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TVR 2020 Nr. 32

Selbstverschuldete Arbeitslosigkeit; Beurteilung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses


Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG, Art. 44 Abs. 1 lit. b AVIV


1. Ein Verbleib im Arbeitsverhältnis ist trotz eines angespannten Verhältnisses zum Vorgesetzten und trotz gewisser arbeitsplatzbezogener Sicherheitsbedenken zumutbar, wenn das Arbeitsverhältnis erst sehr kurz gedauert hat und dem Betroffenen vor einer Kündigung noch andere Möglichkeiten, insbesondere ein klärendes Gespräch, offenstehen (E.4.1 und 4.2).

2. Neben einer Prüfung der einzelnen geltend gemachten Unzumutbarkeitsgründe ist auch eine Gesamtschau aller Faktoren vorzunehmen (E. 4.4).


A beantragte Arbeitslosenentschädigung, bevor er am 25. März 2019 eine Stelle als Gärtner antreten konnte. Dieses Arbeitsverhältnis wurde bereits am 29. März 2019 wieder beendet und die Arbeitslosenkasse stellte A wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für 28 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Arbeitslosenkasse nach nochmaliger Abklärung des Sachverhalts und Gewährung des rechtlichen Gehörs ab. Dagegen liess A Beschwerde erheben. Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG ist die versicherte Person in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn sie durch eigenes Verschulden arbeitslos ist. Die Arbeitslosigkeit gilt insbesondere dann als selbstverschuldet, wenn der Versicherte das Arbeitsverhältnis von sich aus aufgelöst hat, ohne dass ihm eine andere Stelle zugesichert war, es sei denn, dass ihm das Verbleiben an der Arbeitsstelle nicht zugemutet werden konnte (Art. 44 Abs. 1 lit. B AVIV). Die behauptete Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses ist vor dem Hintergrund des Art. 16 Abs. 1 AVIG zu beurteilen, wonach grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist, es sei denn, einer der in Abs. 2 dieser Bestimmung abschliessend aufgelisteten Ausnahmetatbestände sei erfüllt. Nach der Rechtsprechung ist die Zumutbarkeit zum Verbleiben am bisherigen Arbeitsplatz strenger zu beurteilen als die Zumutbarkeit zur Annahme einer neuen Stelle (BGE 124 V 234 E. 4b/bb). Ein schlechtes Arbeitsklima oder Spannungen zwischen der versicherten Person und Arbeitskollegen oder Vorgesetzten jedenfalls begründet noch keine Unzumutbarkeit. Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen (vgl. Art. 16 Abs. 2 lit. c AVIG) muss nach der Rechtsprechung durch ein eindeutiges ärztliches Zeugnis (oder allenfalls andere geeignete Beweismittel) belegt sein (Urteil des Bundesgerichts 8C_742/2013 vom 27. November 2013 E. 4.1 mit Hinweisen).

3. (…)

4. Zu prüfen ist weiter, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Beschwerdeführer unzumutbar war. Der Beschwerdeführer liess im Wesentlichen drei Gründe vortragen, die seiner Ansicht nach zur Unzumutbarkeit führen: herablassende Bemerkungen durch den Arbeitgeber (E. 4.1), das Nichteinhalten von Sicherheitsbestimmungen (E. 4.2) und medizinische Gründe (E. 4.3). Auf diese Vorbringen wird im Folgenden im Einzelnen eingegangen.

4.1
4.1.1 Ein schlechtes Arbeitsklima oder Spannungen zwischen der versicherten Person und Arbeitskollegen oder Vorgesetzten begründen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung noch keine Unzumutbarkeit (BGE 124 V 234 E. 4b/bb). Das Verbleiben am Arbeitsplatz wird jedoch dann als unzumutbar betrachtet, wenn wichtige Gründe im Sinne von Art. 337 ff. OR vorliegen, die zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen.

4.1.2 Vorliegend brachte der Beschwerdeführer vor, der Arbeitgeber habe geäussert, "typisch Behinderte von der Stiftung S, da ist ja nicht mehr zu erwarten". In der Einsprache vom 22. Mai 2019 wurde zudem vorgetragen, es habe am 25. März 2019 "verletzende Aussagen" sowie am 27. März 2019 "übelst[e]" Beschimpfungen gegeben. Am 28. März 2019 habe der Arbeitgeber geäussert: "du gasch mir langsam uf de Sack". Auch sei eine Bezeichnung des Beschwerdeführers als "minderbemittelt" erfolgt.

