TVR 2024 Nr. 33
Anrechnung eines Betrags in Höhe der Hilflosenentschädigung der EL-Bezügerin als Einkommen ihres nicht erwerbstätigen Ehemanns im Rahmen der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs.
Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG, Art. 11 Abs. 3 lit. d ELG
Die Hilflosenentschädigung erfüllt den gesetzlichen Zweck, die mit der Hilflosigkeit verbundenen präsumierten Kosten zu ersetzen. Entschädigt werden somit behinderungsbedingt anfallende Mehrkosten. Solche Kosten verursachen grundsätzlich (auch) die für die Beschwerdeführerin in der Nacht zu erbringenden Hilfe- bzw. Pflegeleistungen. Dass diese Leistungen vorliegend von ihrem Ehemann und nicht von einer Drittperson ausgeführt werden, darf nicht dazu führen, diesbezüglich eine Vergütungspflicht zu verneinen, würde dies doch zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung mit hilflosen EL-Beziehenden führen, die nicht auf die Unterstützung eines Ehegatten zurückgreifen können und die entsprechenden Leistungen folglich mit ihrer Hilflosenentschädigung vergüten müssten. Vorliegend ist von einem konkludenten Arbeitsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann mit einem vereinbarten Jahreslohn, der dem Betrag der Hilflosenentschädigung der Beschwerdeführerin entspricht, auszugehen.
Die Beschwerdeführerin bezieht Ergänzungsleistungen zu ihrer Invalidenrente. Zudem wird ihr eine Entschädigung für schwere Hilflosigkeit zu Hause sowie ein Assistenzbeitrag ausgerichtet. Mit Verfügung vom 13. Juli 2023 beurteilte die Beschwerdegegnerin den EL-Anspruch der Beschwerdeführerin im Rahmen einer periodischen Überprüfung rückwirkend ab 1. Januar 2020 neu. Hierbei rechnete sie ab 1. Januar 2020 tiefere Hypothekarzinsen und ab 1. August 2023 zusätzlich ein Einkommen des Ehemanns der Beschwerdeführerin in Höhe der der Beschwerdeführerin ausgerichteten Hilflosenentschädigung an. Dies führte zu einer Rückforderung in Höhe von Fr. 9'861.--. Gegen diese Verfügung liess die Beschwerdeführerin am 11. September 2023 Einsprache erheben. Mit Verfügung vom 18. Januar 2024 hatte die Beschwerdegegnerin sodann den EL-Anspruch der Beschwerdeführerin ab 1. Januar 2024 beurteilt. Hiergegen liess diese am 19. Februar 2024 Einsprache erheben. Mit Entscheid vom 28. Februar 2024 vereinigte die Beschwerdegegnerin die beiden Einspracheverfahren und wies die Einsprachen ab. Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht weist die hiergegen erhobene Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
3.
3.1 Die anrechenbaren Einnahmen sind in Art. 11 ELG geregelt. Als Einnahmen werden laut Art. 11 Abs. 1 lit. a (u. a.) angerechnet: zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in Geld oder Naturalien, soweit sie bei alleinstehenden Personen jährlich Fr. 1'000.-- und bei Ehepaaren und Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen, Fr. 1'500.-- übersteigen; bei Ehegatten ohne Anspruch auf Ergänzungsleistungen wird das Erwerbseinkommen zu 80% angerechnet; bei invaliden Personen mit einem Anspruch auf ein Taggeld der IV wird es voll angerechnet. Gemäss Art. 11 Abs. 3 lit. d ELG werden Hilflosenentschädigungen der Sozialversicherungen nicht angerechnet. Allerdings bestimmt der Bundesrat die Fälle, in denen die Hilflosenentschädigungen der Sozialversicherungen als Einnahmen angerechnet werden (Art. 11 Abs. 4 ELG). Sind in der Tagestaxe eines Heims oder Spitals auch die Kosten für die Pflege einer hilflosen Person enthalten, so wird die Hilflosenentschädigung der AHV, IV, Militär- oder Unfallversicherung als Einnahme angerechnet (Art. 15b ELV).
3.2 Verzichtet eine Person freiwillig auf die Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit, so ist ein entsprechendes hypothetisches Erwerbseinkommen als anrechenbare Einnahme zu berücksichtigen. Die Anrechnung richtet sich nach Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG (Art. 11a Abs. 1 ELG).
4.
