TVR 2022 Nr. 28
Anfechtbarkeit von Auflagen und Weisungen; keine Verweigerung von Sozialhilfe gestützt auf das Subsidiaritätsprinzip bei verweigerter Teilnahme an nicht entlöhntem Beschäftigungsprogramm
§ 8 a SHG , § 8 b SHG , § 6 SHV , § 35 Abs. 2 VRG
Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts sind sozialhilferechtliche Auflagen und Weisungen in der Regel selbständig anfechtbar (E. 2).
Die Unterstützung kann nicht unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip verweigert werden, wenn die Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm nicht entlöhnt wird. Die im Falle einer Teilnahme am Beschäftigungsprogramm in Aussicht gestellte Sozialhilfe stellt keinen Lohn im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dar. Bestätigung der Rechtsprechung gemäss TVR 2018 Nr. 28 (E. 4.1 bis 4.7).
Die Fürsorgebehörde der Gemeinde Y sprach A ab 1. Juni 2020 Sozialhilfe zu und meldete ihn bei einem Beschäftigungsprogramm bei der W an. Die Fürsorgebehörde verfügte am 26. Oktober 2020, dass A einen Taglohn im Umfang des Grundbedarfs erhalte. Die Auszahlung erfolge jeweils nachschüssig. Bei unentschuldigter Abwesenheit werde nichts ausbezahlt. A könne somit seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, sei im Umfang des erzielbaren Entgelts nicht bedürftig und habe somit keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Den dagegen erhobenen Rekurs hiess das DFS teilweise gut und wies die Sache an die Fürsorgebehörde zurück. Das Verwaltungsgericht weist die Beschwerde der Gemeinde Y ab.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht - erstmals im Beschwerdeverfahren - geltend, die Vorinstanz hätte nicht auf den Rekurs eintreten dürfen, weil es sich beim strittigen Entscheid um einen nicht anfechtbaren Zwischenentscheid handle. Anordnungen und Weisungen seien nur dann selbständig anfechtbar, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hätten. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Anordnungen und Weisungen im Bereich des Sozialhilferechts hätten kaum je einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge, da diese zusammen mit einem Endentscheid angefochten werden könnten.
2.2 Mit Rekurs anfechtbar sind Entscheide einer unteren Verwaltungsbehörde einschliesslich vorsorglicher Massnahmen und Vollstreckungsmassnahmen, sofern die Weiterzugsmöglichkeit nicht ausdrücklich durch Gesetz ausgeschlossen ist (§ 35 Abs. 1 VRG). Verfahrensleitende und andere Zwischenentscheide sind selbständig weiterziehbar, sofern sie für den Betroffenen einen Nachteil zur Folge hätten, der sich später voraussichtlich nicht mehr beheben lässt (§ 35 Abs. 2 VRG). Der nicht wieder gutzumachende Nachteil muss dabei nicht rechtlicher Natur sein. Es genügt, wenn ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Aufhebung oder Abänderung der Anordnung gegeben ist, wobei auch ein rein wirtschaftliches Interesse genügt (TVR 2010 Nr. 3 E. 2.2.1 mit Hinweisen).
2.3
2.3.1 In Dispositiv-Ziff. 1 des Entscheids der Beschwerdeführerin vom 26. Oktober 2020 wurde festgelegt, dass der Verfahrensbeteiligte für seine Teilnahme am Beschäftigungsprogramm einen Taglohn im Umfang des für ihn errechneten Grundbedarfs erhalte, welcher durch die W jeweils nachschüssig ausbezahlt werde. Pro unentschuldigtem Abwesenheitstag werde nichts ausbezahlt. Mit dieser nachschüssigen, tageweisen Ausbezahlung des Entgelts für die Arbeit bei W und dem automatischen Ausbleiben der Zahlung für jeden unentschuldigten Absenztag ist somit eine direkte Kürzung verbunden. Der Sozialhilfeanspruch würde nicht erst nach Erlass einer entsprechenden neuen (anfechtbaren) Verfügung gekürzt. Bei der vorliegend strittigen Dispositiv-Ziff. 1 handelt es sich somit nicht um eine blosse Weisung bzw. Anordnung im Sinne eines Zwischenentscheids, sondern um einen Endentscheid. Der klare, das heisst keiner Auslegung bedürftige Wortlaut von Dispositiv-Ziff. 1, lässt nur den Schluss zu, dass für die Rechtsverbindlichkeit der tageweisen Kürzungen kein separater, anfechtbarer Entscheid erlassen worden wäre.
