TVR 2022 Nr. 22
Abstand von Tiefgarageneinfahrten zur Strasse
Der Abstand von Einfahrtsöffnungen zur Strasse gemäss § 46 Abs. 2 StrWG gilt auch bei offenen Tiefgarageneinfahrten. Es liegt keine Gesetzeslücke vor.
A stellte ein Baugesuch für den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit einer Tiefgarage. Mit Entscheid vom 8. März 2021 wies die Politische Gemeinde Pfyn die dagegen erhobene Einsprache ab und erteilte A - mit gewissen Auflagen - die Baubewilligung. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das DBU ab. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
6.
6.1 Strittig ist (…) der einzuhaltende Abstand der Tiefgarageneinfahrt zur Strasse. Nach § 46 StrWG sind Zu- und Wegfahrten bei Abstellplätzen für Motorfahrzeuge an öffentlichen Strassen und Wegen so zu gestalten, dass die Verkehrssicherheit dauernd gewährleistet ist (Abs. 1). Sind die Einfahrtsöffnungen bei Einstellräumen gegen die Strasse gerichtet, muss der Abstand mindestens 5 m, für grössere Motorfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge mindestens 8 m von der Strassengrenze betragen (Abs. 2).
6.2
6.2.1 Unbestritten und aufgrund der Pläne ausgewiesen ist vorliegend, dass die Ein- und Ausfahrt zur Tiefgarage den Abstand von 5 m zur Strasse nicht einhält. Dabei stellen sich die Vorinstanz und die verfahrensbeteiligte Gemeinde auf den Standpunkt, § 46 Abs. 2 StrWG solle verhindern, dass Fahrzeuge während des Öffnens des Garagentores auf der Strasse abgestellt würden. Der Strassenabstand gelte daher nur für oberirdische Garagen. In ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2022 liess die verfahrensbeteiligte Gemeinde ausführen, beim Begriff "Einfahrtsöffnung bei Einstellräumen gegen die Strasse" handle es sich gerade nicht um einen gesetzlich verankerten Begriff. Die Auslegung des Begriffs durch die Vorinstanz sei zu Recht erfolgt. Dem kann nicht gefolgt werden.
6.2.2 Eine Lücke des Gesetzes liegt vor, wenn sich eine gesetzliche Regelung als unvollständig erweist, weil sie auf eine bestimmte Frage keine oder eine sachlich unhaltbare Antwort gibt. In einem ersten Schritt ist durch Auslegung der Rechtsnorm zu prüfen, ob sie überhaupt eine solche Lücke aufweist. In einem zweiten Schritt muss geprüft werden, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung nicht eine bewusst negative Antwort des Gesetzes bedeutet, das heisst ein sogenanntes qualifiziertes Schweigen darstellt. In diesem Fall hat das Gesetz eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - entschieden. Für Analogien und richterliche Lückenfüllung ist in diesem Fall nach traditioneller Auffassung kein Platz (BGE 144 II 281 E. 4.5.1; BGE 140 III 206 E. 3.5.1 ff., BGE 138 II 1 E. 4.2). Liegt eine Lücke vor, ist zwischen echter und unechter Lücke zu unterscheiden. Eine echte Lücke liegt vor, wenn ein Gesetz für eine Frage, ohne deren Beantwortung die Rechtsanwendung nicht möglich ist, keine Regelung enthält. Bei der unechten Lücke gibt die gesetzliche Regelung zwar auf alle Fragen, die sich bei der Rechtsanwendung stellen, eine Antwort; weil sie aber zu einem sachlich unbefriedigenden Resultat führt, wird sie als lückenhaft empfunden. Das Rechtsverweigerungsverbot verpflichtet die rechtsanwendenden Behörden, echte Lücken zu füllen, während der Legalitätsgrundsatz es ihnen grundsätzlich untersagt, unechte Lücken zu schliessen und diese Aufgabe dem Gesetzgeber vorbehält (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., 2020, Rz. 201 ff.).
6.2.3 § 46 Abs. 2 StrWG spricht klar von Einfahrtsöffnungen bei Einstellräumen, die gegen die Strasse gerichtet sind. Es wird nicht unterschieden zwischen oberirdischen Garagen und Tiefgaragen. Auch eine oberirdische Garage kann mit oder ohne (elektrischem) Garagentor erstellt werden, weshalb die Argumentation der verfahrensbeteiligten Gemeinde, mit § 46 Abs. 2 StrWG solle lediglich verhindert werden, dass Fahrzeuge während des Öffnens des Tores auf der Strasse abgestellt würden, nicht verfängt. Vielmehr dient diese Bestimmung grundsätzlich der Verkehrssicherheit und der Übersichtlichkeit beim Zu- und Wegfahren in bzw. aus einer Garage. Vorliegend soll die Garagenzufahrt mittels einer Ampel geregelt werden. Steht die Ampel auf Rot, müssen die Fahrzeuge ebenfalls auf der Strasse warten, wie dies auch bei einer oberirdischen Garage mit Tor der Fall wäre. Die Situation bezüglich der Verkehrssicherheit unterscheidet sich daher nicht. Zudem dient die Abstandsvorschrift - wie bereits gesagt - auch der Übersichtlichkeit bei der Zu- und Wegfahrt sowie dem Schutz des rollenden Verkehrs vor Fahrzeugen, die die Garage verlassen. Eine Nichtanwendung von § 46 Abs. 2 StrWG auf Tiefgaragen rechtfertigt sich daher nicht und würde dem Wortlaut von § 46 Abs. 2 StrWG zuwiderlaufen. Es ist somit nicht von einer (echten) Lücke und nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber es in § 46 Abs. 2 StrWG versehentlich unterlassen hätte, eine Sonderregelung für Tiefgarageneinfahrten festzuhalten. Wenn § 46 Abs. 2 StrWG auch auf Tiefgaragen angewendet wird, führt dies im Übrigen auch nicht zu einer sachlich nicht haltbaren Lösung.
6.2.4 Ob eine Ausnahmebewilligung gemäss § 47 Abs. 1 StrWG im vorliegenden Fall möglich wäre, braucht im Übrigen nicht beurteilt zu werden. Eine solche wäre bei der verfahrensbeteiligten Gemeinde zu beantragen, wobei diese weitere Abklärungen bezüglich der Verkehrsübersicht vorzunehmen und abzuwägen hätte, dass keine öffentlichen Interessen (worunter auch die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften fällt) einer solchen Ausnahmebewilligung entgegenstehen (§ 40 Abs. 1 StrWG). Dabei sind Ausnahmebewilligungen in jedem Fall restriktiv zu erteilen und es wäre auch abzuwägen, ob die Liegenschaft aufgrund ihrer Beschaffenheit und Topografie nicht eine Lösung zulassen würde, welche sich an die geltenden Normen hält. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren bildet eine mögliche Ausnahmebewilligung nicht Streitgegenstand und dieses kann auch nicht auf diese Frage ausgedehnt werden, zumal kein entsprechendes Gesuch der Verfahrensbeteiligten für eine solche Ausnahmebewilligung vorliegt.
6.3 Die vorgesehene Tiefgaragenausfahrt ist somit nicht bewilligungsfähig.
Entscheid des Verwaltungsgericht VG.2021.208/E vom 21. September 2022