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TVR 2024 Nr. 13

Alimentenbevorschussung bei Eintritt der Volljährigkeit.


Art. 277 ZGB, Art. 293 Abs. 2 ZGB, § 6 Abs. 1 AliG


Soweit im Unterhaltstitel nicht klar festgehalten, erfolgt keine nahtlose Fortsetzung der Leistung von Unterhaltsbeiträgen beim Übergang von der Minderjährigkeit in die Volljährigkeit. Entsprechend erfolgt auch keine nahtlose Alimentenbevorschussung bei Eintritt der Volljährigkeit, selbst wenn die betroffene Person noch nicht 25 Jahre alt ist und noch keine Ausbildung abgeschlossen hat.


Die Politische Gemeinde X (Beschwerdeführerin) lehnte das Gesuch des Verfahrensbeteiligten um weitere Ausrichtung einer Alimentenbevorschussung für die Zeit ab Eintritt seiner Volljährigkeit mit der Begründung ab, er verfüge ab diesem Zeitpunkt über keinen gültigen Unterhaltstitel mehr. Im Entscheid des Bezirksgerichts vom 13. August 2021 sei keine Unterhaltspflicht für die Zeit nach Erreichen der Mündigkeit festgelegt worden. Den dagegen erhobenen Rekurs hiess die Vorinstanz gut. Sie erwog, der Entscheid des Bezirksgerichts vom 13. August 2021 befriste die Pflicht des Vaters zur Zahlung von Unterhalt nicht, wodurch Art. 277 Abs. 2 ZGB zur Anwendung gelange. Da der Verfahrensbeteiligte noch nicht 25 Jahre alt sei und bislang keine angemessene Ausbildung habe, erfülle er die Anspruchsvoraussetzungen für die Alimentenbevorschussung nach wie vor. Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde der Politischen Gemeinde X gut und hebt den Rekursentscheid auf.

 

Aus den Erwägungen:

 

2.

2.1 Die Unterhaltspflicht der Eltern (Art. 276 ZGB) dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Als Regelfall sieht das Gesetz somit vor, dass die Unterhaltspflicht mit der Volljährigkeit endet (Fountoulakis, in: Geiser/Fountoulakis [Hrsg.], Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 7. Aufl. 2022, Art. 277 N. 4). Sie kann aber über die Volljährigkeit hinaus andauern. Hat das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB). Anspruch auf Volljährigenunterhalt besteht somit nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (Botschaft Kindesunterhalt, BBl 2014 566; Fountoulakis, a.a.O., Art. 277 N. 11). Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit sind die persönliche Beziehung zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Kind und die wirtschaftlichen Verhältnisse aller Beteiligten zu beachten (BGE 129 III 375 E. 3; Fountoulakis, a.a.O., Art. 277 N. 15).

 

2.2 Die sich aus dem Gesetz ergebende Unterhaltspflicht wird im Unterhaltstitel (gerichtliches Urteil oder eine durch ein Gericht oder die Kindesschutzbehörde genehmigte Unterhaltsvereinbarung) entsprechend den hierfür anwendbaren Kriterien konkretisiert, indem das Stammrecht für das individuelle Kindesverhältnis dem Umfang nach rechtsverbindlich festgelegt wird (BGE 148 III 270 E. 6.7). Ist im Unterhaltstitel der Unterhaltsbeitrag nur bis zur Volljährigkeit festgesetzt worden und wird absehbar, dass ein Bedarf für Volljährigenunterhalt bestehen wird, so kann der Sorgeberichtigte noch vor Eintritt der Volljährigkeit ein Abänderungsverfahren einleiten (Art. 286 ZGB), welches eine konkrete Beurteilung erlaubt (Fountoulakis, a.a.O., Art. 133 N. 18). Volljährigenunterhalt kann antizipiert festgesetzt werden. Ob die Voraussetzungen des Art. 277 Abs. 2 ZGB dann tatsächlich vorliegen, kann bei eingetretener Volljährigkeit im Rahmen einer Abänderungsklage (Art. 286 Abs. 2 ZGB) überprüft werden (BGE 139 III 401 E. 3.2.2; Urteil des Bundesgerichts 5A_727/2018 vom 22. August 2019 E. 5.3.2). Soweit im Unterhaltstitel nicht klar festgehalten, erfolgt keine nahtlose Fortsetzung der Leistung von Unterhaltsbeiträgen beim Übergang von der Minderjährigkeit in die Volljährigkeit (vgl. BGE 144 III 193 E. 2.4.1). Ist Volljährigenunterhalt nicht bereits während der Minderjährigkeit des Kindes festgesetzt worden, kann er vom volljährigen Kind über eine Unterhaltsklage nach Art. 279 ZGB erlangt werden (Fountoulakis, a.a.O., Art. 277 N. 24).