2.3.2 In Dispositiv-Ziff. 2a wird dem Verfahrensbeteiligten die Pflicht auferlegt, das Taglohnprojekt im Umfang von 100% wahrzunehmen. Erst im Zusammenhang mit Dispositiv-Ziff. 2b wird diese Pflicht insofern relativiert, als dem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit eröffnet, aber auch die Pflicht auferlegt wird, jede Absenz und jede behauptete Arbeitsunfähigkeit durch ein begründetes Arbeitsunfähigkeitszeugnis zu belegen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass fehlende oder unbegründete Arztzeugnisse direkt und ohne Erlass einer neuen Verfügung zu einer Kürzung der Sozialhilfe geführt hätten, stellen auch die Dispositiv-Ziffern 2a und 2b keine blossen Zwischenentscheide dar. Die Kürzung der Sozialhilfeleistungen für den Fall, dass sich der Verfahrensbeteiligte nicht an die strittigen Weisungen hält, wäre ohne Erlass einer neuen (anfechtbaren) Verfügung mit dem Entscheid vom 26. Oktober 2020 festgelegt gewesen. Es musste dem Verfahrensbeteiligten somit die Möglichkeit eröffnet werden, sich dagegen mittels Rekurses zu wehren.
2.3.3 Beim Entscheid der Beschwerdeführerin vom 26. Oktober 2020 bzw. den vorliegend strittigen Dispositiv-Ziffern 1, 2a und 2b handelt es sich demnach um Endentscheide, weil mit der Nichterfüllung der Weisung die unmittelbare Verweigerung der Sozialhilfeunterstützung einhergegangen wäre. Aber selbst wenn von einem Zwischenentscheid auszugehen wäre, könnte der Auffassung der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz sei zu Unrecht auf den Rekurs eingetreten, nicht gefolgt werden. Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts sind sozialhilferechtliche Auflagen und Weisungen (§ 8a und 8b SHG, § 6 SHV) in der Regel selbständig anfechtbar (vgl. TVR 2008 Nr. 30, TVR 2009 Nr. 27, TVR 2015 Nr. 23, TVR 2018 Nr. 29). In Bezug auf den von § 35 Abs. 2 VRG geforderten, nicht wiedergutzumachenden Nachteil ist kein rechtlicher Nachteil, der sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (BGE 137 III 380 E. 1.2.1), vorausgesetzt. Es genügt ein tatsächlicher Nachteil, der sich zwar durch einen positiven Endentscheid (theoretisch) wieder weitgehend unschädlich machen lässt, sich rein faktisch aber in einer Beeinträchtigung einer Partei während des Verfahrens manifestiert (Müller, Prozessleitende Entscheide im weiteren Sinne, in: ZZZ - Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht, 2014/2015, S. 269). Das SHG enthält denn auch keine spezialgesetzlichen Bestimmungen, wonach Auflagen und Weisungen nicht selbständig anfechtbar wären (vgl. demgegenüber § 21 Abs. 2 des Zürcher Sozialhilfegesetzes [LS 851.1], Urteil des Bundesgerichts 8C_151/2019 vom 14. Januar 2020, teilweise publiziert in BGE 146 I 62). An der Zulässigkeit der grundsätzlich selbständigen Anfechtbarkeit von Auflagen und Weisungen im kantonalen Rechtsmittelverfahren ändert auch Art. 93 Abs. 1 BGG und die entsprechende Praxis des Bundesgerichts hierzu (vgl. Urteile des Bundesgerichts 8C_251/2020 vom 26. Mai 2020 und 8C_861/2017 vom 13. Dezember 2017) nichts. Es ist einer kantonalen Instanz nicht verwehrt, geringere Anforderungen an die Anfechtbarkeit von Entscheiden zu stellen als es das Bundesgericht tut. Die kantonalen Behörden dürfen die Rechtsmittelbefugnis lediglich nicht enger fassen, als dies für die Beschwerde ans Bundesgericht vorgesehen ist (Ehrenzeller, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler [Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl., 2018, Art. 111 N. 1 ff.). Die Vorinstanz hat den Entscheid der Beschwerdeführerin vom 26. Oktober 2020 somit zu Recht materiell-rechtlich geprüft.
