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TVR 2021 Nr. 27

Schützenswertes Interesse nicht vorausgesetzt bei Geltendmachung eines flurrechtlichen Beseitigungsanspruchs; Messweise für Pflanzenhöhe


§ 5 Abs. 2 FlGG, § 8 FlGG


1. Das FlGG sieht nicht vor, dass zur Geltendmachung eines flurrechtlichen Anspruchs auf Rückschnitt bzw. Beseitigung von flurrechtswidrigen Pflanzungen ein aktuelles schützenswertes Interesse seitens der gesuchstellenden bzw. klagenden Person - etwa an der Beseitigung übermässiger Immissionen - dargetan werden müsste (E. 2).

2. Für die Beurteilung, ob die Pflanzenhöhe den flurrechtlichen Vorschriften entspricht, ist die Höhe beim Austritt der Pflanze aus dem Boden, und zwar auf der der betreffenden Grundstücksgrenze zugeneigten Seite, zu messen (E. 3).


Mit Schreiben vom 14. November 2017 ersuchte A als damaliger Eigentümer der Liegenschaft Nr. Y den Gemeinderat der Politischen Gemeinde G, dafür zu sorgen, dass B, als Eigentümer der nördlich anstossenden Liegenschaft Nr. X, die Sträucher und Pflanzen entlang der gemeinsamen Grenze zurückschneide. Der Gemeinderat der Politische Gemeinde G überwies die Sache an die Flurkommission zur Weiterbearbeitung. Mit Eingabe vom 3. Oktober 2017 ersuchte A die Flurkommission, die nötigen Massnahmen zur Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands betreffend die Pflanzungen auf dem Grundstück von B zu ergreifen. Nach mehrfachem Schriftenwechsel und einem Augenschein der Flurkommission erliess diese am 30. September 2019 folgenden Entscheid: (1.) Sämtliche Pflanzen entlang der gemeinsamen Grenze müssen dem Gesetz über Flur und Garten (FlGG) § 5 und § 7 entsprechen, gemessen ab dem Niveau von Parzelle Y; (2.) der Rückschnitt hat bis spätestens Ende März 2020 zu erfolgen; (3.) Sämtliche Bepflanzungen sind dauernd so unter Schnitt zu halten, dass sie jederzeit den gesetzlichen Vorschriften entsprechen.
Gegen diesen Entscheid erhob B Rekurs beim DIV. Mit Entscheid vom 10. März 2020 hiess das DIV den Rekurs teilweise gut. Dabei wurde B verpflichtet, innerhalb von 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft des Rekursentscheids die in den Erwägungen bezeichneten Pflanzen entlang der Grenze auf die festgelegte Höhe zurückzuschneiden und auf dieser Höhe unter Schnitt zu halten. Die Höhe sei dabei vom Grenzpunkt aus zu messen, der am nächsten beim Punkt liege, an dem die Pflanzung bzw. der Stamm aus dem Boden trete.
Das Verwaltungsgericht heisst eine von B dagegen erhobene Beschwerde unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Rekursentscheids und des Entscheids der Flurkommission in dem Sinne teilweise gut, als die Sache an das DIV zurückgewiesen wird, damit dieses die Höhe der Pflanzungen auf der Liegenschaft Nr. X im Sinne der Erwägungen neu festlege und betreffend eine Rückschnittverpflichtung von B neu entscheide; soweit B festzustellen verlangt, er sei aus Flurrecht grundsätzlich nicht zu einem Rückschnitt seiner Pflanzen verpflichtet, weist das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Zu prüfen ist als erstes, ob der Eigentümerschaft der Liegenschaft Nr. Y gegenüber dem Beschwerdeführer überhaupt ein Anspruch auf Einhaltung der flurrechtlichen Vorschriften zukommt oder ob ein derartiger Anspruch allenfalls aufgrund eines mangelnden Rechtsschutzinteresses, zufolge Rechtsmissbrauchs oder wegen Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben verneint werden muss.

2.2 (…)

2.3 § 5 Abs. 1 FlGG legt fest, dass Bäume, Sträucher, Hecken, Lebhäge und ähnliche Pflanzungen sowie mehrjährige landwirtschaftliche Kulturen nie höher gehalten werden dürfen als das Doppelte ihres Grenzabstandes. Die Höhenbeschränkung entfällt, wenn der Grenzabstand mindestens 10 m beträgt (§ 5 Abs. 2 FlGG). Bei Pflanzungen, die den Vorschriften des FlGG nicht entsprechen, kann der Eigentümer des betroffenen Nachbargrundstückes jederzeit die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands verlangen (§ 8 Abs. 1 FlGG). Gemäss § 9 Abs. 1 FlGG kann lediglich die Wiederherstellung des vereinbarungsgemässen Zustands verlangt werden. Rechtsnachfolgende sind nur an Vereinbarungen gebunden, die als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen sind (§ 9 Abs. 2 FlGG).

