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TVR 2024 Nr. 30

Covid-19-Härtefallprogramm; unrechtmässiger Bezug nicht rückzahlbarer Beiträge, Wiedererwägung, Rückzahlung nach Bereicherungsrecht.


Art. 12 Abs. 1 ter Covid-19-Gesetz, Art. 6 HFMV 20, Art. 11 HFMV 20, § 23 Abs. 1 VRG, Art. 62 OR


Nicht rückzahlbare Beiträge aus dem Covid-19-Härtefallprogramm 1 des Kantons Thurgau sind unrechtmässig, wenn sich nachträglich erweist, dass im massgeblichen Zeitraum Zahlungen der Beschwerdeführerin an ihre Muttergesellschaft erfolgt sind und diese gegen die Einschränkungen der Verwendung des Härtefallbeitrages verstossen haben. In diesen Fällen ist die ursprüngliche Verfügung zu widerrufen und die geleisteten Zahlungen sind in analoger Anwendung der Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) zurückzuerstatten.


Der Beschwerdeführerin wurde im Rahmen des Covid-19-Härtefallprogramms 1 des Kantons Thurgau gemäss Darlehensvertrag vom 12. März 2021 ein Darlehen in der Höhe von Fr. 133'500.-- gewährt. Am 18. Juni 2021 wurde das Darlehen in einen nicht rückzahlbaren Beitrag umgewandelt. Im entsprechenden Schreiben vom 18. Juni 2021 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Jahr der Beitragsgewährung sowie in den folgenden drei Jahren keine Dividenden oder Tantiemen ausgeschüttet, keine Kapitaleinlagen zurückerstattet und keine Darlehen an die Eigentümer gewährt werden dürften. Für den Fall einer nicht korrekten Verwendung des Beitrages wurde ausdrücklich die vollständige Rückforderung angedroht. Mit Entscheid des Amtes für Wirtschaft und Arbeit (verfahrensbeteiligtes Amt) vom 28. September 2022 wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, den gesamten Härtefallbeitrag in der Höhe von Fr. 133'500.-- zurückzuzahlen. Dagegen liess die Beschwerdeführerin Rekurs erheben, welcher vom DIV (Vorinstanz) abgewiesen wurde. Das Verwaltungsgericht weist die dagegen erhobene Beschwerde ab. 

Aus den Erwägungen:

  1. (Streitig und zu prüfen ist, ob Zahlungen in der Höhe von Fr. 133’500.-- aus dem Covid-19-Härtefallprogramm 1 des Kantons Thurgau zurückzuerstatten sind, weil gleichzeitige Zahlungen der Beschwerdeführerin an ihre Muttergesellschaft gegen die Einschränkungen der Verwendung des Härtefallbeitrages verstossen haben)

 

3.

3.1

3.1.1 Nach Art. 12 Abs. 1 Covid-19-Gesetz kann der Bund auf Antrag eines oder mehrerer Kantone Massnahmen für Unternehmen unterstützen, die aufgrund der Natur ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit von den Folgen von Covid-19 besonders betroffen sind und einen Härtefall darstellen, insbesondere Unternehmen in der Wertschöpfungskette der Eventbranche, Schausteller, Dienstleister der Reisebranche, Gastronomie- und Hotelleriebetriebe sowie touristische Betriebe. Gemäss Art. 12 Abs. 4 Covid-19-Gesetz regelt der Bundesrat die Einzelheiten in einer Verordnung.

 

3.1.2 Gestützt auf Art. 12 Abs. 4 Covid-19-Gesetz erliess der Bundesrat die am 1. Dezember 2020 in Kraft getretene HFMV 20. Zweck dieser Verordnung war es, zu definieren, unter welchen Voraussetzungen sich der Bund finanziell an kantonalen Härtefallmassnahmen beteiligt, sprich in welchem Umfang der Bund Kantone für ausgerichtete Härtefallentschädigungen vergütet (vgl. Erläuterungen HFMV 20, S. 2). Demnach mussten Unternehmen für eine entsprechende Beteiligung des Bundes die Anforderungen im zweiten Abschnitt, der bis zum 31. Dezember 2021 Geltung hatte, erfüllen (Art. 2 bis Art. 6 HFMV 20).

 

3.1.3 Nachdem der Bund mit dem Covid-19-Gesetz und der gestützt darauf erlassenen HFMV 20 Mindestvoraussetzungen für eine Bundesbeteiligung an den kantonalen Härtefallprogrammen definierte, waren die Kantone wiederum frei in der Entscheidung, ob sie Härtefallmassnahmen ergreifen wollten. Weder das Covid-19-Gesetz noch die HFMV 20 verpflichteten die Kantone, unter bestimmten Voraussetzungen Härtefallmassnahmen zu gewähren. Auch die Ausgestaltung der Härtefallprogramme bestimmten die Kantone weitgehend selbst, insbesondere die Anspruchsvoraussetzungen und die Leistungen (Erläuterungen HFMV 20 S. 2; Urteil des Bundesgerichts 2C_8/2022 vom 28. September 2022 E. 1.3.4).

