RBOG 1997 Nr. 34
Auf der linken Strassenseite darf parkiert werden, wenn sich ein rechtsseitiges Halte- oder Parkverbot aufgrund der Signalisation oder der Umstände ergibt
Art. 79 Abs. 1 SSV, Art. 18 Abs. 1 VRV
1. Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Berufung mit dem Hinweis darauf, die Berufungsbeklagte habe in unzulässiger Weise auf der linken Strassenseite parkiert.
2. a) Gemäss Art. 18 Abs. 1 VRV ist das Halten und damit auch das Parkieren auf der linken Strassenseite unter anderem dann zulässig, wenn rechts ein Halte- oder Parkverbot signalisiert oder markiert ist. Sinn dieser Bestimmung ist es primär, ein unnötiges, den Verkehrsfluss belastendes und damit gefährliches Fahrmanöver zu verhindern. Dabei ist z.B. an das Warten in der Strassenmitte zu denken, um dem Verkehr aus der Gegenrichtung die unbehinderte, vortrittsberechtigte Vorbeifahrt zu ermöglichen (Art. 36 Abs. 1 und 3 SVG), oder an das erhöhte Risikopotential beim Wiedereinfügen in den Verkehr. Fehlt es rechtsseitig an einer Parkverbotstafel, bedeutet dies nicht ohne weiteres, dass das Parkieren dort gestattet ist. Aus Art. 79 Abs. 1 SSV kann sich vielmehr trotz fehlender Beschilderung auch für die rechte Strassenseite ein Parkverbot ergeben: "Wo Parkfelder gekennzeichnet sind, dürfen Fahrzeuge nur innerhalb dieser Felder abgestellt werden." Ausserhalb der markierten Felder ist das Parkieren folglich verboten, auch wenn es nach den allgemeinen Regeln erlaubt wäre. Der örtliche Geltungsbereich des Verbots, ausserhalb dieser Felder zu parkieren, ist aufgrund der gesamten Umstände der konkreten Situation auszumachen.
Das Bundesgericht äusserte sich zu Art. 79 Abs. 1 SSV, welcher dem früheren Art. 55 Abs. 1 VRV entspricht, folgendermassen: Wo immer öffentliche Parkplätze markiert sind, wirkt das in dieser Bestimmung enthaltene Verbot auf den angrenzenden Raum und findet auf alle öffentlichen Verkehrsflächen Anwendung, die als Parkplätze in Betracht fallen könnten (BGE 98 IV 228). In BGE 101 IV 87 hielt es fest, dass anschliessend an markierte Parkfelder mindestens auf der Länge von fünf bis sechs Personenwagen keine Fahrzeuge aufgestellt werden dürfen, und in BGE 118 IV 394 wies es darauf hin, in einer Strasse, in welcher das Parkieren von Fahrzeugen auf beiden Strassenseiten den Verkehr erschweren würde, habe die Markierung von Parkfeldern auf der einen Seite zur Folge, dass das Parkieren auf der anderen Seite verboten sei.
b) Ob die Berufungsbeklagte befugt war, bei den konkreten Gegebenheiten links zu parkieren, hängt vom Gefährdungspotential, welches von ihrem Vorgehen ausging, ab. Links parkieren ist nur dann gestattet, wenn die Verhältnisse übersichtlich sind. Dies geht letztlich auch aus Art. 37 Abs. 2 SVG hervor, wonach Fahrzeuge dort nicht angehalten oder aufgestellt werden dürfen, wo sie den Verkehr behindern oder gefährden könnten. Die Gefährdung ist entsprechend den allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen vom Staat nachzuweisen.
Die Rekurskommission kommt mit der Berufungsbeklagten zum Schluss, es könne letzterer nicht vorgeworfen werden, dass sie linksseitig parkierte. Auf der rechten, südlichen Seite der Strasse befindet sich zwar kein ausdrückliches Parkverbot; dieses ergibt sich indessen aus den konkreten Örtlichkeiten. Die Strasse ist im fraglichen Bereich acht Meter breit. Für parkierte Fahrzeuge wird eine durchschnittliche Breite von zwei Metern angenommen (Schultz, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum Strassenverkehrsrecht 1968-1972, Bern 1974, S. 223). Dürften an dieser Strasse nicht nur links, in den eingezeichneten Parkfeldern, sondern auch rechts Autos parkiert werden, verblieben in der Mitte rund vier Meter. Die Berufungsbeklagte macht unter Hinweis auf BGE 107 IV 47 zu Recht geltend, zwei Fahrzeuge, die sich kreuzten, müssten bei einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h einen Mindestabstand von ca. 30 cm sowohl zwischen sich als auch gegenüber dem jeweils parkierten Auto einhalten. Von der zufolge der beiden - als Fiktion - beidseits parkierten Fahrzeuge auf vier Meter reduzierten Strassenbreite verbleiben somit lediglich noch 3,1 Meter. 3,1 Meter reichen nicht einmal aus, um zwei Personenwagen, deren Breite durchschnittlich auf 1,7 bis 1,9 Meter veranschlagt wird, das Kreuzen zu ermöglichen. Damit hat es indessen noch nicht einmal sein Bewenden: Auf der fraglichen Strasse verkehren die Busse der Autokurse Oberthurgau. Dass es zu einem nicht vertretbaren Verkehrschaos und dementsprechend gefährlichen Situationen führen würde, wenn die Fahrzeuge auf der einen Strassenseite stets stillstehen müssten, um denjenigen auf der anderen Fahrbahn die Durchfahrt zu ermöglichen, bedarf keiner langen Ausführungen.
Damit kann das Parkieren auf der rechten Seite der fraglichen Strasse, obwohl dort kein ausdrückliches Parkverbot angebracht ist, nicht gestattet sein. Demgemäss ist den Fahrzeuglenkern aber das Parkieren auf der linken Strassenseite erlaubt. Anderes würde nur gelten, wenn die Verhältnisse unübersichtlich wären und zu einer Gefährdung der Verkehrsteilnehmer führen könnten. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die Verkehrsdichte am fraglichen Ort derart gross wäre, dass ein zweimaliges Überqueren der Strasse nicht zu verantworten wäre. Dass Gründe dieser oder anderer Art bestehen, welche zwingend erfordern, den Wechsel der Strassenseite zwecks Parkierens zu untersagen, belegt die Staatsanwaltschaft nicht. Kurven behindern die Sicht auf der fraglichen Strecke nicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass mit der nötigen Vorsicht das Überqueren der Strasse zwecks Parkierens gestattet ist. Das Gegenteil hat die Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht rechtsgenüglich belegt. Unter diesen Umständen besteht indessen kein Anlass, der Berufungsbeklagten das Parkieren auf der linken Strassenseite zum Vorwurf zu machen.
Rekurskommission, 15. Januar 1997, SB 96 38