2.4 Die Bestimmungen des FlGG sehen nicht vor, dass zur Geltendmachung eines flurrechtlichen Anspruchs auf Rückschnitt bzw. Beseitigung von flurrechtswidrigen Pflanzungen ein aktuelles schützenswertes Interesse - etwa an der Beseitigung übermässiger Immissionen - seitens der gesuchstellenden bzw. "klagenden" Person dargetan werden müsste (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_968/2019 vom 20. Mai 2020 E. 3.3.3). Im Gegensatz dazu sah das frühere Flurgesetz vom 6. Februar 1958 (aFlG) in § 31 Abs. 2 noch vor, dass bestehende Pflanzungen aller Art, im besonderen Hochstämme und Baumgruppen in Wohngebieten, die den vorstehenden Be­stimmungen nicht entsprechen, ohne Rücksicht auf ihr Alter auf Begehren der Anstösser soweit entfernt, heruntergestückt oder versetzt werden müssen, als durch ihren Bestand eine übermässige, nach Lage und Beschaffenheit nicht gerechtfertigte Einwirkung (wie Schattenwurf, Ertragsbeeinträchtigung, Feuchtigkeit in Gebäude) vorliegt, welche den Nachbarn erheblich schädigen oder in der Ausnützung seines Grundstücks erheblich beeinträchtigen. Aus dem Fehlen analoger Regelungen im aktuellen FlGG ist zu schliessen, dass ähnliche Einschränkungen bei der Ausübung des Wiederherstellungsanspruches - zumindest im Regelfall - nicht mehr der geltenden Rechtslage entsprechen. Folgerichtig hielt die Vorinstanz in E. 3b des angefochtenen Rekursentscheids fest, es sei nicht vorausgesetzt, dass das Interesse des klagenden Nachbarn dasjenige des Pflanzeneigentümers oder der Pflanzeneigentümerin überwiege. Der Einwand des Beschwerdeführers, dass seinem Interesse an der Beibehaltung der Pflanzungen im südlichen Bereich seiner Liegenschaft Nr. X kein aktuelles schützenswertes Interesse des Verfahrensbeteiligten 1 (A) bzw. der Verfahrensbeteiligten 2 (Politische Gemeinde G) entgegenstehe, geht somit fehl.

2.5 - 2.7 (…)

3.
3.1 Strittig und zu prüfen ist weiter, ob die von der Vorinstanz angewendete Messweise der Pflanzenhöhe rechtmässig ist.

3.2 Das FlGG enthält diesbezüglich - im Gegensatz zur Messweise des Grenzabstandes von Pflanzen - keine Regelungen. Die Vorinstanz beruft sich auf eine langjährige, von ihr als für den Vollzug des FlGG zuständigen kantonale Behörde begründete Praxis, welche sie allerdings, soweit ersichtlich, bislang nicht öffentlich zugänglich publiziert hat. Es ist davon auszugehen, dass diese Praxis den kommunalen Flurkommissionen auf Anfrage hin jeweils mitgeteilt wurde und dies auch im vorliegenden Fall erfolgte. Die Praxis der Vorinstanz sieht vor, dass bei der Anwendung des FlGG die Höhe einer Pflanzung ungeachtet der Terrainverhältnisse vom Grenzpunkt aus zu messen ist, der dem Punkt, wo die Pflanzung aus dem Boden tritt, am nächsten liegt.

