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TVR 2023 Nr. 9

Ausseramtliche Entschädigung im Rekursverfahren; öffentlich-rechtliche Korporationen und Anstalten als Verfahrensbeteiligte; Bemessung der ausseramtlichen Entschädigung.


§ 80 Abs. 2 VRG, § 80 Abs. 3 VRG


Die Gebäudeversicherung ist keine Privatpartei im Sinne von § 80 Abs. 2 VRG. Sofern die Voraussetzungen von § 80 Abs. 2 VRG gegeben sind, hat der teilweise obsiegende Rekurrent in einem Rekursverfahren gegen die Gebäudeversicherung Anspruch auf eine ausseramtliche Entschädigung nach Massgabe seines Obsiegens, auch wenn er zu weniger als der Hälfte obsiegt.


Die Beschwerdeführer sind Eigentümer einer Liegenschaft mit einem Gebäude, welches im Jahr 2017 in Brand geriet. Durch eintretendes Löschwasser entstanden Schäden in den Räumlichkeiten des Wohnhauses. Die Gebäudeversicherung des Kantons Thurgau (Verfahrensbeteiligte) erteilte am 22. Dezember 2017 Kostengutsprache über Fr. 200'000.--. Mit Entscheid vom 20. August 2021 hiess die Vorinstanz einen Rekurs der Beschwerdeführer teilweise gut und wies die Verfahrensbeteiligte an, den Beschwerdeführern als Abgeltung für die Reparatur des Wohnhauses den Betrag von Fr. 274'000.-- auszurichten. Eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen. In der Beschwerde an das Verwaltungsgericht beantragten die Beschwerdeführer unter anderem, dass ihnen auch für das Rekursverfahren eine ausseramtliche Entschädigung zuzusprechen sei. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde in diesem Punkt gut.

Aus den Erwägungen:

10.1
10.1.1 Die Beschwerdeführer beantragen auch, dass ihnen für das Rekursverfahren Ersatz der ausseramtlichen Kosten zugesprochen wird. Die Vorinstanz führte im angefochtenen Entscheid aus, es liege auf der Hand, dass eine Privatpartei ohne juristischen Beistand bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen, die sich aus der Frage ergeben würden, ob komplexe Massnahmen nötig seien und was diese kosteten, ohne juristischen Beistand überfordert wäre. Es sei von einer komplizierten Sachlage auszugehen. Dennoch sprach die Vorinstanz den Beschwerdeführern keinen Ersatz der ausseramtlichen Kosten zu mit der Begründung, sie hätten lediglich im Umfang von 42% obsiegt, was eine Abgeltung der ausseramtlichen Kosten ausschliesse.

10.1.2 [...]

10.2
10.2.1 Stehen sich in einem Rekursverfahren Privatparteien gegenüber, hat die ob-siegende Privatpartei in der Regel Anspruch auf Ersatz der ausseramtlichen Kosten durch die unterliegende Privatpartei. Im Übrigen wird Ersatz ausseramtlicher Kosten nur zugesprochen, wenn sich dies bei komplizierter Sachlage oder schwierigen Rechtsfragen rechtfertigt (§ 80 Abs. 2 VRG). Wird Ersatz ausseramtlicher Kosten zugesprochen, sind die unterliegende Partei oder das unterliegende Gemeinwesen zur Bezahlung der Entschädigung verpflichtet. Art. 106 ZPO wird sinngemäss angewendet (§ 80 Abs. 3 VRG). Sodann bestimmt § 80 Abs. 4 VRG, dass Gemeinwesen in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen wird.

