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RBOG 1995 Nr. 9

Der Verzicht auf die Hinterlegung des Mietzinses führt nicht zur Verwirkung des Rechts, eine Mietzinsreduktion geltend zu machen


Art. 259 g OR


1. Die Berufungsklägerin (Mieterin) bezahlte wegen mangelhaften Zustands der Räumlichkeiten einen Teil der Mietzinsschuld nicht. Dem Vermieter wurde für den Ausstand die Rechtsöffnung erteilt. Die Aberkennungsklage der Mieterin wies die Bezirksgerichtliche Kommission ab: Die Mietzinse hätten nicht eigenmächtig reduziert werden dürfen, sondern entsprechend Art. 259g OR hinterlegt werden müssen.

2. Die Berufungsklägerin anerkennt, dass sie dem Berufungsbeklagten (Vermieter) Fr. 4'800.-- schuldet. Die Aberkennungsklage begründet sie mit dem Hinweis darauf, es seien während der Vertragsdauer Mängel aufgetaucht, die der Vermieter trotz rechtzeitiger Rüge und seinerseitiger Versprechungen nicht behoben habe. Sie hätten die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung derart gemindert, dass die Berufungsklägerin eine Mietzinsreduktion von monatlich Fr. 300.-- bis Fr. 400.-- verlangen könne (Art. 259a Abs. 1 lit. b OR).

3. a) Gemäss Art. 256 Abs. 1 OR ist der Vermieter verpflichtet, die Sache zum vereinbarten Zeitpunkt in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu übergeben und in demselben zu erhalten. In Art. 258 OR wird dem Mieter die Möglichkeit eingeräumt, nach Art. 107 ff. OR über die Nichterfüllung von Verträgen vorzugehen, sofern der Vermieter die Pflicht zur rechtzeitigen mängelfreien Uebergabe der Sache verletzt. Damit tritt an die Stelle der Sachgewährleistung die Schlechterfüllung, die jedoch nicht nach Art. 97 OR, sondern gemeinsam mit dem Verzug nach Art. 107 OR abgewickelt werden soll (Wiegand, Das neue Mietrecht und die Dogmatik des OR, in: recht 1992 S. 111 f.).

Der Vermieter schuldet jedoch nicht nur die rechtzeitige Bereitstellung der mängelfreien Sache, sondern auch deren Instandhaltung, soweit es sich nicht um Mängel handelt, die im Lauf des Gebrauchs auftauchen und durch kleine, für den gewöhnlichen Unterhalt erforderliche Reinigungen oder Ausbesserungen behoben werden können und deshalb nach Art. 259 OR vom Mieter entsprechend dem Ortsgebrauch auf eigene Kosten zu beheben sind. Zur Beseitigung eines Mangels, der nicht als leicht bezeichnet werden kann (vgl. Lachat/Stoll, Das neue Mietrecht für die Praxis, Zürich 1991, Kap. 9 N 2.5) und deshalb in den Verantwortungsbereich des Vermieters fällt, ist letzterem schriftlich eine angemessene Frist zu setzen. Gleichzeitig kann ihm der Mieter androhen, dass er bei unbenütztem Ablauf der Frist Mietzinse, die künftig fällig werden, bei einer vom Kanton bezeichneten Stelle hinterlegen wird. Diese Hinterlegung muss er dem Vermieter schriftlich ankündigen. Mit ihr gilt der Mietzins sodann als bezahlt (Art. 259g Abs. 1 und 2 OR).

b) Diese Hinterlegungsmöglichkeit des Mietzinses im Fall von vom Vermieter zu behebenden Mängeln ist eine Errungenschaft der Mietrechtsrevision von 1990. Sie verstärkt die Rechtsstellung des Mieters bei Mängeln an der Mietsache. Früher verfügte er über keinerlei Druckmittel, wenn sich der Vermieter zu Unrecht weigerte, notwendige Reparaturen vorzunehmen. Es blieb ihm oft nichts anderes übrig, als den Prozessweg zu beschreiten, vom Richter die Ausführung der notwendigen Arbeiten anordnen zu lassen und auf eine Mietzinsherabsetzung und auf Schadenersatz zu klagen. Bei einer eigenmächtigen Herabsetzung des Mietzinses riskierte er indessen die Auflösung des Mietvertrags. Nach dem Vorschlag der Expertenkommission zur Revision des Mietrechts hätte er den Mietzins einseitig herabsetzen können. Der Vermieter hätte alsdann den Richter anrufen und beweisen müssen, dass die Herabsetzung grundsätzlich oder dem Umfang nach nicht gerechtfertigt gewesen sei. Der Gesetzgeber erachtete diese Verbesserung der Stellung des Mieters gegenüber dem Vermieter als zu weitgehend. Der Mieter ist nunmehr zwar nicht berechtigt, von sich aus eine Mietzinsherabsetzung vorzunehmen; es wurde ihm jedoch mit der Möglichkeit, den Mietzins zu hinterlegen, ein Druckmittel in die Hand gegeben, um den Vermieter zur Mängelbehebung zu bewegen (Lachat, Die Hinterlegung des Mietzinses [Art. 259g bis 259i OR], in: mietrechtspraxis 1993 S. 2 f.; BBl 1985 I S. 1437).

