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TVR 2022 Nr. 24

Legiti­mation des medizinischen Leistungserbringers zur Stellung eines Gesuchs um Kostengutsprache bzw. -ersatz im eigenen Namen; sozialhilferechtliche Zuständigkeit für flottante Person bei nicht notfallbedingtem Spitaleintritt


§ 4 Abs. 1 SHG , § 4 Abs. 2 SHG , Art. 9 Abs. 3 ZUG , Art. 11 Abs. 2 ZUG , Art. 12 Abs. 2 ZUG


  1. Bestätigung der Praxis gemäss TVR 2021 Nr. 24, wonach Dritte grundsätzlich nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen (E. 1.2).

  2. Bei einem Eintritt von Personen ohne Unterstützungswohnsitz in ein Spital, Heim oder eine andere Einrichtung rechtfertigt sich eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ZUG, die stets die Zuständigkeit des letzten Aufenthaltsortes begründen würde, nicht (E. 3.4.1 und 5). Mit der Aufhebung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons ist keine Gesetzeslücke entstanden (E. 3.4.2).

  3. Bei flottanten Personen, die von sich aus und damit ohne Zuweisung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 ZUG sowie nicht notfallbedingt in ein Heim, ein Spital oder eine andere Einrichtung eintreten bzw. um Hilfe ersuchen, ist der aktuelle Aufenthaltsort zuständig. Unter Umständen kann dies der Standortkanton bzw. innerkantonal die Standortgemeinde des Heims, des Spitals oder der Einrichtung sein (E. 4.3. f.).


A hat keinen Unterstützungswohnsitz. Am 27. Oktober 2017 trat sie von der Politischen Gemeinde Z aus ins Spital in der Politischen Gemeinde V ein, wo sie gleichentags ihre Tochter T gebar. Am 5. Februar 2018 stellte das Spital bei der Politischen Gemeinde V ein Gesuch um subsidiäre Kostengutsprache für die Übernahme der Kosten (rund Fr. 38'500.--) der stationären Behandlung von A und T vom 27. Oktober 2017 bis 7. Dezember 2017. Die PG V trat auf dieses Gesuch mangels örtlicher Zuständigkeit nicht ein. Die dagegen erhobenen Rekurse des Spitals (Verfahrensbeteiligte 3) sowie von A und T (Verfahrensbeteiligte 1 und 2) hiess das DFS nach Vereinigung gut und wies die Politische Gemeinde V an, subsidiäre Kostengutsprache für die stationäre Behandlung von A und T für die Zeit vom 27. Oktober bis 7. Dezember 2017 zu erteilen. Das Verwaltungsgericht weist die Beschwerde der Politischen Gemeinde V ab.

 

Aus den Erwägungen:

 