10.2.2 Das VRG definiert den in § 80 Abs. 3 und 4 verwendeten Begriff "Gemeinwesen" nicht. In der Rechtsprechung und Literatur finden sich Hinweise darauf, dass in der Schweiz hauptsächlich der Bund, die Kantone und die Gemeinden das Gemeinwesen ausmachen, wozu noch öffentliche Körperschaften und Anstalten sowie andere Organisationen als Träger von Verwaltungsaufgaben kommen, die aber alle in einer rechtlichen Verbindung mit Bund, Kanton oder Gemeinde stehen (vgl. Urteil 2C_508/2010 des Bundesgerichts vom 24. März 2011 E. 3.5.1 mit Hinweisen auf die Literatur). Ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber mit dem Be-griff "Gemeinwesen" - nebst dem Kanton und den Gemeinden - die öffentlich-rechtlichen Korporationen und Anstalten erfassen wollte, ergibt sich aus § 78 Abs. 3 VRG, wo geregelt ist, dass - nebst dem Kanton und den Gemeinden - von öffentlich-rechtlichen Korporationen und Anstalten (mit Ausnahme der Kantonalbank) in der Regel keine Gebühren erhoben werden. Der Grund für die Kostenbefreiung nach § 78 Abs. 3 VRG wird in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Wahrung öffentlicher Interessen erblickt (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, 2014, § 78 N. 11). Zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben hat sich ein Gemeinwesen aber in der Regel auch so zu organisieren, dass es Verwaltungsstreitsachen selbst durchfechten kann. Die Führung von Rechtsmittelprozessen ist in ihrem Aufgabenbereich nicht nur für Kanton und Gemeinden, sondern auch für öffentlich-rechtliche Korporationen und Anstalten im Allgemeinen nicht mit besonderem Aufwand verbunden und rechtfertigt den Beizug eines Rechtsbeistands nicht, weil die Streitigkeit ein Rechtsgebiet betrifft, auf dem sie über Fachkenntnisse verfügen und gegenüber den Privaten einen Wissensvorsprung haben. Die Erhebung und Beantwortung von Rechtsmitteln gehört zum angestammten Aufgabenbereich bzw. zur üblichen Amtstätigkeit. Zudem übertrifft der Aufwand, der öffentlich-rechtlichen Korporationen und Anstalten im Rechtsmittelverfahren entsteht, jenen nicht wesentlich, den sie im vorangehenden nichtstreitigen Verfahren ohnehin erbringen mussten (vgl. dazu Plüss, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl. 2014, § 17 N. 51 sowie Urteil 1C_67/2022 des Bundesgerichts vom 9. Januar 2023 E. 5 betreffend Art. 68 Abs. 3 BGG). Auch Fedi/Meyer/Müller (a.a.O., § 80 N. 13) halten im Zusammenhang mit der Entschädigungsberechtigung nach § 80 Abs. 4 VRG fest, dem "Gemeinwesen" werde in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, da es zu den Aufgaben der Verwaltung gehöre, das Gemeinwesen in rechtlichen Angelegenheiten zu vertreten. Eine Behörde, die zum Erlass einer Verfügung berechtigt sei, müsse auch als kompetent zur Beteiligung an einem Rechtsmittelverfahren betrachtet werden. Aus all diesen Gründen ist der Begriff "Gemeinwesen" im Sinne von § 80 Abs. 3 und Abs. 4 VRG in Anlehnung an § 78 Abs. 3 VRG so zu verstehen, dass darunter nebst dem Kanton Thurgau und den Gemeinden des Kantons Thurgau auch - mit Ausnahme der Kantonalbank - öffentlich-rechtliche Korporationen und Anstalten des Kantons Thurgau zu subsumieren sind.

10.2.3 Die Verfahrensbeteiligte ist eine selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons Thurgau (vgl. § 83 KV und § 1 GebG), womit ihr als Gemeinwesen im Sinne von § 80 Abs. 4 VRG in der Regel und auch im vorliegend zu beurteilenden Rekurs- und Beschwerdeverfahren keine Parteientschädigung zuzusprechen ist. Zu prüfen bleibt der Anspruch der im Rekursverfahren teilweise obsiegenden Beschwerdeführer. Hat keine Partei vollständig obsiegt, so werden laut Art. 106 Abs. 2 ZPO, auf dessen sinngemässe Anwendung § 80 Abs. 3 VRG verweist, die Prozess-kosten nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt. Dementsprechend hält § 2 Abs. 2 ATVG fest, dass die obsiegende Partei Anspruch auf eine volle Parteientschädigung hat bzw. dass bei teilweisem Obsiegen die Parteientschädigung entsprechend reduziert wird. Steht in einem Verfahren zwei im Streit liegenden Parteien eine Entschädigung zu, weil sie beide teilweise obsiegen bzw. teilweise unterliegen, ist eine Parteientschädigung nur für die Differenz des Obsiegens zuzusprechen bzw. heben sich die gegenseitigen Ansprüche dieser Parteien ganz (bei je hälftigem Obsiegen) oder teilweise auf. Das gilt auch in den Fällen von § 80 Abs. 2 Satz 1 VRG, wenn sich also im Verwaltungsverfahren zwei Privatparteien gegenüberstehen. Da der Verfahrensbeteiligten aber zufolge § 80 Abs. 4 VRG kein Anspruch auf eine Parteientschädigung zusteht, erweist sich die vorinstanzliche Überlegung (…), wonach den Beschwerdeführern für das Rekursverfahren keine Parteientschädigung zusteht, weil sie "lediglich im Umfang von 42%" obsiegten, was eine Abgeltung ihrer ausseramtlichen Kosten ausschliesse, als unzutreffend. Vielmehr haben die Beschwerdeführer sowohl im Rekurs- als auch im Beschwerdeverfahren Anspruch auf eine Parteientschädigung im Umfang ihres jeweiligen Obsiegens (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 80 N. 12). In Gutheissung von Ziff. 4 der beschwerdeführerischen Anträge ist daher Ziff. 5 des Dispositivs des angefochtenen Entscheids aufzuheben und festzustellen, dass die Beschwerdeführer für das Rekursverfahren nach Massgabe ihres Obsiegens, welches sich für das Rekursverfahren auf 46.2% beläuft (...), von der Verfahrensbeteiligten zu entschädigen sind. Zur Festlegung der Höhe des Kostenersatzes wird die Sache an die Vorinstanz zurück-gewiesen.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2022.24/E, VG.2022.49/E vom 21. Dezember 2022

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