TVR 2023 Nr. 2
Keine Anwendbarkeit von § 6 VRG auf innerkantonale negative Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeinden in der Sozialhilfe.
Sozialhilferechtliche Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeinden des Kantons Thurgau sind dem Verfahren nach § 6 VRG nicht zugänglich. Gemeinden sind nicht als "Verwaltungsbehörden" im Sinne § 6 Ziff. 1 VRG zu betrachten, die über eine gemeinsame Aufsichtsbehörde verfügen. Das DFS kann nicht autoritativ über die sozialhilferechtliche örtliche Zuständigkeit von Gemeinden bestimmen (E. 3.4 f.). Soweit eine Gemeinde ihre Zuständigkeit nicht bejaht, hat sie ihre Unzuständigkeit in einem anfechtbaren Nichteintretensentscheid festzustellen (E. 3.6).
A beantragte bei der Gemeinde X (Beschwerdeführerin) Sozialhilfe. Diese ersuchte das DFS (Vorinstanz) um Prüfung der sozialhilferechtlichen Zuständigkeit betreffend A. Die Vorinstanz nahm das Gesuch im Rahmen von § 6 Ziff. 1 VRG und damit als Aufsichtsbehörde entgegen. Sie beteiligte die Gemeinden 1 bis 4 (verfahrensbeteiligte Gemeinden) am Verfahren. Mit Entscheid vom 26. April 2022 trat sie auf das Gesuch der Beschwerdeführerin nicht ein. Begründend hielt sie fest, nach § 6 VRG seien Zuständigkeitskonflikte in gegenseitigem Einvernehmen zu lösen. Könne keine Einigung erzielt werden, entscheide zwischen Verwaltungsbehörden die gemeinsame Aufsichtsbehörde. Ihre Zuständigkeit, so die Vorinstanz, sei aufgrund von § 6 Abs. 1 SHG gegeben. Bevor ein Gesuch nach § 6 Ziff. 1 VRG eingereicht werden könne, müsse ein Meinungsaustausch zwischen den beteiligten Gemein-den stattfinden. Vorliegend sei mangels ernsthafter Bemühungen, den Kompetenzkonflikt im gegenseitigen Einverständnis zu lösen, auf das Gesuch der Beschwerdeführerin nicht einzutreten. Das Verwaltungsgericht weist die Beschwerde der Beschwerdeführerin ab. Es bestätigt damit zwar, dass die Vorinstanz zu Recht auf das Gesuch der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist. Begründend hält es indes fest, dass sich die Vorinstanz mit der Angelegenheit nicht hätte befassen dürfen und ihre Zuständigkeit hätte verneinen sollen.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Angefochten ist ein Nichteintretensentscheid. Zu prüfen ist somit einzig, ob die Vorinstanz auf das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 10. Januar 2022 zu Recht nicht eingetreten ist. Nicht zu beurteilen ist im vorliegenden Verfahren, welche Gemeinde für die Unterstützung von A zuständig ist. Auf den Antrag der verfahrensbeteiligte Gemeinde 2, es sei die Unterstützungszuständigkeit ab 1. Januar 2022 zu klären, kann daher nicht eingegangen werden, zumal sie selber keine Beschwerde gegen den vorinstanzlichen Entscheid erhoben hat.
2.2 Verfahrensgegenstand ist ein innerkantonaler negativer Zuständigkeits- bzw. Kompetenzkonflikt. Keine der beteiligten Gemeinden betrachtet sich für die sozial-hilferechtliche Unterstützung von A zuständig. Das SHG sieht keine spezialgesetzliche Regelung für die Klärung negativer Zuständigkeitskonflikte vor. Zur Zuständigkeit hält es in § 4 Abs. 1 SHG lediglich fest, zuständig ist die Wohnsitzgemeinde des Hilfsbedürftigen. Die Gemeinde des Aufenthaltsortes ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf. Nach Abs. 2 bestimmen sich Wohnsitz und Aufenthalt nach den Vorschriften des ZUG. Das ZUG ist lediglich auf interkantonale Streitigkeiten anwendbar, wobei es aber ebenfalls kein spezielles Verfahren zur Klärung negativer Kompetenzkonflikte kennt (Wizent, Sozialhilferecht, 2020, Rz. 273).
3.