1.2 Die Beschwerdeführerin trat auf das Gesuch der Verfahrensbeteiligten 3 vom 5. Februar 2018 um subsidiäre Kostengutsprache wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht ein. Nicht geprüft hat die Beschwerdeführerin dabei die Frage, ob die Verfahrensbeteiligte 3 überhaupt berechtigt war, ein solches Gesuch im eigenen Namen zu stellen oder ob es dazu einer Vollmacht der Verfahrensbeteiligten 1 (und 2) bedurft hätte. Ebenso ist aus den Akten nicht ersichtlich, ob die Beschwerdeführerin den Verfahrensbeteiligten 1 und 2 vor dem Entscheid vom 5. Februar 2018 das rechtliche Gehör gewährt hat. Zumindest wurde den Verfahrensbeteiligten 1 und 2 aber der Entscheid der Beschwerdeführerin vom 5. Februar 2018 mitgeteilt. Eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten 1 (und 2) durch die Beschwerdeführerin kann jedenfalls als geheilt betrachtet werden, nachdem die Verfahrensbeteiligten 1 und 2 rechtzeitig Rekurs erhoben haben und damit auch klarstellen konnten, dass auch sie von der Beschwerdeführerin Kostengutsprache verlangen. Vor diesem Hintergrund könnte die Frage offenbleiben, ob die Verfahrensbeteiligte 3 überhaupt berechtigt war, im eigenen Namen ein Kostengutsprachegesuch zu stellen und - sollte dies nicht der Fall sein - die Vorinstanz den Rekurs der Verfahrensbeteiligten 3 deshalb aus diesem Grund hätte abweisen müssen. Dennoch wird darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht im Entscheid VG.2019.93/E vom 27. Januar 2021 (= TVR 2022 Nr. 23) grundsätzlich an seiner bisherigen Praxis festgehalten hat, dass Dritte nicht befugt sind, im eigenen Namen ein Kostengutsprache- oder Kostenersatzgesuch zu stellen. Nur ausnahmsweise - so das Verwaltungsgericht im erwähnten Entscheid - können Ärztinnen und Ärzte bzw. Spitäler von Fürsorgebehörden für notfallmässig zu erbringende medizinische Leistungen im eigenen Namen Kostengutsprachen verlangen oder Kostenersatz geltend machen, wenn die folgenden zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Erstens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital das Vorliegen eines medizinischen Notfalls zumindest glaubhaft zu machen und zweitens hat der Arzt oder die Ärztin bzw. das Spital zumindest glaubhaft zu machen, dass es unmöglich oder unzumutbar ist, den Patienten bzw. die Patientin zur Stellung eines Gesuches zu bewegen oder vom Patienten bzw. von der Patientin eine Vollmacht erhältlich zu machen, die es ermöglicht, den Anspruch in Vertretung des Patienten bzw. der Patientin geltend zu machen. Vorliegend kann in keiner Weise davon ausgegangen werden, dass die Verfahrensbeteiligte 3 die Verfahrensbeteiligten 1 und 2 nicht zur Stellung eines Gesuchs hätte bewegen können, nachdem letztere gegen den Entscheid der Beschwerdeführerin vom 11. September 2019 am 7. Oktober 2019 selbständig Rekurs erhoben haben.

 

2.

2.1 Strittig ist, ob die Beschwerdeführerin zu Recht dazu verpflichtet wurde, subsidiäre Kostengutsprache für die im Zusammenhang mit der Geburt der Verfahrensbeteiligten 2 entstanden Kosten zu leisten. Unbestritten ist dabei, dass die Verfahrensbeteiligte 1 bei ihrem Spitaleintritt über keinen Unterstützungswohnsitz verfügte.

 

2.2 Die politischen Gemeinden treffen Vorkehren, um soziale Not zu verhindern. Sie leisten Hilfe zu deren Behebung (Art. 1 Abs. 1 SHG). Die Gemeinde sorgt für die notwendige Unterstützung, wenn jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz verfügt, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen und keine andere Hilfe möglich ist (§ 8 SHG). Zuständig ist die Wohnsitzgemeinde des Hilfsbedürftigen. Die Gemeinde des Aufenthaltsorts ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf (§ 4 Abs. 1 SHG). Wohnsitz und Aufenthalt bestimmen sich nach den Vorschriften des ZUG (§ 4 Abs. 2 SHG; vgl. zum Ganzen auch TVR 2016 Nr. 25).

 

