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TVR 2023 Nr. 3

Zuständigkeit bei Ausstandsbegehren gegen Personen ohne Entscheidkompetenz.


§ 7 Abs. 2 VRG


Ist der Ausstand von Personen, welche - ohne eigene Entscheidkompetenz - lediglich an der Vorbereitung oder der Ausfertigung eines Entscheids mitwirken (z.B. Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber oder Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter), strittig, liegt die Zuständigkeit für den Entscheid über das Ausstandsgesuch bei der vorgesetzten Amtsstelle/Amtsperson


Der Gesuchstellerin wurde vom Gesuchsgegner (DJS) am 21. Dezember 2020 eine bis 31. Dezember 2022 befristete Bewilligung erteilt, als verantwortliche Leiterin der Kindertagesstätte (Kita) X maximal 12 Tagesbetreuungsplätze für Kinder unter zwölf Jahren anzubieten. Im April 2022 und August 2022 wurden der Abteilung F, die dem Gesuchsgegner angegliedert ist, Beanstandungen betreffend die Tätigkeit der Gesuchstellerin als Leiterin der Kita X gemeldet. In der Folge verlängerte der Gesuchsgegner mit Entscheid vom 21. Dezember 2022 - unter diversen Auflagen - die Leitungsbewilligung der Gesuchstellerin provisorisch und befristet bis 31. März 2023, dies zwecks weiterer Abklärungen hinsichtlich der persönlichen und fachlichen Eignung der Gesuchstellerin. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Nach weiteren Abklärungen teilte R als Leiter der Abteilung F der Gesuchstellerin mit Schreiben vom 14. März 2023 mit, es werde erwogen, die Leitungsbewilligung nicht weiter zu verlängern bzw. per 31. März 2023 zu widerrufen. Mit Eingabe vom 6. April 2023, welche gleichzeitig auch dem Gesuchsgegner zugestellt wurde, liess die Gesuchstellerin beim Verwaltungsgericht ein gegen den Leiter der Abteilung F gerichtetes Ausstandsgesuch stellen. Das Verwaltungsgericht tritt auf das Ausstandsgesuch nicht ein und überweist dieses zuständigkeitshalber an den Gesuchsgegner.

Aus den Erwägungen:

1. Zu prüfen ist vorweg, ob das Verwaltungsgericht zur Beurteilung des gegen den Leiter der Abteilung F gerichteten Ausstandsgesuchs zuständig ist.

1.1 Nach § 7 Abs. 2 VRG entscheidet über Ausstandsgesuche die Gesamtbehörde in Abwesenheit des Betroffenen, wenn der Ausstand eines Mitglieds einer Kollegi-albehörde streitig ist. In den übrigen Fällen entscheidet die vorgesetzte Behörde. Über den Ausstand einer Einzelbehörde ist nicht formlos, sondern in Form eines Zwischen- oder verfahrensleitenden Entscheids zu befinden und konkret anzugeben, welcher Ausstandsgrund aufgrund welcher Gegebenheiten erfüllt sein soll (vgl. Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, 2014, § 7 N. 8).

1.2 Der Gesuchsgegner ist gestützt auf § 11 Abs. 1 Ziff. 3.4 EG ZGB zuständig für die Erteilung von Bewilligungen und für die Ausübung der Aufsicht im Bereich der ausserfamiliären Kinderbetreuung. Die Gesuchstellerin verlangt den Ausstand von R in seiner Funktion als Leiter der Abteilung F. In dieser Funktion ist er Mitarbei-ter des Gesuchsgegners. Eine "Gesamtbehörde" im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 VRG, welche - als Behördengremium bzw. Kollegium in Abwesenheit von R - ent-scheiden könnte, besteht auf Stufe des Gesuchsgegners nicht. Zu prüfen ist daher, welches die "vorgesetzte Behörde" von R im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 2 VRG ist.

1.3 Ist der Ausstand von Personen, welche - ohne eigene Entscheidkompetenz - lediglich an der Vorbereitung oder der Ausfertigung eines Entscheids mitwirken (z. B. Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber oder Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter), strittig, liegt die Zuständigkeit für den Entscheid über das Ausstandsgesuch gemäss zahlreichen Lehrmeinungen und gemäss Praxis im Bundesverwaltungsrecht bzw. in der Bundesverwaltungsrechtspflege bei der vorgesetzten Amtsstelle/Amtsperson. Dies erweist sich insbesondere aus Gründen der Verfahrensökonomie als sachgerecht (vgl. Feller/Kunz-Notter, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren VwVG, 2. Aufl. 2019, Art. 10 N. 39; Breitenmoser/Spori Fedail, in: Waldmann/Weissenberger, Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 2. Aufl. 2016, Art. 10 N. 115; Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, S. 152, mit Verweis unter anderem auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-6251/2007 vom 1. Oktober 2008 E. 3.1.7; Kiener, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl. 2014, § 5a N. 52; Schindler, Die Befangenheit der Verwaltung, 2002, S. 205; vgl. auch Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern [VRPG] sowie von Büren, in: Herzog/Daum [Hrsg.], Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 2. Aufl. 2020, Art. 9 N. 38 mit weiteren Hinweisen). Diese Praxis ist auch im Verwaltungsverfahren bzw. in der Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau anzuwenden.

1.4 Da es sich bei R nicht um ein Behördenmitglied handelt, welchem in dem beim Gesuchsgegner hängigen Verfahren (betreffend Widerruf/Nichtverlängerung der Leitungsbewilligung) Entscheidkompetenz zukommt, ist die vorgesetzte Amtsstelle von R innerhalb des Departements bzw. des Gesuchsgegners zuständig für die Beurteilung des gegen ihn gerichteten Ausstandsgesuchs. Die Abteilung F ist gemäss Anhang 2 zum Geschäftsreglement des Regierungsrates (GRR, RB 172.1) nicht als eigenständiges Amt organisiert. Vorgesetzte Amtsstelle/Amtsperson von R ist daher die Departementschefin, das heisst die Chefin des Gesuchsgegners, welche damit auch zuständig für den Entscheid über das gegen R in seiner Funktion als Leiter der Abteilung F gerichtete Ausstandsgesuch ist. Mangels Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist auf das Ausstandsgesuch vom 6. April 2023 folglich nicht einzutreten. Die Sache ist in Anwendung von § 5 Abs. 3 VRG an den Gesuchsgegner zu überweisen, damit die Departementschefin über das gegen R gerichtete Ausstandsgesuch vom 6. April 2023 entscheide.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.37/E vom 5. Juli 2023

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