3.3 § 7 Abs. 1 FlGG erklärt beim Messen des Grenzabstandes den grenznächsten Punkt als massgebend, an dem das Objekt aus dem Boden tritt. Die Vor­instanz stellt sich auf den Standpunkt, daraus könne nicht geschlossen werden, dass auch die Höhe von Pflanzungen vom Ort, wo diese aus dem Boden treten, bis zur Pflanzenspitze zu messen sei. Die Vorinstanz begründet ihre Auffassung weiter damit, dass das FlGG in seinen §§ 3 - 9 Bestimmungen enthalte, die einen zivilrechtlichen Charakter aufwiesen und für deren Beurteilung der Gesetzgeber ein Verwaltungsverfahren vorgesehen habe, um dem Bürger Abgrenzungsschwierigkeiten zu ersparen und ihm ein anspruchsloseres und billigeres Verfahren als einen eigentlichen Zivilprozess zur Beilegung von Flurstreitigkeiten zu eröffnen (vgl. dazu TVR 1985 Nr. 41). Es sollte - so die Vorinstanz weiter - mit Inkrafttreten des neuen FlGG eine klare Regelung geschaffen werden, welche es dem betroffenen Nachbarn ermögliche, in einem schlanken und einfachen Verfahren bestimmte Einwirkungen von Pflanzungen abzuwehren wie zum Beispiel Lichtentzug oder Schattenwurf. Damit sei auch bezüglich der Höhenmessung eine klare und einfache Regelung zu finden, die gleichzeitig den Zielsetzungen und Wertungen des FlGG Rechnung trage. Wenn das Gelände, auf welchem die Pflanzung steht, höher liege als dasjenige des betroffenen Nachbarn, erreiche die Pflanzung schneller eine Höhe, die störend auf das Nachbargrundstück einwirken könne. Wenn umgekehrt das Nachbargrundstück höher liege, dürfe auch die Pflanzung durchaus etwas höher wachsen, bis sie im Sinne des FlGG störe und ihr Rückschnitt verlangt werden könne. Zudem wolle das FlGG den Nachbarschaftsstreit aufgrund der aktuellen Situation regeln und lösen und nicht auf hypothetischen Annahmen basieren, die zum Beispiel in Fällen nötig seien, in denen sich das gewachsene Terrain nicht mehr klar ermitteln lasse oder unklar sei, ob und wann das Terrain verändert worden sei. Bei einer Messung der Pflanzenhöhe ab dem nächstliegenden Grenzpunkt werde eine Gesamtbetrachtung der Grenzsituation ermöglicht, welche die Höhenunterschiede ausgleiche und für beide Seiten praktisch gleiche Bedingungen schaffe.

3.4 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, § 24 Abs. 2 des früheren Flurgesetzes aus dem Jahre 1958 (aFlG) lasse sich entnehmen, dass bei allen für Abstand und Höhe von Pflanzungen massgebenden Messungen immer von der gegen die Eigentumsgrenze hin orientierten Aussenlinie auszugehen sei, auf der die Anlage aus dem Boden trete. Entsprechend sei nach altem Recht die Höhe der Pflanzung dort zu messen, wo die Pflanze aus dem Boden trete. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, wonach diese Messweise nicht weiterhin Gültigkeit haben solle. Diese Lösung sei einfach zu handhaben und verschaffe Rechtssicherheit, da sich der Standort der Pflanze als massgebender Ort ohne weiteres bestimme lasse. Die Topografie des Nachbargrundstückes finde grundsätzlich keine Berücksichtigung. Eine andere Messweise wäre kompliziert und hätte zur Folge, dass der Nachbar mit einer Änderung der Topografie seines Grundstückes die zulässige Maximalhöhe der Pflanzen auf dem Nachbargrundstück verändern könnte. Zudem wäre auch unklar, von welchem Punkt auf dem Nachbargrundstück zu messen wäre, falls dieses eine künstliche Terrainveränderung erfahren hätte. Die Praxis des DIV sei darum nicht sachgerecht.

3.5 Unbestrittenermassen soll für flurrechtliche Beurteilungen der Pflanzenhöhe eine Messweise gelten, die einfach zu handhaben und für die Rechtsunterworfenen voraussehbar ist. Dieser Auffassung ist ohne weiteres zuzustimmen, zumal es dem Sinn und Zweck des FlGG entspricht, im Rahmen eines einfachen und kostengünstigen Verwaltungsverfahrens ohne allzu grosses prozessuales Kostenrisiko Nachbarstreitigkeiten insbesondere betreffend Pflanzungen im Grenzbereich zu entscheiden. Dem zivilrechtlichen Charakter der Regeln bezüglich Pflanzungen in nachbarschaftlichen Verhältnissen trägt das FlGG dadurch Rechnung, dass die erstinstanzlich zuständige kommunale Flurkommission - soweit nicht öffentliche Interessen gefährdet oder verletzt sind - nur auf schriftliches Begehren des Nachbarn hin tätig wird (Dispositionsmaxime, § 31 Abs. 2 FlGG). Hat der Nachbar von Pflanzungen ein entsprechendes Begehren eingereicht, trifft die Flurkommission die nötigen Anordnungen, wobei der Entscheid - wenn keine Gefährdung oder Verletzung öffentlicher Interessen vorliegt - nicht über das Begehren hinausgehen darf (§ 31 Abs. 2 Satz 2 FlGG). Es obliegt der Flurkommission, die nötigen Abklärungen zu treffen, um beurteilen zu können, ob flurrechtliche Vorschriften verletzt und welche Anordnungen gegebenenfalls zu erlassen sind (§ 29 FlGG i.V. mit § 12 VRG).