2.3 Nach Art. 12 Abs. 2 ZUG wird der Bedürftige vom Aufenthaltskanton unterstützt, wenn er keinen Unterstützungswohnsitz (Art. 4 ZUG) hat. Als Aufenthalt gilt die tatsächliche Anwesenheit in einem Kanton; dieser wird als Aufenthaltskanton bezeichnet (Art. 11 Abs. 1 ZUG). Ist eine offensichtlich hilfsbedürftige, insbesondere eine erkrankte oder verunfallte Person auf ärztliche oder behördliche Anordnung in einen andern Kanton verbracht worden, so gilt der Kanton als Aufenthaltskanton, von dem aus die Zuweisung erfolgte (Art. 11 Abs. 2 ZUG). Wann und ob ein die kantonale Unterstützungszuständigkeit ändernder Aufenthaltsortwechsel vorliegt, regelt das ZUG, ausser in Art. 11 Abs. 2 ZUG, der jedoch eine eigentliche ärztliche oder behördliche Zuweisung voraussetzt, nicht. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt insofern eine Gesetzeslücke vor. Das Bundesgericht führt dazu aus, dass ein Bedürftiger nicht unter allen Umständen an jedem beliebigen Ort der Schweiz, wo er sich gerade aufhält - und sei es auch nur vorübergehend oder sogar auf der Durchreise - Unterstützung verlangen könne. Weder die Verfassung noch Art. 12 Abs. 2 ZUG wollten dem Bettel von Ort zu Ort Vorschub leisten (Urteil des Bundesgerichts 2A.55/2000 vom 27. Oktober 2000 E. 5a). In besonderen Fällen können mehrere Orte als Aufenthaltsorte betrachtet werden, insbesondere, wenn sich jemand von einem Aufenthaltsort an einen anderen Ort begibt, nachher aber wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Bestehen im gleichen Zeitabschnitt mehrere Aufenthaltsorte nebeneinander, so ist an demjenigen Aufenthaltsort die Unterstützung zu leisten, zu dem die engste Beziehung besteht, an den der Wohnsitzlose immer wieder zurückkehrt. In der Regel liegt allerdings keine Konkurrenz verschiedener Aufenthaltsorte vor, weil diese nicht im gleichen Zeitraum nebeneinander bestehen, sondern sich ablösen. Das ist der Fall, wenn jemand umherzieht und den Aufenthaltsort ständig wechselt. In diesem Fall kann auch eine nur zufällige und kurzfristige Ortsanwesenheit einen Aufenthaltsort im Sinn von Art. 11 Abs. 1 ZUG begründen. Im Zweifel ist dies anzunehmen und die Zuständigkeit des tatsächlichen Aufenthaltskantons (bzw. der Aufenthaltsgemeinde) zur Unterstützung der bedürftigen Person zu bejahen (Thomet, Kommentar zum ZUG, 1994, Rz. 168 f.).

 

2.4 Die Verfahrensbeteiligte 1 war im Zeitpunkt des Spitaleintritts am 26. Oktober 2017 ohne fürsorgerechtlichen Unterstützungswohnsitz (Art. 4 Abs. 1 ZUG). Nach der Geburt ihrer Tochter konnte sie offenbar an ihren bisherigen Aufenthaltsort bei ihrem Bekannten in Z nicht mehr zurückkehren, nachdem dieser ihr gegenüber am 6. November 2017 ein Hausverbot aussprechen liess. Eine enge Beziehung zu einer dritten Gemeinde, die allenfalls als zuständige Aufenthaltsgemeinde in Frage käme, ist nicht ersichtlich. Somit ist von sich ablösenden Aufenthaltsorten auszugehen (vgl. vorstehend E. 2.3) und die Verfahrensbeteiligte 1 als flottante Person zu qualifizieren.

 

3.

3.1 Gemäss Art. 5 ZUG begründen der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer anderen Einrichtung und die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege keinen Unterstützungswohnsitz. Als Gegenstück dazu hält Art. 9 Abs. 3 ZUG fest, dass der Eintritt in ein Heim, ein Spital oder in eine andere Einrichtung sowie die behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege einen bestehenden Unterstützungswohnsitz nicht beendigen. Der bestehende Unter­stützungswohnsitz wird beibehalten.