4.1.3 Die angeblichen Beleidigungen und Beschimpfungen sind nicht belegt, sondern beruhen einzig auf den Angaben des Beschwerdeführers in den Eingaben bei der Beschwerdegegnerin und im Rahmen der Beschwerdeschrift. Sie wurden daher erst nach etwa zwei Monaten erstmals vorgebracht. Vorher erfolgte keine Beanstandung. In der schriftlichen Kündigung fehlt auch eine konkrete Angabe, was der Inhalt der beleidigenden Aussagen genau gewesen sein soll. Eine Strafanzeige wurde offensichtlich ebenso wenig eingereicht. Eine Befragung der zwei Beteiligten – des Beschwerdeführers und seines ehemaligen Arbeitgebers – würde schon angesichts der verstrichenen Zeitdauer und in Anbetracht des Umstandes, dass keine Drittpersonen diese Äusserungen mitbekommen haben (der Beschwerdeführer hat so etwas nicht geltend gemacht) voraussichtlich keine weiteren Ergebnisse bringen. Es dürfte auch kaum anzunehmen sein, dass sich der Beschwerdeführer bei einer Befragung selber belasten würde. Im Rahmen einer zulässigen antizipierten Beweiswürdigung (Urteil 8C_170/2018 vom 12. Dezember 2018 E. 3 sowie BGE 136 I 229 E. 5.3) sind daher von einer Befragung keine weiteren sachdienlichen Erkenntnisse zu erwarten. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Beleidigungen und Beschimpfungen sind somit nicht überwiegend wahrscheinlich bewiesen, weshalb der Beschwerdeführer gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat (Urteil des Bundesgerichts 8C_742/2013 vom 27. November 2013 E. 4.2). Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war vorliegend folglich nicht wegen Unzumutbarkeit aufgrund der verbalen Äusserungen des ehemaligen Arbeitgebers ausgeschlossen.

4.2
4.2.1 Mangelhafte Sicherheitsvorkehren können ein Grund für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses darstellen (vgl. AVIG Praxis ALE Rz. D27 mit Hinweis auf Urteil des EVG C 302/01 vom 4. Februar 2003). Der Beschwerdeführer trug vor, der Arbeitgeber habe am 25. und 27. März 2019 mit einer Kettensäge gearbeitet, ohne über die nötige Schutzkleidung verfügt zu haben, er (der Beschwerdeführer) habe am 27. März 2019 ohne Leuchtweste an einer unsicheren Strasse Rückschnitte durchführen müssen, ohne dass der Verkehr mit einem entsprechenden Signal auf die Arbeiten aufmerksam gemacht worden sei und er habe am 28. März 2019 ohne Sicherung ein Dach in 3 m Höhe reinigen sollen. Auch hätte kein Gehörschutz zur Verwendung eines Akkubläsers zur Verfügung gestanden. Die mangelhafte Einhaltung der Sicherheitsvorschriften liess der Beschwerdeführer durch seinen Vater am 29. März 2019 der paritätischen Regionalkommission grüne Berufe des Kantons Schaffhausen melden. Auch dem Arbeitsamt (Arbeitsinspektorat) des Kantons Schaffhausen wurde am 29. März 2019 eine Meldung über den Verdacht auf Beschäftigung ohne Arbeitsvertrag und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen im Betrieb des ehemaligen Arbeitgebers durch den Vater des Beschwerdeführers vorgenommen. Ebenso wurde die Suva über die Missstände informiert. (…)

4.2.2 Der Beschwerdeführer belegt keine Anhandnahme des Falls durch eine der kontaktierten Stellen und es liegen keine Berichte oder sonstigen Dokumentationen der Situation bei den Arbeitseinsätzen des ehemaligen Arbeitgebers vor. Auch reichte der Beschwerdeführer keine Beweismittel ein, welche die gerügte mangelnde Sicherheit überwiegend wahrscheinlich erscheinen liesse. Der Beschwerdeführer machte auch nicht geltend, dass Drittpersonen die von ihm geltend gemachten Verletzungen von Sicherheitsvorschriften beobachtet hätten. Eine Befragung des Beschwerdeführers und des ehemaligen Arbeitgebers dürfte auch keine weiteren Erkenntnisse ergeben, sodass darauf in antizipierter Beweiswürdigung (Urteil 8C_170/2018 vom 12. Dezember 2018 E. 3 sowie BGE 136 I 229 E. 5.3) zu verzichten ist. In Anbetracht der Umstände, dass das Arbeitsverhältnis nur vier Tage gedauert hat, wovon der Beschwerdeführer nur an zweieinhalb Tagen gearbeitet hat, erscheint es fragwürdig, ob der Beschwerdeführer bereits von einer Praxis im Unternehmen ausgehen durfte, welche Sicherheitsmassnahmen grundsätzlich missachtet. Zwar wurden im Rahmen des Einspracheverfahrens und mit der Beschwerde konkrete Vorkommnisse gerügt. Ob es sich dabei um Einzelfälle im gemäss Handelsregister seit 1995 bestehenden Unternehmen handelte, kann jedoch vorliegend nicht beurteilt werden. Es wäre dem Beschwerdeführer in jedem Fall zumutbar gewesen, die Antworten der kontaktierten Stellen (Personalkommission, Arbeitsinspektorat und Suva) abzuwarten sowie selbst ein persönliches Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen. Denkbar wäre es sodann gewesen, vor einer Kündigung auch eine Vermittlung anzustreben, bei welcher die Erwartungen beider Seiten besprochen und mögliche Vorgehensweisen erläutert werden. Der Beschwerdeführer hätte seine Arbeitskraft persönlich oder schriftlich anbieten müssen und nur diejenigen Tätigkeiten verweigern dürfen, bei denen Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden. Da der Beschwerdeführer gemäss Arbeitsvertrag zum Zwecke der Mithilfe bei Gartenpflegearbeiten angestellt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Tätigkeiten auch ohne jede Gefährdung hätten ausgeübt werden können (z. B. Jäten, Rasenmähen, Aufräumen, Rückschnitte, etc.).

