TVR 2024 Nr. 19
Wohnnutzungen in der Gewerbezone.
Art. 3 Abs. 3 lit. a und b RPG, § 8 Abs. 3 PBV
Gemäss der im vorliegenden Fall noch anwendbaren Bestimmung des kommunalen Baureglements sind - ähnlich wie nach § 8 Abs. 3 PBV - Wohnbauten in der Gewerbezone nur für "betrieblich an den Standort gebundenes Personal" zulässig. Wenn die konkrete Nutzung des in einer Gewerbezone geplanten Gebäudes im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung noch nicht feststeht, kann von der Baubehörde allerdings noch nicht beurteilt werden, ob eine im geplanten Gebäude vorgesehene Wohnung überhaupt "betrieblich an den Standort gebundenem Personal" dienen würde.
Insbesondere der Planungsgrundsatz von Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG steht der im vorliegenden Fall von der zuständigen Baubehörde geübten Bewilligungspraxis, die Wohnnutzungen in Gewerbezonen bereits bei einem "hinreichenden funktionalen Zusammenhang" zwischen dem Gewerbebetrieb im geplanten Gebäude und der darin ebenfalls vorgesehenen Wohnnutzung als zulässig zu erachten, entgegen.
Der Verfahrensbeteiligte 2 (Bauherr) ersuchte die Politische Gemeinde Ermatingen (Beschwerdeführerin) um Erteilung der Baubewilligung für den Abbruch eines Lagerhauses und den Neubau eines Gewerbehauses mit Garage, Werkstatt, Büro und einer im obersten Geschoss vorgesehenen Wohnung auf der Liegenschaft Nr. XX. Während der öffentlichen Auflage erhob unter anderem die benachbarte Grundeigentümerin B (Verfahrensbeteiligte 1) Einsprache. Am 17. Juni 2019 wies die Beschwerdeführerin die Einsprache ab und erteilte der Verfahrensbeteiligten 2 die Baubewilligung. Dagegen erhob die Verfahrensbeteiligte 1 Rekurs, den das DBU (Vorinstanz) guthiess. Gegen den Rekursentscheid erhoben sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Verfahrensbeteiligte 2 Beschwerde. Das Verwaltungsgericht weist beide Beschwerden ab.
Aus den Erwägungen:
4.
4.1 Gemäss Art. 16 Abs. 1 BauR sind Wohnbauten in der Gewerbezone nur für betrieblich an den Standort gebundenes Personal zulässig. Im Zentrum steht vorliegend die Frage, inwiefern die vom Verfahrensbeteiligten 2 auf der Liegenschaft Nr. XX vorgesehene Wohnung mit einer Bruttogeschossfläche von 182.56 m2 (zuzüglich 46.36 m2 für Lift, Anteil Treppenhaus und WC) auf dem geplanten Werkstattgebäude diese Bewilligungsvoraussetzung erfüllt. Zwar steht der Beschwerdeführerin aufgrund der Gemeindeautonomie bei der Auslegung und der Anwendung der kommunalen Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 BauR unbestrittenermassen ein qualifizierter Ermessensspielraum zu. Zu beachten ist jedoch, dass gemäss kantonalem und Bundesrecht im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung feststehen muss, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt sind bzw. dass das Bauvorhaben dem Zweck der Nutzungszone entspricht (vgl. § 106 Abs. 1 PBG und Art. 22 Abs. 2 lit. a RPG). Laut § 51 Abs. 2 Ziff. 5 PBV ist dem Baugesuch namentlich der Baubeschrieb mit Angaben über die Zweckbestimmung der geplanten Baute beizulegen. Fraglich und zu prüfen ist vorliegend, ob der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung die erforderlichen Unterlagen und Angaben vorlagen, um die Bewilligungsfähigkeit des Bauvorhabens des Verfahrensbeteiligten 2 bzw. der strittigen Wohnung im obersten Geschoss des geplanten Gebäudes auf der Liegenschaft Nr. XX rechtsgenüglich beurteilen zu können.