 

3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, Art. 9 Abs. 3 ZUG sei auf flottante Personen analog anzuwenden. Mithin sei bei einem Spitaleintritt einer flottanten Person stets der letzte Aufenthaltsort zuständig. Sie führt begründend aus, mit der Gesetzesrevision des ZUG sei die Verrechnungsmöglichkeit von Kosten für flottante Personen von der Aufenthaltsgemeinde an die Heimatgemeinde (Art. 15 aZUG) entfallen. Damit sei ihres Erachtens unbeabsichtigt eine Gesetzeslücke entstanden, die dem gesetzlich immanenten Schutz von Standortgemeinden zuwiderlaufe. In der älteren Fassung des ZUG seien Standortgemeinden in jedem Fall vor Kostenfolgen geschützt gewesen. Bei Betroffenen mit Unterstützungswohnsitz könne auch heute noch gemäss Art. 5 und 9 Abs. 3 ZUG kein Wechsel des Unterstützungswohnsitzes erfolgen. Bei Betroffenen ohne Unterstützungswohnsitz ("Flottanten") habe mit der Heimatgemeinde abgerechnet werden können (Art. 15 aZUG). Letzterer Schutzmechanismus sei durch die beiläufige Streichung von Art. 15 aZUG - ohne dass dies bei der Gesetzesrevision thematisiert worden sei, ja nicht einmal erkannt worden wäre - ersatzlos weggefallen. Dadurch sei mit Bezug auf flottante Personen eine Regelungslücke entstanden, welche dem im ZUG zentralen Schutzgedanken von Standortgemeinden diametral widerspreche. Angesichts dieser planwidrigen Lücke werde daran festgehalten, dass der Schutz der Standortgemeinden durch analoge Anwendung von Art. 5, Art. 9 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 2 ZUG zu gewährleisten sei. Der Analogieschluss dränge sich auch mit Blick auf das Urteil des Bundesgerichts 2A_345/2002 vom 9. Mai 2003 E. 3.2 auf, in welchem das Bundesgericht für eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ZUG auf den Aufenthaltsort gerade deshalb kein Bedürfnis erblickt habe, weil eine Rückgriffsmöglichkeit nach Art. 15 aZUG bestanden habe. Mit dem Wegfall von Art. 15 aZUG werde der Analogieschluss zur Erreichung des Schutzgedankens zugunsten von Standortgemeinden zwingend. Demnach habe der Eintritt in ein Spital nicht nur keine Änderung des Unterstützungswohnsitzes zur Folge, sondern auch keine Änderung des Aufenthaltsortes. Diese fiktive Aufrechterhaltung des Aufenthaltsorts sei dem Gesetz nicht fremd (vgl. Art. 11 Abs. 2 ZUG). Schliesslich sei auf das Urteil des Bundesgerichts 2A_55/2000 vom 27. Oktober 2000 hinzuweisen. Mit Bezug auf einen Ausländer ohne Wohnsitz sei das Bundesgericht aufgrund der fehlenden Rückgriffsmöglichkeit des Aufenthaltskantons davon ausgegangen (ebenfalls im Rahmen der Lückenfüllung), dass eine Änderung der Fürsorgezuständigkeit auf den Aufenthaltskanton nur mit Zurückhaltung anzunehmen sei. Gemäss Botschaft des Bundesrates könne ein Bedürftiger nicht unter allen Umständen an jedem beliebigen Ort der Schweiz, wo er sich gerade aufhalte - und sei es auch nur vorübergehend oder sogar auf der Durchreise - Unterstützung verlangen. Infolge Streichung von Art. 15 aZUG liege heute eine vergleichbare Situation in Bezug auf Schweizer Bürger ohne Wohnsitz vor. Auch vor diesem Hintergrund entspricht es dem gesetzlichen Grundgedanken, dass der Eintritt in ein Spital keinen Wechsel des Aufenthaltsorts mit sich bringen dürfe.