4.1 In E. 9c ff. des angefochtenen Entscheids führte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen aus, sie gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin während 24 Stunden pro Tag auf Pflege und Betreuung angewiesen sei. Das von der Beschwerdeführerin eingereichte Gutachten vom 2. Februar 2024 lege dar, dass 14,25 Stunden pro Tag durch die Assistenzperson und 1,25 Stunden durch die Spitex erbracht würden. Damit verblieben 8,5 Stunden, welche durch den Ehemann der Beschwerdeführerin abzudecken seien. Der aktualisierten Zusammenstellung der Stundenabrechnungen des Jahrs 2023 könne entnommen werden, dass sie (die Beschwerdegegnerin) von einer Leistung durch den Ehemann der Beschwerdeführerin von rund 8,25 Stunden ausgehe. Diese Differenz von 0,25 Stunden sei jedoch unerheblich, da sie nicht in Frage stelle, dass eine ausserhäusliche Tätigkeit für den Ehemann der Beschwerdeführerin unzumutbar sei. Sie rechne dem Ehemann der Beschwerdeführerin daher auch kein hypothetisches Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 11 a Abs. 1 ELG an, sondern der Betrag der Hilflosenentschädigung stelle ein tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen nach Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG dar. Aufgrund der Berechnungen der Invalidenversicherung seien maximal Fr. 159'263.50 im Jahr 2022 bzw. Fr. 163'072.37 im Jahr 2023 durch die Invalidenversicherung für Assistenzleistungen zu vergüten. Im Jahr 2022 seien Fr. 156'478.50 und im Jahr 2023 Fr. 160'282.50 als Löhne der Angestellten abgerechnet und vergütet worden. Damit seien die Assistenzbeiträge in beiden Jahren ausreichend, um die Löhne der drei Pflegenden zu decken. Infolgedessen verbleibe die ganze Hilfslosenentschädigung von Fr. 23'520.-- dem Ehemann der Beschwerdeführerin. Der Betrag der Hilflosenentschädigung sei als Einnahme des Ehemanns der Beschwerdeführerin anzurechnen. Denn hätte eine Drittperson mit der Hilfe der alltäglichen Lebensverrichtungen (und damit der übrigen rund 8,25 Stunden pro Tag) beauftragt werden müssen, hätte dieser Drittperson im Umfang der Hilflosenentschädigung ein Lohn für die Hilfeleistungen bezahlt werden müssen. Hätte diese Drittperson wiederum Ergänzungsleistungen bezogen, so hätte sie sich diesen Lohn bei der Berechnung ihres eigenen Anspruchs auf Ergänzungsleistungen als Einnahme anrechnen lassen müssen. Die vorliegende Anrechnung der Hilflosenentschädigung als Erwerbseinkommen des Ehemanns verstosse nicht gegen Art. 11 Abs. 3 lit. d ELG, weil es sich bei dieser Einnahmenposition nicht um eine der hilflosen Person zustehenden Hilflosenentschädigung, sondern um ein Erwerbseinkommen der helfenden Drittperson im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG handle. Da der Ehemann der hilflosen Beschwerdeführerin die nötigen Hilfeleistungen erbringe, müsse er mit ihr konkludent einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben, in welchem ein Jahreslohn von Fr. 23'520.-- vereinbart worden sei. In diesem Zusammenhang verwies die Beschwerdegegnerin auf SVR 2021 EL Nr. 4 E. 2.3, entsprechend dem Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen EL 2019/4 vom 8. September 2020.
4.2 In der Beschwerdeschrift wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Beschwerdegegnerin übersehe bei ihrer Anrechnung der Hilflosenentschädigung als Einkommen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG, dass die Hilflosenentschädigung pauschal, unabhängig von effektiv entstandenen Kosten vergütet werde. Gemäss Bundesgericht verfolge die Hilflosenentschädigung den gesetzlichen Zweck, die mit der Hilflosigkeit verbundenen präsumierten Kosten zu ersetzen. Entschädigt würden somit die behinderungsbedingt anfallenden Mehrkosten. Der Hilflosenentschädigung komme folglich schadenersatzähnlicher Charakter zu. Es erfolge damit eine pauschalisierte Entschädigung der behinderungsbedingten Aufwendungen. Die Beschwerdegegnerin gehe somit fehl in der Annahme, die Hilflosenentschädigung habe vorliegend den (ausschliesslichen) Zweck, den Ehemann für von ihm übernommene Aufgaben zu entlöhnen. Das Versicherungsgericht St. Gallen mache im Entscheid EL 2019/4 vom 8. September 2020 keinen Unterschied mehr, ob die Hilfeleistung vom Ehegatten oder einer Drittperson erbracht werde. Diese Gleichsetzung greife zu kurz. Denn nicht in jeder Konstellation könne ein Ehegatte einfach durch eine Drittperson im Sinn eines Arbeitsverhältnisses mit gesetzlichen Rechten und Pflichten ersetzt werden. Im vorliegenden Fall sei überwiegend wahrscheinlich davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin keine Drittperson finden würde, die während sieben Tagen pro Woche an 8,25 Stunden, mehrheitlich nachts, für Fr. 23'520.--/Jahr die Aufgaben des Ehemanns übernehmen würde. Ein solches Arbeitsverhältnis wäre auch kaum zulässig. Die Beschwerdegegnerin habe dem Ehemann während des Spitalaufenthalts der Beschwerdeführerin ein hypothetisches Einkommen von Fr. 57'256.--/Jahr angerechnet. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann müssten also auch aus Sicht der Beschwerdegegnerin zwangsläufig selbst mit der Anrechnung der Hilflosenentschädigung im Umfang von Fr. 23'520.-- als "Lohn" auf fehlendes Einkommen des Ehemanns von Fr. 33'736.-- pro Jahr verzichten. Diese Problematik werde im Entscheid des St. Galler Gerichts nicht thematisiert und könne auch nicht vom Ehegatten auf eine beliebige Drittperson übertragen werden. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich habe sich im Urteil ZL.2016.000151 vom 29. September 2017 mit der Frage der Anrechnung der Hilflosenentschädigung der Ehefrau und des Kinds als Lohn des Ehemannes und Vaters befasst. Das Gericht habe festgehalten, dass es sich bei einer Hilflosenentschädigung nicht um eine subsidiär zur Ergänzungsleistung auszurichtende Leistung handle. Sie dürfe nur Anrechnung finden, wenn die Anspruchsberechnung auch die Kosten der Hilfe beinhaltet, was dort, wie auch hier, nicht der Fall sei. Das Gericht habe weiter festgehalten, eine analoge Anwendung der Ausnahmebestimmung in Art. 10 ELG bzw. eine zusätzliche Ausnahme zu Art. 11 Abs. 3 ELG falle nicht in Betracht.