3.1 Die Vorinstanz nahm das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 10. Januar 2022 im Rahmen von § 6 Ziff. 1 VRG und damit als Aufsichtsbehörde (§ 6 Abs. 1 SHG i.V. mit § 2 Abs. 1 SHV) entgegen. Zunächst stellt sich die Frage, ob sozialhilferechtliche Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeinden des Kantons Thurgau dem Ver-fahren nach § 6 VRG überhaupt zugänglich sind. Die Vorinstanz bejahte das ohne Begründung.
3.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung eines Rechtssatzes bildet der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist er klar, das heisst eindeutig und unmissverständlich, darf davon nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn", das heisst am Rechtssinn der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisch), ihr Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften (systematisch) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Ist der Wortlaut der Bestimmung unklar bzw. nicht restlos klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Dabei sind alle anerkannten Ausle-gungselemente zu berücksichtigen (pragmatischer Methodenpluralismus; BGE 148 II 243 E. 4.5.1).
3.3
3.3.1 § 6 VRG lautet wie folgt:
"Zuständigkeitskonflikte sind in gegenseitigem Einvernehmen zu lösen. Kann keine Einigung erzielt werden, entscheidet:
1. zwischen Verwaltungsbehörden die gemeinsame Aufsichtsbehörde oder, wo eine solche fehlt sowie zwischen Departementen, der Regierungsrat;
2. zwischen Organen der Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsbehörden das Verwaltungsgericht;
3. zwischen Organen der Verwaltungsrechtspflege untereinander das Verwaltungsgericht;
4. in den übrigen Fällen der Grosse Rat."
Zu prüfen ist vorliegend die Massgeblichkeit von § 6 Ziff. 1 VRG. Dabei stellt sich die Frage, ob ein "Zuständigkeitskonflikt" im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn zwei oder mehrere Thurgauer Gemeinden sich als örtlich unzuständig für das Gesuch eines um Sozialhilfe ersuchenden Hilfsbedürftigen erachten, dies aber nicht mittels formellem Nichteintretensentscheid mit Wirkung auch gegenüber dem Gesuchsteller entscheiden. Zudem ist zu prüfen, ob Thurgauer Gemeinden als "Verwaltungsbehörden" im Sinne von § 6 Ziff. 1 VRG zu betrachten sind, die über eine "gemeinsame Aufsichtsbehörde" verfügen.
3.3.2 Typischerweise dürften unter § 6 Ziff. 1 VRG Streitigkeiten hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit zwischen unterschiedlichen Behörden des gleichen Ge-meinwesens fallen. Wird keine dieser Behörden tätig, weil sie der Auffassung sind, sachlich nicht für den Erlass eines Entscheides zuständig zu sein, ist es nahelie-gend, dass die für die Organisation des betroffenen Gemeinwesens zuständige Aufsichtsbehörde gestützt auf ihre Weisungsbefugnis die ihres Erachtens zustän-dige Behörde autoritativ anweist, sich der Sache anzunehmen. Bei Streitigkeiten betreffend die sozialhilferechtliche Zuständigkeit ist hingegen die Frage zu beant-worten, welche Politische Gemeinde örtlich zuständig ist (§ 4 Abs. 1 SHG). Es geht mithin nicht darum, die sachlich zuständige Behörde innerhalb der örtlich zuständi-gen Gemeinde zu bestimmen, denn gemäss § 5 SHG, wonach die Gemeinde eine Fürsorgebehörde wählt, ist die sachliche Zuständigkeit klar geregelt. Aus dem Wort-laut von § 6 Ziff. 1 VRG geht nun aber nicht in genügender Klarheit hervor, ob Politische Gemeinden des Kantons Thurgau, bei welchen es sich laut § 57 Abs. 1 KV um selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts handelt, deren Autonomie, insbesondere das Recht, die Aufgaben im eigenen Bereich selbständig zu erfüllen, durch § 59 KV gewährleistet wird, als Behörden zu betrachten sind, deren Konflikte betreffend die örtliche Zuständigkeit im Sinne von § 4 SHG von der Vorinstanz autoritativ entschieden werden können.
