TVR 2021 Nr. 8
Streitigkeiten über die Abgeltung von Nutzungsbeschränkungen; Zuständigkeit der Enteignungskommission als erste Rechtsmittelinstanz
Gemäss § 18 Abs. 3 TG NHG obliegt der Entscheid über streitige Abgeltungen für die Bewirtschaftung erhaltenswerter Objekte der Enteignungskommission im Verfahren nach § 32 ff. TG EntG. Eine Spaltung des Instanzenzugs ist zu vermeiden. Der Entscheid des Departements für Bau und Umwelt über eine entsprechende Abgeltung ist daher mit Rekurs bei der Enteignungskommission und nicht direkt mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht anzufechten, unabhängig davon, aus welchem Grund die Abgeltung strittig ist (Änderung der in TVR 1998 Nr. 17 E. 2f publizierten Praxis).
Das Objekt XX (Moorgebiet) wurde vom DBU mit einer Schutzanordnung als Objekt von nationaler Bedeutung unter Schutz gestellt. Die Liegenschaft Nr. Y liegt zumindest teilweise in der sogenannten Pufferzone, welche als Schutzgürtel für das eigentliche Schutzobjekt dient. Mit Entscheid vom 3. Oktober 2001 wurde eine entsprechende jährliche Abgeltung für die Dauer von 25 Jahren zugesichert. Aufgrund einer Revision der RRV NHG wurden die Berechnungsgrundlagen für den Abgeltungsanspruch per 9. Mai 2020 geändert. Mit Entscheid vom 10. September 2021 legte das DBU den Abgeltungsanspruch für die Liegenschaft Nr. Y für die verbleibenden sieben Jahre der Anspruchsdauer (von insgesamt 25 Jahren) neu auf Fr. 120.-- fest, wobei der jeweilige Bewirtschafter beitragsberechtigt bleibe. Gegen diesen Entscheid erhob A, als Pächter der Liegenschaft Nr. Y, beim Verwaltungsgericht Beschwerde und beantragte sinngemäss die Erhöhung der Abgeltung. Zur Begründung machte er geltend, die der Abgeltung zugrunde gelegte Fläche sei zu klein bemessen.
Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass es nicht zuständig sei, und leitet die Angelegenheit zur Behandlung an die Enteignungskommission weiter.
Aus den Erwägungen:
1. Gemäss § 18 Abs. 3 TG NHG obliegt der Entscheid über streitige Abgeltungen der Enteignungskommission im Verfahren nach § 32 ff. EntG. Somit stellt sich die Frage, ob für die Behandlung der Eingabe das Verwaltungsgericht im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens oder die Enteignungskommission gemäss § 32 TG EntG zuständig ist.
2. Die Vorinstanz verweist zutreffend auf die frühere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, publiziert in TVR 1998 Nr. 17, die insbesondere auch im Entscheid V 14 vom 23. Januar 2002 bestätigt wurde. Dort wurde ausgeführt, dass gemäss § 18 Abs. 3 TG NHG der Entscheid über streitige Abgeltungen grundsätzlich der Enteignungskommission im Verfahren nach § 32 TG EntG obliege. Dies gelte aber offensichtlich nur für Streitigkeiten über die Höhe der auszurichtenden Abgeltung. Werde nicht die Höhe, sondern die zeitliche Beschränkung der Abgeltung angefochten, so sei dies durch das Verwaltungsgericht zu beurteilen (TVR 1998 Nr. 17 E. 2f).
3. Aus dem Gesetzeswortlaut von § 18 Abs. 3 TG NHG kann nicht abgeleitet werden, dass ein gespaltener Instanzenzug vorgesehen sein soll, je nachdem, ob es um Streitigkeiten über die Höhe der auszurichtenden Abgeltung oder um die zeitliche Beschränkung der Abgeltung geht. Im Entscheid V 14 vom 23. Januar 2002 wurde das Verwaltungsgericht dann auch als zuständig erachtet, wenn nicht die Zeitdauer, sondern der Ansatz in Frage gestellt werde. Auch für diese Differenzierung der Zuständigkeit bietet § 18 Abs. 3 TG NHG keine Grundlage.
4. Die Spaltung des Rechtsweges bei der Anfechtung eines Entscheides, je nachdem, welcher Teil des Entscheides angefochten wird, ist zu vermeiden. Dies zeigt sich exemplarisch auch darin, dass der Grosse Rat vor diesem Hintergrund § 64 Abs. 1 Satz 2 VRG im Rahmen der Teilrevision vom 24. März 2021 aufgehoben hat. Bis anhin galt bei Streitigkeiten zwischen Verleihungsbehörde und Konzessionär, zwischen Konzessionären untereinander sowie zwischen Konzessionären und anderen Nutzungsberechtigten, dass solche Streitigkeiten im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Klage zu beurteilen seien. Demgegenüber fiel jedoch die Verweigerung von Konzessionen nicht unter diese Bestimmung, sondern solche Entscheide sind bis anhin auf dem Rekurs- und Beschwerdeweg weiterziehbar (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 64 N. 6). Neu gilt dort umfassend das Rekurs- und Beschwerdeverfahren. Da aufgrund des Gesetzeswortlautes von § 18 Abs. 3 TG NHG keine Unterscheidung erkennbar ist, dass je nach Inhalt der Beanstandung über eine streitige Abgeltung die Enteignungskommission oder das Verwaltungsgericht zuständig sein soll, kann an der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, die eine solche Zweiteilung des Instanzenzuges vorsah, nicht weiter festgehalten werden. Auch ist es für den rechtsuchenden Bürger nicht nachvollziehbar, warum - trotz expliziter Erwähnung der Enteignungskommission in § 18 Abs. 3 TG NHG - nicht diese, sondern das Verwaltungsgericht für die Behandlung einer Streitigkeit über die Abgeltung zuständig sein soll. Ebenso wenig findet sich für die Verkürzung des Instanzenzuges (nur Beschwerdemöglichkeit an das Verwaltungsgericht) eine sachliche oder rechtliche Grundlage in dieser Bestimmung. Daher ist die Enteignungskommission integral zuständig, über streitige Abgeltungen in Verfahren nach § 32 ff. TG EntG zu entscheiden. Erst nach Vorliegen eines Entscheides der Enteignungskommission ist dann eine Beschwerdemöglichkeit an das Verwaltungsgericht gegeben.
5. Gemäss § 5 VRG sind Eingaben an eine unzuständige Behörde unter Benachrichtigung des Absenders an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Dementsprechend sind die Akten des vorliegenden Verfahrens der Enteignungskommission zur Behandlung zuzustellen. Dabei ist zudem darauf hinzuweisen, dass eine Frist auch dann als eingehalten gilt, wenn die Eingabe rechtzeitig bei einer unzuständigen Behörde eingereicht worden ist (§ 5 Abs. 3 VRG).
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2021.168/E vom 27. Oktober 2021