3.
3.1 Strittig ist, ob die Vorinstanz Dispositiv-Ziff. 1 des Entscheids der Beschwerdeführerin vom 26. Oktober 2020 zu Recht aufgehoben hat (nachfolgend E. 4). (…)
3.2 Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat nach Art. 12 BV Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Anspruch auf Unterstützungsleistungen des Staates hat nur, wer nicht in der Lage ist, selbst für sich zu sorgen (Subsidiaritätsprinzip). Keinen Anspruch hat, wer solche Leistungen beansprucht, obwohl er objektiv in der Lage wäre, sich aus eigener Kraft die für das Überleben erforderlichen Mittel selbst zu verschaffen; denn solche Personen stehen nicht in jener Notsituation, auf die das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen zugeschnitten ist. Bei ihnen fehlt es bereits an den Anspruchsvoraussetzungen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Person, die eine konkret zur Verfügung stehende Erwerbsmöglichkeit ausschlägt, nicht in jener spezifischen Notlage steht, auf die Art. 12 BV zugeschnitten ist, weshalb der Schutzbereich des Grundrechts durch die Einstellung von Hilfeleistungen in einem solchen Fall gar nicht betroffen ist. Wem es faktisch und rechtlich möglich ist, die erforderlichen Mittel für ein menschenwürdiges Dasein selbst zu beschaffen, ist nicht bedürftig und damit nicht auf Unterstützung angewiesen (BGE 142 I 1 E. 7.2.2, BGE 139 I 218 E. 5.3). Art. 12 BV umfasst eine auf die konkreten Umstände zugeschnittene, minimale individuelle Nothilfe. Sie beschränkt sich auf das absolut Notwendige und soll die vorhandene Notlage beheben. Insofern unterscheidet sich der verfassungsmässige Anspruch auf Hilfe in Notlagen vom kantonalen Anspruch auf Sozialhilfe, die umfassender ist (BGE 142 I 1 E. 7.2.1).
3.3 Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt nach § 8 SHG die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist. § 8 SHG verankert das Subsidiaritätsprinzip (vgl. TVR 2017 Nr. 28 E. 3.2), wonach nur Anspruch auf Sozialhilfe besteht, wenn eine Person sich nicht selbst helfen kann, und auch von Dritten keine oder nicht rechtzeitig Hilfe erhält (Kap. A.3 der Richtlinien der SKOS).
4.
4.1 Die Beschwerdeführerin beanstandet die Aufhebung von Dispositiv-Ziff. 1 ihres Entscheids vom 26. Oktober 2020. Sie macht geltend, mit der Aufhebung werde eine neue Praxis begründet, die es den Sozialämtern künftig verwehre, bedürftige Personen zur Teilnahme an einem Taglohnprogramm zu verpflichten und die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen davon abhängig zu machen. Es ist darum nachfolgend zu prüfen, wie es sich mit dem von der Beschwerdeführerin verfügten Taglohnprogramm bei der W verhält.