 

3.1.4 Gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. c HFMV 20 beteiligt(e) sich der Bund gestützt auf Art. 12 Covid-19-Gesetz im Rahmen des von der Bundesversammlung bewilligten Verpflichtungskredits an den Kosten und Verlusten, die einem Kanton aus seinen Härtefallmassnahmen für Unternehmen entstehen, sofern dieser die Missbrauchsbekämpfung mit geeigneten Mitteln sicherstellt. Im Kanton Thurgau erklärte der Regierungsrat mit RRB Nr. 229 vom 13. April 2021 die HFMV 20 für anwendbar (genehmigt gemäss Art. 44 Abs. 2 KV mit Beschluss des Grossen Rates vom Nr. 17 vom 5. Mai 2021), wobei nach Ziff. 7 das verfahrensbeteiligte Amt die zur Sicherstellung der Verhinderung von Missbräuchen im Rahmen des Programmes notwendigen Massnahmen trifft.

 

3.2 Art. 12 Abs. 1ter Covid-19-Gesetz setzt(e) für die Gewährung einer Härtefallmassnahme voraus, dass das unterstützte Unternehmen für das Geschäftsjahr, in welchem die Härtefallmassnahme ausgerichtet wird sowie für die drei darauffolgenden Jahre a) keine Dividenden und Tantiemen ausschüttet oder deren Ausschüttung beschliesst und b) keine Rückerstattung von Kapitaleinlagen vornimmt oder beschliesst. Der Bundesrat hat diese gesetzlichen Vorgaben präzisiert, indem er in Art. 6 HFMV 20 unter dem Randtitel "Einschränkung der Verwendung" ergänzend festhielt, dass das begünstigte Unternehmen keine Darlehen an seine Eigentümer vergeben darf (Art. 6 lit. a Ziff. 2 HFMV 20). In den Erläuterungen HFMV 20 wurde auf Seite 9 ausserdem aufgeführt, dass im Jahr der Beitragsgewährung und in den drei darauffolgenden Jahren oder bis zur vollständigen Rückzahlung der Hilfe Dividenden oder Tantiemen weder beschlossen noch ausgeschüttet werden dürfen, noch dürfen Mittel zur Rückerstattung von Kapitaleinlagen oder für Darlehen an Eigentümer dienen. Hingegen bleiben Zahlungen aufgrund von vorbestehenden vertraglichen Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung des operativen Betriebes vorbehalten und zulässig wie insbesondere ordentliche Zinszahlungen und Amortisationen, sofern diese auf vorbestehenden vertraglichen Verpflichtungen beruhen und fällig sind. Auch ordentliche marktgerechte Zahlungen für Lieferungen und Leistungen einer Gruppengesellschaft bleiben zulässig.

 

  1. (...)

 

5.1 Tatsächlich erstaunt, dass die Position der Kreditoren T AG Ende 2018 einen Saldo von Fr. 551’772.30 aufwies und in der Folge 2019 um Fr. 93'293.05 auf Fr. 458'479.25, 2020 um Fr. 252'498.40 auf Fr. 205'980.85 sowie 2021 um Fr. 207'393 soweit reduziert werden konnte, dass bis Ende 2021 ein Guthaben gegenüber der Muttergesellschaft T AG in der Höhe von Fr. 1'413.12 resultierte. Damit konnten die Schulden gegenüber der Muttergesellschaft insbesondere im Jahr 2021, für welches Jahr der Härtefallbeitrag ausgerichtet wurde, um über Fr. 200'000.-- reduziert und vollumfänglich getilgt werden. Dies ergibt sich auch aus der von der Beschwerdeführerin eingereichten Zusammenstellung der Lieferungen und Zahlungen zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Muttergesellschaft. Die Zahlungen wurden ab 2019 laufend erhöht. Selbst wenn unter anderem ordentliche marktgerechte Zahlungen für Lieferungen und Leistungen entrichtet worden sein sollten, übertrafen die Zahlungen die Lieferungen regelmässig. Zudem stieg die Differenz zwischen Zahlungen und Lieferungen laufend an. Der Umstand, dass die Kreditoren innert drei Jahren von rund Fr. 550'000.-- auf null reduziert wurden, widerspricht der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung, wonach die Kreditoren im Verlauf eines Jahres schwankten und sich gegen Jahresende erhöhten und diese dann in der Folge sofort wieder ausgeglichen würden. Die Darstellung der Beschwerdeführerin müsste nämlich zur Folge haben, dass die entsprechende Kreditorenposition nach wie vor eine Schuld gegenüber der Muttergesellschaft ausweist bzw. sich nicht fortlaufend reduziert haben dürfte. Den Jahresrechnungen 2018 bis 2021 können solche Schwankungen jedenfalls nicht entnommen werden. Vielmehr ist ein langfristiger, massiver Schuldenabbau gegenüber der Muttergesellschaft erkennbar, welcher insbesondere auch im schwierigen Coronajahr 2021 durchgeführt bzw. fortgesetzt werden konnte. Dass im Übrigen keine vertragliche Verpflichtung zur Rückzahlung eines Darlehens bestand, ist erstellt.