 

3.3 Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sei durch die Aufhebung von Art. 15 aZUG keine Gesetzeslücke entstanden. Art. 15 aZUG habe die Ersatzpflicht des Heimatkantons respektive der Heimatgemeinde gegenüber dem Aufenthaltskanton geregelt, nicht jedoch die eigentliche Unterstützungszuständigkeit einer bedürftigen flottanten Person. Dafür sehe das ZUG in Art. 12 Abs. 2 ZUG i. V. mit Art. 11 Abs. 1 ZUG explizit vor, dass Schweizer Bürgern auch bei einem fehlenden Unterstützungswohnsitz Sozialhilfe­leistungen erbracht werden, nämlich durch den Aufenthaltskanton respektive die Aufenthaltsgemeinde. Eine echte Gesetzeslücke dürfe mitnichten leichthin angenommen werden. Das ZUG sehe eine Kostenersatzpflicht für den Wohnkanton vor (Art. 14 ZUG), für den Aufenthaltskanton nicht. Ob der Gesetzgeber dies nicht vorsehe, weil er es (i) nicht für angezeigt halte oder aber (ii) davon ausgehe, dass diese Konstellation gar nicht vorkommen könne, weil flottante Personen stets am Standortkanton einer Einrichtung Aufenthalt haben (z.B. auch in Notfällen), könne an dieser Stelle offenbleiben.

 

3.4        

3.4.1 Die Unterstützungszuständigkeit für eine Person ohne Unterstützungswohnsitz wird in Art. 12 Abs. 2 i.V. mit Art. 11 Abs. 1 ZUG geregelt. Soweit die Beschwerdeführerin eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ZUG auf Personen ohne Unterstützungswohnsitz geltend macht, kann ihr nicht gefolgt werden. Das Bundesgericht hielt im Urteil 2A.345/2002 vom 9. Mai 2003 E. 3.2 fest, dass der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 ZUG die Gleichstellung des Aufenthaltsorts mit dem Unterstützungswohnsitz nicht zulasse. Es bestehe auch kein Anlass, auf dem Wege eines Analogieschlusses zu einer solchen Lösung zu gelangen. Für das Bestehen eines Unterstützungswohnsitzes verlange das ZUG immerhin die Absicht dauernden Verbleibens und damit eine nicht unbedeutende Verbindung einer Person zu dem betreffenden Ort. Hingegen brauche es nur eine geringe Beziehung einer Person zu einem Ort, damit dieser als Aufenthaltsort gelte. Nach der gesetzlichen Regelung habe der Unterstützte immer an einem bestimmten Ort (zumindest) Aufenthalt. Ein derartiger, subsidiärer Anknüpfungspunkt für eine allfällige Hilfeleistung sei somit lückenlos gegeben, im Unterschied zum Anknüpfungspunkt des Unter­stützungswohnsitzes, der - wie erwähnt - von gewissen Voraussetzungen abhänge und (jedenfalls vorübergehend) ohne Ersatz aufgegeben werden könne. Art. 9 Abs. 3 ZUG stehe im Zusammenhang mit den Anforderungen an einen Unter­stützungswohnsitz. Es bestehe kein Bedürfnis und damit auch kein Grund, diese Regelung auf den Aufenthaltsort analog anzuwenden.

 