4.2 Das Verwaltungsgericht hatte verschiedentlich Anlass, sich mit Taglohnprogrammen auseinanderzusetzen. Es hat seine frühere Praxis (TVR 2015 Nr. 23) im Entscheid vom 21. November 2018 (publiziert in TVR 2018 Nr. 28) - in Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis betreffend Nothilfe nach Art. 12 BV - präzisiert. Das Verwaltungsgericht kam dabei zum Schluss, dass die Sozialhilfebehörde weder die Nothilfe noch die kantonalrechtliche Sozialhilfe nach SHG allein unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip verweigern oder kürzen könne, wenn die im Rahmen des von ihr angeordneten Beschäftigungsprogramms zu erbringende Arbeit nicht entlöhnt werde, wobei die im Falle einer Teilnahme am Beschäftigungsprogramm in Aussicht gestellten Sozialhilfeleistungen keinen Lohn darstellten. Es verbleibe aber die Möglichkeit der Kürzung der kantonalrechtlichen Sozialhilfe bei Verletzung der Mitwirkungspflicht nach vorgängiger Verwarnung.
4.3 Wie im TVR 2018 Nr. 28 zugrundeliegenden Fall geht auch die Beschwerdeführerin davon aus, dass der Verfahrensbeteiligte mit einer Teilnahme am Beschäftigungsprogramm in den Genuss von Fürsorgeleistungen gelangen würde, mit welchen sein Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL) gedeckt wäre. Da er im Falle einer verweigerten Teilnahme oder unentschuldigter Absenzen nicht mehr als bedürftig gelten könne, fehle es an einer Anspruchsvoraussetzung. Dieser Auffassung ist auch im vorliegenden Fall nicht zu folgen und es besteht kein Anlass, die in TVR 2018 Nr. 28 E. 3.5 publizierte Praxis zu ändern, die wie folgt begründet wurde:
"Zwar stellte das Verwaltungsgericht in dem in TVR 2015 Nr. 23 publizierten Entscheid (vgl. dort E. 2.6) fest, dass es widersprüchlich wäre, einem Hilfsbedürftigen Nothilfe zu gewähren, wenn feststehe, dass er durch Teilnahme an einem zumutbaren Beschäftigungsprogramm zu ordentlichen Unterstützungsleistungen kommen könnte. Dieser Entscheid vom 25. Februar 2015 widerspricht allerdings der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung. So hielt das Bundesgericht in BGE 142 I 1 (Urteil 8C_455/2015 vom 8. März 2016) fest, dass es gegen Art. 12 BV verstosse, wenn die Nothilfe wegen Nichtbefolgung der Weisung, in einem Beschäftigungsprogramm teilzunehmen, verweigert werde, wenn die Teilnahme am Programm nicht entlöhnt wäre und das Subsidiaritätsprinzip daher nicht zur Anwendung gelange (BGE 142 I 1 E. 7.1 - E. 7.2.4, E. 7.2.6). In BGE 142 I 1 präzisierte das Bundesgericht seine frühere Rechtsprechung gemäss BGE 139 I 218 E. 5.3. In diesem letztgenannten Entscheid gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, dass auch der Teilnahme an einem Arbeitsprogramm mit entlöhnter Arbeit für Sozialhilfeempfänger der Vorrang gegenüber dem Bezug von öffentlichen Unterstützungsleistungen zukomme, da mit der Teilnahme Erwerbseinkommen erzielt werde, welches zur Überwindung der Notlage diene. In BGE 142 I 1 stellte das Bundesgericht klar, dass diese Rechtsprechung, was den Anspruch auf Nothilfe gemäss Art. 12 BV anbelangt, nur gilt, wenn das Beschäftigungsprogramm effektiv entlöhnt ist. In Bezug auf den die Nothilfe gemäss Art. 12 BV übersteigenden Anspruch auf (kantonalrechtliche) Sozialhilfe hat das Bundesgericht in BGE 142 I 1 in E. 7.3 zwar deren Einstellung als zulässig erachtet, allerdings nur, weil im zu beurteilenden Fall vor dieser Einstellung aufgrund ungenügender Mitwirkung an einem Beschäftigungsprogramm eine Kürzung erfolgt war, welche mit der Androhung der Einstellung bei erneuter Nichtbefolgung verbunden war. Daraus ergibt sich, dass eine Sozialhilfebehörde weder die Nothilfe noch die kantonalrechtliche Sozialhilfe nach SHG allein unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip verweigern oder kürzen kann, wenn die im Rahmen des von ihr angeordneten Beschäftigungsprogramms zu erbringende Arbeit nicht entlöhnt wird. Wie das Bundesgericht in BGE 142 I 1 E. 7.3 festgestellt hat, verbleibt aber die Möglichkeit der Kürzung der kantonalrechtlichen Sozialhilfe bei Verletzung der Mitwirkungspflicht nach vorgängiger Verwarnung."
