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TVR 2022 Nr. 23

Legitimation des medizinischen Leistungserbringers zur Stellung eines Gesuchs um Kostenersatz im eigenen Namen; sozialhilferechtliche Zuständigkeit für flottante Person bei notfallbedingtem Spitaleintritt


§ 4 Abs. 1 SHG , § 4 Abs. 2 SHG , Art. 9 Abs. 3 ZUG , Art. 11 Abs. 1 ZUG , Art. 11 Abs. 2 ZUG , Art. 21 Abs. 1 ZUG


  1. Wird ein Gesuch erst nach Abschluss der medizinischen Behandlung der Patientin bzw. des Patienten gestellt, handelt es sich um ein solches um Kostenersatz und nicht um subsidiäre Kostengutsprache (E. 2).

  2. Bestätigung der Praxis gemäss TVR 2021 Nr. 24, wonach Dritte im Grundsatz nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen. Dies kann grundsätzlich nur die bedürftige Person selbst. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber ein medizinischer Leistungserbringer bei Vorliegen eines medizinischen Notfalls Kostengutsprache oder Kostenersatz im eigenen Namen geltend machen (E. 3.1 bis 3.3).
     

  3. Für die Gutheissung eines vom medizinischen Leistungserbringer im eigenen Namen gestellten Gesuchs um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz hat das Vorliegen eines Notfalls nicht nur glaubhaft zu sein, sondern festzustehen (E. 3.3).
     

  4. Eine nur zufällige und kurzfristige Ortsanwesenheit kann einen Aufenthaltsort im Sinne von Art. 11 Abs. 1 ZUG begründen. Bei flottanten Personen, die notfallmässig in ein Spital eintreten, liegt die sozialhilferechtliche Zuständigkeit am Aufenthaltsort im Zeitpunkt des Notfalleintritts und nicht am Ort der medizinischen Einrichtung. Analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ZUG (E. 4.3.2).


A, deutsche Staatsangehörige, wurde aus ihrer Wohnung in Q, Kanton Schaffhausen, ausgewiesen. Wo sie danach wohnte bzw. sich aufhielt, ist nicht bekannt. Am 22. Januar 2019 trat sie ins Spital in der Politischen Gemeinde V ein. Unter welchen Umständen dies geschah, geht aus den Akten nicht hervor. Kurz vor dem Spitaleintritt hielt sich A in der Politischen Gemeinde X auf. Von dort aus hat sie gemäss Auskunft ihrer Bekannten die Ambulanz angerufen, weil sie offenbar Blut im Urin gehabt habe. Am 23. Januar 2019 ersuchte das Spital zunächst die Politische Gemeinde V (verfahrensbeteiligte Gemeinde 2) um subsidiäre Kostengutsprache. Die Politische Gemeinde V kam zum Schluss, das Kostengutsprachegesuch sei am letzten Aufenthaltsort von A in der Politischen Gemeinde X einzureichen. Mit Eingabe vom 25. Januar 2019 ersuchte das Spital daher die Politische Gemeinde X (verfahrensbeteiligte Gemeinde 1) um subsidiäre Kostengutsprache. Darauf trat die Politische Gemeinde X mangels örtlicher Zuständigkeit nicht ein. Den dagegen erhobenen Rekurs des Spitals wies das DFS ab, wobei es die Politische Gemeinde V am Verfahren beteiligt hatte. Es erwog, die Politische Gemeinde Q im Kanton Schaffhausen sei unterstützungspflichtig. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde des Spitals in dem Sinne gut, als es den Rekursentscheid des DFS aufhebt und die Sache zu weiteren Abklärungen und zum Neuentscheid an dieses zurückweist.

 

Aus den Erwägungen:

 

2.

