TVR 2024 Nr. 6
Weiterleitung/Überweisung einer Eingabe an die zuständige Behörde.
Im Falle der Unzuständigkeit einer Behörde ist die Weiterleitung einer Eingabe an die zuständige Behörde nicht zwingend erforderlich, wenn die Eingabe nicht der Wahrung einer Frist dient. Von der Weiterleitung einer Eingabe an die zuständige Behörde ist auch dann abzusehen, wenn es sich beim Verfahren vor der zuständigen Behörde um ein völlig anderes Verfahren handeln würde (vorliegend Anfechtungsverfahren statt Klageverfahren) und jenes Verfahren noch nicht mittels Erlasses eines erstinstanzlichen Entscheids eingeleitet wurde.
Die Klägerin wurde im Jahr 2017 als Pfarrerin der Evangelischen Kirchgemeinde A (Beklagten) gewählt. Am 25. Oktober 2022 wurde der Klägerin von der Aufsichtskommission der Beklagten mitgeteilt, dass sie mit sofortiger Wirkung vom Religionsunterricht der 5. und 6. Klasse sowie der 2. Sekundarklasse freigestellt werde, dies mit der Absicht, ihr den Religionsunterricht dauerhaft zu entziehen; dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass dies eine Lohnreduktion zur Folge haben werde.
Am 28. Juni 2023 stellte die Klägerin bei der Aufsichtskommission der Beklagten den Antrag, sie sei umgehend wieder als Religionslehrerin einzusetzen. Eventualiter sei festzustellen, dass der Entzug des Religionsunterrichts zu Unrecht erfolgt sei. Die Beklagte sei zu verpflichten, ihr eine Genugtuung in der Höhe von mindestens Fr. 5'000.-- zuzüglich Zins zu 5% seit dem 29. Juni 2023 zuzusprechen. Sollte die Aufsichtskommission oder die Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkommen, sei ihr zeitnah eine anfechtbare Verfügung zukommen zu lassen.
Mit Eingabe vom 25. Oktober 2023 liess die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht erheben mit dem Rechtsbegehren, es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin den Betrag von Fr. 15'000.-- im Sinne einer Genugtuung und Fr. 10'240.85 im Sinne von Schadenersatz zu bezahlen. Das Verfahren wurde in der Folge vom verfahrensleitenden Gerichtspräsidenten auf die Frage der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts beschränkt.
Mit Entscheid VG.2023.128/E vom 24. Januar 2024 trat das Verwaltungsgericht nicht auf die Klage ein.
Aus den Erwägungen:
2.3 Gemäss der Verfassung ELK bzw. der Rechtspflegeverordnung steht im Kanton Thurgau (…) eine Rekurs- und Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheide einer Kirchgemeinde oder einer Aufsichtskommission in personalrechtlichen Fragen offen (für die personalrechtlichen Zuständigkeiten vgl. namentlich § 21 der Kirchenordnung der Evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, RB 187.12). Dies hat zur Folge, dass die Klägerin bei der Beklagten vorab einen personalrechtlichen Entscheid betreffend ihre Forderungen (Genugtuung in Höhe von Fr. 15'000.-- und Schadenersatz in Höhe von Fr. 10'240.85) verlangen muss. Ob dies durch das Schreiben vom 28. Juni 2023 rechtsgenüglich erfolgt ist, ist nicht im vorliegenden Verfahren zu beurteilen. (…)
3.
3.1 Mangels Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts kann auf die Klage vom 25. Oktober 2023 somit nicht eingetreten werden.
3.2 Die Klägerin macht geltend, dass - sollte sich das Verwaltungsgericht wider Erwarten nicht als zuständig erachten - ihre Eingabe vom 25. Oktober 2023 gestützt auf § 5 Abs. 3 VRG von Amtes wegen der zuständigen Behörde weiterzuleiten sei.