3.4 Weder den Materialien zum VRG noch jenen zum SHG ist ein Hinweis auf die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit von § 6 VRG auf sich aus § 4 SHG ergebende örtliche Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeinden zu entnehmen. In der Botschaft zum VRG vom 15. Juli 1975 (RRB 1576) wird lediglich festgehalten, es sollen insbesondere Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeindebehörden in der Gemeinde selber erledigt werden. Private könnten sich nicht auf § 6 VRG berufen. Sie müssten die Verletzung der Zuständigkeitsordnung mit den Rechtsmitteln gel-tend machen. Im Kommentar zu § 6 VRG wird lediglich festgehalten, dass die Vo-rinstanz gemäss § 6 Abs. 1 SHG i.V. mit § 2 SHV Aufsichtsbehörde im Bereich der Sozialhilfe ist (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungs-rechtspflege des Kantons Thurgau, 2014, § 6 N. 4). Aus § 6 Abs. 1 SHG ergibt sich jedoch nicht, dass die Vorinstanz autoritativ über die örtliche Zuständigkeit von Gemeinden bestimmen könnte.
3.5
3.5.1 Der Zweck von Bestimmungen wie § 6 VRG liegt darin, sowohl bei negativen als auch bei positiven Kompetenzkonflikten zwischen Behörden ein effizientes Funktionieren der Verwaltung sicherzustellen, indem streitige Zuständigkeiten untergeordneter Stellen von der übergeordneten Stelle autoritativ, möglichst rasch und abschliessend festgelegt werden. Gegenüber den Parteien sollen dadurch Nichteintretensentscheide und widersprüchliche Entscheide vermieden werden (vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 6 N. 1). Solche Zuständigkeitsverfahren verlaufen in der Regel verwaltungsintern, das heisst den Parteien des Hauptverfahrens kommt kei-ne Parteistellung zu. Anders als bei Konflikten zwischen der Behörde und einer Partei erfolgt die autoritative Festlegung durch die Aufsichtsbehörde dabei auch nicht in der Form einer Verfügung. Die Aufsichtsbehörde überweist die Sache vielmehr formlos an die zuständige Stelle. Diese autoritative formlose Zuweisung kann von den betroffenen Verwaltungsbehörden in der Folge auch nicht angefochten werden, entfaltet aber in einem späteren gerichtlichen Verfahren auch keine Ver-bindlichkeit (vgl. dazu betreffend Art. 9 Abs. 3 VwVG Daum/Bieri, in: Au-er/Müller/Schindler [Hrsg.], VwVG - Kommentar, 2. Aufl. 2019, Art. 9 N. 17, und Flü-ckiger, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], VwVG - Praxiskommentar Verwal-tungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, Art. 9 N. 27 ff.; vgl. betreffend Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons St. Gallen [VRP, sGS 951.1] Lenel, in: Rizvi/Schindler/Cavelti [Hrsg.], Gesetz über die Verwaltungsrechts-pflege des Kantons St. Gallen (VRP), Praxiskommentar, 2020, Art. 3 N. 17; vgl. be-treffend die Endgültigkeit solcher autoritativer Entscheide Art. 18 Abs. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Freiburg [SGF 150.1]).
3.5.2 Die Vorinstanz scheint davon auszugehen, nicht befugt zu sein, den verfahrensbeteiligten Gemeinden formlos und ohne Möglichkeit der Beschreitung des Rechtsmittelweges bindende Anweisungen hinsichtlich ihrer örtlichen Zuständigkeit betreffend § 4 SHG erteilen zu können, andernfalls sie das bei ihr anhängig gemachte Verfahren nicht mit einem anfechtbaren Entscheid abgeschlossen hätte. Dies ist vor dem Hintergrund der in § 59 KV gewährleisteten Gemeindeautonomie nachvollziehbar. Diesbezüglich ist zu beachten, dass das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, dass die Rechtsmittellegitimation gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG grundsätzlich nur einem Gemeinwesen als solchem - vorliegend also den Gemein-den, welche gemäss § 57 Abs. 1 KV selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts sind - hingegen nicht den einzelnen Behörden oder Verwaltungszweigen ohne eigene Rechtspersönlichkeit zusteht (z. B. BGE 136 V 106 E. 3.1, 134 II 45 E. 2.2.1, 123 II 371 E. 2d). Einer Verwaltungsbehörde im eigentlichen Sinn kommt somit keine