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TVR 2021 Nr. 35

Besteuerung von Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen


Art. 22 DBG, § 24 StG


Ein Anspruch auf gesonderte Besteuerung einer Kapitalleistung aus einer Vorsorgeeinrichtung besteht nur dann, wenn sie rechtmässig bezogen bzw. zweckkonform verwendet wurde.


Der Ehemann der Rekurrenten bzw. Beschwerdeführer (nachfolgend: Rekurrenten) liess sich per 1. Juli 2019 von der Stiftung Auffangeinrichtung BVG die Kapitalleistung im Betrag von Fr. 175'331.02 auszahlen. Diesen Betrag besteuerte die Vorinstanz am 4. September 2019 gesondert. Im Veranlagungsentscheid vom 20. April 2021 betreffend die Staats- und Gemeindesteuern 2019 sowie die direkte Bundessteuer 2019 rechnete die Vorinstanz die Kapitalleistung im Betrag von 175'331.-- als weitere Einkünfte auf. Gleichzeitig hob sie die Sonderveranlagungen auf. Die hiergegen erhobene Einsprache der Rekurrenten wies die Vorinstanz mit Entscheid vom 7. Juni 2021 ab. Die Steuerrekurskommission weist den dagegen erhobenen Rekurs und die Beschwerde ebenfalls ab.

Aus den Erwägungen:

5. Gemäss § 24 StG sind alle Einkünfte aus Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, aus Einrichtungen der beruflichen Vorsorge und aus anerkannten Formen der gebundenen Selbstvorsorge steuerbar, mit Einschluss der Kapitalabfindungen und Rückzahlungen von Einlagen, Prämien und Beiträgen (Abs. 1). Als Einkünfte aus beruflicher Vorsorge gelten insbesondere Leistungen aus Vorsorgekassen, aus Spar- oder Gruppenversicherungen sowie aus Freizügigkeitspolicen (Abs. 2). Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 DBG hält das Entsprechende für die direkte Bundessteuer fest.
Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen gemäss § 24 StG bzw. Art. 22 DBG werden gesondert besteuert. Sie unterliegen stets einer vollen Jahressteuer für das Kalenderjahr, in dem sie zugeflossen sind (§ 39 Abs. 1 StG, Art. 38 Abs. 1 und 1bis DBG). Für die Anwendung dieser Sonderbesteuerung ist entscheidend, ob die Kapitalleistung rechtmässig bezogen bzw. zweckkonform verwendet worden ist. Im Zweifelsfall ist deshalb durch die Steuerbehörde vorfrageweise zu prüfen, ob ein Barauszahlungsgrund vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so hat eine Besteuerung, jedoch keine gesonderte, zu erfolgen. Ein rechtswidriges Vorgehen soll nicht noch damit belohnt werden, dass eine steuerliche Privilegierung greift (Baumgartner, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 3. Aufl., Basel 2017, Art. 38 N. 6c, S. 973 f.; Urteile des Bundesgerichts 2C_248/2015 und 2C_249/2015 vom 2. Oktober 2015 E. 3.3, 2C_325/2014 und 2C_326/2014 vom 29. Januar 2015 E. 3.4).
Vorliegend ist daher zu prüfen, ob der Ehemann der Rekurrenten die Kapitalleistung rechtmässig bezogen hat bzw. ob diese zweckkonform verwendet wurde.

6. Gemäss Art. 5 Abs. 1 FZG können Versicherte die Barauszahlung der Austrittsleistung verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen (lit. a) oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen beruflichen Vorsorge nicht mehr unterstehen (lit. b) oder aber wenn die Austrittsleistung weniger als ihr Jahresbeitrag beträgt (lit. c). Diese Bestimmung gilt für die Barauszahlung bei Freizügigkeitspolicen oder Freizügigkeitskonten sinngemäss (Art. 14 FZV).

6.1 Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist unmissverständlich. Die Barauszahlung setzt (kumulativ) die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und das Fehlen eines Versicherungsobligatoriums voraus. Es sind keine Gründe ersichtlich, von diesem Wortlaut abzuweichen. Sinn und Zweck von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist die finanzielle Unterstützung beim Aufbau einer Unternehmung; dies als Ausnahme vom Grundsatz, dass das Vorsorgeguthaben als Altersvorsorge erhalten bleiben soll. Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Aufbau einer selbstständigen Existenz als Grundlage für eine ausreichende Altersvorsorge durch Selbstvorsorge dient, weshalb der Versicherte keiner beruflichen Vorsorge mehr bedarf (Urteil des Bundesgerichts 9C_109/2016 vom 29. Juni 2016 E. 2.1 mit Hinweis auf BGE 139 V 367 E. 2.2 S. 369).

6.2 (…)

6.3 Der Normzweck von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist - wie erwähnt - die finanzielle Unterstützung beim Aufbau einer Unternehmung. Die Barauszahlung kann daher nicht jederzeit, sondern nur bei Aufnahme der selbstständigen Erwerbs­tätigkeit verlangt werden. Nur im Moment des Wechsels von der unselbstständigen in eine selbstständige Erwerbstätigkeit besteht die Möglichkeit, sich das angesparte Alterskapital bar auszahlen zu lassen (BGE 139 V 367 E. 3.5.4 S. 373). Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) kam daher zur Auffassung, dass die Barauszahlung innerhalb eines Jahres nach der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit verlangt werden müsse. Innerhalb dieses Zeitraums könne noch von der "Aufnahme" im Sinn des Gesetzes ge­sprochen werden (vgl. Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 136 vom 23. Juni 2014, Rz. 894).
Gemäss Sachdarstellung der Rekurrenten hat sich der Ehemann im Jahr 1995 selbstständig gemacht. Er habe es damals jedoch vor­gezogen, das Guthaben aus der Pensionskasse seines Arbeitgebers - anstelle eines direkten Bezugs - auf ein Freizügigkeitskonto zu überweisen. Die Vor­instanz hielt in ihrer Vernehmlassung fest, der Wechsel von der selbstständigen Nebenerwerbstätigkeit zur hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit sei erst in der Steuerperiode 2013 erfolgt. Diese Sachdarstellung blieb unwidersprochen. Der Kapitalbezug am 1. Juli 2019 erfolgte demnach rund 24 Jahre nach Aufnahme der selbstständigen Nebenerwerbstätigkeit sowie rund 6 Jahre nach dem Wechsel zur selbstständigen Haupterwerbstätigkeit. Damit kann jedoch keinesfalls gesagt werden, die bezogene Kapitalleistung habe als Startkapital für die selbstständige Erwerbstätigkeit des Ehemanns der Rekurrenten gedient. Auch wurde das Geld nicht als Kompensation für allenfalls bei der Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit (vorerst) weggefallenes Arbeitseinkommen heran­gezogen. Die Rekurrenten bezogen das Kapital im Jahr 2019 zugegebenermassen allein deshalb, weil es auf dem Freizügigkeitskonto lediglich noch zu 0.1 % verzinst wurde. Sie investierten das Geld in der Folge in eine nicht selbstbewohnte Liegenschaft, die - gemäss eigenen Angaben - eine höhere Rendite von 4 % abwerfen soll. Dieses Vorgehen ist jedoch vom Normzweck von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG nicht gedeckt. Demzufolge ist vorliegend der entsprechende Barauszahlungsgrund nicht erfüllt. In dieser Situation kann die Frage, ob die vom BSV postulierte Jahresfrist vor dem Gesetz standhalten würde, letztlich offen bleiben.

Entscheid der Steuerrekurskommission STRE.2021.117 und STRE.2021.118 vom 22. November 2021

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