 

2.3 Das Urteil, welches ausdrücklich die Zahlung von Unterhalt über die Volljährigkeit hinaus anordnet, stellt einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar (Art. 80 SchKG), wenn es die geschuldeten Unterhaltsbeiträge betragsmässig festlegt und deren Dauer bestimmt. Die Fortgeltung der Zahlungspflicht über die Volljährigkeit hinaus bis zum Ende der Ausbildung muss im Urteil oder dem gerichtlich genehmigten Vergleich ausdrücklich angeordnet sein. Die Rechtsöffnung ist zu verweigern, wenn sich das vom Sachgericht Gewollte infolge einer ungeschickten Formulierung nicht mit Sicherheit ermitteln lässt (BGE 144 III 193 E. 2.2 und 2.4.1; Urteil des Bundesgerichts 5D_198/2019 vom 20. April 2020 E. 2.1). Unterhaltsbeiträge müssen somit betragsmässig festgelegt sein und deren Dauer bestimmt bzw. bestimmbar sein, andernfalls kein definitiver Rechtsöffnungstitel vorliegt (vgl. Fountoulakis, a.a.O., Art. 277 N. 23).

 

3.

3.1 Kommt das Gemeinwesen für den Unterhalt des Kindes auf, so geht die bevorschusste Unterhaltsforderung mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB; BGE 148 III 353 E. 4.1 und BGE 148 III 270 E. 6.3). Das bedeutet zu Gunsten des Gemeinwesens eine Legalzession. Das Gemeinwesen tritt in dem Umfang in den Unterhaltsanspruch ein, in dem der Unterhalt bevorschusst wurde (Fountoulakis, a.a.O., Art. 289 N. 9 f.). Dabei geht gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht das Stammrecht über, sondern die daraus abgeleiteten, tatsächlich bevorschussten einzelnen Unterhaltsbeiträge (BGE 148 III 296 E. 6.5; BGE 148 III 270 E. 6.8; Urteil des Bundesgerichts 5A_745/2022 vom 31. Januar 2023 E. 2.2 f.). Das bevorschussende Gemeinwesen subrogiert nur in die bereits bevorschussten oder bewilligten einzelnen Unterhaltsforderungen (Fountoulakis, a.a.O., Art. 286 N. 7d mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts 5A_75/2020 [BGE 148 III 270]). Die Unterhaltsansprüche des Kindes bleiben zivilrechtlicher Natur, auch wenn sie, sofern das Gemeinwesen für den Unterhalt aufgekommen ist, von Gesetzes wegen auf das Gemeinwesen übergegangen sind (BGE 143 III 177 E. 6.3.1; TVR 2022 Nr. 26 E. 3.2.3 und TVR 2022 Nr. 25 E. 2.2.4 und E. 4.3; BGE 148 III 270 E. 6.5). Das Gemeinwesen kann den bevorschussten Unterhaltsbeitrag als zivilrechtliche Unterhaltsforderung gegen den Unterhaltspflichtigen geltend machen und sich im Rechtsöffnungsverfahren auf den Rechtstitel berufen, in welchem die Unterhaltsbeiträge festgesetzt worden sind (Fountoulakis, a.a.O., Art. 289 N. 10).

