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TVR 2022 Nr. 10

Ordnungsbusse; Mahnung als objektives Tatbestandselement und nicht blosse Strafbarkeitsbedingung


§ 207 Abs. 1 Ziff. 1 StG , Art. 174 Abs. 1 lit. a DBG


  1. Die Mahnung des Steuerpflichtigen ist ein objektives Tatbestandselement und nicht blosse Strafbarkeitsbedingung für eine Ordnungsbusse.

  2. Die Zustellung der Mahnung alleine an die Vertreterin genügt nicht. Zumindest dann nicht, wenn - wie vorliegend der Fall - nicht nachgewiesen ist, dass die vertretene Steuerpflichtige trotzdem von der Mahnung Kenntnis nehmen konnte.


Mit Bussenverfügung vom 22. Februar 2021 wurde die Genossenschaft A wegen Nichteinreichens der Steuererklärung 2019 mit Fr. 1'000.-- gebüsst. Die dagegen erhobene Einsprache wurde abgewiesen, ebenso der in der Folge bei der Steuerrekurskommission erhobene Rekurs. Gegen diesen Entscheid erhob die S Treuhand AG für die Genossenschaft A Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Nach entsprechender Aufforderung wurde eine ordnungsgemäss unterzeichnete Beschwerde eingereicht. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut.

 

Aus den Erwägungen:

 

2.1 Im Bereich der harmonisierten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden herrscht das Verfahren der gemischten Veranlagung. Dem klaren Gesetzestext zufolge hat die steuerpflichtige Person alles zu tun, was dazu dient, eine vollständige und richtige Veranlagung zu ermöglichen (Urteil des Bundesgerichts 2C_684/2019 vom 11. November 2020 E. 3.2.1 mit weiteren Hinweisen). Sie hat namentlich das Formular für die Steuererklärung wahrheitsgemäss und vollständig auszufüllen, persönlich zu unterzeichnen und samt den vorgeschriebenen Beilagen fristgemäss der zuständigen Behörde einzureichen (§ 155 Abs. 2 StG und Art. 124 Abs. 2 DBG). Der Steuerpflichtige, der die Steuererklärung nicht oder mangelhaft ausgefüllt einreicht, wird aufgefordert, das Versäumte innert angemessener Frist nachzuholen (§ 155 Abs. 3 StG und Art. 124 Abs. 3 DBG).

 

2.2 Wer einer Vorschrift des Steuergesetzes oder einer aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Anordnung trotz Mahnung vorsätzlich oder fahrlässig nicht nachkommt, insbesondere die Steuererklärung oder die verlangten Beilagen nicht einreicht, wird zufolge Art. 174 Abs. 1 lit. a DBG mit Busse bestraft. Auch § 207 Abs. 1 Ziff. 1 StG sieht vor, dass, wer einer Vorschrift dieses Gesetzes oder einer aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Anordnung trotz Mahnung nicht nachkommt, insbesondere die Steuererklärung oder die verlangten Beilagen nicht einreicht, mit Busse bestraft wird. Die Busse beträgt bis zu Fr. 1'000.--, in schweren Fällen oder bei Rückfall bis zu Fr. 10'000.-- (§ 207 Abs. 2 StG und Art. 174 Abs. 2 DBG).

 

3.

3.1 Vorliegend ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die Steuererklärung 2019 erst am 23. Februar 2021 eingereicht hat. Während die Vorinstanz - aufgrund der von der Steuerverwaltung eingereichten Akten - von einer Einreichungsfrist bis 30. Juni 2020 ausging, wies die Beschwerdeführerin auf ein bis 31. Dezember 2020 genehmigtes Fristerstreckungsgesuch hin. Nachdem Letztere ihre Steuererklärung 2019 auch nach Ablauf der von ihr geltend gemachten, erstreckten Frist und nach Versand einer weiteren - am 2. Oktober 2020 wurde die Beschwerdeführerin das erste Mal gemahnt - Mahnung der Steuerverwaltung vom 19. Januar 2021 und damit klar verspätet eingereicht hat, ist die Grundvoraussetzung für das Ausfällen einer Ordnungsbusse gegeben. Auf Weiterungen hierzu kann zumindest im Rahmen der sachverhaltlichen Erhebungen verzichtet werden.

 

3.2

3.2.1 Sowohl die erste als auch die zweite Mahnung wurden der Vertreterin der Beschwerdeführerin, die auch deren Hausverwaltung übernimmt, zugestellt. Aus beiden Mahnungen geht - auch unter Hinweis auf die steuerliche Personenidentifikationsnummer - klar hervor, dass die Einforderung der Mitwirkungspflicht einzig die Beschwerdeführerin betrifft. Angesichts der Vorbringen der Beschwerdeführerin ist zu prüfen, ob es genügt, dass die Mahnung nur der Vertreterin und nicht (auch) der mitwirkungspflichtigen Person zugestellt wurde.