4.2.3 Da die Nichteinhaltung relevanter Sicherheitsvorschriften wiederum nicht mit dem erforderlichen Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte, trägt der Beschwerdeführer erneut die Folgen der Beweislosigkeit (Urteil des Bundesgerichts 8C_742/2013 vom 27. November 2013 E. 4.2). Unter Berücksichtigung aller Faktoren wäre es dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis mindestens bis zu einer Klärung der Situation, einem Gespräch oder einer Vermittlung weiterzuführen und Tätigkeiten ohne Gefährdung weiter auszuführen. Eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann auch aus diesem Grund nicht angenommen werden.

4.3
4.3.1 Betreffend die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen ist festzuhalten, dass dies gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung durch ein eindeutiges ärztliches Zeugnis (oder allenfalls durch andere geeignete Beweismittel) belegt sein muss, wobei die Zumutbarkeit zum Verbleiben strenger beurteilt wird als die Zumutbarkeit zum Antritt einer neuen Stelle (BGE 124 V 234 E. 4 b/bb). Ein Arztzeugnis liegt nicht bei den Akten. Der behandelnde Arzt Dr. med. D bestätigte zwar, "ein Arztzeugnis ab dem Konsultationsdatum vom 29.03.2019 bis inkl. 03.04.2019 attestiert" zu haben, was aber gemäss den eigenen Angaben des Beschwerdeführers gar nicht zutrifft. Aus dem Schreiben geht aber nicht hervor, dass eine Arbeitsunfähigkeit für diesen Zeitraum vorlag. Auch fand im Zeitraum nach dem 29. März 2019 keine weitere Konsultation mehr statt. Gemäss den eigenen Angaben des Beschwerdeführers wurde gar kein Arztzeugnis ausgestellt und die Kündigung an den Arbeitgeber sei auch ohne Beilage eines Arztzeugnisses versendet worden, sodass dort, entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers in der Beschwerde, offensichtlich auch keines vorhanden sein kann. Weitere Arztzeugnisse liegen nicht vor. Derzeit befinde sich der Beschwerdeführer in psychiatrischer Behandlung in der Klinik T.

4.3.2 Das erst am 20. August 2019 verfasste Schreiben von Dr. D genügt nicht, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen überwiegend wahrscheinlich glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer war, wenn überhaupt, auch nur für wenige Tage arbeitsunfähig und reichte in der Folge keine weiteren Arztzeugnisse oder -berichte ein. Auf Rückfragen konnte der behandelnde Arzt denn auch am 26. Juni 2019 sowie am 20. August 2019 nicht bestätigen, dass die Arbeitsunfähigkeit in Zusammenhang mit der Arbeitsstelle bestanden habe. Der Beschwerdeführer habe zwar berichtet, Probleme am Arbeitsplatz seien ihm auf den Magen geschlagen und dass er kaum noch schlafen könne. Ob die Situation am Arbeitsplatz ursächlich für diese Beschwerden bzw. die Arbeitsunfähigkeit gewesen sei, könne er nach der einmaligen Konsultation vom 29. März 2019 aber nicht beurteilen. Aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, dass es dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen. Entsprechend der in E. 2 vorstehend angeführten bundesgerichtlichen Praxis, wonach ein ausdrückliches ärztliches Zeugnis oder ein vergleichbares Beweismittel für die Annahme der Unzumutbarkeit gegeben sein muss, kann im vorliegenden Fall nicht von einer die Zumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses ausschliessenden Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden.

4.4 Nach diesen Ausführungen erhellt, dass keiner der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe für eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Es liegt weder Unzumutbarkeit aufgrund verbaler Äusserungen des Arbeitgebers noch aufgrund fehlender Sicherheitsvorkehren oder gesundheitlicher Einschränkungen vor. Auch in der Gesamtschau aller Argumente ergibt sich nichts anderes. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis nur gerade einmal vier Tage gedauert hat, wäre es dem Beschwerdeführer jedenfalls zumutbar gewesen, die Probezeit weiter fortzusetzen und an einer Lösung der Probleme konstruktiv mitzuwirken bzw. das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und seine Arbeitskraft weiter anzubieten. Da er dies nicht tat, sondern selbst das Arbeitsverhältnis kündigte, liegt eine selbstverschuldete Arbeitslosigkeit gemäss Art. 44 AVIG vor, welche zwingend eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung zur Folge hat.

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2019.177/E vom 8. Januar 2020

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