 

5.2 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin den Härtefallbeitrag tatsächlich verwendet hat, um im Jahr 2021 Verbindlichkeiten gegenüber der Muttergesellschaft abzubauen, welche über die üblichen (saisonalen) Schwankungen hinausgingen und sie somit im Jahr 2021 gar nicht auf Härtefallbeiträge angewiesen war, sondern es ihr betriebswirtschaftlich ohne weiteres möglich gewesen wäre, das Darlehen bzw. den Härtefallbeitrag in der Höhe von Fr. 133'500.-- zurückzuerstatten. Wer im wirtschaftlich schwierigen Pandemiejahr 2021 gegenüber der Muttergesellschaft übermässig Schulden abbauen konnte, befand sich nicht in einer Notlage, weshalb kein Härtefall bestand. Die Gewährung eines Härtefallbeitrages widerspricht vorliegend jedenfalls Sinn und Zweck der Härtefallmassnahmen gemäss Covid-19-Gesetz. Der Härtefallbeitrag war nicht erforderlich, um den Betrieb der Beschwerdeführerin bzw. Arbeitsplätze zu erhalten. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass kein Härtefall im Sinne von Art. 12 Abs. 1bis Covid-19-Gesetz bestand, mithin zu Unrecht ein Härtefallbeitrag gewährt bzw. bezogen wurde.

 

6.

6.1 Die HFMV 20 enthält keine speziellen Verfahrensvorschriften und überlässt die Ausgestaltung des Verfahrens den Kantonen bzw. dieses richtet sich nach kantonalem Recht (Art. 12 Abs. 1 HFMV 20). Demnach kann ein Entscheid durch die Behörde, die ihn gefällt hat, widerrufen werden, sofern wichtige öffentliche Interessen dies erfordern oder sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben. Vorbehalten bleiben Entscheide, die gemäss ausdrücklicher Vorschrift oder nach der Natur der Sache nicht zurückgenommen werden können (§ 23 Abs. 1 VRG). Erforderlich ist eine Interessensabwägung zwischen der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts und der Rechtssicherheit. Der Widerruf eines Entscheides kann von Amtes wegen erfolgen (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 23 N. 1 und 5).

 

6.2 Die Gewährung eines entsprechenden Härtefallbeitrages war offensichtlich falsch. Die entsprechende Korrektur ist wichtig, bzw. es ergibt sich bereits aus Art. 6 HFMV 20, dass ein hohes öffentliches Interesse an der Missbrauchsbekämpfung besteht. Zweck der Härtefallmassnahmen war es, möglichst allen direkt betroffenen (überlebensfähigen) Unternehmen zu helfen und so gefährdete Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten (vgl. Votum Regierungsrat Schönholzer, Protokoll des Grossen Rates Nr. 9 vom 2. Dezember 2020 S. 3; Erläuterungen HFMV 20 S. 6). Daraus folgt ein grosses öffentliches Interesse daran, dass die gesprochenen Gelder in diesem Sinn verwendet werden und nicht der Sanierung allgemeiner Unternehmensschulden dienen. Alsdann gebietet auch die Verpflichtung den Steuerzahlern gegenüber einen sorgsamen und restriktiven Umgang mit den bereitgestellten Mitteln. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass ein Zurückkommen auf den Entscheid seiner Natur nach ausgeschlossen wäre. Auf der anderen Seite ist kein überwiegendes privates Interesse am Bestand des leistungszusprechenden Entscheides zu erkennen, zumal bereits die Existenz der Beschwerdeführerin nicht gefährdet erscheint. Die Gewährung eines Härtefallbeitrages gemäss Schreiben vom 18. Juni 2021 ist somit gestützt auf § 23 Abs. 1 VRG zu widerrufen.

 

7. Wo das besondere Verwaltungsrecht keine eigenen Vorschriften hat, gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz analog zu den privatrechtlichen Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR), dass Zuwendungen, die aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund erfolgen, zurückzuerstatten sind (vgl. Wiederkehr/Richli, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Band I, 2012, N. 677; insbesondere mit Hinweis auf BGE 124 II 570 E. 4b). Nachdem das verfahrensbeteiligte Amt auf seinen Entscheid vom 18. Juni 2021 zurückkommen und diesen am 28. September 2022 widerrufen durfte, fiel die Rechtsgrundlage für die Härtefallentschädigung in der Höhe von Fr. 133'500.-- nachträglich dahin. Die Beschwerdeführerin ist somit zur Rückzahlung verpflichtet, selbst wenn die HFMV dies nicht explizit vorsieht. Die dreijährige Frist von Art. 67 Abs. 1 OR ist dabei längst eingehalten. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.

 

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.54/E vom 30. August 2023

 

Das Bundesgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 2C_594/2023 vom 10. Dezember 2024 abgewiesen.

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