4.2 Mit der Formulierung der Bewilligungsvoraussetzung für eine Wohnung in der Gewerbezone gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR, wonach Personal "betrieblich" an den Standort "gebunden" sein muss, knüpft die Frage der Bewilligungsfähigkeit der Wohnung an die konkrete Nutzung des dazugehörigen Betriebs bzw. der Gewerbebaute an. Gemäss der im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens vom Verfahrensbeteiligten 2 abgegebenen schriftlichen Erklärung vom 28. Mai 2019 und gemäss E. 2.6 der Baubewilligung der Beschwerdeführerin vom 17. Juni 2019 stand die konkrete Nutzung des geplanten Werkstattgebäudes auf der Liegenschaft Nr. XX im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung jedoch noch nicht fest (…). In Dispositiv-Ziff. 3.5 der Baubewilligung wurde der Verfahrensbeteiligte 2 von der Beschwerdeführerin ausdrücklich verpflichtet, rechtzeitig ein Baugesuch für die künftige Nutzung der Werkstatt einzureichen. In seiner Replik (…) führte der Verfahrensbeteiligte 2 in Ziff. 4 aus, bei seinem Betrieb (mit dem bisherigen Standort an der S-Strasse 1 in Ermatingen) handle es sich um einen historisch gewachsenen Betrieb, der inzwischen auf drei Seiten an reine Wohnnutzung angrenze. Sein Sohn sei sein Nachfolger als Betriebsleiter und Mehrheitsaktionär des Baubetriebs. Er wohne mit seiner Familie mit zwei kleinen Kindern in W zur Miete und habe schon alleine deshalb ein virulentes Interesse sowohl am Bau einer neuen Betriebsstätte in der dafür vorgesehenen Arbeitszone Gewerbe als auch an einer ausreichend grossen Familienwohnung, weil er damit täglich wertvolle Zeit gewinnen und näher bei den Kunden sein könne. Im Schreiben der Bauherrschaft (das heisst des Verfahrensbeteiligten 2) vom 28. Mai 2019, hatte der Verfahrensbeteiligte 2 demgegenüber noch ausgeführt, dass das geplante Projekt grundsätzlich eine Nutzung durch mehrere Betriebe ermöglichen würde. Dabei stelle sich die Frage nach einem Hauswart, der vor Ort die verschiedenen Nutzungen festlege und koordiniere sowie die Liegenschaft und den Umschwung pflege. Falls es nur einen einzigen Nutzer gebe, müsse "zwingend eine Wohnung für den Betriebsinhaber oder Betriebsleiter" vorhanden sein.
4.3 Soweit ersichtlich wurde vom Verfahrensbeteiligten 2 noch kein Baugesuch für die konkrete Nutzung des geplanten Werkstattgebäudes eingereicht. Ob die konkrete Nutzung des geplanten Werkstattgebäudes mittlerweile feststeht, ist nach wie vor unklar, kann jedoch offen gelassen werden. Massgeblich ist die Situation im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung (E. 4.1 vorstehend). Nachdem die konkrete Nutzung des geplanten Gebäudes noch nicht feststand, konnte die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung aber auch noch nicht beurteilen, ob die Wohnung überhaupt "betrieblich an den Standort gebundenem Personal" im Sinne von Art. 16 Abs. 1 BauR dienen würde. Dies gilt auch für die (wie nachfolgend dargestellt zu weitgehende bzw. unzulässige) Auslegung von Art. 16 Abs. 1 BauR durch die Beschwerdeführerin, wonach ein "hinreichender funktionaler Zusammenhang zwischen dem Gewerbebetrieb und der Wohnnutzung" ausreichen soll (…). Auch ein derartiger "funktionaler Zusammenhang" wäre von der konkreten Nutzung der Liegenschaft abhängig, wobei unklar ist, was genau von der Beschwerdeführerin unter einem derartigen "funktionalen Zusammenhang" überhaupt verstanden wird. Wenn das Werkstattgebäude etwa an mehrere Nutzer vermietet werden sollte, wie dies vom Verfahrensbeteiligten 2 in seinem Schreiben vom 28. Mai 2019 als Möglichkeit bezeichnet wird, wäre ohne konkret definierte Nutzung(en) unklar, worauf sich dieser "hinreichende funktionale Zusammenhang" zwischen den einzelnen Gewerbebetrieben und der Wohnung überhaupt beziehen würde.
4.4 Die Bewilligungsfähigkeit der geplanten Wohnung auf der Liegenschaft Nr. XX konnte mangels feststehender Nutzung des Gewerbe-/Werkstattteils im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung vom 17. Juni 2019 noch nicht beurteilt werden. Die Bewilligungsvoraussetzung gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR durfte von der Beschwerdeführerin in jenem Zeitpunkt nicht als erstellt betrachtet werden. Die Baubewilligung wurde folglich zu Unrecht erteilt. Ungeachtet dessen, ob die Vorinstanz unzulässigerweise in die Gemeindeautonomie eingegriffen hat oder nicht, erfolgte die Aufhebung der Baubewilligung durch die Vorinstanz zu Recht, weshalb die Beschwerde bereits aus diesem Grund abzuweisen ist.
