TVR 2021 Nr. 22
Verletzung des Täuschungsverbotes mittels eines den Zwischenhändlern abgegebenen Prospekts
Art. 12 Abs. 2 lit. c LIV, Art. 25 LIV, Art. 31 Abs. 2 LIV, Art. 31 Abs. 3 LIV, Art. 38 LIV, Art. 99 Anhang 1 LIV, Art. 99 Anhang 14 LIV, Art. 1 Abs. 1 lit. c LMG, Art. 1 Abs. 1 lit. d LMG, Art. 2 Abs. 1 lit. b LMG, Art. 18 LMG, Art. 34 LMG
1. Der Geltungsbereich des LMG erfasst auch die über Lebensmittel verbreiteten Informationen (Art. 2 Abs. 1 lit. b LMG).
2. Hinweise, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder die den Eindruck entstehen lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind, verstossen gegen das Täuschungsverbot. Das gilt auch dann, wenn die Informationen den Zwischenhändlern abgegeben werden und sich nur mittelbar an die Konsumenten richten.
Die B mit Sitz in S produziert und vertreibt unter anderem das Produkt „Cannabis 10 Kapseln". Dabei handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel mit Cannabidiol (nachfolgend: "CBD")-haltigem Cannabisextrakt, Melisse und Niacin. Zum Produkt gehört eine Packungsbeilage. Zudem wird den Zwischenhändlern eine Broschüre abgegeben.
Das Kantonale Laboratorium verfasste am 11. Juni 2019 einen Untersuchungsbericht. Dem Produkt „Cannabis 10 Kapseln" werde der Anschein eines Heilmittels gegeben. Gleichentags entschied das Amt, die Broschüre der B dürfe ab sofort nicht mehr abgegeben werden (Ziff. 1 des Entscheids). Zudem habe die B verschiedene Informationen und Angaben zur Spezifikation der eingesetzten Rohstoffe, der Analysenresultate der Ausgangsstoffe, der Halbfabrikate und der fertigen Produkte, insbesondere der verschiedenen Cannabinoide, eine detaillierte Beschreibung des Verfahrens der Extrakt-Gewinnung, eine detaillierte Beschreibung des Verfahrens der Aktivierung des CBD und zwei Packungen des verkaufsbereiten Produktes zu liefern.
Die B beantragte am 28. Juni 2019 mittels Einsprache die Aufhebung von Ziffer 1 des Dispositivs. Sowohl die Einsprache als auch der gegen den Einspracheentscheid erhobene Rekurs wurden abgewiesen.
Das Verwaltungsgericht weist die von B gegen den Rekursentscheid erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
3.2 Unter dem Titel "Täuschungsschutz" bestimmt Art. 18 LMG, dass sämtliche Angaben über Lebensmittel den Tatsachen entsprechen müssen. Die Aufmachung, Kennzeichnung und Verpackung der Produkte nach Absatz 1 und die Werbung für sie dürfen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht täuschen (Art. 18 Abs. 2 LMG). Täuschend sind namentlich Aufmachungen, Kennzeichnungen, Verpackungen und Werbungen, die geeignet sind, bei den Konsumentinnen und Konsumenten falsche Vorstellungen über Herstellung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Produktionsart, Haltbarkeit, Produktionsland, Herkunft der Rohstoffe oder Bestandteile, besondere Wirkungen oder besonderen Wert des Produkts zu wecken (Art. 18 Abs. 3 LMG). Gemäss Art. 18 Abs. 4 LMG kann der Bundesrat zur Gewährleistung des Täuschungsschutzes (lit. a) Lebensmittel umschreiben und deren Bezeichnung festlegen; (lit. b) Anforderungen an Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und kosmetische Mittel festlegen; (lit. c) Kennzeichnungsvorschriften erlassen für Bereiche, in denen Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund der Ware oder der Art des Handels besonders leicht getäuscht werden können; (lit. d) die Gute Herstellungspraxis (GHP) für Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und kosmetische Mittel umschreiben.