3.3 Fraglich ist, ob die Weiterleitungspflicht nach § 5 Abs. 3 VRG im Klageverfahren überhaupt (sinngemäss) zur Anwendung gelangt (wobei diese Auffassung im Kommentar zum Thurgauer VRG vertreten wird; vgl. Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, 2014, § 69 N. 1). Gemäss § 69 VRG ("Ergänzende Vorschriften") richtet sich das (Klage-)Verfahren, soweit die §§ 65 bis 68 keine Regelungen enthalten, sinngemäss nach den Bestimmungen über die Beschwerde. Im Gegensatz zu § 62 VRG, der für das Beschwerdeverfahren ergänzend, das heisst soweit die §§ 56 ff. VRG keine Regelungen enthalten, die Bestimmungen über den Rekurs "und die allgemeinen Verfahrensvorschriften" für sinngemäss anwendbar erklärt, enthält § 69 VRG keinen Verweis auf die "allgemeinen Verfahrensvorschriften", zu welchen § 5 VRG gehört. Dies spricht gegen die uneingeschränkte (sinngemässe) Anwendbarkeit der Weiterleitungspflicht nach § 5 Abs. 3 VRG im Klageverfahren. Ungeachtet dessen ist dem Begehren der Beschwerdeführerin um Weiterleitung ihrer Eingabe auch aus anderen Gründen nicht zu entsprechen.
3.4 Nach der Bestimmung von § 5 Abs. 3 VRG sind Eingaben an eine unzuständige Behörde unter Benachrichtigung des Absenders an die zuständige Behörde weiterzuleiten; eine Frist gilt auch dann als eingehalten, wenn die Eingabe rechtzeitig bei einer unzuständigen Behörde eingereicht worden ist. Die Weiterleitung an die zuständige Behörde im Rahmen von § 5 Abs. 3 VRG dient in erster Linie der Fristwahrung. Folglich ist eine Weiterleitung nur im Fall von fristgebundenen Eingaben zwingend erforderlich (vgl. hierzu Plüss, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl. 2014, § 5 N. 48). Vorliegend ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Beklagte bzw. eines ihrer Organe bislang noch keinen anfechtbaren Entscheid betreffend die von der Klägerin geltend gemachten Begehren erlassen hat. Die Frage der Wahrung einer Rechtsmittelfrist stellt sich daher vorliegend nicht, weshalb die Weiterleitung an die zuständige Behörde nicht angezeigt ist. Zum andern würde die Weiterleitung der - durch die anwaltlich vertretene Klägerin als Klage eingereichte - Eingabe vom 25. Oktober 2023 an die Beklagte bzw. an die dort zuständige Stelle eine Umdeutung der Klage in ein Rechtsmittel (in Form eines Rekurses) darstellen, was nicht möglich ist, nachdem sich ein solches Rechtsmittel nur gegen einen bereits vorhandenen Entscheid richten könnte, der vorliegend aber noch überhaupt nicht erlassen wurde. Ebenfalls nicht möglich ist die Umdeutung der Eingabe vom 25. Oktober 2023 in einen an die Beklagte bzw. die zuständige Stelle gerichteten Antrag auf Erlass eines entsprechenden Entscheids, zumal sich ein derartiger Antrag nicht aus der Klage vom 25. Oktober 2023 ergibt. Der Klägerin steht es vielmehr frei, sich bezüglich eines anfechtbaren Entscheids (nochmals) an die Beklagte zu wenden. Ebenso wenig kann die Eingabe der Klägerin vom 25. Oktober 2023 in eine Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde umgedeutet werden, da dies mit der Klage ebenfalls nicht zum Ausdruck gebracht wird. Überdies hat ein Rechtsmittelverfahren gegenüber einem Klageverfahren (als Teil der ursprünglichen Gerichtsbarkeit; vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 64 N. 1) verfahrensrechtlich einen ganz anderen Inhalt. Dabei liegt auch keine örtliche, sachliche oder funktionelle Unzuständigkeit vor, auf welche die Weiterleitungspflicht von § 5 Abs. 3 VRG für Eingaben an eine unzuständige Behörde zugeschnitten ist (vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 5 N. 1). Von einer Weiterleitung der Klageschrift vom 25. Oktober 2023 an die zuständige Behörde ist aus den dargestellten Gründen abzusehen.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2023.128/E vom 24. Januar 2024