TVR 2024 Nr. 7
Aktualität des Rechtsschutzinteresses; nur ausnahmsweise materielle Behandlung einer Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde nach mittlerweile ergangenem Entscheid der Vorinstanz.
Auf eine Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde nach § 72a VRG ist grundsätzlich nur dann einzutreten, wenn der beschwerdeführenden Person im Zeitpunkt des Entscheids über die Beschwerde ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse zukommt. Auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (sogenanntes virtuelles Interesse, E. 2.4).
Gemäss Bundesgericht ist eine Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde - trotz eines mittlerweile ergangenen Entscheids und damit Wegfalls des aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses - ausnahmsweise auch dann materiell zu behandeln, wenn die beschwerdeführende Person hinreichend substanziiert und in vertretbarer Weise eine Verletzung ihres Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK behauptet. Steht bzw. stand der beschwerdeführenden Person allerdings - etwa, wie im vorliegenden Fall, in Form einer ordentlichen Beschwerde - ein anderer wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung, mit welchem sie bei Vorliegen einer Konventionsverletzung Wiedergutmachung hätte erlangen können, so ist auf die Eintretensvoraussetzung der Aktualität des Rechtsschutzinteresses bei der Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde nicht zu verzichten (E. 2.5).
Die Beschwerdeführerin betreibt auf ihrer Liegenschaft eine Biogas-/Vergärungsanlage. Zusätzlich zu den in den Zuständigkeitsbereich des AfU fallenden abfallrechtlichen Bewilligungen erteilte das Veterinäramt der Beschwerdeführerin, unter Auflagen, mehrere befristete veterinäramtliche Bewilligungen für die Verarbeitung von Tiernebenprodukten (TNP). Nach einer Kontrolle vom 3. Mai 2018 eröffnete das Veterinäramt mit Entscheid vom 9. Mai 2018 gegen die Beschwerdeführerin ein Administrativverfahren und erliess vorsorgliche Massnahmen. Mit Entscheid vom 11. Juli 2018 legte das Veterinäramt, in Form von vorsorglichen Massnahmen, erneut Vorgaben betreffend Annahme und Verarbeitung von TNP fest. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 2. August 2018 beim DIV (Vorinstanz) Rekurs.
Am 15. Mai 2019 erliess das Veterinäramt einen Entscheid, mit welchem Verstösse der Beschwerdeführerin gegen die Tierseuchengesetzgebung festgestellt wurden; gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin verwarnt. Auch gegen diesen Entscheid erhob die Beschwerdeführerin am 5. Juni 2019 bei der Vorinstanz Rekurs.
Mit Entscheid vom 11. Juni 2021 verlängerte das Veterinäramt die veterinäramtliche Bewilligung bis 30. April 2023 unter diversen Auflagen. Dieser Entscheid wurde von der Beschwerdeführerin am 2. Juli 2021 ebenfalls mit Rekurs bei der Vorinstanz angefochten.
Am 5. Februar 2024 erliess die Vorinstanz zwei Entscheide. Mit dem einen Entscheid wurden die gegen die Entscheide des Veterinäramts vom 11. Juli 2018 und 15. Mai 2019 gerichteten Rekurse der Beschwerdeführerin vom 2. August 2018 und 5. Juni 2019 abgewiesen. Mit dem anderen Entscheid vom 5. Februar 2024 wies die Vorinstanz auch den gegen den Entscheid des Veterinäramts vom 11. Juni 2021 gerichteten Rekurs der Beschwerdeführerin vom 2. Juli 2021 ab.
Mit einer auf den 5. Februar 2024 datierten, jedoch am 7. Februar 2024 bei der Post aufgegebenen Eingabe reichte die Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht eine gegen die Vorinstanz gerichtete Rechtsverzögerungsbeschwerde ein und stellte das Rechtsbegehren, es sei die Vorinstanz anzuhalten, umgehend je einen materiellen Entscheid über die Rekurse vom 5. Juni 2019 und 2. Juli 2021 zu erlassen. Gleichzeitig mit dieser Rechtsverzögerungsbeschwerde reichte die Beschwerdeführerin ein Begleitschreiben ein, in welchem ausgeführt wurde, dass gleichentags (am 7. Februar 2024) die Rekursentscheide der Vorinstanz bei ihr eingegangen seien. Die Beschwerdeführerin erklärte in diesem Begleitschreiben, dass sie deshalb in Abweichung vom ursprünglichen Rechtsbegehren neu beantrage, es sei mit Bezug auf die Entscheide über die Rekurse vom 5. Juni 2019 und 2. Juli 2021 eine unrechtmässige Rechtsverzögerung der Vorinstanz festzustellen. Das Verwaltungsgericht tritt nicht auf die Beschwerde ein.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Die Vorinstanz erliess am 5. Februar 2024 die beiden von der Beschwerdeführerin mit Rechtsverzögerungsbeschwerde vom 7. Februar 2024 verlangten Rekursentscheide (…). Diese Rekursentscheide gingen gemäss Darstellung der Beschwerdeführerin am 7. Februar 2024 bei ihr ein. Trotz Kenntnis dieser Rekursentscheide reichte sie gleichentags die Rechtsverzögerungsbeschwerde beim Verwaltungsgericht ein, wobei sie mit Begleitschreiben vom 7. Februar 2024 das ursprüngliche, auf den Erlass der verlangten Rekursentscheide abzielende Rechtsbegehren in ein Feststellungsbegehren abänderte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführerin noch ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse an einer materiellen Beurteilung der vorliegenden Rechtsverzögerungsbeschwerde zukommt.