3.3 Den gesetzlichen Täuschungsschutz hat der Bundesrat in Art. 12 LGV konkretisiert (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_162/2019 vom 26. Februar 2020 E. 3.3). Art. 12 Abs. 1 hält unter dem Titel „Täuschungsverbot“ fest, dass für Lebensmittel verwendete Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen, Umhüllungen, Verpackungen, Umhüllungs- und Verpackungsaufschriften, die Arten der Aufmachung, die Werbung und die Informationen über Lebensmittel den Tatsachen entsprechen müssen und nicht zur Täuschung namentlich über Natur, Herkunft, Herstellung, Produktionsart, Zusammensetzung, Inhalt und Haltbarkeit der betreffenden Lebensmittel Anlass geben dürfen. Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV verbietet insbesondere Hinweise, die einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder die den Eindruck entstehen lassen, dass solche Eigenschaften vorhanden sind. Wer einem Lebensmittel vorbeugende oder heilende Eigenschaften zuschreibt, dieses aber nicht als Arzneimittel nach dem Heilmittelrecht anpreist, führt den Konsumenten insofern irre, als er den Eindruck entstehen lässt, sein Produkt wirke wie ein solches und sei entsprechend geprüft. Dies will Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV verhindern. Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV dient aus gesundheitspolizeilichen Gründen vor allem der Abgrenzung der Anwendung der Heilmittel- von der Lebensmittelgesetzgebung und soll Irrtümern des Publikums entgegenwirken, indem eine allenfalls untaugliche Selbstmedikation wegen behaupteter krankheitsbezogener Wirkung von Lebensmitteln verhindert werden soll (Urteil des Bundesgerichts 2C_162/2019 vom 26. Februar 2020 E. 3.3 unter Verweis auf BGE 127 II 91 E. 3 und 4a S. 95 ff., 101). Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV verfolgt ein doppeltes Ziel: Einerseits das Verbot der Heilanpreisung und andererseits die Umschreibung zulässiger gesundheitsbezogener Werbung, wenn kein Krankheitsbezug geschaffen wird. Bereits die Tatsache, dass ein Lebensmittel als Mittel gegen Krankheitszustände angepriesen wird, genügt, um gegen das Verbot der Heilanpreisung zu verstossen (Urteil des Bundesgerichts 2C_162/2019 vom 26. Februar 2020 E. 3.4 unter Verweis auf das Urteil 2A.62/2002 vom 19. Juni 2002 E. 3.2 und 4.2).
3.4 Erlaubt sind gemäss Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV Hinweise auf die Wirkung von Zusätzen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung zu Lebensmitteln (Art. 25 LGV) zur Förderung der Gesundheit der Bevölkerung sowie nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben (Art. 38 LGV). Welche nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben verwendet werden dürfen, legt gemäss Art. 38 LGV das EDI fest. In der LIV wird in Art. 31 Abs. 1 zu "gesundheitsbezogenen Angaben" festgehalten, gesundheitsbezogene Angaben seien sprachliche oder bildliche Angaben, einschliesslich grafischer Elemente oder Symbole in jeder Form, mit denen erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Gesundheitsbezogene Angaben dürfen gemäss Abs. 2 der Bestimmung nur gemacht werden, wenn sie in Anhang 14 vorgesehen sind und die Anforderungen dieses Abschnittes erfüllen. Gesundheitsbezogene Angaben, die nicht in Anhang 14 aufgeführt sind, bedürfen gemäss Art. 31 Abs. 3 LIV einer Bewilligung des BLV.
4.
4.1 Wie die vorstehende E. 3.1 deutlich macht, erfasst der Geltungsbereich des LMG gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b LMG auch die über Lebensmittel verbreiteten Informationen.
4.2 Eine Einschränkung in der Art, dass Begleitinformationen, welche sich nicht (oder nicht nur) an Konsumenten, sondern (zumindest auch) an Zwischenhändler richten, vom Geltungsbereich des Lebensmittelrechts ausgenommen sein sollen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Anhang 1 LIV hält zu den Begriffsbestimmungen vielmehr fest, dass jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und den Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch den Zwischenhändlerinnen und Zwischenhändlern und den Verarbeiterinnen und Verarbeitern durch ein Etikett, durch sonstiges Begleitmaterial oder in anderer Form, einschliesslich über moderne technologische Mittel oder mündlich, zur Verfügung gestellt wird, eine Information über Lebensmittel darstellt. Ob die Zwischenhändler die ihnen zum Produkt der Beschwerdeführerin abgegebene Broschüre in den Verkaufsräumen aufgelegt bzw. direkt an die Kundschaft weitergegeben haben, wurde nicht geklärt. Die Frage ist aber auch nicht von Bedeutung. Die strittige Broschüre zielt nämlich offensichtlich darauf ab, dass die darin enthaltenen Angaben über die Zwischenhändler an die Konsumenten weitergegeben werden sollen. Das Verkaufspersonal hat die Aufgabe, die Kunden zu informieren und zu beraten – sowie zum Kauf des Produktes der Beschwerdeführerin zu animieren. Zumindest indirekt bzw. mittelbar werden mit der Broschüre daher auch Konsumenten beworben. Inwiefern der Begriff der verbreiteten Informationen gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b LMG unrichtig oder willkürlich ausgelegt worden sein soll, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesrat mit dem Erlass der LIV seine Verordnungskompetenz überschritten hätte oder dass die zur Anwendung gelangenden Bestimmungen verfassungswidrig wären.