5.
5.1 Zu prüfen ist weiter, inwiefern die Verweigerung der Bewilligung für die Wohnnutzung in der Gewerbezone durch die Vorinstanz in materieller Hinsicht rechtmässig war. Gemäss dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR sind Wohnbauten in der Gewerbezone, wie dargelegt, nur für betrieblich an den Standort gebundenes Personal zulässig. Die Beschwerdeführerin erachtet einen "hinreichenden funktionalen Zusammenhang zwischen dem Gewerbebetrieb und der Wohnnutzung" als ausreichend.
5.2 Die Vorinstanz stellte in E. 11.e des angefochtenen Rekursentscheids fest, die Erforderlichkeit eines Hauswarts bei einer allfälligen künftigen Nutzung der Gewerbebaute durch mehrere Betriebe vermöge keine Standortgebundenheit der geplanten Wohnung zu begründen. Die Koordination sowie Pflege der Räumlichkeiten und des Umschwungs könne ohne weiteres auch durch Personal erfolgen, das nicht am Betriebsstandort wohne. Auch die Attraktivität einer Wohnung in der Gewerbebaute für einen Betriebsinhaber oder -leiter und die Vermeidung von unnötiger Reisezeit erkläre nicht, weshalb am Betriebsstandort zwingend gewohnt werden müsste. Dies alles seien subjektive Gründe bzw. stellten keine (geforderten) objektiven Gründe für den Bau einer Wohnung in der Gewerbezone dar. Gemäss Angaben des Verfahrensbeteiligten 2 (im Rahmen des Rekursverfahrens) solle mit der geplanten Baute zusätzlich benötigte Fläche für das Lager und die Erweiterung der Betriebstätigkeiten des Betriebs geschaffen werden. Was konkret diese Erweiterung der Betriebstätigkeit beinhalte, werde nicht ausgeführt und bleibe damit offen. Alleine für Lagerräumlichkeiten sei kein an den Standort gebundenes Personal erforderlich. Da auch sonst nicht ersichtlich sei, dass der Betrieb zwingend auf Personal, das vor Ort wohne, angewiesen sei, sei die Zonenkonformität der 4.5-Zimmerwohnung im obersten Geschoss der projektierten Baute zu verneinen. Im Einspracheentscheid vom 17. Juni 2019 gehe die Beschwerdeführerin mit keinem Wort auf die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 BauR ein und sie habe sich zu diesen Voraussetzungen auch im Rekursverfahren nicht vernehmen lassen. Die von ihr im Einspracheentscheid erwähnte Verhältnismässigkeit (…) stelle gemäss Wortlaut dieser kommunalen Bestimmung kein Beurteilungskriterium für die Zonenkonformität einer Wohnung in der Gewerbezone dar. Im Ergebnis sei somit festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin damit in Verletzung des ihr zustehenden Autonomiebereichs die Baubewilligung für die 4.5-Zimmerwohnung zu Unrecht erteilt habe (…).
5.3 Die Erwägungen der Vorinstanz sind nachvollziehbar und schlüssig. In einem Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13. September 2018 (publiziert in BVR 2019/1 S. 15 ff.) ging es um die Auslegung und Anwendung einer kommunalen Bestimmung, gemäss welcher Wohnnutzungen in der Arbeitszone "standortgebundenem Personal dienen" müssten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hielt fest, bei der Frage, von welchem Gewicht die objektiven Gründe (für eine Wohnnutzung in der Arbeitszone) sein müssten, bestehe ein erheblicher Interpretationsspielraum, und es lasse sich eine strenge Praxis grundsätzlich ebenso begründen wie eine grosszügige. Ein betrieblich begründetes Interesse an der Wohnnutzung müsse - so das Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter - zumindest glaubhaft gemacht werden. Objektiv begründet sei eine Personalwohnung nur, wenn plausibel werde, dass die dauernde Anwesenheit von bestimmten Betriebsangehörigen im konkreten Einzelfall betrieblich erforderlich sei. Solle die einschränkende Voraussetzung "standortgebundenes Personal" nicht jeglichen Sinns entleert werden, müsse es sich dabei um Gründe handeln, die nicht in jedem beliebigen anderen Fall auch erfüllt wären. Weiter hielt das Verwaltungsgericht des Kantons Bern fest, dass nicht jegliche Hauswartung, Sicherheitsprävention oder Pikettdienste generell standortgebundenes Wohnen begründeten. Es müsse vielmehr im Einzelfall einleuchtend erklärt werden können, warum die ständige Anwesenheit der betreffenden Betriebsangehörigen konkret von besonderem Nutzen sei. Wenn die Hauswartung z. B. die