 

3.2.2 Das Bundesgericht hat diesbezüglich am 23. Januar 1973 entschieden, dass die Zustellung einer Mahnung mit Bussenandrohung an den Vertreter genügt und begründete dies damit, nach Art. 130 Abs. 3 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer Wehrsteuer (WStB, per 1. Januar 1983 umbenannt in Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer [BdBSt, SR 642.11], aufgehoben per 1.1.1995; vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_351/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2.2.1) seien Widerhandlungen, die vom vertraglichen Vertreter einer natürlichen Person begangen worden seien, dieser zuzurechnen, wenn sie nicht nachweise, dass sie nicht imstande gewesen sei, die Handlung zu verhindern oder deren Auswirkungen rückgängig zu machen. Diese Bestimmung sei gemäss Art. 131 Abs. 3 WStB analog auch auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften anwendbar. Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der eidgenössischen Steuerverwaltung führte das Bundesgericht weiter aus, diese Anordnung habe ihren guten Sinn. Der Steuerpflichtige, der einen Steuerberater beiziehe, solle gegenüber demjenigen, der seine steuerlichen Angelegenheiten selbst besorge, nicht bevorzugt werden, indem er die Möglichkeit habe, die strafrechtliche Verantwortung für begangene Fehler mit der blossen Behauptung des Nichtwissens von sich abzuwälzen. Vielmehr habe auch er die Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht aus dem Auge zu lassen und sich wenigstens von Zeit zu Zeit bei seinem Steuervertreter über den Stand seiner Steuersache zu erkundigen (ASA 42 S. 263 ff.). In der Folge liess das Bundesgericht die Frage nach einer gültigen Zustellung einzig an den Vertreter ausdrücklich offen (Entscheid vom 23. Dezember 1985 [StE 1987 B 101.1 Nr. 3 E. 2d]). In BGE 121 II 273 E. 4 verzichtete es scheinbar wiederum stillschweigend auf das Erfordernis einer Zustellung an die steuerpflichtige Person. Diese bundesgerichtliche Rechtsprechung ist insofern zu relativieren, als dass eine Zurechnungsregel im Sinne von Art. 130 Abs. 3 BdBSt, wonach eine von einem vertraglichen Vertreter begangene Widerhandlung der vertretenen Person zugerechnet wird, sofern diese nicht nachweist, dass sie nicht imstande gewesen wäre, die Handlung zu verhindern oder deren Auswirkung rückgängig zu machen, im StG und im heutigen DBG fehlt.

 

3.2.3 § 207 Abs. 1 Ziff. 1 StG und Art. 174 Abs. 1 lit. a DBG sehen - wie bereits erwähnt (E. 2.2) - eine Bestrafung mit Busse für Steuerpflichtige vor, die trotz Mahnung schuldhaft gegen gesetzliche Verfahrenspflichten verstossen. Die Verfahrenspflichtverletzung bezieht daher ihren Unrechtsgehalt letztlich daraus, dass die mitwirkungspflichtige Person es unterlässt, der sie betreffenden Mahnung Folge zu leisten und die ihr auferlegten Verfahrenspflichten zu erfüllen. Daraus folgt, dass der Nichtbefolgung der Mahnung die Bedeutung eines objektiven Tatbestandsmerkmals - und nicht nur einer objektiven Strafbarkeitsbedingung - zukommt. Denn Letztere gehören nicht zur Umschreibung des verbotswidrigen Verhaltens, sondern beschränken die Strafbarkeit aus Gründen der Praktikabilität. Sie sind gewissermassen Korrekturen, um die Strafbarkeit einzuschränken; sie setzen eine Grenze, unterhalb welcher ein tatbestandmässiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten nicht so schwer wiegt, dass eine Bestrafung angemessen wäre (Donatsch/Tag, Strafrecht I - Verbrechenslehre, 9. Aufl., 2013, S. 110 f., und Trechsel/Noll/Pieth, Schweizerisches Strafrecht - Allgemeiner Teil I, 7. Aufl., 2017, S. 71 f.). Als blosse Strafbarkeitsbedingung wäre die Nichtbefolgung der Mahnung für die Vollendung des Delikts daher nicht erheblich. Dem entgegen steht der Umstand, dass der Straftatbestand erst dann erfüllt ist, wenn die mitwirkungspflichtige Person mittels Mahnung zur Vornahme der versäumten Verfahrenshandlung aufgefordert worden ist und dieser Aufforderung schuldhaft nicht nachkommt. Dass der Mahnung die Bedeutung eines objektiven Tatbestandsmerkmals zukommt, scheint auch die Ansicht der Steuerverwaltung des Kantons Thurgau zu sein (Urteil des Bundesgerichts 2C_201/2014 vom 2. Dezember 2014 E. 4). Dies setzt damit indes voraus, dass die mitwirkungspflichtige Person von der Mahnung Kenntnis nehmen kann. Eine Zustellung der Mahnung an die mitwirkungspflichtige Person ist damit unerlässlich und eine Zustellung einzig an die Vertreterin genügt daher nicht (vgl. zum Ganzen Sieber/Malla, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, 3. Aufl., 2017, Art. 55 N. 14af., Richner/Frei/Kaufmann/Rohner, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 4. Aufl., 2021, § 234 N. 20 ff., Egloff, in: Klöti-Weber/Siegrist/Weber [Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Aufl., 2015, § 235 N. 28f., Wohlgemuth, in: Tarolli Schmidt/Villard/Bienz/Jaussi [Hrsg.], in: Kommentar zum Basler Steuergesetz, 2019, § 208 N. 15, Filli/Pfenninger-Hirschi, in: Nefzger/Simonek/Wenk [Hrsg.], Kommentar zum Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft, Basel, § 154 N. 11, sowie Schild Trappe, Bemerkungen zur Bedeutung des Grundsatzes "ne bis in idem" bei andauernder Verletzung von Verfahrenspflichten gemäss Art. 174 DBG [bzw. 131 Abs. 1 BdBSt] und Art. 55 StHG, ASA 66, S. 276 f.).

 

3.3 Da insbesondere die Mahnung vom 19. Januar 2021 ausschliesslich der Vertreterin der Beschwerdeführerin zugestellt wurde und vorliegend auch nicht nachgewiesen ist, dass Letztere trotzdem Kenntnis von der Mahnung erhalten hat, sind der angefochtene Entscheid, der Einspracheentscheid und die Ordnungsbussenverfügung vom 22. Februar 2021 aufzuheben. Die Beschwerde ist damit gutzuheissen.

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2021.176/E vom 4. Mai 2022


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