Rechtsmittellegitimation zu. Wenn die Vorinstanz aber nicht berechtigt ist, die örtliche Zuständigkeit der Gemeinden letztlich auch autoritativ und abschliessend festzusetzen, wenn sich diese nicht einigen können, besteht die Gefahr, dass die Gerichte sich in der Folge mehrere Male mit der gleichen Fragestellung zu beschäftigen haben. Ein erstes Mal hinsichtlich der Frage, ob die Vorinstanz im "be-hördeninternen", ohne Beteiligung des Hilfsbedürftigen durchgeführten Verfahren gestützt auf den aktuellen Kenntnisstand korrekt entschieden hat. Wird ein solcher Entscheid schliesslich rechtskräftig und tritt die als zuständig erkannte Gemeinde daher auf das Gesuch des Hilfsbedürftigen ein (wobei daran zu erinnern ist, dass in der Regel nur die bedürftige Person selber den Sozialhilfeanspruch geltend machen kann und nicht etwa Dritte [vgl. TVR 2021 Nr. 24 E. 3.2.3]), können sich - nicht zuletzt, weil der hilfsbedürftigen Person nun Parteistellung zukommt und ihre Sicht der Dinge bezüglich der Frage, wann sie sich wo mit welcher Absicht aufgehalten hat, durchaus hilfreich sein können - neue Erkenntnisse ergeben, welche zu einem Nichteintretensentscheid dieser Gemeinde mangels örtlicher Zuständigkeit führen. Ficht die hilfsbedürftige Person diesen Nichteintretensentscheid an, werden sich die Rechtsmittelinstanzen ein zweites Mal mit der gleichen Sache zu befassen ha-ben. Ebenso steht es der hilfsbedürftigen Person aber weiterhin offen, bei anderen Gemeinden, die sie als örtlich zuständig erachtet, ein Unterstützungsgesuch zu stellen und - sollten diese wegen örtlicher Unzuständigkeit darauf nicht eintreten - den Rechtsmittelweg zu beschreiten. Dies lässt sich durch ein vorgeschaltetes, sich auf § 6 Ziff. 1 VRG stützendes Verfahren nicht vermeiden. Zudem ist darauf hinzu-weisen, dass die hilfsbedürftige Person, die bei einer Gemeinde ein Unterstützungsgesuch stellt, Anspruch auf einen Entscheid hat. Nach § 12 VRG ermittelt die Behörde den Sachverhalt und erhebt die Beweise von Amtes wegen. Es ist ihre Sache, den Sachverhalt ausführlich abzuklären, bevor sie verfügt. Im Verwaltungsver-fahren gilt somit die Untersuchungsmaxime. Diese gilt als allgemeiner Grundsatz sowohl im erstinstanzlichen Verfahren auf Erlass einer Verfügung als auch im Rechtsmittelverfahren (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 12 N. 1). A hat am 6. Januar 2022 bei der Beschwerdeführerin ein Sozialhilfegesuch gestellt. Aufgrund der im Recht liegenden Akten ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bis heute keinen Entscheid gefällt hat. Wenn sie sich am 10. Januar 2022, als sie die Vorinstanz um "Zuständigkeitsabklärung" ersuchte, nicht in der Lage sah, einen Entscheid zu fällen, wäre es an ihr gelegen, den Sachverhalt - auch unter Einbezug von A - weiter abzuklären. Dieser ihr grundsätzlich obliegenden Untersuchungspflicht konnte sie sich durch das der Vorinstanz gestellte Gesuch um "Zuständigkeitsabklärung" nicht entschlagen. Ob das Verhalten der Beschwerdeführerin, hinsichtlich des Gesuchs von A keinen Entscheid gefällt zu haben und auch nicht weitere Abklärungen bezüglich ihrer örtlichen Zuständigkeit getätigt zu haben, um einen fundierten Entscheid fällen zu können, als Rechtsverzögerung oder gar Rechtsverweigerung zu qualifizieren ist, kann im vorliegenden Verfahren offenbleiben. Das von der Vorinstanz auf das Gesuch der Beschwerdeführerin hin eröffnete Verfahren zeigt aber, dass dem von einem Hilfsbedürftigen gestellten Gesuch um Sozialhilfe mit einem dem eigentlichen Hauptverfahren vorgeschalteten Verfahren nach § 6 Ziff. 1 VRG Verzögerungen drohen, welchen kein wirklicher Nutzen gegenübersteht. Zu erwähnen ist auch, dass negative Kompetenzkonflikte auch zwischen einer oder mehreren Thurgauer Gemeinden einerseits und einer oder mehreren ausserkantonalen Gemeinden andererseits bestehen können, welche - wenn nach Auffassung der Vorinstanz die ausserkantonale Gemeinde örtlich zuständig ist - nicht aufsichtsrechtlich gelöst werden können. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass eine aufsichtsrechtliche Festlegung der örtlichen Zuständigkeit Haftungsfragen nach sich ziehen könnte. So kann sich zu einem späteren Zeitpunkt ergeben, dass die Vorinstanz eine Gemeinde zu Unrecht als örtlich zuständig erachtet hat, diese Gemeinde aber die von ihr gestützt auf den aufsichtsrechtlichen Entscheid geleisteten Zahlungen nicht mehr vollständig von der schliesslich zuständigen Gemeinde zurückfordern kann. Diese teleologischen Überlegungen sprechen daher dagegen, dass bei Differenzen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nach § 4 SHG Thurgauer Gemeinden als "Verwaltungsbehörden" im Sinne von § 6 Ziff. 1 VRG zu betrachten sind bzw. dass solche Differenzen einen "Zuständigkeitskonflikt" im Sinne von § 6 Ziff. 1 VRG darstellen, der durch die Vorinstanz aufsichtsrechtlich entschieden werden kann, denn eine rasche, zuverlässige und verbindliche Klärung der örtlichen Zuständigkeit wird sich auf diesem We-ge häufig nicht erzielen lassen.
3.6
3.6.1 Trotz der teleologischen Gründe, die gegen eine Anwendbarkeit von § 6 Ziff. 1 VRG auf Differenzen zwischen Thurgauer Gemeinden hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nach § 4 SHG sprechen, könnte sich die (zumindest analoge) An-wendung dann aufdrängen, wenn ansonsten eine Gesetzeslücke bestehen würde, weil das Gesetz jede Antwort auf eine sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Eine Gesetzeslücke, die vom Gericht zu füllen ist, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann (BGE 140 III 206 E. 3.5.1 mit weiteren Hinweisen), womit eine planwidrige Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung vorliegt. Hat der Gesetzgeber hingegen eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung. Zu prüfen ist daher, ob bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Thurgauer Gemeinden hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit für die Behandlung des Gesuches einer hilfsbedürftigen Person von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auszugehen ist.
3.6.2 Nach § 4 Abs. 1 SHG ist die Wohnsitzgemeinde des Hilfsbedürftigen zuständig. Die Gemeinde des Aufenthaltsortes ist zuständig, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf. Wohn-sitz und Aufenthalt bestimmen sich gemäss § 4 Abs. 2 SHG nach den Vorschriften des ZUG.
3.6.2.1 Bei fehlender Zuständigkeit darf die Behörde keinen Entscheid in der Sache fällen. Die Unzuständigkeit ist in einem Nichteintretensentscheid festzustellen, wel-cher der Form gemäss § 18 VRG entspricht und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen ist (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 5 N. 9). Denn kein Gemeinwesen ist ver-pflichtet, für die Kosten einer bedürftigen Person aufzukommen, zu deren sozialhil-ferechtlichen Unterstützung es nicht zuständig ist (TVR 2019 Nr. 20 E. 3.2). Erachtet die angerufene Gemeinde eine andere Gemeinde als örtlich zuständig, hat sie zu-dem das Unterstützungsgesuch aufgrund von § 5 Abs. 3 VRG an die ihres Erach-tens zuständige Gemeinde unter Benachrichtigung des Gesuchstellers weiterzulei-ten. Der Gesuchsteller wiederum hat die Möglichkeit, von sich aus (gleichzeitig oder nacheinander) bei mehreren seines Erachtens möglicherweise zuständigen Ge-meinden ein Unterstützungsgesuch zu stellen. Nichteintretensentscheide kann der Gesuchsteller auf dem Rechtsmittelweg anfechten. Den Rechtsmittelinstanzen steht die Möglichkeit offen, gestützt auf § 8 VRG Gemeinden am Rechtsmittelverfah-ren betreffend die örtliche Zuständigkeit zu beteiligen, unabhängig davon, ob diese bereits hinsichtlich ihrer Zuständigkeit eine Verfügung erlassen haben. Unzustän-digkeitsentscheide früher angerufener Gemeinden erwachsen nicht in materielle Rechtskraft (TVR 2019 Nr. 20 E. 3.2) und können somit in einem späteren Rechts-mittelverfahren betreffend die örtliche Zuständigkeit erneut beurteilt werden (TVR 2019 Nr. 20 E. 3.2 und TVR 2021 Nr. 23 E. 2.1).