2.2 Die Beschwerde vom 7. Februar 2024 bezweckte die Beförderung des vorinstanzlichen Verfahrens und die Feststellung, dass eine Rechtsverzögerung vorliege. Die Beschwerdeführerin sieht eine Rechtsverzögerung darin, dass die Vorinstanz über die im Juni 2019 bzw. Juli 2021 eingereichten Rekurse zumindest bis unmittelbar vor der Erhebung der Rechtsverzögerungsbeschwerde noch nicht entschieden hatte. Wie erwähnt, ergingen die ausstehenden Sachentscheide am 5. Februar 2024 und wurden der Beschwerdeführerin am 7. Februar 2024 zugestellt/eröffnet. Mit der Zustellung der Entscheide ist das Interesse der Beschwerdeführerin an der Beschwerde vom 7. Februar 2024 grundsätzlich entfallen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_152/2014 vom 5. September 2014 E. 2.2).
2.3 Das schutzwürdige Interesse als Teil der Sachurteilsvoraussetzungen muss nicht nur bei Ausfällung des Urteils, sondern bereits bei Einreichung der Beschwerde aktuell und praktisch sein. Fehlte es bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (vgl. BGE 139 I 206 E. 1.1, Urteile des Bundesgerichts 7B_336/2023 vom 3. Mai 2024 E. 1.3, 1C_536/2022 vom 25. Juli 2023 E. 1.2 und 2C_1087/2017 vom 3. Januar 2018 E. 2.3.4). Eine Rechtsverzögerungsbeschwerde muss demnach erhoben werden, solange der Entscheid der untätigen Behörde noch aussteht; auf Rechtsmittel, die erst nach Erlass des Entscheids erhoben werden, ist grundsätzlich mangels aktuellen Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten (vgl. Bosshart/Bertschi, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl. 2014, § 19 N. 52). Dies ist vorliegend der Fall; der Beschwerdeführerin fehlte es aufgrund des Erhalts des verlangten Rekursentscheids vom 5. Februar 2024 im Zeitpunkt der Einreichung der Rechtsverzögerungsbeschwerde an einem entsprechenden aktuellen und praktischen Interesse.
2.4 Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (sogenanntes virtuelles Interesse; BGE 140 III 92 E. 1.1, Urteil des Bundesgerichts 2C_1087/2017 vom 3. Januar 2018 E. 2.3.4). Ein derartiges virtuelles Interesse der Beschwerdeführerin ist vorliegend nicht auszumachen. Zwar ist nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin künftig wieder Rechtsmittel gegen Entscheide des verfahrensbeteiligten Amts erheben wird. Dass dies jedoch erneut unter denselben Umständen, in derselben Konstellation wie vorliegend und gegen Entscheide desselben Inhalts mit den entsprechenden Auflagen/Bedingungen, wie sie die nunmehr angefochtenen Entscheide vom 5. Februar 2024 enthalten, erfolgen wird, ist kaum zu erwarten. Ausserdem ist auch nicht ersichtlich, weshalb künftig eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall nicht möglich sein sollte. In dieser Hinsicht ist nicht von einem virtuellen Interesse seitens der Beschwerdeführerin im Sinne der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung auszugehen.
