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TVR 2021 Nr. 29

Kosten zulasten des vollmachtlosen Vertreters


Art. 61 lit. f ATSG, Art. 61 lit. b ATSG, § 9 Abs. 4 VRG, § 46 Abs. 1 VRG, § 77 VRG, § 78 Abs. 1 VRG


Erbringt eine als Vertreter auftretende Person den Nachweis der gültigen Bevollmächtigung durch jene Person, in deren Namen sie Beschwerde erhoben hat, nicht, verursacht sie unnötig Verfahrenskosten und hat nach dem Verursacherprinzip die Kosten des Nichteintretens zu tragen.


Mit Verfügung vom 16. Oktober 2020 erteilte die IV-Stelle für C teilweise Kostengutsprache für Kinderspitexleistungen. Die Stiftung B gelangte gegen die Verfügung mit Beschwerde vom 16. November 2020 ans Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht. Am 18. November 2020 forderte der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts die Stiftung B auf, innert der Frist von 20 Tagen eine Vollmacht einzureichen, aus welcher sich die Berechtigung der Stiftung B zur Beschwerdeerhebung ergebe sowie innert derselben Frist einen Kostenvorschuss zu leisten. Innert der schliesslich letztmals erstreckten Frist wurde keine Vollmacht nachgereicht. Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht tritt androhungsgemäss nicht auf die Beschwerde ein und auferlegt die Verfahrenskosten der Stiftung B.

Aus den Erwägungen:

2.2 Gemäss Art. 61 lit. f ATSG muss das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Auf Verlangen der Behörde hat sich der Vertreter durch schriftliche Vollmacht auszuweisen (§ 9 Abs. 4 VRG).

2.3 Die Ansetzung einer Nachfrist zur Verbesserung einer mangelhaften Beschwerdeschrift kommt nicht nur bei Unklarheiten des Rechtsbegehrens oder der Begründung infrage. Der Anwendungsbereich von Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG erstreckt sich vielmehr über die vom Gesetzestext ausdrücklich erfassten Bereiche hinaus auf alle Konstellationen, in denen eine Beschwerde den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt. Sie fällt also auch dann in Betracht, wenn formelle Eintretensvoraussetzungen, die nachträglich erfüllt werden können, nicht vorhanden sind. Auch dann ist grundsätzlich eine Nachfrist anzusetzen. Das trifft beispielsweise zu, wenn keine schriftliche Vollmacht eingereicht wurde (vgl. Bollinger, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, Basel 2020, Art. 61 Rz. 34 unter Verweis unter anderem auf BGE 142 V 152 E. 4.3 mit ebenfalls explizitem Hinweis auf den Fall einer fehlenden schriftlichen Vollmacht).

3.
3.1 Der Vizepräsident hat der als Vertreterin der Beschwerdeführerin aufgetretenen Stiftung B mit Schreiben vom 18. November 2020 eine Frist von 20 Tagen angesetzt, um eine Vollmacht nachzureichen. Am 10. Dezember 2020 wurde die Frist auf Ersuchen der Stiftung bis 23. Dezember 2020 verlängert. Am 23. Dezember 2020 teilte die Stiftung B mit, die Vollmacht der Eltern sei bis heute nicht unterschrieben eingetroffen. Am 28. Dezember 2020 wurde der Stiftung B (gestützt auf Art. 61 lit. b ATSG sowie § 62 i. V. mit § 46 Abs. 1 VRG) eine letztmalige, nicht mehr erstreckbare Nachfrist bis 15. Januar 2021 zur Einreichung der von den Eltern der Beschwerdeführerin unterzeichneten Vollmacht angesetzt. Die Stiftung B wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei nicht fristgemässer Nachreichung der Vollmacht auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.

3.2 Weil innert Frist keine Vollmacht nachgereicht wurde, liegt keine den gesetzlichen Anforderungen genügende Beschwerdeschrift vor. Androhungsgemäss ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.

4.
4.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG). Mit Blick auf den Verfahrensaufwand rechtfertigen sich vorliegend Kosten in der Höhe von Fr. 200.--.

4.2 Nach § 77 VRG trägt der Unterliegende in der Regel die Verfahrenskosten. Unterliegender im Sinne dieser Bestimmung ist auch derjenige, auf dessen Begehren nicht eingetreten wird. Allerdings gehen die Kosten gemäss § 78 Abs. 1 VRG zulasten eines Beteiligten, soweit er sie durch Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften, durch nachträgliche Begehren oder Geltendmachung wichtiger Tatsachen oder Beweismittel, die er schon früher hätte vorbringen können, oder durch ungehöriges Verhalten, verursacht hat. Dabei handelt es sich um die gesetzliche Verankerung des Verursacherprinzips (TVR 2018 Nr. 31 E. 5.1 unter Verweis auf Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 78 N. 1). Für unnötig verursachte Kosten gilt somit nicht das Unterliegens-, sondern das Verursacherprinzip. Nach dem Verursacherprinzip werden unnötige Kosten dem Verursacher auferlegt. Dabei kann es sich um eine Partei oder um einen Dritten handeln.

4.3 Erbringt eine als Vertreter auftretende Person den Nachweis der gültigen Bevollmächtigung durch jene Person, in deren Namen sie Beschwerde erhoben hat, nicht, verursacht sie unnötig Verfahrenskosten und hat nach dem Verursacherprinzip die Kosten des Nichteintretens zu tragen (vgl. im Sinne einer Kostenpflicht des vollmachtlosen Vertreters auch Dolge, Praxiskommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 66 Rz. 11). Vor diesem Hintergrund sind die Kosten des Verfahrens der Stiftung B aufzuerlegen.

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2020.293/E vom 3. März 2021

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