch der konkrete Vergleichsinhalt zulässig sind. Je nach Kognition wird sie sich dabei auf eine Rechtskontrolle beschränken oder aber auch Aspekte der Angemessenheit beurteilen. Soweit die Rekursbehörde die Zulässigkeit des Vergleichs indessen bejaht, ist er für sie verbindlich (Griffel, in Griffel [Hrsg.]: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG)] 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, § 28 N. 3).
2.2.2 Gegenstand des vorinstanzlichen Rekursverfahrens war die Baubewilligung der verfahrensbeteiligten Gemeinde. Das Baubewilligungsverfahren wurde durch das Gesuch der Beschwerdeführerin, der Rekurs durch die Verfahrensbeteiligten eingeleitet. Die Behörde wäre von sich aus nicht tätig geworden. Es lag daher in der Autonomie der Privaten, diese Verfahren anzuheben und mit dem Begehren um Erlass eines Entscheids den Verfahrensgegenstand zu definieren. Es gilt mithin die Dispositionsmaxime, welche besagt, dass die Einleitung und die Beendigung des Verfahrens den Parteien obliegt (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 12 N. 2). Die Beschwerdeführerin und der Verfahrensbeteiligte konnten somit über den Rückzug des Baugesuchs einen Vergleich abschliessen. Der Rückzug des Baugesuchs hatte die Gegenstandslosigkeit des Rekursverfahrens zur Folge. Im Falle eines Vergleichs können sich die Parteien auch über die Parteientschädigung einigen (Plüss, in Griffel [Hrsg.]: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, § 17 N.?33). Dass in diesem Zeitpunkt der definitive Anspruch auf eine Parteientschädigung noch nicht rechtskräftig festgelegt war, ändert daran nichts. Von hier nicht zutreffenden, gesetzlichen Ausnahmen abgesehen ist auch über künftige Forderungen ein Forderungsverzicht durchaus möglich (Gabriel, in: Honsell/Vogt/Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl., Basel 2015, Art. 115 N. 5). Auch die Tatsache, dass dabei die Höhe der Entschädigung noch nicht feststeht, ändert daran nichts, denn das ist bei Vereinbarungen über eine Parteientschädigung regelmässig der Fall, sofern diese wettgeschlagen werden. In diesen Fällen kommt es gar nie zu einer Festsetzung derselben durch eine gerichtliche Instanz. Da es sich beim Anspruch auf eine Parteientschädigung nicht um einen zwingenden gesetzlichen Anspruch handelt, welcher einen sinngemässen Antrag voraussetzt, untersteht dieser Anspruch mithin der (freien) Parteidisposition, auf den jederzeit ausdrücklich oder konkludent verzichtet werden kann. Auch die Höhe der Parteientschädigung steht grundsätzlich in der Disposition der Parteien. Wenn daher zwei Parteien in einem zivilrechtlichen Verfahren vereinbaren, dass sie per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt sind, so kann diese Vereinbarung auch für das parallel geführte öffentlich-rechtliche Verfahren verbindlich sein. Entgegen der Auffassung des Verfahrensbeteiligten ist daher eine Saldoklausel für die Rekursinstanz und die Erledigung des Rekursverfahrens inklusive der Parteientschädigung verbindlich, wenn sich ergeben sollte, dass die im zivilrechtlichen Verfahren abgeschlossene Klausel auch für die Erledigung der verwaltungsrechtlichen Streitigkeit Gültigkeit haben sollte.
3.
3.1
3.1.1 Zu prüfen ist somit, ob und inwieweit die in Ziff. 4 des Vergleichs formulierte Saldoklausel mit dem Wortlaut „Mit dem vollständigen Vollzug dieses Vergleichs sind die Parteien per Saldo aller gegenseitigen Ansprüche auseinandergesetzt" von der Vorinstanz bei der Formulierung ihres Abschreibungsentscheids hätte berücksichtigt werden müssen. Eine Saldoklausel beinhaltet einen Vergleich (Urteile des Bundesgerichts 4A_523/2014 vom 12. Februar 2015 E. 4.2, 4A_298/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 3.1 und 3.4). Mit dem Vergleichsvertrag legen die beteiligten Parteien einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Zugeständnissen bei (BGE 132 III 737 E. 1.3, 130 III 49 E. 1.2). Haben die Parteien eine Saldoklausel vereinbart, ist zu prüfen, welches der Gegenstand bzw. Umfang der Saldoklausel ist (vgl. hierzu die Urteile des Bundesgerichts 4A_523/2014 vom 12. Februar 2015 E. 4.3, 4A_298/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 3, 4A_596/2014 vom 18. März 2015 E. 3). Dafür, wie für die Auslegung des Vergleichsvertrags überhaupt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 4A_596/2014 vom 18. März 2015 E. 3.1 4A_298/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 3.4), ist nach Art. 18 Abs. 1 OR zunächst massgebend, was die Parteien tatsächlich gewollt haben (Urteil 4A_539/2016 vom 6. März 2017 E. 8.3.1). Hat das Gericht einen wirklichen Willen nicht feststellen können, so sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien im Rahmen der objektivierten Vertragsauslegung aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 138 III 659 E.?4.2.1 mit weiteren Hinweisen).