3.6 Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass das aktuelle FlGG betreffend die Messweise von Pflanzenhöhen eine Lücke aufweist. Der Auffassung des Beschwerdeführers, wonach die diesbezügliche Regelung des aFlG aus dem Jahre 1958 ohne weiteres auch heute anzuwenden sei, kann in dieser absoluten Form nicht gefolgt werden. Ob eine § 24 Abs. 2 aFlG entsprechende Bestimmung aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens beim Erlass des neuen FlGG vergessen ging, ist nicht klar. Wie der verwaltungsgerichtliche Augenschein vom 9. September 2020 gezeigt hat, stellt eine Messung der Pflanzenhöhen ab dem Grenzpunkt bzw. ab dem dort bestehenden Terrainniveau entgegen der Auffassung der Vorinstanz keine klar und einfach zu handhabende Messweise dar. Bei einer derartigen Methode ist vom Grenzpunkt aus eine imaginäre Linie zu den jeweiligen Pflanzenspitzen zu ziehen. Als Alternative bestünde die Möglichkeit, die Pflanzenhöhe beim Austrittspunkt zu messen und die Differenz zum Terrainniveau am Grenzpunkt dazuzuzählen oder abzuziehen. Diese Messmethoden sind eher als kompliziert und aufwendig zu qualifizieren und stehen dem Anspruch des FlGG, einfache und klare Lösungen anzustreben, entgegen. Für die beteiligten Grundeigentümer ist eine solche Messweise weder ohne weiteres im Gelände nachvollziehbar noch sorgt sie für Rechts- und Planungssicherheit. Zudem ist bereits beim blossen Messvorgang von einer relativ hohen Fehleranfälligkeit auszugehen, wie sich am Gerichtsaugenschein gezeigt hat. Das Bestreben, den Rechtsunterworfenen und den anwendenden Amtsstellen einfache und klare Lösungen anzubieten, spricht vielmehr für eine Messung der Pflanzenhöhe an derjenigen Stelle, wo die Pflanze aus dem Boden tritt, und gegen die von der Vorinstanz begründete Praxis.

3.7 Zwar erscheinen die von der Vorinstanz für ihre Praxis angeführten Gründe als beachtenswert: Mit dieser Praxis soll, so die Vorinstanz, den Interessen beider betroffener Grundeigentümer Rechnung getragen werden, indem Unterschiede im Terrainniveau zwischen Pflanzenaustrittspunkt und Nachbargrundstück bei der Festlegung der maximal zulässigen Pflanzenhöhe berücksichtigt würden. Jedoch ist eine derartige Rücksichtnahme auf unterschiedliche Terrainniveaus nicht zwingend erforderlich und muss zu Gunsten einer einfachen und klaren Lösung von flurrechtlichen Streitigkeiten über Pflanzungen zurücktreten. Dabei ist davon auszugehen, dass sowohl das Terrainniveau des bepflanzten Grundstückes, als auch jenes der Nachbarparzelle entweder natürlich gewachsen ist oder auf einer rechtskräftigen Baubewilligung beruht. Es besteht keine Veranlassung, die baurechtlich bewilligte Geländegestaltung durch die Niveauhöhe eines natürlich gewachsenen, vorbestandenen Terrains zu ersetzen, welches nicht mehr existiert. Dies würde einerseits zu einem komplizierten, allenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhalts verbundenen Verfahren führen, welches alles andere als einfach und klar wäre, wie dies das FlGG beabsichtigt. Andererseits geht es - anders als bei der maximal zulässigen Gebäudehöhe, bei welcher darüber entschieden werden muss, ob eine Baute neu erstellt oder aufgestockt werden darf - um die Beurteilung der Höhe einer bereits bestehenden Pflanzung, welche sich naturgemäss ohnehin durch Wachstum oder Rückschnitte verändert. Es stellt sich somit nicht die Frage, ob die Neupflanzung eines Baumes/Strauches zulässig ist, sondern es ist darüber zu entscheiden, auf welche Höhe eine bereits bestehende Pflanze jederzeit unter Schnitt gehalten werden muss.

3.8 Daraus ergibt sich, dass die Praxis der Vorinstanz betreffend die Messweise von Pflanzenhöhen nicht aufrechterhalten werden kann. Die Höhe von Pflanzungen ist vielmehr bei ihrem Austritt aus dem Boden, und zwar auf der der Grundstücksgrenze zugeneigten Seite, zu messen.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2020.41/E vom 24. März 2021

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