2.1 (…) Mit einer Kostengutsprache wird ermöglicht, dass die Leistungen Dritter unabhängig davon erbracht werden, ob die Kostendeckung durch den Leistungsempfänger selber sichergestellt ist. Mit einer primären (auch: direkten) Kostengutsprache verpflichtet sich die Sozialhilfebehörde gegenüber dem Leistungserbringer, die notwendigen Kosten in einem bestimmten Umfang zu übernehmen. Die Kostengutsprache erfolgt nur, wenn im Zeitpunkt der Gesuchstellung die Bedürftigkeit der betroffenen Person ausgewiesen ist. Steht somit im Zeitpunkt der Gesuchstellung fest, dass die betroffene Person sozialhilferechtlich bedürftig ist und werden die notwendigen Kosten voraussichtlich nicht anderweitig gedeckt, wird eine primäre Kostengutsprache erteilt. Kostengutsprachen können auch nur subsidiär erfolgen, für den Fall also, dass die Leistung nicht anderweitig übernommen wird. Die subsidiäre (auch: sekundäre) Kostengutsprache wird bei zeitlicher Dringlichkeit erteilt, wenn davon auszugehen ist, dass notwendige Leistungen gedeckt werden. Damit soll verhindert werden, dass sozialhilferechtlich anerkannte Leistungen nicht erbracht werden, weil der Leistungserbringer (z.B. Vermieterin) befürchten muss, dass der Leistungsempfänger die Rechnungen nicht begleichen wird. Die primäre Leistungspflicht liegt weiterhin bei der betroffenen Person bzw. beim leistungspflichtigen Dritten (z. B. Versicherung). Die Sozialhilfe verpflichtet sich gegenüber dem Leistungserbringer nur unter der Bedingung, dass die Forderung bei der unterstützten Person oder beim Dritten nachweislich uneinbringlich (z. B. vergebliche Inkassobemühungen oder Unauffindbarkeit der Person) ist (Wizent, Sozialhilferecht, 2020, S. 27 f.). Wird ein Gesuch erst nach Abschluss der medizinischen Behandlung der Patientin bzw. des Patienten gestellt, handelt es sich um ein solches um Kostenersatz (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich VB.2014.00364 vom 19. Februar 2015 E. 2.3). Für dessen Gutheissung muss die Bedürftigkeit der betroffenen Person und die Uneinbringlichkeit der Forderung bei Dritten (Versicherungen, Garanten etc.) nachgewiesen sein.

 

2.2 Vorliegend hat die Beschwerdeführerin am 23. Januar 2019 bei der verfahrensbeteiligten Gemeinde 2 und am 25. Januar 2019 bei der verfahrensbeteiligten Gemeinde 1 ein Gesuch um subsidiäre Kostengutsprache gestellt. Beide Gesuche hat die Beschwerdeführerin - soweit ersichtlich - nach Abschluss der medizinischen Behandlung sowie im eigenen Namen und nicht in Vertretung von A gestellt. Es handelt sich somit um Gesuche der Beschwerdeführerin um Kostenersatz.

 

2.3 Einer bedürftigen Person, die sich nicht mit Rechtsmitteln gegen den Unzuständigkeitsentscheid des erstangerufenen Gemeinwesens zur Wehr setzt, kann keine Mitverantwortung am allenfalls daraus resultierenden negativen Kompetenzkonflikt, wenn sich kein später angerufenes Gemeinwesen als sozialhilferechtlich zuständig erachtet, angelastet werden. Sowohl der bedürftigen Person als auch einem später angerufenen Gemeinwesen muss in dem Sinne nachträglicher Rechtsschutz gewährt werden, als die Zuständigkeit des erstangerufenen Gemeinwesens im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens gegen den Entscheid des später angerufenen Gemeinwesens nochmals geprüft werden kann. Andernfalls würde der bedürftigen Person bzw. dem später angerufenen Gemeinwesen das Recht auf gerichtliche Beurteilung (Art. 29a BV) der Unterstützungszuständigkeit genommen. Entsprechend kann der Unzuständigkeitsentscheid des erstangerufenen Gemeinwesens nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (TVR 2019 Nr. 20 E. 3.2). Dies gilt nicht nur bei einem Gesuch der bedürftigen Person selbst, sondern auch bei einem Gesuch des medizinischen Leistungserbringers, wenn auf dessen Gesuch einzutreten ist (vgl. nachstehend E. 3).