3.4.2 Im Rahmen der Gesetzesrevision des ZUG vom 14. Dezember 1990 und der Einführung von Art. 12 Abs. 2 ZUG (AS 1991 1328, BBl 1990 I 49) bekannte man sich zur "klaren Verantwortlichkeit des Aufenthaltskantons für Personen ohne Unterstützungswohnsitz" (vgl. BBl 1990 I 64). Weder aus den Materialien noch der Lehre und Rechtsprechung zum ZUG ergibt sich, dass bei diesen Personen (Art. 12 Abs. 2 ZUG), wenn sie in ein Heim, ein Spital oder eine andere Einrichtung eintreten, der bisherige Aufenthaltsort zuständig bleiben soll. Das Bundesgericht hielt zwar fest, dass eine solche Konstruktion gewisse Vorteile hätte, insbesondere organisatorische Vereinfachungen, führte daraufhin aber - wie dargelegt - aus, dass der Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 ZUG keine Gleichstellung des Aufenthaltsorts mit dem Unter­stützungswohnsitz zulasse (Urteil des Bundesgerichts 2A.345/2002 vom 9. Mai 2003 E. 3.2). Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Rechtsprechung des Bundesgerichts seit dem Wegfall der Kostenersatzpflicht des Heimatkantons (Art. 15 ff. aZUG) keine Geltung mehr zukommen soll. Die Beschwerdeführerin vermag daher aus der (nur) zusätzlichen Argumentation des Bundesgerichts im vorgenannten Urteil, wonach der Analogieschluss nicht gerechtfertigt sei, da ein Aufenthaltskanton regelmässig auf einen anderen Kanton mit stärkerem Anknüpfungspunkt (Wohnkanton oder Heimatkanton) Rückgriff nehmen könne und damit die Unterstützungskosten bloss vorzuschiessen seien, nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Mit der Aufhebung der Rückerstattungspflicht des Heimatkantons ist keine Gesetzeslücke entstanden. Die Bestimmungen von Art. 15 bis 17 aZUG wurden mit der Revision des ZUG vom 14. Dezember 2012 - nach einer Übergangsfrist - per 8. April 2017 ersatzlos aufgehoben (AS 2015 319; BBl 2012 7749 Ziff. 3.4). Grund der Aufhebung war der zunehmende Wegfall der Bindung zum Heimatkanton und damit der Umstand, dass der Heimatort als Zuständigkeitskriterium nicht mehr als zeitgemäss erachtet wurde. Ferner rechnete man mit einer deutlichen administrativen Einsparung (BBl 2012 7742 ff.).

 

4.

4.1 Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, zum Schutz der Standortgemeinden von Spitälern dränge sich bei notfallbedingten Behandlungen flottanter Personen eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 2 ZUG auf, auch wenn keine ärztliche oder behördliche Zuweisung erfolgt sei. Begründend führt sie aus, es könne nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass der bisherige Aufenthaltsort aufgehoben werde, wenn sich eine hilfsbedürftige Person zur Behandlung eines medizinischen Notfalls in einen anderen Kanton (bzw. eine andere Gemeinde) begebe, weil am Ort, wo der medizinische Notfall eingetreten sei, die medizinische Leistung nicht erbracht werden könne. Anknüpfungspunkt müsse der Aufenthaltsort des Hilfesuchenden im Zeitpunkt des Eintritts des Notfalls und nicht der Sitz des Hilfeleistungserbringers sein. Die Vorinstanz habe eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 2 ZUG mit der Begründung verworfen, dass die Verfahrensbeteiligte 1 freiwillig und selbständig ins Spital eingetreten sei. Diesbezüglich sei ihr entgegenzuhalten, dass bei einem Eintritt ins Spital wegen unmittelbar bevorstehender Geburt den Medizinalpersonen eine Beistandspflicht zugekommen sei. Die Entbindung - und damit die medizinische Hilfe - sei im Zeitpunkt des Eintritts ins Spital am 26. Oktober 2017 (einen Tag vor der Geburt) notwendig und unaufschiebbar gewesen. Sei der Eintritt ins Spital - wie vorliegend - offensichtlich notfallmässig erfolgt, könne es nicht darauf ankommen, ob der Eintritt mit oder ohne ärztliche bzw. behördliche Zuweisung erfolgt sei.

 

4.2 Der Aufenthalt im bisherigen Aufenthaltskanton wird nach dem klaren Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 ZUG beibehalten, wenn die betroffene Person "offensichtlich hilfsbedürftig" (z.B. erkrankt oder verunfallt) ist und sie deswegen "auf ärztliche oder behördliche Anordnung" (zum Zwecke der Hilfeleistung) "in einen anderen Kanton verbracht wird". Sucht also eine offensichtlich hilfsbedürftige Person von sich aus in einem anderen Kanton als dem bisherigen Aufenthaltskanton um Hilfe nach, findet Art. 11 Abs. 2 ZUG grundsätzlich keine Anwendung (vgl. Thomet, a.a.O., Rz. 173).

