RBOG 1997 Nr. 46
Amtliche Vertretung eines bedürftigen Opfers: Bei der Berechnung der Bedürftigkeit ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des Ehegatten des Opfers miteinzubeziehen
Bei Bedürftigkeit kann einem Opfer die amtliche Vertretung gewährt werden, sofern die Wahrung seiner Interessen dies rechtfertigt und seine Zivilansprüche glaubhaft gemacht sind (§ 55 Abs. 2 StPO). Die Bestimmung eines Offizialvertreters ist nicht anders als die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung mit Offizialanwalt im Zivilprozess letztlich ein Spezialfall staatlicher Sozialhilfe (vgl. RBOG 1995 Nr. 34, 1992 Nr. 27).
In Rechnung zu ziehen ist auch das Einkommen des Ehegatten und die Möglichkeit, von diesem entsprechend seinem Leistungsvermögen einen Prozesskostenvorschuss gestützt auf die eheliche Beistandspflicht oder auf güterrechtliche Ansprüche zu erhalten. Die Pflicht des Staates zur Bestellung eines Offizialvertreters im Opferhilfeprozess geht ebenso wie diejenige zur Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Zivilprozess der Beistands- und Beitragspflicht aus Familienrecht nach, insbesondere auch im Verhältnis zwischen Ehegatten; das gilt auch für die Kosten vermögensrechtlicher Prozesse mit einem Dritten und betrifft auch die Ehefrau (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, Zürich 1982, § 84 N 3; Bräm, Zürcher Kommentar, Zürich 1993, Art. 159 ZGB N 130; Hausheer/Reusser/Geiser, Kommentar zum Eherecht, Bd. I, Bern 1988, Art. 159 ZGB N 38; Hegnauer/Breitschmid, Grundriss des Eherechts, 3.A., N 15.18; BGE 85 I 5; ABOW 1990/91 S. 44 f.). Diese Grundsätze müssen ohne weiteres auch auf den Opferhilfeprozess Anwendung finden. Das Ausmass einer solchen Prozesskostenvorschusspflicht des Ehegatten bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Präsident des Obergerichts, 4. Dezember 1997, SB 97 56