Skip to main content

TVR 2024 Nr. 4

Stimmrecht, Rügepflicht vor Abstimmungen.


§ 98 Abs. 2 StWG


Die Rügepflicht ist streng zu handhaben. Vermutete Rechtsverletzungen bei der Vorbereitung von Abstimmungen sind unverzüglich nach deren Kenntnisnahme zu rügen. Grundsätzlich ist die Rüge am selben bzw. spätestens am nächsten Arbeitstag nach Entdeckung des Mangels zu erheben. Es genügt nicht, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung erst anlässlich der Gemeindeversammlung vorgebracht wird.


Den Stimmberechtigten der Politischen Gemeinde Thundorf (verfahrensbeteiligte Gemeinde) wurden im Hinblick auf die bevorstehende Gemeindeversammlung die Einladung inklusive Botschaft und Traktandenliste zugestellt. An der Gemeindeversammlung beanstandete der Beschwerdeführer die Traktandenliste; es fehle ein Traktandum. Der Beschwerdeführer erhob beim DIV (Vorinstanz) Stimmrechtsrekurs, welcher abgewiesen wurde, soweit das DIV darauf eintrat; die Rüge sei - so das DIV - zu spät erhoben worden. Das Verwaltungsgericht weist die dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

 

Aus den Erwägungen:

 

2.2 Stimmberechtigte können nach § 97 Abs. 1 StWG wegen Verletzung des Stimm- und Wahlrechts einschliesslich Rechtsverletzungen bei der Vorbereitung und Durchführung von Abstimmungen oder Wahlen Rekurs erheben. Rechtsmittel sind spätestens am dritten Tag nach der Gemeindeversammlung eingeschrieben einzureichen (§ 98 Abs. 1 Ziff. 2 StWG). Unabhängig von dieser Frist sind vermutete Rechtsverletzungen unverzüglich nach deren Kenntnis, bei Gemeindeversammlungen in der Versammlung selbst zu rügen. Erfolgt die Rüge verspätet, ist auf den Rekurs nicht einzutreten (§ 98 Abs. 2 StWG).

 

2.3        

2.3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Mängel hinsichtlich von Vorbereitungshandlungen bereits im Vorfeld von Abstimmungen sofort und vor Durchführung der Abstimmung zu rügen. Diese Praxis bezweckt, dass Mängel möglichst noch vor der Abstimmung behoben werden können. Unterlässt dies der Stimmberechtigte, so verwirkt er im Grundsatz das Recht zur Anfechtung der Abstimmung (Urteile des Bundesgerichts 1C_295/2020 vom 18. Januar 2021 E. 3.2 und 3.4 und 1C_623/2019 vom 1. Mai 2020 E. 3.3 mit Hinweis auf BGE 140 I 338 E. 4.4). Die unverzügliche Rüge muss zumutbar sein. Die Zumutbarkeit der sofortigen Geltendmachung beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. In der Regel wird sie für Mängel des formellen Ablaufs der Debatte bejaht, die mit einem passenden Ordnungsantrag an der Gemeindeversammlung angefochten werden könnten, nicht aber, wenn die inhaltliche Unrichtigkeit der Ausführungen von Gemeindevertretern beanstandet wird (Urteile des Bundesgerichts 1C_295/2020 vom 18. Januar 2021 E. 3.2 und 1C_100/2019 vom 16. Mai 2019 E. 6.3).

 

2.3.2 Gemäss der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ist die rechtzeitige Rüge eine Prozessvoraussetzung, wobei diese eng auszulegen bzw. streng zu handhaben ist. Sinn und Zweck der Pflicht zur unverzüglichen Rüge ist es, entstandene Verfahrensfehler wo immer möglich unverzüglich wiedergutzumachen, damit nicht unnötige Rechtsmittelverfahren eingeleitet und allenfalls sogar der ganze Apparat der Gemeindeversammlung nochmals in Bewegung gesetzt werden muss. Die Rügepflicht dient damit der Verfahrensökonomie. Sie entspricht jedoch auch dem Grundsatz von Treu und Glauben, der nicht nur von den Behörden, sondern auch vom Bürger zu beachten ist. Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn ein Mangel vorerst widerspruchslos hingenommen wird und hinterher die Wahl oder Abstimmung, soweit deren Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht, wegen eben dieses Mangels angefochten würde. Eine bei der Vorbereitung einer Gemeindeversammlung erkannte oder vermutete Rechtsverletzung muss sofort gerügt werden. Es genügt nicht, wenn die Rechtsverletzung erst anlässlich der Versammlung selbst vorgebracht wird (TVR 1996 Nr. 5 E. 2a und 2b, TVR 1999 Nr. 7 E. 2, TVR 2013 Nr. 8 E. 2.2 sowie TVR 2018 Nr. 5 E. 2; vgl. zum Ganzen auch Urteile des Bundesgerichts 1C_528/2017 vom 1. Juni 2018 E. 5.2 [persönliche Rügepflicht] und 1C_100/2019 vom 16. Mai 2019 E. 6.1 f.).