 

3.2 Art. 293 Abs. 2 ZGB hält fest, dass das öffentliche Recht die Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes regelt, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. Diese Bestimmung statuiert lediglich den Grundsatz, dass die Bevorschussung von Unterhaltsleistungen an das Kind öffentlichem Recht überlassen ist, ohne die Kantone zu verpflichten oder Vorgaben machen zu können, wie die Alimentenbevorschussung auszugestalten ist (Fountoulakis, a.a.O., Art. 293 N. 3). Die Kantone sind frei darin, ob sie überhaupt Alimente bevorschussen wollen, in welcher Höhe sie dies tun und welche Voraussetzungen sie an die Bevorschussung knüpfen. In den meisten Kantonen wird nicht der ex lege gegebene, aber in der Höhe noch nicht in einem Rechtstitel festgesetzte Unterhalt bevorschusst, sondern vielmehr muss für die Bevorschussung ein Titel, nämlich ein gerichtliches Urteil oder eine durch ein Gericht oder die Kindesschutzbehörde genehmigte Unterhaltsvereinbarung, vorliegen (BGE 148 III 270 E. 6.4).

 

3.3 Nach § 6 Abs. 1 AliG kann bei der zuständigen Gemeinde ein Vorschuss verlangt werden, wenn elterliche Unterhaltsbeiträge für Kinder, die bis zum 25. Altersjahr keine angemessene Ausbildung abgeschlossen haben, nicht rechtzeitig eingehen. Der Unterhaltsbeitrag muss in einem rechtskräftigen Urteil oder in einem von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) genehmigten Vertrag festgesetzt sein. Ein Anspruch auf Alimentenbevorschussung besteht somit laut § 6 Abs. 1 AliG nur, wenn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Kindes in einem Unterhaltstitel, nämlich einem rechtskräftigen Urteil oder einem von der KESB genehmigten Vertrag festgesetzt wurde. Zudem wird ein Vorschuss nur ausgerichtet, soweit die gemäss § 6 Abs. 2 AliG anrechenbaren Einnahmen die anerkannten Ausgaben nicht decken oder nicht gute Vermögensverhältnisse vorliegen.

 

4.

4.1

4.1.1 Die Vorinstanz erwog, der Anspruch auf Volljährigenunterhalt nach Art. 277 Abs. 2 ZGB setze keine explizite richterliche Anordnung voraus. Der Entscheid des Bezirksgerichts vom 13. August 2021 befriste die Pflicht zur Zahlung von Unterhalt nicht. Da der Verfahrensbeteiligte noch nicht 25 Jahre alt sei und bislang keine angemessene Ausbildung habe, erfülle er die Anspruchsvoraussetzungen für die Alimentenbevorschussung nach wie vor.

 

4.1.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet dies und macht geltend, es liege kein Unterhaltstitel für den Volljährigenunterhalt vor. Der Unterhaltsbeitrag sei weder in einem rechtskräftigen Urteil noch in einem von der KESB genehmigten Vertrag festgesetzt, was jedoch gemäss § 6 Abs. 1 AliG eine Anspruchsvoraussetzung sei.

 

4.2     

4.2.1 Mit Eheschutzentscheid des Bezirksgerichts vom 14. Mai 2020 wurde der Vater des Verfahrensbeteiligten in Ziff. 4 verpflichtet, der Mutter monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'200.-- für den Verfahrensbeteiligten zu bezahlen. Die Unterhaltspflicht begann mit dem Zeitpunkt des Auszuges der Mutter und des Verfahrensbeteiligten aus der ehelichen Wohnung. Zum Ende der Unterhaltspflicht wurde nichts festgehalten. 

 

4.2.2 In Abänderung dieses Entscheids wurde im Eheschutzentscheid des Bezirksgerichts vom 13. August 2021 geregelt, dass sich der Unterhaltsbeitrag des Vaters des Verfahrensbeteiligten ab März 2021 und für die Zukunft auf Fr. 800.-- pro Monat reduziert (…). Zum Ende der Unterhaltspflicht wurde wiederum nichts festgehalten.