4.3 Wie die Beschwerdegegnerin in E. 9a des angefochtenen Entscheids zutreffend dargelegt hat, verfolgt die Hilflosenentschädigung den gesetzlichen Zweck, die mit der Hilflosigkeit verbundenen präsumierten Kosten zu ersetzen. Entschädigt werden somit behinderungsbedingt anfallende Mehrkosten. Solche Kosten verursachen grundsätzlich (auch) die für die Beschwerdeführerin in der Nacht zu erbringenden Hilfe- bzw. Pflegeleistungen. Dass diese Leistungen vorliegend von ihrem Ehemann und nicht von einer Drittperson ausgeführt werden, darf nicht dazu führen, diesbezüglich eine Vergütungspflicht zu verneinen, würde dies doch zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung mit hilflosen EL-Beziehenden führen, die nicht auf die Unterstützung eines Ehegatten zurückgreifen können und die entsprechenden Leistungen folglich mit ihrer Hilflosenentschädigung vergüten müssten. Dies ergibt sich auch aus der "Zusammenfassung Berechnung" für die Festlegung des Assistenzbeitrags und der Verfügung Reduktion des Assistenzbeitrags vom 19. August 2022, wo 56.12 Stunden an Pflegeleistungen durch Zahlungen der Hilflosenentschädigung als abgedeckt betrachtet und somit bei der Bemessung des Assistenzbeitrags abgezogen werden. Wenn die ausbezahlte Hilflosenentschädigung nicht als an den Ehemann der Beschwerdeführerin geleistete Lohnzahlung für erbrachte Pflegeleistungen im Rahmen der Bemessung der jährlichen Ergänzungsleistung berücksichtigt würde, käme es bei der Beschwerdeführerin zu einer gegenüber einer Person in der gleichen gesundheitlichen Situation wie die Beschwerdeführerin, die jedoch keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätte, zu einer nicht zu rechtfertigenden Besserstellung, da jene Person die ihr durch Ausrichtung der Hilflosenentschädigung ausbezahlten Beträge für die Abdeckung für von ihr benötigte Pflegeleistungen ausgeben müsste, die Beschwerdeführerin hingegen nicht. Mit der Beschwerdegegnerin ist somit davon auszugehen, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann ein konkludenter Arbeitsvertrag besteht mit einem vereinbarten Jahreslohn von Fr. 23'520.--, entsprechend dem Betrag der Hilflosenentschädigung der Beschwerdeführerin. Es ist der Beschwerdeführerin somit möglich und zumutbar, die von ihrem Ehemann erbrachten Leistungen mit ihrer Hilflosenentschädigung zu entlöhnen. Bei den in der Anspruchsberechnung eingesetzten Fr. 23'520.-- (von denen 80% angerechnet wurden) handelt es sich nicht um eine Anrechnung von Hilflosenentschädigung als Einkommen der Beschwerdeführerin, sondern als Einkommen des Ehemanns der Beschwerdeführerin für die von ihm für die Beschwerdeführerin erbrachten Hilfe- und Pflegeleistungen im Rahmen des konkludenten Arbeitsvertrags, wie auch die Beschwerdegegnerin zutreffend dargelegt hat. Es liegt somit kein Verstoss gegen Art. 11 Abs. 3 lit. d ELG vor. Aufgrund der lediglich 80%igen Anrechnung dieses Einkommens ist auch die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen ohne weiteres gewährleistet. Diese Qualifikation als (effektives) Einkommen des Ehemanns der Beschwerdeführerin ist insofern als Entgegenkommen zu betrachten, als ihm bei Annahme eines hypothetischen Einkommens überwiegend wahrscheinlich ein höherer Betrag als erzielbares Einkommen angerechnet würde. (…)
Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2024.65/E vom 10. Juli 2024