4.4 In diesem Sinne hält auch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich fest, das Subsidiaritätsprinzip finde nur direkte Anwendung, wenn an der Bedürftigkeit grundsätzliche und begründete Zweifel bestünden. Personen, welche durch die Sozialhilfebehörde in den zweiten Arbeitsmarkt vermittelt würden, seien in der Regel bedürftig. Eine (teilweise) Einstellung der Leistungen direkt gestützt auf den Grundsatz der Subsidiarität könne daher nicht erfolgen. Es seien in diesen Fällen die Verfahrensschritte einer Leistungseinstellung als Sanktion vorzunehmen (Urteile VB.2017.00487 vom 15. Februar 2018 E. 4.3 und VB.2019.00570 vom 27. März 2020 E. 5.1.5).
4.5 Den vorliegenden Akten ist nichts zu entnehmen, was den Schluss zuliesse, dass das Rechtsverhältnis zwischen W und dem Verfahrensbeteiligten insofern ein arbeitsvertragsrechtliches gewesen ist, als für die geleistete Arbeit ein Lohn (abzüglich Sozialversicherungsbeiträge) bezahlt worden wäre. Dies wird von der Beschwerdeführerin auch gar nicht behauptet. Die Ausgestaltung des Beschäftigungsprogramms ist aktenmässig in Form der "Betriebsordnung W" umschrieben, wo verschiedentlich von "Mitarbeitenden" und "Arbeitsvertrag", aber nirgends von einem Lohn die Rede ist. Im vorerwähnten Leiturteil TVR 2018 Nr. 28 E. 3.6 hat das Verwaltungsgericht klar festgestellt, dass die mit der Teilnahme am Beschäftigungsprogramm in Aussicht gestellten Sozialhilfeleistungen keinen Lohn im Sinne der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung darstellen. Der Verfahrensbeteiligte galt daher nach wie vor als bedürftig, weshalb eine Einstellung der Unterstützungsleistungen direkt gestützt auf das Subsidiaritätsprinzip nicht möglich war. Die Nichterfüllung einer Auflage/ Weisung darf bei bestehender Bedürftigkeit nicht die direkte Leistungsverweigerung zur Folge haben. Dies hat die Beschwerdeführerin mit Dispositiv-Ziff. 1 aber gerade festgehalten, was unzulässig ist (vgl. auch TVR Nr. 28 E. 3.6).
4.6
4.6.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die eben dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts stehe in Widerspruch zur neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung und lasse sich damit nicht weiter vereinbaren. Auch diesbezüglich kann der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden. Die über die blosse Nothilfe gemäss Art. 12 BV hinausgehende Sozialhilfe ist Sache der Kantone (Art. 3 BV). Dabei gilt das Wohnsitzprinzip: Bedürftige werden nach Art. 115 BV von ihrem Wohnkanton unterstützt (sogenannter Unterstützungswohnsitz), wobei der Bund die Ausnahmen und Zuständigkeiten regelt. Art. 115 BV gibt dem Bund lediglich die Kompetenz, koordinierend tätig zu werden und die interkantonale Zuständigkeit samt Kostenersatzpflicht zu regeln (Wizent, Sozialhilferecht, 2020, Rz. 245). Die entsprechenden sozialhilferechtlichen Gesetzgebungen der Kantone unterscheiden sich darum teilweise erheblich, so dass Urteile anderer kantonaler Verwaltungsgerichte für die im Thurgau gehandhabte Praxis nicht einschlägig sind und auch Urteile des Bundesgerichts betreffend andere Kantone nicht unbesehen übernommen werden können.
