RBOG 1996 Nr. 35
Der Strafantragsteller ist nicht Partei des Strafverfahrens; Begriff der "notwendigen Kosten" des Geschädigten
§ 49 Abs. 1 Ziff. 3 aStPO (TG), § 53 Abs. 2 aStPO (TG), § 58 Abs. 2 aStPO (TG)
1. X reichte über seinen Anwalt Strafanzeige gegen Y ein. Das Bezirksgericht verurteilte Y wegen Tätlichkeit und Nötigung und sprach X für die Kosten der anwaltlichen Vertretung eine Prozessentschädigung zu. Y beantragt die Aufhebung der Prozessentschädigung.
2. Die Zusprache einer Parteientschädigung setzt voraus, dass sich der Entschädigungsberechtigte als Partei am Verfahren überhaupt beteiligt. Wer im Strafverfahren als Partei gilt, bestimmt die StPO unter anderem in § 49 Abs. 1 Ziff. 3 und § 53 Abs. 2. Nach der letzteren Bestimmung kann sich auf die Parteistellung nur berufen, wer als Geschädigter privatrechtliche Ansprüche geltend macht (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StPO). X liess beim Bezirksamt Strafanzeige gegen Y erstatten, verzichtete indessen im gesamten Verlauf des Strafverfahrens ausdrücklich darauf, eine Zivilforderung geltend zu machen. Unter diesen Umständen liegt eine Beteiligung von X als Geschädigter nicht vor, weshalb ein Anspruch auf Parteientschädigung zum vornherein entfällt. Würde dagegen schon eine Strafanzeige genügen, um sich als Geschädigter am Strafverfahren beteiligen zu können, ist nicht einsichtig, weshalb bei der Kostenregelung in § 59 StPO ausdrücklich zwischen Opfern bzw. anderen Geschädigten einerseits und Anzeigern bzw. anderen Dritten andererseits unterschieden wird.
3. a) Selbst wenn aber X Partei im Sinn von § 53 Abs. 2 StPO wäre, könnte ihm kein Ersatz für die Auslagen der privaten Verteidigung zugesprochen werden. § 58 StPO bestimmt, dass der Angeschuldigte, der einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird, sowohl die Verfahrenskosten - ganz oder teilweise - zu tragen als auch die notwendigen Kosten des Geschädigten, wozu auch die Auslagen der privaten Verteidigung zählen (§ 57 StPO), zu ersetzen hat. Was unter dem Begriff "notwendige Kosten" zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht ausgeführt. Gemeinhin wird angenommen, Aufwendungen aus der privaten Verteidigung seien gerechtfertigt, wenn der Geschädigte als Strafkläger durch seine Mitwirkung massgeblich zur Abklärung einer Strafsache und zur Verurteilung des Angeschuldigten beitrug, namentlich durch die Beschaffung von wesentlichen Beweisen oder Benennung von zusätzlichen wichtigen Zeugen. Auch kann etwa die sorgfältige Mandatsausübung in einem Zivilprozess von grosser Tragweite erfordern, dass der Anwalt des Geschädigten schon im Strafverfahren einlässlich tätig wird (Hansjakob, Kostenarten, Kostenträger und Kostenhöhe im Strafprozess am Beispiel des Kantons St. Gallen, Diss. St. Gallen 1988, S. 110 f.; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, AT, 5.A., § 2 N 39). In Bagatellstreitigkeiten, mithin Übertretungsstrafsachen, ist eine Entschädigung für die Kosten der Vertretung des Strafklägers nur ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn beispielsweise die Folgen für den Kläger bei Freispruch des Angeschuldigten gewichtig sind (Hansjakob, S. 112; vgl. ZR 77, 1978, Nr. 16 und 69, 1970, Nr. 69 sowie 68, 1969, Nr. 63). Soweit Aufwendungen für das Untersuchungsverfahren geltend gemacht werden, geht das Bundesgericht davon aus, die Vertretung des Geschädigten in der Strafuntersuchung erweise sich in aller Regel als relativ einfach, weshalb ein durchschnittlicher Bürger in der Lage sein sollte, seine Interessen als Geschädigter selbst wahrzunehmen (BGE 116 Ia 460 f.; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, S. 194 f.). Aus diesem Grund kann derjenige, welcher die Strafanzeige von einem Anwalt abfassen lässt, ohne sich weiter am Verfahren zu beteiligen, dafür in der Regel ebensowenig eine Entschädigung verlangen, wie auch die mit der Einreichung einer privaten Strafklage verbundenen Aufwendungen im allgemeinen unberücksichtigt bleiben, weil es sich nicht um besondere Umtriebe handelt (Hansjakob, S. 110 und 112).
b) Im vorliegenden Fall beschränken sich die anwaltlichen Bemühungen ausschliesslich auf das Untersuchungsverfahren und betreffen hauptsächlich den Aufwand bei der Abfassung der Strafanzeige. Solche Umtriebe des Anwalts sind nur unter besonderen Umständen ersetzbar, welche hier nicht gegeben sind. Sodann liegt nur eine reine Bagatellstreitigkeit zwischen den Parteien vor, deren Ausgang für X keine zentralen Konsequenzen zeitigt. Schliesslich war X auch bekannt, dass er beim Bezirksamt Strafanzeige zu erstatten hätte, falls sich Y für seine Handlungen bei ihm nicht entschuldigen würde. Zusammenfassend bestand demnach keine Notwendigkeit, für die Einleitung des Strafverfahrens einen Anwalt beizuziehen, weshalb X ohnehin kein Kostenersatz zugesprochen werden könnte.
Obergericht, 8. Oktober 1996, SB 96 39