 

4.3 Vorliegend hat die Verfahrensbeteiligte 1 von sich aus das Spital aufgesucht. Sie wurde weder auf ärztliche noch behördliche Anordnung hin dem Spital in V zugewiesen bzw. dorthin verbracht. Die Frage, ob Art. 11 Abs. 2 ZUG bei Vorliegen eines Notfalls analog anzuwenden ist und die unterstützungsrechtliche Zuständigkeit an den Aufenthaltsort im Zeitpunkt des Notfalleintritts anzuknüpfen wäre, kann vorliegend offen gelassen werden. Denn soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die Geburt der Verfahrensbeteiligten 2 sei eine notfallmässige Behandlung gewesen, kann ihr nicht gefolgt werden. Die Verfahrensbeteiligte 1 gibt selbst an, dass der Eintritt ins Spital nicht notfallmässig erfolgt sei und ihrem Wunsch entsprochen habe. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerdeführerin ist aktenmässig nicht belegt. Es sind keine Anhaltspunkte vorhanden, die dafür sprechen, dass im Zeitpunkt des Spitaleintritts ein Notfall vorgelegen hat bzw. dieser nicht in der Politischen Gemeinde V eingetreten ist. Insofern kann nicht von einer Notfallbehandlung ausgegangen werden. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheid KSCHG 2017/5 des Versicherungsgerichts St. Gallen (als Schiedsgericht) vom 26. April 2018, der sich mit dem Begriff der Notfallbehandlung im Rahmen von Art. 64a Abs. 7 KVG befasst, vermag daran nichts zu ändern.

 

5. Zusammenfassend ergibt sich, dass bei fehlendem Unterstützungswohnsitz der Aufenthaltsort massgebend ist. Bei einem Eintritt von Personen ohne Unterstützungs­wohnsitz in ein Spital, Heim oder eine andere Einrichtung rechtfertigt sich eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 3 ZUG, die stets die Zuständigkeit des letzten Aufenthaltsortes begründen würde, nicht. Auch bei flottanten Personen, mithin Personen ohne eine besonders enge Beziehung zu einem Aufenthaltsort, die von sich aus und damit ohne Zuweisung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 ZUG in ein Heim, ein Spital oder eine andere Einrichtung eintreten bzw. um Hilfe ersuchen, ist gestützt auf Art. 12 Abs. 2 ZUG und Art. 11 Abs. 1 ZUG der aktuelle Aufenthaltsort zuständig. Unter Umständen kann dies der Standortkanton bzw. innerkantonal (§ 4 Abs. 1 und 2 SHG) die Standortgemeinde sein. Ob ein notfallbedingter Eintritt einer flottanten Person eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 2 ZUG rechtfertigt und an den Aufenthaltsort im Zeitpunkt des Notfalleintritts anzuknüpfen ist, muss vorliegend nicht beurteilt werden, nachdem das Vorliegen eines Notfalls im Zeitpunkt des Spitaleintritts nicht nachgewiesen ist. Der angefochtene Entscheid ist daher sowohl in Bezug auf die Verfahrensbeteiligte 1 als auch in Bezug auf die Verfahrensbeteiligte 2 nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz ging bei der Unterstützungszuständigkeit für die Verfahrensbeteiligte 2 zu Recht von der Anwendung von Art. 7 Abs. 3 lit. d ZUG (i.V. mit § 4 SHG) aus, wonach das minderjährige Kind an seinem Aufenthaltsort einen eigenen Unterstützungswohnsitz hat, wenn - wie vorliegend - die übrigen in Art. 7 Abs. 1 bis 3 ZUG genannten Tatbestände nicht erfüllt sind. Die Beschwerdeführerin hat somit die strittige subsidiäre Kostengutsprache für die Zeit vom 27. bis 31. Oktober 2017 sowie vom 1. November bis 7. Dezember 2017 zu erteilen. Die Beschwerde ist folglich abzuweisen.

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2020.19/E vom 27. Januar 2021

 

Das Bundesgericht hat mit Urteil 8C_293/2021 vom 1. März 2023, welches zur Publikation vorgesehen ist, eine dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen.


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