4.6.2 Der Beschwerdeführerin ist nicht zu folgen, wenn sie das in Dreier-Besetzung im vereinfachten Verfahren ohne Schriftenwechsel ergangene Bundesgerichtsurteil 8C_451/2019 vom 19. August 2019 als neue bundesgerichtliche Rechtsprechung interpretiert, welche dem publizierten und ausdrücklich als "Bestätigung und Präzisierung" der höchstrichterlichen Rechtsprechung bezeichneten BGE 142 I 1 vom 8. März 2016 vorgehe. Ohnehin bestehen zwischen dem vorliegenden und dem vom Bundesgericht in 8C_451/2019 beurteilten Fall wesentliche Unterschiede. In jenem Fall aus dem Kanton St. Gallen hatte das Bundesgericht über die Verweigerung der mit der Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm in Aussicht gestellten Geldleistung zu entscheiden, die sich auf den Betrag einer Nothilfe im Sinne von Art. 12 BV beschränkte (Urteil des Bundesgerichts 8C_451/2019 vom 19. August 2019 E. 2). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin eine Kürzung des Taglohns im Umfang des sozialhilferechtlichen Grundbedarfs (also nicht bloss der Nothilfe) verfügt. Dem Sachverhalt des St. Galler Falles lässt sich ferner nichts entnehmen, was auf gesundheitliche Einschränkungen jenes Gesuchstellers schliessen lässt; dieser hatte eine Teilnahme am Beschäftigungsprogramm aus unberechtigten Gründen vielmehr gänzlich verweigert. Im vorliegenden Fall musste die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Kenntnisse vom IV-Verfahren bereits vor Eingang des Gutachtens vom 3. Dezember 2020 davon ausgehen, dass der Verfahrensbeteiligte aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen allenfalls nicht in der Lage sein könnte, vollschichtig am Taglohnprogramm teilzunehmen und sich den Lebensunterhalt mit eigener Arbeitsleistung zu sichern. Zudem hat auch das Bundesgericht im Urteil 8C_704/2021 vom 8. März 2022 festgehalten, dass das Abhängigmachen der Ausrichtung der Nothilfe (von Fr. 15.-- pro Tag) von der Teilnahme am Arbeits- und Integrationsprogramm gegen Art. 12 BV verstosse, weil die Teilnahme daran unentgeltlich (ohne Lohn) gewesen wäre. Das Bundesgericht bestätigte damit den diesem Urteil zugrundeliegenden Entscheid U 20 73 des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 21. September 2021. Dieses hatte erwogen (E. 4), dass die verfügte Anordnung, wonach die Ausrichtung der Nothilfe von Fr. 15.-- pro Tag von der Teilnahme am (unentgeltlichen) Arbeits- und Integrationsprogramm abhängig gemacht worden sei - also ohne dass das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen käme - gegen Art. 12 BV verstosse. Angesichts der Tatsache, dass die Teilnahme an diesem Programm nicht entlöhnt worden wäre, hätte die Nothilfe bedingungslos ausgerichtet werden müssen. Demnach qualifizieren sowohl das Verwaltungsgericht Graubünden als auch jüngst das Bundesgericht die bei Teilnahme am Beschäftigungsprogram in Aussicht gestellte Unterstützungsleistung nicht als Lohn/Entgelt im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 142 I 1 E. 7.2.6); dies in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in TVR 2018 Nr. 28.