2.5
2.5.1 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde unter besonderen Umständen auch dann zu behandeln, wenn der erwartete Entscheid inzwischen ergangen und das aktuelle praktische Rechtsschutzinteresse insoweit weggefallen ist. Ein solcher Umstand liegt etwa dann vor, wenn die beschwerdeführende Person hinreichend substanziiert und in vertretbarer Weise eine Verletzung ihres Anspruchs auf Beurteilung innert angemessener Frist gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK behauptet. So führte das Bundesgericht im Urteil 1C_539/2013 vom 18. März 2014 in E. 2.2 unter Verweis auf Entscheide des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus, nach Art. 13 EMRK habe jede Person, die in ihren Konventionsrechten verletzt worden sei, Anspruch darauf, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben. Diesem Anspruch sei unter anderem dann Genüge getan, wenn die nationalen Behörden die gerügte Konventionsverletzung materiell behandeln. Dafür sei der betroffenen Person ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, der ihr durch die beantragte, unverzügliche Feststellung einer Konventionsverletzung Wiedergutmachung verschaffe. Das Recht auf wirksame Beschwerde bestehe unabhängig davon, ob die Betroffene in ihren Rechten nach wie vor beeinträchtigt sei. Die Aktualität des Rechtsschutzinteresses dürfe unter diesen Umständen kein entscheidendes Kriterium für die materielle Beurteilung der Beschwerde darstellen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_539/2013 vom 18. März 2014 E. 2.2, […]). Zu prüfen ist somit, ob der Beschwerdeführerin ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, mit welchem sie bei Vorliegen einer Konventionsverletzung Wiedergutmachung hätte erlangen können.
2.5.2 Im Urteil 1C_539/2013 vom 18. März 2014 hatte das Bundesgericht folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Am 10. Dezember 2012 hatte die dortige Beschwerdeführerin mit Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Obergericht Appenzell A.Rh. gerügt, der Regierungsrat verzögere den Erlass eines Entscheides unrechtmässig. Am 26. März 2013 erliess der Regierungsrat den Rekursentscheid, dessen Verzögerung die Beschwerdeführerin gerügt hatte. Mit Entscheid vom 24. April 2013 (in berichtigter Form am 30. April 2013 eröffnet) schrieb das Obergericht Appenzell A.Rh. die Rechtsverweigerungsbeschwerde als gegenstandslos geworden ab, weil der erwartete Rekursentscheid inzwischen ergangen sei. Im Verfahren vor dem Bundesgericht stellte sich das Obergericht Appenzell A.Rh. auf den Standpunkt, nachdem der erwartete Entscheid ergangen sei, hätte die Beschwerdeführerin ihre Rechtsverzögerungsrügen mit ordentlicher Beschwerde gegen den Rekursentscheid vorbringen können. Sie habe somit über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt. Dieser Auffassung ist das Bundesgericht nicht gefolgt. Es begründete dies damit, dass das Obergericht Appenzell A.Rh. das Rechtsverweigerungsverfahren erst drei Tage vor Ablauf der Beschwerdefrist gegen den Rekursentscheid vom 26. März 2013 abgeschrieben hatte, womit der Beschwerdeführerin nur wenige Tage verblieben waren, um ihre Rechtsverzögerungsrügen ins Hauptverfahren einzubringen. Diese kurze Zeit habe unter den gegebenen Umständen nicht ausgereicht, um die Verletzung des Beschleunigungsgebots sachgerecht rügen zu können. Die Beschwerdeführerin habe daher über keinen wirksamen Rechtsbehelf verfügt (Urteil des Bundesgerichts 1C_539/2013 vom 18. März 2014 E. 3.2.1).
2.5.3 Im Hinblick auf die zeitlichen Verhältnisse unterscheidet sich der vom Bundesgericht im Urteil 1C_539/2013 beurteilte Sachverhalt massgeblich vom vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt. Im Zeitpunkt der Eröffnung der Rekursentscheide vom 5. Februar 2024, welche Gegenstand der Verfahren VG.2024.23 und VG.2024.24 bilden, stand der Beschwerdeführerin die gesamte 30-tägige Rechtsmittelfrist zur Verfügung, um in der Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen diese Rekursentscheide auch die Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bzw. des Beschleunigungsgebotes durch die Vorinstanz zu rügen. Es stand der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin - im Unterschied zum im Urteil 1C_539/2013 beurteilten Sachverhalt - somit in der Form der ordentlichen Beschwerde gegen die Rekursentscheide vom 5. Februar 2024 ein ausreichender Rechtsbehelf zur Verfügung. Es besteht daher im vorliegenden Verfahren auch unter diesem Gesichtspunkt keine Veranlassung, von der Eintretensvoraussetzung des aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses ausnahmsweise abzusehen. Ob die Beschwerdeführerin in vertretbarer Weise eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK behauptet bzw. ausreichend substanziiert hat, kann damit offengelassen werden.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2024.13/E vom 6. November 2024