3.1.2 Das Ziel, einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis zu beenden, lässt sich regelmässig nur erreichen, wenn sämtliche mit dem Streit oder der Ungewissheit zusammenhängenden Fragen geregelt werden. Dieses Anliegen ist bei der Auslegung zu berücksichtigen, auch wenn der Umfang einer vergleichsweisen Beilegung von Streitigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten unterschiedlich weit gezogen werden kann. Wenn daher Fragen nicht ausdrücklich geregelt sind, die in engem Zusammenhang mit den vergleichsweise beigelegten Meinungsverschiedenheiten stehen und deren Beantwortung sich zur Beilegung des Streits aufdrängt, darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie von den Parteien mangels eines ausdrücklichen Vorbehalts nicht vom Vergleich ausgenommen werden sollten (Urteile des Bundesgerichts 4A_596/2014 vom 18. März 2015 E. 3.1, 4A_298/2014 vom 4.?Dezember 2014 E. 3.4). Bei der Auslegung des Vergleichsvertrags hat das Gericht zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung gewollt haben (BGE 126 III 119 E. 2c S. 121; Urteile des Bundesgerichts 4A_539/2016 vom 6. März 2017 E. 8.3.2, 4A_298/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 3.4).
3.2
3.2.1 Vorliegend geht es um die Auslegung der Saldoklausel in der vor dem Friedensrichter des Bezirkes Z abgeschlossenen Vereinbarung, wobei die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip zu erfolgen hat. Ebenso wäre zu berücksichtigen, von wem der Wortlaut bzw. die Formulierung der Vereinbarung stammt. Diesbezüglich ist zwar zu vermuten, dass der Wortlaut entweder vom Friedensrichter oder dem Rechtsvertreter des Verfahrensbeteiligten bzw. der Kläger stammt. Sichere Kenntnis hierüber besteht allerdings nicht und die Frage kann letztlich offen bleiben. Im Vergleich wurde detailliert geregelt, wer die Kosten des Schlichtungsverfahrens (in der Höhe von Fr. 400.--) übernimmt. Er enthält allerdings keine Bestimmung dahingehend, wie die Kosten- und Entschädigungsfolgen im damals immer noch hängig und formlos sistiert gewesenen Rekursverfahren zu liquidieren sein werden. Umgekehrt gilt es allerdings auch festzuhalten, dass sich die Saldoerklärung in Ziff. 4 nicht ausschliesslich auf das privatrechtliche Bauverbotsverfahren bezieht, mithin keine sachliche oder zeitliche Einschränkung enthält. Die Beschwerdeführerin wendet zu Recht ein, dass zwischen dem privatrechtlichen Bauverbotsverfahren und dem öffentlich-rechtlichen Baubewilligungs- bzw. Rekursverfahren ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, nachdem es stets um das Bauprojekt „Anbau eines transparenten Aussenliftes" ging. Der Vergleich vom 18. September 2018 hatte vor allem den Rückzug des Baugesuchs, also eine Handlung im öffentlich-rechtlichen Verfahren, zum Gegenstand. Hinzu kommt, dass der Verfahrensbeteiligte im privatrechtlichen Bauverbotsprozess die Aufhebung der Baubewilligung beantragte, obwohl ein solcher Antrag in diesem Verfahren nicht zulässig ist, weil über eine Baubewilligung nach dem PBG einzig die dort vorgesehenen Instanzen entscheiden können. Der Antrag des Verfahrensbeteiligten zeigt aber gerade, dass auch er selber das privatrechtliche Bauverbotsverfahren und das öffentlich-rechtliche Rekursverfahren (bewusst oder unbewusst) vermischt hat.
3.2.2 Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches vom 18. September 2018 davon ausging, aufgrund der generell und umfassend formulierten Saldoklausel würden sämtliche Ansprüche zwischen den Beteiligten getilgt; somit auch ein allfälliger Anspruch auf Parteientschädigung des Verfahrensbeteiligten im parallelen, öffentlich-rechtlichen Rechtsmittelverfahren. Aufgrund der Vermischung des privat- und öffentlich-rechtlichen Verfahrens durch den Verfahrensbeteiligten musste dieser auch damit rechnen, dass die Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben davon ausging oder ausgehen durfte, dass mit dem Vergleich vom 18. September 2018 auch die Parteikosten im Rekursverfahren erledigt würden und die Saldoerklärung einen Verzicht auf sämtliche Forderungen darstellen würde, wozu auch der mögliche Anspruch auf eine Parteientschädigung im Rekursverfahren gehört.
3.2.3 Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in der vorliegenden Konstellation nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, die Saldoerklärung in Ziff. 4 der Vereinbarung vom 18. September 2018 stelle unter anderem auch einen Verzicht des Verfahrensbeteiligten auf die Zusprechung einer Parteientschädigung im Rekursverfahren dar. Ist aber davon auszugehen, dass die Saldoklausel in Ziff. 4 der Vereinbarung vom 18. September 2018 den Verzicht auf eine Parteientschädigung mitumfasste und damit gültig vereinbart wurde, hätte die Vorinstanz dies in ihrem Abschreibungsentscheid berücksichtigen müssen. Die Vorinstanz hat deshalb dem Verfahrensbeteiligten zu Unrecht Ersatz der ausseramtlichen Kosten in der Höhe von Fr. 1‘200.-- zulasten der Beschwerdeführerin zugesprochen, weshalb die entsprechende Ziff. 3 des angefochtenen Rekursentscheides aufzuheben und die Beschwerde demnach gutzuheissen ist.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2018.171/E vom 12. Juni 2019