stetige Überwachung technischer Einrichtungen (wie Heizung, Lüftung, Kühlung usw.) oder durchgehend laufender Arbeitsprozesse erfordere bzw. zumindest wesentlich erleichtere, könne die Wohnnutzung standortgebunden sein, nicht hingegen, wenn bloss die üblichen Reinigungs-, Wartungs- und Kontrollaufgaben eines kleinen Gewerbebetriebs auszuführen seien. Aus Gründen der Sicherheit könne sich die Wohnnutzung etwa als standortgebunden erweisen, wenn der Schutz besonders heikler oder wertvoller Güter nicht anders ausreichend zu gewährleisten sei. Und Pikettdienste könnten die Wohnnutzung erfordern, wenn die benötigten Fahrzeuge oder Maschinen auf dem Betriebsareal abgestellt seien und die rasche Einsatzbereitschaft aufgrund der dauernden Anwesenheit wesentlich verbessert werde. Dass eine gewöhnliche Hauswartung erleichtert werde, genüge hingegen nicht, könne diese doch genauso gut wie die anderen im Betrieb anfallenden Arbeiten von auswärts Wohnenden erledigt werden. Das Gleiche gelte für eine allgemeine Sicherheitsprävention, die in jedem beliebigen Fall geltend gemacht werden könnte. Würden solch allgemeine Gründe genügen, verlöre die einschränkende Voraussetzung der Standortgebundenheit jegliche Bedeutung und wäre eine Wohnung für Hauswartungspersonal bzw. eine "Präsenzwohnung" zur allgemeinen Prävention für jegliches Personal stets möglich. Eine derart weitgehende Zulassung der Wohnnutzung in der Arbeitszone sei von der betreffenden kommunalen Bestimmung nicht gedeckt (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13. September 2018 [publiziert in BVR 2019/1 S. 15 ff.] E. 4.2 mit Hinweis).
5.4 Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern im zitierten Entscheid überzeugen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Wortlaut der betreffenden Bestimmung der Berner Gemeinde (wonach Wohnnutzungen in der Arbeitszone "standortgebundenem Personal dienen" müssten) noch offener formuliert ist als derjenige der vorliegend zur Diskussion stehenden Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR (wonach Wohnnutzungen in der Gewerbezone "nur für betrieblich an den Standort gebundenes Personal zulässig" sind). Auch wenn sich die Erwägungen des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern auf eine kommunale Vorschrift einer anderen Gemeinde beziehen, sind sie zumindest als Richtschnur für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Wohnnutzung in der Gewerbezone gestützt auf Art. 16 BauR geeignet. Bei standortgebundenen Betriebsangehörigen handelt es sich grundsätzlich um Personen, die für das bewilligte Gewerbe eine Funktion ausüben, welche die permanente Anwesenheit auf dem Betriebsgelände erfordert. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn Maschinen oder Anlagen, deren Betrieb keine Unterbrechung duldet, zu bedienen oder zu beaufsichtigen sind, oder wenn die Wahrung der betrieblichen Sicherheit die mehr oder weniger dauernde Überwachung des Betriebs erheischt. Es müssen objektive Gründe vorliegen (vgl. Saputelli, Wohnnutzung in Industrie- und Gewerbezone, in: PBGaktuell, Züricher Zeitschrift für öffentliches Baurecht, 2019/4, S. 5 ff, S. 7, mit Hinweis). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn - wie im vorliegenden Fall - im Baubewilligungsverfahren seitens der Bauherrschaft als Begründung für die Wohnnutzung einzig die möglichen Funktionen/Eigenschaften als "Hauswart" oder "Betriebsinhaber" angeführt werden, ohne dass in Abhängigkeit von einer konkreten Nutzung der Gewerberäumlichkeiten eine weitergehende Notwendigkeit für eine Anwesenheit am Betriebsstandort dargelegt wird. Die Vorinstanz führt zu Recht an, dass es dabei objektiver Gründe bedarf. Würde einzig auf subjektive Gründe - wie die Vermeidung "unnötiger Reisezeit", eine gesteigerte Attraktivität der Gewerbeliegenschaft oder eine verbesserte Ansprechbarkeit vor Ort (…) - abgestellt, würde einer missbräuchlichen Bewilligungspraxis Vorschub geleistet, da sich entsprechende subjektive Gründe für eine Wohnnutzung stets finden liessen. Auch Hauswartungen, inklusive Koordination sowie Pflege der Räumlichkeiten und des Umschwungs, lassen sich ohne weiteres durch Personal bewerkstelligen, das nicht am