 

2.4 Zunächst zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin überhaupt berechtigt war, bei den verfahrensbeteiligten Gemeinden im eigenen Namen (also nicht in Vertretung von A) ein Gesuch um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz zu stellen und gegen den Entscheid der verfahrensbeteiligten Gemeinde 1 vom 4. Februar 2019 Rekurs zu erheben. Die Vorinstanz scheint dies ohne Weiteres zu bejahen.

 

3.

3.1 Ein Anspruch auf Sozialhilfe steht nach § 8 SHG grundsätzlich nur einer bedürftigen Person zu und nicht demjenigen, der für diese Leistungen erbringt.

 

3.2        

3.2.1 Das Verwaltungsgericht hat in seinem Entscheid VG.2014.17/E vom 18. Juni 2014 in Bezug auf den von einem Frauenhaus gegen die Ablehnung eines Gesuchs um subsidiäre Kostengutsprache erhobenen Rekurs in E. 2.3 ausgeführt, der Anspruch auf Sozialhilfe stehe der hilfsbedürftigen Person und nicht Dritten, welche die hilfsbedürftige Person unterstützten, zu. Dass nur die hilfsbedürftige Person selber Sozialhilfeansprüche geltend machen könne, korrespondiere mit der Pflicht der hilfsbedürftigen Person gemäss § 19 SHG, zu Unrecht bezogene Leistungen grundsätzlich zurückzuerstatten sowie zu Recht bezogene Leistungen zurückzuerstatten, soweit dies zumutbar sei. Daran änderten weder § 4 SHV etwas, wonach die Hilfe in Form einer Kostengutsprache geleistet werden könne, wenn der Eintritt in ein Heim erforderlich sei, noch § 5 SHV, der die subsidiäre Kostengutsprache regle. Vielmehr weise § 5 Abs. 2 SHV gerade darauf hin, dass ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Fürsorgebehörde bei einer subsidiären Kostengutsprache erst dann entstehen könne, wenn der Schuldner - bei gesprochener subsidiärer Kostengutsprache - die Rechnung nicht innert dreissig Tagen bezahle. Damit stehe also fest, dass dem Frauenhaus gestützt auf die Sozialhilfegesetzgebung kein direkter Forderungsanspruch gegenüber der Gemeinde zustehe. Dieser Rechtsanspruch stehe einzig und allein der hilfsbedürftigen Person zu. Demnach sei dem beteiligten Frauenhaus weder die Rekurserhebung noch eine allfällige anschliessende Beschwerdeerhebung im eigenen Namen möglich.

 

3.2.2 Im Entscheid VG.2015.170/E vom 6. Januar 2016 hielt das Verwaltungsgericht an dieser Rechtsprechung fest und führte in E. 3.4.1. ergänzend aus, ein Dritter, z. B. eine Institution, könne nur dann ein Gesuch um Kostenübernahme einreichen, wenn die unterstützte Person dazu ihr Einverständnis gegeben habe. Ein direktes Forderungsrecht des Dritten könnte dann bejaht werden, wenn eine entsprechende gesetzliche Regelung bestehe oder wenn die Sozialhilfebehörde dem Dritten eine Zusicherung abgegeben habe, auf die sich dieser nach dem Vertrauensgrundsatz berufen könne. Festgehalten wurde in diesem Entscheid weiter, dass Leistungserbringern, die in Notsituationen aufgrund ihrer Beistandspflicht Hilfe leisten müssten, ohne dass vorgängig ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden könne, unter Umständen das Recht zugestanden werden könne, im eigenen Namen einen Rückerstattungsanspruch geltend zu machen.

