RBOG 1996 Nr. 15
Sicherstellungsentscheid der Steuerverwaltung als vollstreckbarer Entscheid; Ausschluss der Rüge von Verfahrensmängeln gegenüber innerkantonal ergangenen Verwaltungsentscheiden
Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 80 ff. SchKG
1. Das Gerichtspräsidium bewilligte in der Betreibung auf Sicherheitsleistung die definitive Rechtsöffnung für Fr. 500'000.--. Es stützte sich dabei auf eine Sicherstellungsverfügung der Steuerverwaltung des Kantons Thurgau. Der Rekurrent rügt das Fehlen eines rechtskräftigen Steuerentscheids und macht ferner geltend, der Erlass der Sicherstellungsverfügung durch die kantonale Steuerverwaltung stelle eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK dar.
2. a) In rechtlicher Hinsicht sind folgende Fakten massgebend: Erscheint die vom Steuerpflichtigen geschuldete Steuer als gefährdet, kann die Steuerverwaltung nach § 196 Abs. 1 StG schon vor der rechtskräftigen Feststellung des Steuerbetrags die Sicherstellung verlangen. Der Sicherstellungsentscheid kann durch Rekurs beim Departement angefochten werden; dieses Rechtsmittel hemmt die Vollstreckung der Sicherstellungsverfügung aber nicht (§ 196 Abs. 3 StG). Im Betreibungsverfahren hat sie die gleichen Wirkungen wie ein vollstreckbares Urteil (§ 85 VRG und Art. 80 Abs. 2 SchKG). Die definitive Rechtsöffnung ist zu erteilen, wenn der Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Sicherheit zwischenzeitlich erbracht oder die Forderung gestundet wurde, und wenn er nicht die Verjährung anruft (Art. 81 Abs. 1 SchKG; Amonn, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5.A., § 19 N 26 ff.; BGE 95 I 313). Die richterliche Kognition ist auf die Frage der Vollstreckbarkeit des in Betreibung gesetzten Anspruchs beschränkt; es ist weder die Rechtsgültigkeit des Rechtsvorschlags zu prüfen noch über den materiellen Bestand der Forderung zu befinden. Die Sicherstellungsverfügung gilt schliesslich als Arrestbefehl nach Art. 274 SchKG (§ 196 Abs. 4 StG).
b) Eine Sicherstellungsverfügung gestützt auf § 196 StG dient dazu, Steuern, die noch nicht rechtskräftig festgesetzt sind und damit nicht eingefordert werden können, sicherzustellen, sofern deren Bezahlung als gefährdet erscheint. Ein allfälliger Rekurs hemmt deshalb die Vollstreckung des Sicherstellungsentscheids nicht; in diesem speziellen Fall bedarf es folglich eben gerade keines rechtskräftigen Entscheids (§ 196 Abs. 3 StG), könnte doch andernfalls Sinn und Zweck der Möglichkeit, schon vor der definitiven Feststellung des Steuerbetrags Sicherstellung zu verlangen, vom Schuldner ohne weiteres zunichte gemacht werden.
Vorliegend ist die Steuerveranlagung der Veranlagungsperiode 1989/90 in bezug auf das in der Zwischenveranlagung berücksichtigte Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit noch nicht rechtskräftig, wohl aber in bezug auf das übrige Einkommen und Vermögen. Gegen den Rekurrenten wurde ein Nachsteuer- und Bussenverfahren betreffend die Veranlagungsperioden 1989/90 bis 1995/96 wegen vollendeter und versuchter Hinterziehung eingeleitet. Dieses Nach- und Strafsteuerverfahren steht allerdings vorliegend nicht zur Diskussion.
c) Aus diesen Grundüberlegungen ergibt sich folgendes:
aa) Es entspricht der ausdrücklichen Absicht des Gesetzgebers, dass der Staat für mutmassliche Steuerbeträge, welche noch nicht rechtskräftig feststehen und daher auch nicht eingefordert werden können, dann, wenn deren Bezahlung als gefährdet erscheint, Sicherstellung verlangen kann. Es ist somit keineswegs erforderlich, dass die vom Pflichtigen geschuldete Summe bereits definitiv feststeht; notwendig ist "nur", dass die Gefährdung des mutmasslichen Schuldbetrags glaubhaft gemacht ist. Der Rekurrent macht nun geltend, die Gewährung der Rechtsöffnung aufgrund einer Sicherstellungsverfügung betreffend nicht rechtskräftig veranlagter Steuern verstosse gegen die Eigentumsgarantie. Er verkennt dabei, dass bereits Art. 78 StHG die Einrichtung der Sicherstellungsverfügung ausdrücklich vorsieht. Ebenso sieht Art. 80 Abs. 2 SchKG, d.h. auch ein Bundesgesetz, welches nach Art. 113 Abs. 3 BV nicht auf seine Verfassungsmässigkeit überprüft werden kann, eine derartige Sicherstellung vor, indem es die Sicherstellungsverfügung einem Urteil gleichstellt (vgl. Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 5.A., S. 297 f.).
Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen, dass der Rekurrent nie geltend machte, die Gefährdung der Bezahlung sei nicht oder nur ungenügend glaubhaft gemacht.
bb) Der Rekurrent anerkennt, dass Steuer- und Zollverfahren nicht unter Art. 6 EMRK fallen. Vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung gedeckt seien jedoch Steuerverfahren, die den Charakter eines Steuerstrafverfahrens aufwiesen. Vorliegend zeige allein schon die Tatsache, dass die Vorinstanz selber die Einleitung nicht nur eines Nachsteuer-, sondern eines Bussenverfahrens verfügt habe, dass "wir uns zweifellos im Bereich der Steuerstrafverfahren bewegen, die von der EMRK umfasst werden".
Von Nachsteuern und Bussen ist in der Sicherstellungsverfügung nirgends die Rede. Sie bezieht sich ausdrücklich nicht auf dahingehende Schulden und steht deshalb entgegen der Auffassung des Rekurrenten nicht im Zusammenhang mit einem Steuerstrafverfahren, sondern bezweckt die Sicherstellung von ordentlichen Steuern. Sie stellt somit im Ergebnis eine Bezugshandlung dar. Auf eine solche ist Art. 6 EMRK jedoch nicht anwendbar: Nach der EMRK wird wohl für ein steuerstrafrechtliches, nicht aber für ein Veranlagungsverfahren und folglich umsoweniger für den Bezug der Steuern ein unabhängiger Richter verlangt (Miehsler/ Vogler, Internationaler Kommentar zur EMRK, Art. 6 N 187, 229; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, N 375 ff., 381, 395). Nicht unter die EMRK fällt nach der herrschenden Lehre auch das Zwangsvollstreckungsverfahren (Villiger, N 385 mit Hinweisen; LGVE 1992 I Nr. 37).
cc) § 196 Abs. 3 StG hat demnach zur Konsequenz, dass die Sicherstellungsverfügung der kantonalen Steuerverwaltung von allem Anfang an als vollstreckbarer Rechtsöffnungstitel zu qualifizieren war.
Rekurskommission, 19. August 1996, BR 96 51
Eine dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 10. Dezember 1996 ab.