Betriebsstandort wohnt. Wenn die Beschwerdeführerin allgemein die Erstellung von Wohnungen unmittelbar neben Gewerbebetrieben fördern möchte, um damit eine Verbesserung der gewerblichen Nutzung zu erreichen, wie sie in ihrer Beschwerde (…) vorbringt, wäre dies mittels planungsrechtlicher Massnahmen, das heisst mit der Festsetzung von Mischzonen (Wohn- und Gewerbezonen), zu bewerkstelligen, und nicht durch eine übermässig grosszügige Bewilligungspraxis von an sich zonenfremder Wohnnutzung in "reinen" Arbeits-/Gewerbezonen. Sodann wurde die Bewilligungspraxis der Beschwerdeführerin auch nicht durch die Genehmigung von Art. 16 BauR von der Vorinstanz quasi sanktioniert. Nicht die Gesetzesbestimmung ist rechtswidrig, sondern die von der Beschwerdeführerin hierzu entwickelte Bewilligungspraxis. Unmassgeblich ist auch der Umstand bzw. nichts zu ihren Gunsten vermögen die Beschwerdeführerin und der Verfahrensbeteiligte 2 aus dem Umstand abzuleiten, dass gemäss Auflage in der Baubewilligung eine Anmerkung im Grundbuch vorzunehmen ist, wonach die Wohnung "nur an betriebsgebundenes Personal vermietet und nicht einzeln verkauft" werden dürfe (…). Auch eine derartige Anmerkung ändert nichts an der Rechtswidrigkeit der Bewilligungspraxis der Beschwerdeführerin. Im Übrigen müsste das Personal gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR nicht (nur) an den Betrieb, sondern vor allem an den Standort gebunden sein.
5.5 Zu berücksichtigen ist weiter, dass gemäss dem Planungsgrundsatz von Art. 3 Abs. 3 lit. a RPG Wohn- und Arbeitsgebiete einander zweckmässig zugeordnet sein und schwergewichtig an Orten geplant werden sollen, die auch mit dem öffentlichen Verkehr angemessen erschlossen sind. Dieser Grundsatz bezweckt zwar keine strikte Trennung von Wohn- und Arbeitsgebieten; im Gegenteil: Eine Durchmischung von Arbeits- und Wohnflächen ist erwünscht, um den Verkehrsstrom der Pendler zu reduzieren und wohnliche Siedlungen zu schaffen (Urteil des Bundesgerichts 1C_145/2008 vom 3. Juli 2008 E. 2.2). Jedoch sollen gemäss dem Grundsatz von Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG Wohngebiete vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen möglichst verschont werden. Es ist Aufgabe des Raumplanungsrechts, Immissionspotenziale vorausschauend zu vermeiden und Konflikte zwischen der Wohn- und der gewerblichen Nutzung gar nicht erst aufkommen zu lassen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 1C_555/2018 vom 29. August 2019 E. 4.2 und 1C_145/2008 vom 3. Juli 2008 E. 2.3). Das Baugrundstück Nr. XX, auf welchem die strittige Wohnnutzung gemäss dem Baugesuch des Verfahrensbeteiligten 2 vorgesehen ist, befindet sich in der Gewerbezone, das heisst einer "reinen" Arbeitszone. Diese Zone dient laut Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BauR Bauten und Anlagen, die gewerblich, industriell sowie durch Dienstleistungsunternehmen genutzt werden. In lärmschutzrechtlicher Hinsicht gilt in der Gewerbezone die Empfindlichkeitsstufe (ES) IV gemäss der LSV. Die ES IV ist gemäss Art. 43 Abs. 1 lit. d LSV für Zonen vorgesehen, in denen stark störende Betriebe zugelassen sind, namentlich in Industriezonen. Für die Wohnzonen sowie die gemischten Wohn- und Gewerbezonen, ebenso für die Dorfkernzone, gelten auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin gemäss Art. 12 ff. BauR demgegenüber die ES II bzw. III. Die ES IV ist für die Wohnnutzung nicht geeignet. Daraus ergibt sich, dass die Wohnnutzung in der Gewerbezone an sich zonenwidrig ist. Soweit Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR die Wohnnutzung in der Gewerbezone unter bestimmten Voraussetzungen dennoch für zulässig erklärt, kommt ihm der Charakter einer gesetzlichen Ausnahmebestimmung zu. Die lärmrechtliche Problematik an sich und die zwischen stark störenden Betrieben und der Wohnnutzung auch unter raumplanungsrechtlichen und wohnhygienischen Gesichtspunkten zumindest latent bestehenden Nutzungskonflikte gebieten es, diese gesetzliche Ausnahmebestimmung grundsätzlich restriktiv anzuwenden (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9. Mai 2011 [publiziert in BVR 2012 S. 20 ff.] E. 4.2, sowie Saputelli, a.a.O., S. 6 f.).