 

3.2.3 An dieser Rechtsprechung, wonach Dritte grundsätzlich nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen, ist festzuhalten. Dies rechtfertigt sich - nebst den in VG.2014.17/E genannten Gründen (insbesondere aufgrund der Rückerstattungspflicht der unterstützten Person und des fehlenden direkten Forderungsrechts des Leistungserbringers gegenüber der Fürsorgebehörde) - auch vor dem Hintergrund, dass der Anspruch auf Hilfeleistung höchstpersönlicher Natur ist, was sich gesetzlich darin äussert, dass die Sozialhilfe weder abgetreten, noch gepfändet oder verpfändet werden kann. Sinnvollerweise kann sie nicht gegen den Willen des Betroffenen ausgerichtet werden. Ferner ist wegen der Gefahr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung eine gewisse Zurückhaltung bei der Anwendung der Kostengutsprache geboten. Je nach Falllage macht auch die (subsidiäre) Kostengutsprache die Abhängigkeit von der Sozialhilfebehörde nach aussen sichtbar. Im Übrigen will Sozialhilfe die Existenz des Einzelnen sichern und nicht primär das finanzielle Überleben von Institutionen sicherstellen (Hänzi, Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 109 f.; Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Ein Handbuch, Zürich/St. Gallen 2014, S. 553).

 

3.2.4 Soweit sich die Beschwerdeführerin in ihren Gesuchen um Kostengutsprache auf § 21a Abs. 1 Ziff. 2 SHG beruft, ist festzustellen, dass aus dieser Bestimmung kein direktes Forderungsrecht des medizinischen Leistungserbringers gegenüber der Fürsorgebehörde abgeleitet werden kann. § 21a SHG regelt unter anderem die Beiträge des Kantons an die Gemeinden für stationäre Aufenthalte von nicht versicherten Ausländern ohne festen Wohnsitz in der Schweiz (Abs. 1 Ziff. 2). Gestützt auf § 21a Abs. 2 SHG werden die näheren Voraussetzungen hierzu in §§ 28a ff. SHV geregelt. Die Beitragspflicht des Kantons setzt ein Kostengutsprachegesuch der zuständigen Gemeinde voraus (§ 21a Abs. 1 Satz 1 SHG und § 28h Abs. 3 SHV). Geregelt wird also ein Anspruch der Gemeinde gegenüber dem Kanton und nicht ein Anspruch des Leistungserbringers gegenüber der Gemeinde.

 

3.3        

3.3.1 Wie in VG.2015.170/E vom 6. Januar 2016 ausgeführt wurde, ist "unter Umständen" Leistungserbringern, die in Notsituationen aufgrund ihrer Beistandspflicht Hilfe leisten müssen, ohne dass vorgängig ein Kostengutsprachegesuch gestellt werden kann, in Abweichung des Grundsatzes, wonach Dritte grundsätzlich nicht berechtigt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen (E. 3.2.3), das Recht einzuräumen, ausnahmsweise im eigenen Namen einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen. Solche, aufgrund der vorstehenden Überlegungen nur restriktiv zuzulassende Umstände liegen bei einer notfallmässig von Ärztinnen und Ärzten bzw. Spitälern zu erbringenden medizinischen Leistungen vor. Weil aber die Frage, ob und in welchem Umfang und für welche Dauer solche medizinischen Leistungen den "Notfallbegriff" erfüllen, erst Gegenstand der vorzunehmenden materiellen Prüfung des Umfangs des Anspruchs auf Notfallhilfe bildet, soll das Recht der genannten medizinischen Leistungserbringer, solche Leistungen ausnahmsweise im eigenen Namen geltend zu machen, nicht vom Ergebnis der diesbezüglich zu treffenden Abklärungen abhängig gemacht werden. Gleichwohl ist zu verhindern, dass Leistungserbringer von dieser ausnahmsweise zuzugestehenden Möglichkeit ausserhalb medizinischer Notfälle Gebrauch machen können. Ärztinnen und Ärzte bzw. Spitäler können deshalb von Fürsorgebehörden für notfallmässig zu erbringende medizinische Leistungen nur dann im eigenen Namen Kostengutsprachen verlangen oder Kostenersatz geltend machen, wenn die folgenden zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

 

·          Erstens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital das Vorliegen eines medizinischen Notfalls zumindest glaubhaft zu machen.