 

4.3 Auszugehen ist vom Grundsatz, dass die Unterhaltspflicht bei Eintritt der Volljährigkeit endet (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Die Formulierung im Eheschutzentscheid des Bezirksgerichts vom 13. August 2021, wonach sich der Unterhaltsbeitrag "ab März 2021 und für die Zukunft auf Fr. 800.00 pro Monat" reduziere, stellt dem Wortlaut nach keine Regelung der Unterhaltspflicht für die Zeit nach Erreichen der Volljährigkeit dar. Auch kann dem Eheschutzentscheid vom 13. August 2021 nicht in anderer Weise die Absicht entnommen werden, eine Regelung des Unterhaltes nach Erreichen der Volljährigkeit des Verfahrensbeteiligten vorzusehen. Mangels einer solchen Regelung (weder im Eheschutzentscheid vom 14. Mai 2020 noch im Abänderungsentscheid vom 13. August 2021) kann keine nahtlose Fortsetzung der Leistung von Unterhaltsbeiträgen beim Übergang von der Minderjährigkeit in die Volljährigkeit erfolgen (vorstehend E. 2.2). Die Beschwerdeführerin weist in diesem Zusammenhang zu Recht auch darauf hin, dass sie mangels eines Unterhaltstitels (gerichtliches Urteil oder eine durch ein Gericht oder die Kindesschutzbehörde genehmigte Unterhaltsvereinbarung), welcher das Bestehen der zivilrechtlichen Alimentenverpflichtung des Vaters des Verfahrensbeteiligten regelt, bei der Durchsetzung des Unterhaltsanspruches gegenüber dem Vater des Verfahrensbeteiligten im Rechtsöffnungsverfahren über keinen Rechtsöffnungstitel verfügen würde, denn der Bestand und die Höhe einer Unterhaltsforderung über die Volljährigkeit hinaus ergeben sich weder aus dem Eheschutzentscheid des Bezirksgerichts vom 14. Mai 2020 noch aus demjenigen vom 13. August 2021 in der für eine Rechtsöffnung erforderlichen Deutlichkeit (vgl. vorstehend E. 2.3).

 

4.4 Mangels eines Unterhaltstitels ab Erreichen der Volljährigkeit hat der Verfahrensbeteiligte aufgrund der Regelung in § 6 Abs. 1 AliG somit keinen Anspruch auf Alimentenbevorschussung. Im Ergebnis ist die Beschwerdeführerin daher nicht verpflichtet, Vorschüsse zu leisten. Es ist vielmehr Sache des Verfahrensbeteiligten, sich gegenüber seinem Vater auf dem Klageweg einen entsprechenden Unterhaltstitel zu verschaffen (Art. 279 ZGB), wozu die Beschwerdeführerin nicht legitimiert ist, denn nur der Unterhaltsschuldner und das Kind (oder dessen gesetzlicher Vertreter als Prozessstandschafter) sind Prozessparteien, aber nie das bevorschussende Gemeinwesen (BGE 148 III 270 E. 6.4 und 6.7; BGE 148 III 353 E. 4.3). Die Beschwerdeführerin wies denn auch zu Recht bereits mit Schreiben vom 28. Februar 2022 die Mutter des Verfahrensbeteiligten darauf hin, dass die Unterhaltspflicht nicht explizit über die Volljährigkeit des Verfahrensbeteiligten hinaus verfügt worden sei und der Verfahrensbeteiligte sich rechtzeitig darum bemühen müsse, dass Unterhalt bis zum Abschluss seiner Ausbildung geschuldet sei. Erst wenn sich der Verfahrensbeteiligte gegenüber seinem Vater auf dem Klageweg einen entsprechenden Unterhaltstitel verschafft hat und die Gemeinde gestützt auf diesen Unterhaltstitel gemäss § 6 Abs. 1 AliG Unterhaltszahlungen bevorschusst, kann sie gegenüber dem Unterhaltsschuldner Unterhaltsforderungen durchsetzen (Art. 289 Abs. 2 ZGB), insbesondere eine Betreibung einleiten (vgl. etwa Urteil des Bundesgerichts 5D_89/2020 vom 18. Februar 2021) oder die Schuldneranweisung (Art. 291 ZGB) verlangen (BGE 148 III 270 E. 6.6; Fountoulakis, a.a.O., Art. 289 N. 10).

 

4.5 Die Beschwerde ist damit begründet und folglich gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Der Entscheid der Beschwerdeführerin vom 15. März 2023 wird damit bestätigt.

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.127/E vom 27. März 2024

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