5.6 Die angeführten raumplanungsrechtlichen Grundsätze, insbesondere der Planungsgrundsatz von Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG, stehen der Bewilligungspraxis der Beschwerdeführerin, die Wohnnutzungen in Gewerbezonen gestützt auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR bereits bei einem "hinreichenden funktionalen Zusammenhang zwischen dem Gewerbebetrieb und der Wohnunnutzung" (ohne nähere Definition, was unter einem hinreichenden funktionalen Zusammenhang zu verstehen ist) als zulässig erachtet, entgegen. Den Betreibern von zonenkonformen Gewerbe- und Industriebetrieben in der Gewerbezone ist ein schützenswertes Interesse daran zuzugestehen, dass Wohnnutzungen in dieser insbesondere in lärmmässiger Hinsicht erheblich stärker belasteten bzw. belastbaren (Arbeits- bzw. Gewerbe-)Zone - entsprechend dem Ausnahmecharakter von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR - nur zurückhaltend zugelassen werden, damit Konflikte zwischen der Wohn- und der gewerblichen Nutzung vermieden werden (vgl. E. 5.5 vorstehend und Urteile des Bundesgerichts 1C_555/2018 vom 29. August 2019 E. 4.2 und 1C_145/2008 vom 3. Juli 2008 E. 2.3). Derartige Konflikte werden jedoch mit einer übermässig grosszügigen Bewilligung von Wohnnutzungen in der Gewerbezone, wie dies von der Beschwerdeführerin gehandhabt wird, eher gefördert statt vermieden. Werden Wohnungen in der Gewerbezone in einem derart weitgehenden Ausmass zugelassen, wie dies die Bewilligungspraxis der Beschwerdeführerin impliziert, besteht die Gefahr, dass sich die Gewerbezone faktisch zu einer Mischzone (Wohn- und Gewerbezone) entwickelt, für welche jedoch andere Vorschriften, insbesondere in lärmschutzrechtlicher Hinsicht (LS III), gelten (vgl. Art. 14 BauR).
5.7 Die den erwähnten Grundsätzen des RPG entgegenstehende Bewilligungspraxis ist auch nicht mehr durch die von der Beschwerdeführerin und vom Verfahrensbeteiligten 2 angerufene Gemeindeautonomie gedeckt. Zwar steht der Beschwerdeführerin bei der Auslegung und Anwendung ihrer kommunalen Vorschrift (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BauR) ein gewisser Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu, bei dessen Überprüfung sich die Rechtsmittelinstanzen Zurückhaltung aufzuerlegen haben (…). Zudem ist den Baubewilligungsbehörden der Thurgauer Gemeinden zuzugestehen, die Bewilligungspraxis für Wohnnutzungen in Gewerbe- bzw. Arbeitszonen - bei gegebener gesetzlicher Grundlage und im Rahmen des Zwecks der jeweiligen Arbeitszone/Gewerbezone - unterschiedlich streng zu handhaben. Ist die Auslegung und Anwendung einer kommunalen Norm im konkreten Fall, wie vorliegend, jedoch nicht mehr vertretbar und stehen der Bewilligungspraxis raumplanungsrechtliche Grundsätze entgegen, ist die Rechtsmittelbehörde gehalten, korrigierend einzugreifen (…). Die Vorinstanz hat damit zutreffenderweise und ohne Verletzung der Gemeindeautonomie die Bewilligungsfähigkeit der Wohnung im obersten Geschoss des auf der Liegenschaft Nr. XX geplanten Gewerbegebäudes verneint und die von der Beschwerdeführerin erteilte Bewilligung aufgehoben. Die Beschwerde erweist sich auch in dieser Hinsicht als unbegründet.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.70/E, VG.2023.73/E vom 6. März 2024