·          Zweitens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital unter Nachweis der diesbezüglich unternommenen Anstrengungen zumindest glaubhaft zu machen, dass es unmöglich oder unzumutbar ist, den Patienten bzw. die Patientin zur Stellung eines Gesuches zu bewegen oder vom Patienten bzw. von der Patientin eine Vollmacht erhältlich zu machen, die es ermöglicht, den Anspruch in Vertretung des Patienten bzw. der Patientin geltend zu machen (z.B. Weigerung, Tod oder Unauffindbarkeit des Patienten oder der Patientin).

 

3.3.2 Das Beweismass der Glaubhaftmachung ist dann erbracht, wenn diese Tatsachen (medizinischer Notfall und Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit einer Ermächtigung) aufgrund objektiver Anhaltspunkte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststehen. Diese Tatsachen sind glaubhaft gemacht, wenn für deren Vorhandensein gewisse Elemente sprechen, selbst wenn noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnten (Daum, in: Herzog/Daum [Hrsg.] Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, 2. Aufl., 2020, Art. 19 N. 27; Plüss, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl., 2014, § 7 N. 29). Blosses Behaupten des Arztes oder der Ärztin bzw. des Spitals genügt aber nicht, sondern es bedarf des Belegs von Tatsachen, welche die vorstehend aufgeführten Voraussetzungen objektiv wahrscheinlich machen (Urteil des Bundesgerichts 4P.64/2003 vom 6. Juni 2003 E. 3.3). Können diese beiden Voraussetzungen nicht zumindest glaubhaft gemacht werden, hat die Fürsorgebehörde auf das vom Leistungserbringer im eigenen Namen gestellte Gesuch nicht einzutreten. Sind diese beiden Voraussetzungen aber kumulativ erfüllt, hat die Fürsorgebehörde, sofern sie örtlich zuständig ist, auf das Gesuch um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz einzutreten und die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der sozialhilferechtlichen Unterstützung zu prüfen.

 

3.3.3 Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass für die Gutheissung eines vom Leistungserbringer im eigenen Namen gestellten Gesuchs um Kostengutsprache bzw. Kostenersatz das Vorliegen eines Notfalls nicht nur glaubhaft zu sein, sondern festzustehen hat. Die örtlich zuständige Fürsorgebehörde kann zur Beurteilung dieser Frage ihren Vertrauensarzt bzw. ihre Vertrauensärztin beiziehen. Die Bedürftigkeit der behandelten Person und die Uneinbringlichkeit der Forderung bei Dritten hat ebenfalls nachgewiesen zu sein. Was den Umfang der Leistungspflicht der zuständigen Fürsorgebehörde betrifft, ist zu beachten, dass gestützt auf Art. 29a und Art. 61a AIG der Anspruch auf (ordentliche) Sozialhilfe ausgeschlossen sein kann. Auch § 2l SHV schliesst gewisse Personen von der ordentlichen Sozialhilfe aus. Diese haben lediglich Anspruch auf Nothilfe im Sinne von Art. 12 BV. Sofern die Rückreise aus medizinischer Sicht möglich ist, beschränkt sich die Nothilfe auf die Unterstützung bei der Rückkehr in den Wohnsitz- beziehungsweise Aufenthaltsstaat oder den Heimatstaat (Abs. 2; vgl. zum Begriff der Notfallhilfe unter anderem Thomet, Kommentar zum ZUG, Zürich 1994, Rz. 185 ff.; vgl. auch Merkblatt der SKOS, Unterstützung von Personen aus dem EU/EFTA-Raum, Bern 2019).