4.7 Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht des Verwaltungsgerichts kein Anlass, seine Praxis gemäss TVR 2018 Nr. 28 zu ändern. Das Subsidiaritätsprinzip wird bezüglich seiner Auswirkungen auf die Anspruchsberechtigung für die Sozial- und Nothilfe gleich ausgelegt (Studer, Sozialhilferechtliche Beschäftigungsverhältnisse: zwischen Subsidiarität, Gegenleistung und Zumutbarkeit, 2021, Rz. 212). Weder die Nothilfe nach Art. 12 BV noch die Sozialhilfe nach SHG kann allein unter Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip verweigert oder gekürzt werden, wenn die im Rahmen des von ihr angeordneten Beschäftigungsprogramms zu erbringende Arbeit nicht entlöhnt wird (BGE 142 I 1; TVR 2018 Nr. 28 E. 3.5). Die im Falle einer Teilnahme am Beschäftigungsprogramm in Aussicht gestellten Unterstützungsleistungen stellen keinen Lohn im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dar (TVR 2018 Nr. 28 E. 3.6). Entsprechend müssen diese Leistungen gestützt auf § 19 Abs. 2 SHG zurückbezahlt werden, wenn dies zumutbar ist. Ein Entgelt/Lohn bzw. Erwerbseinkommen wäre hingegen im Unterstützungsbudget einnahmenseitig zu verbuchen (§ 6b Abs. 2 SHV) und würde die Bedürftigkeit der betroffenen Person und entsprechend den rückerstattungspflichtigen Betrag (§ 19 SHG) reduzieren. Dieses Kriterium erfüllt der in Dispositiv-Ziff. 1 zugesicherte "Taglohn" nicht. Das Subsidiaritätsprinzip kommt vorliegend somit nicht zum Tragen, weshalb dem Verfahrensbeteiligten der Unterstützungsanspruch auch nicht unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips verweigert werden konnte.
4.8 Die Weigerung der Teilnahme an einem nicht entlöhnten Beschäftigungsprogramm kann eine Pflichtverletzung bedeuten und entsprechend sanktioniert werden. Nach § 8b Satz 2 SHG wird bei Weigerung zur Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm die Unterstützung gekürzt oder eingestellt. § 25 Abs. 3 SHG sieht vor, dass Hilfsbedürftigen, die Anordnungen der Behörden nicht befolgen oder deren Hilfe missbrauchen, die Unterstützung nach Verwarnung gekürzt oder eingestellt wird. Eine befristete Kürzung der Unterstützungsleistung im Umfang von maximal 40% des Grundbedarfs für den Lebensunterhalt setzt also zwingend eine vorgängige Verwarnung voraus, wobei ein qualifizierter Kürzungsgrund vorliegen muss (§ 2h Abs. 1 SHV). Als qualifizierte Kürzungsgründe gelten namentlich Arbeitsverweigerung sowie grobe Pflichtverletzung (§ 2h Abs. 2 SHV). Selbst wenn vorliegend von einer Arbeitsverweigerung ausgegangen werden müsste, indem der Verfahrensbeteiligte für seine Absenzen kein Arztzeugnis beigebracht hätte, fehlt es für eine direkte Kürzung im Umfang des Taglohns an der nach Thurgauer Recht zwingend notwendigen vorgängigen Verwarnung. Nachdem der erstinstanzliche Entscheid vom 26. Oktober 2020 eine direkte Kürzung (das heisst ohne vorgängige Verwarnung) um jeden unentschuldigten Absenztag vorsah, hat die Vorinstanz die entsprechende Dispositiv-Ziff. 1 zu Recht aufgehoben. Die Beschwerde ist insoweit unbegründet und abzuweisen. Zu Recht beibehalten wurde demgegenüber Dispositiv-Ziff. 3, welche dem vom § 25 Abs. 3 SHG vorgesehenen stufigen Vorgehen im Falle der Missachtung von Auflagen entspricht (Kürzung nach vorgängiger förmlicher Verwarnung, Leistungseinstellung im Wiederholungsfall, vgl. hierzu TVR 2020 Nr. 28).
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2021.60/E vom 27. April 2022