4.3 Entsprechend ist zu prüfen, ob die Broschüre der Beschwerdeführerin den lebensmittelrechtlichen Anforderungen standhält.
5. Die strittige Broschüre der Beschwerdeführerin nimmt auf dem Titelblatt in übergrossen, teils fett gedruckten Buchstaben auf das Produkt "Cannabis 10, Nahrungsergänzungsmittel mit CBD-haltigem Cannabisextrakt, Melisse und Niacin" der Beschwerdeführerin Bezug. Auf der Titelseite ist das Produkt der Beschwerdeführerin graphisch abgebildet. Dasselbe gilt für die letzte Seite. Zudem weist die Broschüre auf jeder Seite in der Kopfzeile den im Vergleich zum Haupttext deutlich vergrösserten Hinweis "Cannabis 10 Kapseln" auf, wobei das Layout dieser Kopfzeile (abgesehen von der übergrossen Schrift) der auf der Produktverpackung verwendeten Gestaltung entspricht. Angesichts der Gesamtaufmachung der Broschüre entsteht der Eindruck, es sei in der Broschüre nicht einfach von CBD im Allgemeinen, sondern konkret vom Produkt "Cannabis 10 Kapseln" der Beschwerdeführerin die Rede. Von der Gesamterscheinung her bewirbt die strittige Broschüre daher nicht den Wirkstoff CBD, sondern das Produkt "Cannabis 10 Kapseln" der Beschwerdeführerin.
6.
6.1 Unter Bezugnahme auf einen Bericht der Stiftung "Sucht Schweiz" wird in der Broschüre festgehalten, es sei davon auszugehen, dass CBD schmerzstillend und angstlösend wirken könne. In der Zusammenfassung wird ausgeführt, es liessen sich fünf Kategorien von Krankheiten/Schmerzen bilden, bei denen CBD gemäss verschiedenen Quellen helfen solle. So führe es zur Verminderung von psychischen Beschwerden (Angespanntheit, Angstzuständen, Schlafstörungen) und zur Verminderung somatischer Beschwerden (z. B. akuter und chronischer Schmerzen, Appetitmangel). Es diene der Behandlung/Prävention von chronischen Krankheiten und neurodegenerativen Erkrankungen (Alzheimer, Parkinson), der Behandlung von neurologischen Störungen (verschiedene Formen von Epilepsie, Multiple Sklerose) und habe andere Anwendungsgebiete wie Akne und Behandlung von Abhängigkeiten.
6.2 Die in der Broschüre für CBD gemachten gesundheitsbezogenen Angaben wären - wie die obigen Erwägungen 3.4 und 4 deutlich machen - allerdings nur zulässig, wenn sie in der abschliessenden Liste im Anhang 14 LIV ausdrücklich vorgesehen wären. Gesundheitsbezogene Angaben, die nicht aufgeführt sind, bedürfen einer Bewilligung des BLV (Art. 38 LGV i. V. mit Art. 31 Abs. 2 und 3 LIV).
6.3 Die beanstandeten gesundheitsbezogenen Angaben zum Nahrungsergänzungsmittel "Cannabis 10 Kapseln" sind in Anhang 14 LIV nicht aufgeführt. Eine Bewilligung des BLV liegt unbestrittenermassen nicht vor. Die entsprechenden Angaben sind unabhängig vom Wahrheitsgehalt und der Vertrauenswürdigkeit der Quelle ausschliesslich zugelassenen Heilmitteln vorbehalten. Die Angaben in der Broschüre verletzen somit Art. 12 Abs. 2 lit. c LGV i. V. mit Art. 38 Abs. 1 LGV und Art. 31 LIV.
7. Die Vorinstanz und das verfahrensbeteiligte Amt haben daher zu Recht auf einen Verstoss gegen die lebensmittelrechtlichen Vorgaben geschlossen und die Broschüre der Beschwerdeführerin daher zu Recht beanstandet.
(…)
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2020.13/E vom 1. Juli 2020
Das Bundesgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 2C_733/2020 vom 15. März 2021 abgewiesen.