 

3.4 Die verfahrensbeteiligten Gemeinden sind auf die Gesuche der Beschwerdeführerin vom 23. Januar 2019 bzw. vom 25. Januar 2019 nicht eingetreten, weil sie sich als örtlich unzuständig erachtet haben. Wie der nachstehenden E. 4 zu entnehmen ist, ist aber eine der beiden verfahrensbeteiligten Gemeinden örtlich zuständig, weshalb die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu weiteren Abklärungen betreffend die örtliche Zuständigkeit an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Die Vorinstanz wird dabei - nachdem sie sich trotz der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts (VG.2014.17/E vom 18. Juni 2014 und VG.2015.170/E vom 6. Januar 2016) nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die Beschwerdeführerin überhaupt berechtigt war, im eigenen Namen ein Gesuch um Kostenersatz zu stellen - auch die Frage zu prüfen haben, ob die Beschwerdeführerin die Kriterien gemäss vorstehender E. 3.3 zumindest glaubhaft gemacht hat oder ob die örtlich zuständige Gemeinde aufgrund der fehlenden Berechtigung der Beschwerdeführerin, im eigenen Namen das Gesuch zu stellen, im Ergebnis zu Recht auf das Gesuch nicht eingetreten ist.

 

4.

4.1 Die Vorinstanz kam zum Ergebnis, der Aufenthaltsort von A scheine Q im Kanton Schaffhausen zu sein und soweit ersichtlich sei dementsprechend Q im Sinne von Art. 21 Abs. 1 ZUG unterstützungspflichtig. Dieser Auffassung kann aus den folgenden Gründen nicht gefolgt werden:

 

4.2        

4.2.1 Die politischen Gemeinden treffen Vorkehren, um soziale Not zu verhindern. Sie leisten Hilfe zu deren Behebung (Art. 1 Abs. 1 SHG). Zuständig ist die Wohnsitzgemeinde des Hilfsbedürftigen. Die Gemeinde des Aufenthaltsorts ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf (§ 4 Abs. 1 SHG). Wohnsitz und Aufenthalt bestimmen sich nach den Vorschriften des ZUG (§ 4 Abs. 2 SHG; vgl. zum Ganzen auch TVR 2016 Nr. 25).

 

4.2.2 Das ZUG regelt die Zuständigkeit für die Unterstützung von Ausländern dahingehend, als Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz vom Wohnkanton unterstützt werden, soweit es dessen Gesetzgebung, das Bundesrecht oder völkerrechtliche Verträge vorsehen (Art. 20 Abs. 1 ZUG). Ist ein Ausländer ausserhalb seines Wohnkantons auf sofortige Hilfe angewiesen, so gilt Art. 13 ZUG sinngemäss (Art. 20 Abs. 2 ZUG). Bedarf ein Ausländer, der sich in der Schweiz aufhält, hier aber keinen Wohnsitz hat, sofortiger Hilfe, so ist der Aufenthaltskanton unterstützungspflichtig (Art. 21 Abs. 1 ZUG). Der Aufenthaltskanton sorgt für die Rückkehr des Bedürftigen in seinen Wohnsitz- oder Heimatstaat, wenn nicht ein Arzt von der Reise abrät (Art. 21 Abs. 2 ZUG). Als Aufenthalt gilt die tatsächliche Anwesenheit in einem Kanton; dieser wird als Aufenthaltskanton bezeichnet (Art. 11 Abs. 1 ZUG). Wann und ob ein die kantonale Unterstützungszuständigkeit ändernder Wechsel des Aufenthaltsortes vorliegt, regelt das ZUG, ausser in Art. 11 Abs. 2 ZUG, der jedoch eine eigentliche ärztliche oder behördliche Zuweisung voraussetzt, nicht. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt insofern eine Gesetzeslücke vor. Das Bundesgericht führt dazu aus, dass ein Bedürftiger nicht unter allen Umständen an jedem beliebigen Ort der Schweiz, wo er sich gerade aufhält - und sei es auch nur vorübergehend oder sogar auf der Durchreise - Unterstützung verlangen könne. Dem Bettel von Ort zu Ort wolle nicht Vorschub geleistet werden (Urteil des Bundesgerichts 2A.55/2000 vom 27. Oktober 2000 E. 5a). In besonderen Fällen können mehrere Orte als Aufenthaltsorte betrachtet werden, insbesondere, wenn sich jemand von einem Aufenthaltsort an einen anderen Ort begibt, nachher aber wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Bestehen im gleichen Zeitabschnitt mehrere Aufenthaltsorte nebeneinander, so ist an demjenigen Aufenthaltsort die Unterstützung zu leisten, zu dem die engste Beziehung besteht, an den der Wohnsitzlose immer wieder zurückkehrt. In der Regel liegt allerdings keine Konkurrenz verschiedener Aufenthaltsorte vor, weil diese nicht im gleichen Zeitraum nebeneinander bestehen, sondern sich ablösen. Das ist der Fall, wenn jemand umherzieht und den Aufenthaltsort ständig wechselt. In diesem Fall kann auch eine nur zufällige und kurzfristige Ortsanwesenheit einen Aufenthaltsort im Sinn von Art. 11 Abs. 1 ZUG begründen. Im Zweifel ist dies anzunehmen und die Zuständigkeit des tatsächlichen Aufenthaltskantons (bzw. der Aufenthaltsgemeinde) zur Unterstützung der bedürftigen Person zu bejahen (Thomet, a.a.O., Rz. 168 f.).