3.6.2.2 Bei der Prüfung ihrer Zuständigkeit hat die angerufene Gemeinde aber auch den 2. Satz von § 4 Abs. 1 SHG zu beachten, wonach die Gemeinde des Aufent-haltsorts zuständig ist, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder wenn jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf. Diese Regelung impliziert, dass sich für Leistungen, die eine Aufenthaltsgemeinde erbringen muss, sich zu einem späteren Zeitpunkt nach durchgeführten Abklärungen herausstellen kann, dass sie von An-fang an von einer anderen Gemeinde zu erbringen gewesen wären. Im Verhältnis zu anderen Thurgauer Gemeinden steht der Aufenthaltsgemeinde als Korrektiv das Richtigstellungsbegehren gemäss § 25a SHV zur Verfügung, welches ihr ermöglicht, Unterstützungen, die in den letzten fünf Jahren vor dem Begehren ausgerichtet worden sind, eine Rückerstattung zu erwirken, wenn eine Unterstützung offen-sichtlich unrichtig geregelt oder beurteilt worden ist.
3.6.3 Aufgrund dieser Rechtslage ist bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Thurgauer Gemeinden hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit für die Behandlung des Gesuchs einer hilfsbedürftigen Person nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes auszugehen, die es durch eine analoge Anwendung von § 6 Ziff. 1 VRG zu beseitigen gilt. Abgesehen davon, dass ein Verfahren nach § 6 Ziff. 1 VRG die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht abschliessend re-geln kann (vgl. insbesondere vorstehende E. 3.5.2), stehen sowohl den Gemeinden als auch den hilfsbedürftigen Personen ausreichende Möglichkeiten offen, die sich im Rahmen von negativen Kompetenzkonflikten stellenden Fragen, gerichtlich überprüfen lassen zu können. Eine zwingende Notwendigkeit, bei solchen negativen Kompetenzkonflikten eine (zumindest analoge) Anwendung von § 6 Ziff. 1 VRG vorzusehen, besteht daher nicht.
3.7 Die vorstehenden Ausführungen sprechen insgesamt gegen die Anwendbarkeit von § 6 Ziff. 1 VRG auf negative Kompetenzkonflikte zwischen Thurgauer Gemeinden im Sozialhilferecht. Die Beschwerdeführerin hätte entweder - allenfalls nach Vornahme weiterer Abklärungen, bei welchen A einzubeziehen gewesen wäre - mittels eines formellen Entscheids auf das Gesuch von A nicht eintreten sollen oder ihn gestützt auf § 4 Abs. 1 Satz 2 SHG, wonach die Gemeinde des Aufenthaltsorts zuständig ist, solange die Wohnsitzgemeinde nicht feststeht oder jemand unaufschiebbar der Hilfe bedarf, unterstützen sollen und allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt eine Richtigstellung gegenüber der ihres Erachtens zuständigen Gemeinde gemäss § 25a SHV verlangen können.
4. (…)
5. Zusammenfassend ergibt sich, dass § 6 Ziff. 1 VRG auf negative Kompetenzkonflikte zwischen Thurgauer Gemeinden im Sozialhilferecht nicht anwendbar ist und die Vorinstanz nicht berechtigt ist, in einem solchen Verfahren eine Gemeinde autoritativ als örtlich zuständig zu erklären. Es ist somit nicht zu beurteilen, ob die Auffassung der Vorinstanz zutrifft, die Bemühungen der Beschwerdeführerin mit den übrigen Gemeinden eine Einigung herbeizuführen, seien ungenügend bzw. nicht ausreichend "ernsthaft" gewesen. Vielmehr hätte die Vorinstanz sich mit der Angelegenheit nicht befassen dürfen und ihre Zuständigkeit für das von der Beschwerdeführerin am 10. Januar 2022 gestellte Gesuch verneinen sollen. Im Ergebnis erweist sich damit der angefochtene Nichteintretensentscheid - wenn auch mit anderer Begründung - als richtig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2022.65/E vom 22. Februar 2023