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TVR 2024 Nr. 34

Rechtsmittelweg bei Verfahren betreffend (Rückforderung von) Restfinanzierungszahlungen.


Art. 25 a Abs. 5 KVG, Art. 49 ATSG, Art. 52 ATSG


Bei erstinstanzlichen Entscheiden betreffend (Rückforderung von) Restfinanzierung von Pflegekosten handelt es sich um Verfügungen im Sinne von Art. 49 ATSG. Als Rechtsmittel gegen solche Verfügungen ist bei der verfügenden Instanz Einsprache im Sinne von Art. 52 ATSG zu erheben. Eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht ist erst gegen den Einspracheentscheid möglich.


Mit als Rekurs bezeichneter Eingabe gegen den Entscheid der Beschwerdegegnerin (Politische Gemeinde G) betreffend Restkostenfinanzierung vom 15. April 2024 gelangte die Beschwerdeführerin ans DFS. Das DFS leitete die Eingabe unter Hinweis auf TVR 2023 Nr. 27 zuständigkeitshalber ans Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht weiter, nachdem die Beschwerdegegnerin - entgegen ihrer Rechtsmittelbelehrung im Entscheid vom 15. April 2024 - geltend gemacht hatte, nicht das DFS, sondern das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht sei zur Beurteilung der Streitigkeit zuständig. Das Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht beschränkte den Streitgegenstand des Verfahrens einstweilen auf die Zuständigkeitsfrage. In der Folge tritt es auf die Beschwerde nicht ein und überweist die Angelegenheit an die Beschwerdegegnerin, damit sie die Eingabe der Beschwerdeführerin als Einsprache behandle.

 

Aus den Erwägungen:

 

1.

1.1 Art. 1 Abs. 1 KVG erklärt die Bestimmungen des ATSG auf die Krankenversicherung für anwendbar, soweit das KVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vorsieht. Unter Art. 1 Abs. 2 KVG werden die Bereiche aufgezählt, in welchen das ATSG keine Anwendung findet: a) Zulassung und Ausschluss von Leistungserbringern (Art. 35 - 40, 59); b) Tarife, Preise und Globalbudget (Art. 43 - 55); c) Ausrichtung der Prämienverbilligung nach den Art. 65, 65a und 66a sowie Beiträge des Bundes an die Kantone nach Art. 66; d) Streitigkeiten der Versicherer unter sich (Art. 87); e) Verfahren vor dem kantonalen Schiedsgericht (Art. 89). Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) hat in BGE 130 V 215 E. 5.1 festgehalten, dass diese Aufzählung nicht abschliessend ist (Urteil des Bundesgerichtes 9C_754/2019 vom 23. April 2020 E. 4.1). Auf Streitigkeiten über die Restfinanzierung ist das Verfahren gemäss ATSG dann anwendbar, wenn der kantonale Gesetzgeber keine oder keine abweichende Regelung getroffen hat (Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2. Aufl. 2018, Art. 25a N. 45; BGE 140 V 58 E. 4.2; 138 V 377 E. 5). In diesem Sinne findet das ATSG auch dann Anwendung, wenn nicht ein Versicherungsträger, sondern eine kantonale Behörde im Sozialversicherungsrecht in Anwendung des ATSG hoheitlich entscheidet und nicht die Anwendung autonomen kantonalen Rechts greift (Urteil des Bundesgerichtes 9C_756/2019 vom 23. April 2020 E. 5.3 ff; vgl. auch Kieser, Kommentar zum ATSG, 4. Aufl. 2020, Art. 52 N. 25).

 

1.2 Im Kanton Thurgau regeln weder das TG KVG noch die TG KVV das Verfahren bei Streitigkeiten über die Restfinanzierung im Bereich der ambulanten Pflege. Für das Verfahren ist daher, wie vorstehend dargelegt, das ATSG massgeblich. (…)

 

1.3 Im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich in Form einer Verfügung bzw. eines Einspracheentscheids Stellung genommen hat. Insofern bestimmt die Verfügung bzw. der Einspracheentscheid den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung bzw. kein Einspracheentscheid ergangen ist (BGE 131 V 164 E. 2.1; 125 V 413 E. 1a).

 

2.

2.1 Über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, hat der Versicherungsträger schriftlich Verfügungen zu erlassen (Art. 49 Abs. 1 ATSG). (…)

 

2.2 Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind prozess- und verfahrensleitende Verfügungen (Art. 52 Abs. 1 ATSG). (…)

 

3.

3.1 Beim Entscheid der Beschwerdegegnerin vom 15. April 2024 handelt es sich um eine Verfügung im Sinne von Art. 49 ATSG. Als Rechtsmittel gegen diesen Entscheid hat die Beschwerdegegnerin den Rekurs beim DFS angegeben. Dies ist unzutreffend, denn vorliegend gelangt das ATSG zur Anwendung (…).

 

3.2 (…)

 

3.3 Nachdem vorliegend für das Verfahren das ATSG zur Anwendung gelangt, war gegen den angefochtenen Entscheid der Beschwerdegegnerin Einsprache gemäss Art. 52 ATSG zu erheben. Von dem Zeitpunkt an, an dem die betroffene Person eine Entscheidung durch Einsprache angefochten hat, hat sie Anspruch auf einen Einspracheentscheid, welcher die ursprüngliche Verfügung ersetzt. Einspracheentscheide dürfen sich nicht darauf beschränken, die vorangegangene Verfügung, welche ein Rechtsverhältnis materiell ordnet, wegen der Notwendigkeit weiterer Abklärungen einfach aufzuheben. Die einsprechende Person hat ein Recht auf den Erhalt eines Verwaltungsakts, der das fragliche Rechtsverhältnis entsprechend dem gegenständlichen Umfang der ursprünglichen Verfügung und der erhobenen Rügen sowie aufgrund vollständiger Entscheidungsgrundlagen festlegt (reformatorisch; BGE 131 V 407 E. 2.1.2.1, 2.2.2; vgl. auch Kieser, Kommentar zum ATSG, 4. Aufl. 2020, Art. 52 N. 66 f.). Die Beschwerdegegnerin hat bislang keinen Einspracheentscheid erlassen.

 

3.4 Dies hat zur Folge, dass es vorliegend an einem Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht und somit an einer Sachurteils­voraussetzung fehlt, weshalb auf die Beschwerde nicht eingetreten werden kann. Die Angelegenheit ist daher unter Beilage der vollständigen Akten an die Beschwerdegegnerin zu überweisen, damit diese die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 14. Mai 2024 als Einsprache behandelt. (…)

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts als Versicherungsgericht VV.2024.113/E vom 10. Juli 2024

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