 

4.2.3 Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass A im Zeitpunkt des Spitaleintritts am 22. Januar 2019 ohne fürsorgerechtlichen Unterstützungswohnsitz war, weshalb sich die Unterstützungszuständigkeit nach Art. 21 ZUG und entsprechend nach dem Aufenthaltsort (Art. 11 ZUG) richtet. Eine besondere Beziehungsnähe zu einem bestimmten Ort, welche die Zuständigkeit begründen würde, ist nicht ersichtlich. Für das Vorliegen eines Aufenthalts in Q, Kanton Schaffhausen, sind keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben. Aufgrund der Ergebnisse der Abklärungen der verfahrensbeteiligten Gemeinde 1 und der Beschwerdeführerin hierzu kann nicht von einem in Q weiterhin bestehenden Aufenthalt ausgegangen werden. Über die dortige Wohnung verfügte A im Zeitpunkt des Spitaleintritts am 22. Januar 2019 jedenfalls nicht mehr, wurde sie doch bereits per 22. Februar 2018 aus dieser Wohnung ausgewiesen. Allein der Umstand, dass A im Spital ihre frühere Adresse in Q angab, begründet für sich allein noch keine Zuständigkeit dieser Gemeinde. Die Feststellung der Vorinstanz, die Politische Gemeinde Q im Kanton Schaffhausen sei vorliegend im Sinne von Art. 21 Abs. 1 ZUG unterstützungspflichtig, ist deshalb unzutreffend. Da bei A von sich ablösenden Aufenthaltsorten auszugehen ist (vgl. vorstehend E. 4.2.2) und sie damit als flottante Person zu qualifizieren ist, hätte die Vorinstanz zu prüfen gehabt, welche der beiden verfahrensbeteiligten Gemeinden örtlich zuständig war, zumal § 4 Abs. 1 SHG festhält, dass der Aufenthaltsort unterstützungspflichtig ist, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht, was durchaus Folge eines Wegzugs ohne Begründung eines neuen Wohnsitzes sein kann (TVR 2016 Nr. 25 E. 3.3.2).

 

4.3        

4.3.1 Wie vorstehend dargelegt (E. 4.2.2), kann eine nur zufällige und kurzfristige Ortsanwesenheit einen Aufenthaltsort im Sinn von Art. 11 Abs. 1 ZUG begründen, was im Zweifel anzunehmen ist und die Zuständigkeit des tatsächlichen Aufenthaltsorts begründet. Der jeweilige Aufenthalt von A in den beiden verfahrensbeteiligten Gemeinden begründete somit grundsätzlich deren (ablösende) Zuständigkeiten. Fraglich ist, ob der unterstützungsrechtliche Aufenthalt von A in der verfahrensbeteiligten Gemeinde 1 mit dem Verlassen des Gemeindegebiets dahinfiel und die Zuständigkeit der verfahrensbeteiligten Gemeinde 2 begründete.