 

3.

3.1 Verfahrensgegenstand ist die Gemeindeversammlung vom 15. Januar 2024. Der Beschwerdeführer beanstandet die Nicht-Traktandierung des in der Botschaft abgedruckten Plans XY. Er beantragt vorliegend die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und macht geltend, die Vorinstanz sei auf seinen Rekurs zu Unrecht nicht eingetreten. Der Erhalt der Botschaft und dessen Lektüre seien zeitlich nicht zusammengefallen. Er sei krank gewesen und habe sich erst am Wochenende vor der Gemeindeversammlung vom Montag, 15. Januar 2024, auf diese vorbereitet. Zu Beginn der Versammlung habe er dann die fehlende Traktandierung beanstandet. Der Beschwerdeführer stellt sich demnach auf den Standpunkt, er habe von der Nicht-Traktandierung erst am Wochenende vom 13./14. Januar 2024 Kenntnis erhalten. Seine Rüge vom 15. Januar 2024 anlässlich der Gemeindeversammlung erweise sich als rechtzeitig.

 

3.2 (…)

 

3.3        

3.3.1 Die unverzügliche Rügefrist beginnt gemäss § 98 Abs. 2 StWG nach Kenntnis der Rechtsverletzung. Die Rügepflicht entsteht somit mit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Mangels. Wortlaut und Systematik der Bestimmung von § 98 Abs. 2 StWG lassen darauf schliessen, dass als Grundregel die Rüge am selben bzw. spätestens am nächsten Arbeitstag nach Entdeckung des Mangels zu erheben ist (TVR 2013 Nr. 8 E. 2.3 und TVR 1996 Nr. 5 E. 2a [§ 82 Abs. 2 StWG in der Fassung bis 31. Juli 2014 stimmt mit dem Wortlaut des aktuell gültigen § 98 Abs. 2 StWG überein]).

 

3.3.2 Wann genau der Beschwerdeführer die von ihm beanstandete Nicht-Traktandierung entdeckt hat - erst am Wochenende vom 13./14. Januar 2024 oder bereits davor - lässt sich nicht feststellen. Nicht zu beanstanden sind allerdings die Ausführungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid, wonach der Beschwerdeführer die fehlende Traktandierung vorgängig zur Gemeindeversammlung vom 15. Januar 2024 festgestellt hat. Der Beschwerdeführer wäre deshalb verpflichtet gewesen, spätestens am Montagmorgen des 15. Januar 2024 die Nicht-Traktandierung zu beanstanden. Dies hätte dem Gemeinderat ermöglicht, vor der Gemeindeversammlung über allenfalls zu ergreifende Massnahmen zu beraten bzw. zu entscheiden. Die Rügepflicht gemäss § 98 Abs. 2 StWG ist streng zu handhaben (vgl. vorstehend E. 2.3.2). Selbst wenn die Zeitspanne zwischen Kenntnisnahme der (behaupteten) Rechtsverletzung und Abstimmungsdatum kurz ist, besteht keine Veranlassung, um von der gesetzlichen Regelung der unverzüglichen Rüge abzuweichen (vgl. TVR 2013 Nr. 8 E. 2.3 mit Hinweis auf BGE 110 Ia 176 E. 2a). Dem Beschwerdeführer wäre es ohne weiteres zumutbar gewesen, das aus seiner Sicht unzulässige Vorgehen (Nicht-Traktandierung) am Montagmorgen des 15. Januar 2024 und damit vor der Gemeindeversammlung beim Gemeinderat in geeigneter Art und Weise - das heisst z. B. telefonisch oder per E-Mail - zu rügen (vgl. TVR 2013 Nr. 8 E. 2.3). Seine Rüge anlässlich der Gemeindeversammlung erfolgte somit verspätet. Der angefochtene Entscheid ist demnach nicht zu beanstanden. (…)

 

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2024.68/E vom 20. November 2024

JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.