Sinn und Zweck der mietgesetzlichen Spezialregelung ist es somit, rasch und ohne Einhaltung gewisser Formalitäten Differenzen zwischen dem Mieter und dem Vermieter, die während des laufenden Mietverhältnisses entstehen, zu erledigen, d.h. insbesondere den Vermieter bei Auftreten von Mängeln zum Tätigwerden zu veranlassen. Nach Uebernahme der Mietsache kann der Mieter wohl nur noch die speziellen Rechtsbehelfe des Mietrechts geltend machen - hier wird in Uebereinstimmung mit der Situation im Werkvertragsrecht der Vorrang der Spezialvorschriften des Besonderen Teils des OR bestätigt (Wiegand, S. 112); dies bedeutet jedoch nicht, dass der Mieter von den speziellen mietrechtlichen Regelungen während eines bestehenden Mietverhältnisses Gebrauch machen muss. Würde aus dem Verzicht auf die Hinterlegung die Verwirkung des Rechts resultieren, die Herabsetzung des Mietzinses zu verlangen und Schadenersatz geltend zu machen, müsste eine solche Folge im Gesetz ausdrücklich festgehalten sein (vgl. z.B. Art. 341 OR). In keiner der Bestimmungen von Art. 259a ff. OR wird indessen darauf hingewiesen, der Mieter verliere diese Rechte, wenn er nicht nach Art. 259g OR vorgehe. Er kann wohl nach Entdeckung von Mängeln, zu deren Behebung er nicht verpflichtet ist, den ihm während des Mietverhältnisses offenstehenden speziellen mietrechtlichen Weg der Hinterlegung beschreiten, welcher sowohl ihn als auch den Vermieter schützt; er ist jedoch auch berechtigt, hierauf zu verzichten - ohne generell seiner Ansprüche verlustig zu gehen, aber unter Inkaufnahme der Kündigung wegen Zahlungsrückstands (Art. 257d OR) -, das Ende des Mietverhältnisses abzuwarten und erst nach Beendigung des Mietvertrags seinerseitige Ansprüche geltend zu machen. Auch nach diesem Zeitpunkt kann der Vermieter noch ausstehende Mietzinse einfordern und der Mieter seinerseitige Gegenforderungen behaupten (vgl. das in Art. 265 OR statuierte Verbot, im voraus auf das Recht zu verzichten, Forderungen und Schulden aus dem Mietverhältnis zu verrechnen; Pra 84, 1995, Nr. 251). Der Mieter trägt alsdann aber einerseits den prozessualen Nachteil, dass er eine Schadenersatzforderung in einem ordentlichen Zivilprozess geltend machen muss, dass er folglich nicht von den Vorteilen des summarischen Verfahrens profitieren kann. Andererseits obliegt ihm die Beweislast für den Bestand und das Ausmass derjenigen Schäden, welche auf die Mängel zurückzuführen sind, und er muss zudem allenfalls mit einer Reduktion der Schadenersatzforderung wegen Mitverschuldens rechnen, wenn ihm der Nachweis nicht gelingt, dass er den Vermieter korrekt über die behaupteten Mängel informierte.

c) Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses berechtigt ist, einer Forderung des Vermieters wegen ausstehender Mietzinse seinerseitige Ansprüche wegen Mängeln am Mietobjekt entgegenzustellen; ein allfälliges vertragliches Verrechnungsverbot verstiesse gegen Art. 265 OR. Da es sich indessen diesfalls um gewöhnliche Schadenersatzforderungen im Sinn von Art. 259e OR handelt, liegt die Beweislast für den entstandenen Schaden beim Mieter. Allein die Tatsache, dass die Berufungsklägerin die Mietzinse während der Dauer des Mietverhältnisses nicht hinterlegte, kann demgemäss nicht zur Folge haben, dass sie ihr Recht auf Mietzinsreduktion verwirkte.

Rekurskommission, 27. November 1995, ZB 95 38


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