 

4.3.2 Laut § 4 Abs. 2 SHG bestimmen sich Wohnsitz und Aufenthalt nach den Vorschriften des ZUG. Gemäss Art. 11 Abs. 2 ZUG gilt für eine offensichtlich hilfsbedürftige, insbesondere eine erkrankte oder verunfallte Person, die auf ärztliche oder behördliche Anordnung in einen andern Kanton verbracht worden ist, der Kanton als Aufenthaltskanton, von welchem aus die Zuweisung erfolgte. Innerkantonal bliebe somit in solchen Fällen die Aufenthaltsgemeinde zuständig, von der aus die Zuweisung erfolgte. Den Zweck dieser Bestimmung gilt es über den Wortlaut hinaus auch in Konstellationen zu beachten, in welchen ein medizinischer Notfall vorliegt, die "Zuweisung" zu einem Spital - gerade weil ein Notfall vorliegt - aber nicht noch ärztlich oder behördlich angeordnet werden kann, ansonsten die Unterstützungszuständigkeit für eine flottante Person, die notfallmässig in ein Spital eintritt, stets bei der Standortgemeinde der Einrichtung (Art. 11 Abs. 1 ZUG) liegen würde. Auch vor dem Hintergrund, dass der Unterstützungszuständigkeit von Standortgemeinden von Spitälern und auch Arztpraxen gewisse Grenzen zu setzen sind (in diesem Sinne z.B. Art. 5 und Art. 9 Abs. 3 ZUG), ist deshalb in solchen Konstellationen an den Aufenthaltsort im Zeitpunkt des Notfalleintritts anzuknüpfen und nicht an den Ort der medizinischen Einrichtung. Dies rechtfertigt sich, weil der Ortswechsel hier einzig darauf zurückzuführen ist, dass am Ort des Notfalleintritts eine entsprechende medizinische Versorgung nicht möglich ist. Bei flottanten Personen vermag die blosse Zufälligkeit des Aufenthaltsortes im Zeitpunkt des Eintritts des medizinischen Notfalls an dessen unterstützungsrechtlicher Zuständigkeit nichts zu ändern.

 

4.3.3 Hat A am 22. Januar 2019 die verfahrensbeteiligte Gemeinde 1 aufgrund eines medizinischen Notfalls verlassen, um in das Spital in der verfahrensbeteiligten Gemeinde 2 einzutreten, liegt somit die örtliche Zuständigkeit - unabhängig davon, ob eine behördliche oder ärztliche Zuweisung erfolgte - bei der verfahrensbeteiligten Gemeinde 1, also dem Ort, an welchem der medizinische Notfall eingetreten ist. Hat A hingegen, ohne dass ein medizinischer Notfall vorlag, die verfahrensbeteiligte Gemeinde 1 verlassen, um ins Spital in der verfahrensbeteiligten Gemeinde 2 einzutreten, liegt die örtliche Zuständigkeit bei der verfahrensbeteiligten Gemeinde 2, also dem Ort, welchen A als neuen Aufenthaltsort wählte. Aufgrund der Akten ist nicht erwiesen, ob bei A tatsächlich ein medizinischer Notfall vorlag oder ob sie sich ohne Vorliegen eines medizinischen Notfalls dazu entschieden hatte, das Spital aufzusuchen (z. B. mangels Alternativen für eine Unterkunft). Der angefochtene Entscheid der Vorinstanz vom 9. Mai 2019 ist deshalb mangels örtlicher Zuständigkeit der Politischen Gemeinde Q, Kanton Schaffhausen, aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie nach Prüfung der Frage, ob ein medizinischer Notfall vorlag, neu darüber entscheide, ob die verfahrensbeteiligte Gemeinde 1 oder die verfahrensbeteiligte Gemeinde 2 örtlich zuständig ist. (…)

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2019.93/E vom 27. Januar 2021


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