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TVR 2021 Nr. 30

Nicht gegebener Beweiswert einer anonymen medizinischen Stellungnahme


Art. 43 Abs. 1 ATSG, Art. 44 ATSG


1. Bei einer von einer Partei eingeholten anonymen medizinischen Stellungnahme ist in keiner Weise klar, wer den Bericht tatsächlich verfasst hat und ob die entsprechende Person auch über die notwendige Ausbildung bzw. Fachausbildung verfügt. Der Bericht könnte von irgendjemandem verfasst worden sein.

2. Selbst wenn von einem Bericht einer Ärztin auszugehen wäre, könnte diesem unter den gegebenen Umständen zudem nicht dasselbe Gewicht zukommen wie einer nicht anonymen Variante.


A arbeitete bei der B und war dadurch bei der Suva unfallversichert. Am 13. Juli 2016 erlitt er anlässlich eines Verkehrsunfalls eine mehrfragmentäre dislozierte laterale Klavikulafraktur links, eine kleinste nicht dislozierte Acetabulumvorderwandfraktur rechts, eine nicht dislozierte Fraktur der Massa lateralis des Os sacrum links, ein stumpfes Thoraxtrauma mit Lungenkontusion rechts sowie eine Commotio cerebri. Die Suva bejahte die Leistungspflicht für die Folgen des Verkehrsunfalles und richtete auch ein Taggeld aus. Am 5. März 2018 erfolgte eine kreisärztliche Untersuchung durch Dr. W, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates. In der Folge teilte die Suva A am 9. März 2018 mit, er sei ab 5. März 2018 wieder zu 100% arbeitsfähig. Entgegenkommenderweise werde das Taggeld noch bis 18. März 2018 ausgerichtet. Mit Verfügung vom 20. September 2018 verneinte die Suva eine erhebliche unfallbedingte Erwerbseinbusse und damit den Anspruch auf eine Invalidenrente. Ebenfalls verneint wurde der Anspruch auf eine Integritätsentschädigung. Die von A dagegen erhobene Einsprache wies die Suva ab. Gegen den Einspracheentscheid gelangte A ans Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht. Dieses weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

6.2 Die kreisärztliche Beurteilung von Dr. W ist schlüssig und nachvollziehbar. (…)

6.3 In seiner Beschwerdeschrift vom 11. März 2019 verwies der Beschwerdeführer auf eine orthopädisch-chirurgische Zweitmeinung. Mit seiner Replik vom 1. Juli 2019 reichte er in der Folge ein anonym verfasstes, auf den 3. März 2019 datiertes Schriftstück ein, wobei er ausführte, dass die angefragte Fachärztin Wert darauf lege, in diesem Verfahren anonym zu bleiben. Grundsätzlich hat die versicherte Person jederzeit das Recht, ein Parteigutachten einzureichen. Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts rechtfertigt alleine die Tatsache, dass eine ärztliche Stellungnahme von einer Partei eingeholt und eingebracht wird, denn auch keine Zweifel an deren Beweiswert (Aliotta, Begutachtungen im Bundessozialversicherungsrecht, Zürich/Basel/Genf 2017, S. 456 mit Hinweisen). Dies kann jedoch nicht für eine anonyme Stellungnahme gelten. So ist bei einer solchen in keiner Weise klar, wer den Bericht tatsächlich verfasst hat und ob die entsprechende Person auch über die notwendige Ausbildung bzw. Fachausbildung verfügt. Der Bericht könnte von irgendjemandem verfasst worden sein. Der Ursprung des Berichts und die fachliche Qualifikation der Verfasserin/des Verfassers können weder von der Beschwerdegegnerin noch vom Gericht in irgendeiner Weise überprüft werden. Es ist noch nicht einmal überprüfbar, ob das Schreiben tatsächlich einer Ärztin zuzuordnen ist bzw. ob überhaupt von einem Arztbericht auszugehen ist. Einem solchen anonymen Bericht kann somit von vorneherein kein Beweiswert zuerkannt werden und es handelt sich auch nicht um ein formrichtig angebotenes Beweismittel (vgl. Bollinger, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, Basel 2020, Art. 61 N. 40). Selbst wenn von einem Bericht einer Ärztin auszugehen wäre, könnte diesem unter den gegebenen Umständen zudem von vornherein nicht dasselbe Gewicht zukommen wie einer nicht anonymen Variante: Nicht nur liesse sich nicht überprüfen, in welchem Verhältnis die Verfasserin/der Verfasser des Berichts zum Beschwerdeführer steht und auch entsprechende Rückfragen wären nicht möglich. Anders als eine Ärztin oder ein Arzt, die/der seine Identität offenlegt, hätte die Verfasserin/der Verfasser des vom Beschwerdeführer eingereichten Schreibens im Falle unwahrer Angaben auch nicht mit straf- (z.B. Art. 318 StGB) und/oder aufsichts- und standesrechtlichen Folgen (vgl. 43 MedBG sowie Art. 34 i.V. mit Art. 43 ff. der FMH Standesordnung) zu rechnen, weil sie als Täterin/er als Täter nicht eruiert werden könnte. Diese möglichen Sanktionen sichern jedoch das solchen Berichten entgegen gebrachte Vertrauen ab. Vorliegend ist dies nicht der Fall. Folglich kann die anonyme Stellungnahme keine Zweifel an der Einschätzung von Dr. W wecken. Zudem hat der Rechtsvertreter in der Replik explizit dargelegt, dass die Verfasserin anonym bleiben wolle. Bei der unterbliebenen Offenlegung der Identität der Verfasserin/des Verfassers handelt es sich also nicht um ein Versehen. Entsprechend ist vom Gericht auch keine Rückfrage beim Beschwerdeführer vorzunehmen.

6.4 - 8.2 (…)

8.2 (…) Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2019.65/E vom 24. März 2021

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