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RBOG 1997 Nr. 30

Verwirkungsfrist für Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche nach OHG: Die zweijährige Verwirkungsfrist ist mit Einreichen des amtlichen Formulars gewahrt


Art. 16 Abs. 3 aOHG


1. Der Berufungskläger wurde Opfer mehrerer Tätlichkeiten und Körperverletzungen. Rund fünf Monate nach der letzten Straftat meldete er sich mit dem amtlichen Formular beim zuständigen Bezirksamt als "Opfer" an, wobei er unter der Rubrik "Entschädigung" eine Zivilforderung über Fr. 5'000.-- geltend machte. Nach rechtskräftiger Verurteilung des Täters - mehr als zwei Jahre nach der Straftat - machte der Berufungskläger seine Ansprüche gegenüber dem Staat geltend. Die Vorinstanz wies diese mit der Begründung ab, er habe seine Ansprüche inzwischen verwirkt.

2. Das grüne Formular, welches der Berufungskläger an das Bezirksamt einsandte, wird im Rahmen eines Strafverfahrens den Geschädigten und/oder Opfern abgegeben. Es orientiert über die Möglichkeit, Zivilansprüche im Strafverfahren geltend zu machen. Auf der Rückseite des Formulars, auf welche auf der Vorderseite ausdrücklich hingewiesen wird, wird erklärt, wer Geschädigter oder wer Opfer ist. Namentlich das Opfer wird auf seine im OHG genannten Rechte hingewiesen, unter anderem auch darauf, dass es innert zwei Jahren entweder beim Untersuchungsrichter oder beim zuständigen Gericht Ansprüche gegenüber dem Staat geltend machen kann. Nicht genannt wird allerdings der Zeitpunkt, ab welchem die Zweijahresfrist zu laufen beginnt. Ebenfalls wird nicht erläutert, wie das Opfer den Anspruch geltend machen kann; die diesbezügliche Erklärung ist offen formuliert: "Dem Opfer kann vom zuständigen Strafrichter unabhängig von der Höhe seines Einkommens eine Genugtuung zugesprochen werden, sofern es durch die Straftat schwer betroffen ist und besondere Umstände es rechtfertigen." Diese Formulierung entspricht im wesentlichen der gesetzlichen (Art. 12 Abs. 2 OHG). Schliesslich enthält das Formular auf seiner Rückseite den Hinweis auf die Beratungsstelle. Auf der Vorderseite kann sich der Empfänger des Formulars je nach Rubrik als Opfer oder als Geschädigter bezeichnen; in der Rubrik "Opfer" kann er seine Zivilforderung unter dem Titel "Entschädigung" oder "Genugtuung" geltend machen, und in der Rubrik "Geschädigter" kann er seine Forderung als "Deliktsgut", als "Sachschaden" oder als "andere finanzielle Einbusse" anmelden. Schliesslich wird im Formular darauf hingewiesen, dass die Zivilklage zu substantiieren ist und auch Belege einzureichen sind. Zweck dieses Formulars ist, dem vom Bundesrecht vorgeschriebenen einfachen und raschen Verfahren (Art. 16 Abs. 1 OHG) gerecht zu werden, damit auch dem juristischen Laien ermöglicht wird, seine Rechte mit einem angemessenen Aufwand und ohne formale Schwierigkeiten zu wahren.

3. Entsprechend dem Zweck des Formulars sind die darauf festgehaltenen Erklärungen zu würdigen. Insbesondere ist in Betracht zu ziehen, ob der Berufungskläger anhand des Textes des Formulars davon ausgehen durfte, sämtliche zur Geltendmachung des Anspruchs - gegenüber dem Täter und gegenüber dem Staat - notwendigen Schritte getan zu haben.

a) Die Maxime des einfachen und raschen Verfahrens sowie die Offizialmaxime bedingen, dass an die Formulierung des Gesuchs durch das Opfer keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind. Grundsätzlich muss in jedem Fall die Erklärung des Opfers genügen, dass es eine Forderung gegenüber dem Täter und eventuell gegenüber dem Staat geltend macht; dies entspricht auch der Praxis im gerichtlichen Verfahren. Keine allzu hohen Ansprüche sind ebenfalls an die Bezifferung der Forderung durch das Opfer zu stellen, zumal es seinen Anspruch innert der Verwirkungsfrist von zwei Jahren geltend machen muss; oftmals ist es nicht in der Lage, diesen Anspruch innerhalb des nötigen Zeitraums zu umschreiben, da ihm häufig die Kenntnisse über die anrechenbaren Leistungen von Dritten fehlen (Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 16 N 24).

b) Der Berufungskläger meldete dem Gericht gemäss Wortlaut seiner auf dem amtlichen Formular festgehaltenen Erklärung als "Opfer" eine Entschädigung von Fr. 5'000.-- an. Er tat dies, nachdem bereits entsprechende Arztzeugnisse bei den Akten lagen. Er begründete seine Ansprüche überdies in einem Begleitschreiben. Dass der Berufungskläger als juristischer Laie seine Forderung fälschlicherweise als Entschädigung und nicht als Genugtuung bezeichnete, kann ihm nicht entgegengehalten werden. Hingegen meldete er sich ausdrücklich als "Opfer". Unter Berücksichtigung des Textes auf der Rückseite des Formulars, wo pauschal auf die Rechte des Opfers gemäss OHG und die Möglichkeit der Meldung von Ansprüchen gegenüber dem Untersuchungsrichter hingewiesen wird, durfte der Berufungskläger mithin davon ausgehen, mit der Meldung als "Opfer" gegenüber dem Bezirksamt seine Ansprüche rechtsgenüglich geltend gemacht zu haben. Nicht ersichtlich ist, welche Schritte er angesichts des Formulartextes noch zusätzlich hätte unternehmen sollen, um seinen Anspruch gemäss OHG rechtzeitig geltend zu machen. Es liegt damit auf der Hand, dass der Berufungskläger seine Ansprüche innert Frist anmeldete.

Obergericht, 10. November 1997, SB 97 43


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