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RBOG 2000 Nr. 14

Konkurrenz zwischen Raub und Freiheitsberaubung


Art. 140 StGB, Art. 183 StGB


1. Im Rahmen eines gemeinsam mit drei Kollegen verübten Überfalls auf ein Bijouteriegeschäft bedrohte X die Verkäuferin mit seiner Pistole und verlangte die Herausgabe des Geldes. Später übergab er die Waffe dem Y, welcher die Verkäuferin sowie eine anwesende Kundin im WC einschloss, unter der Androhung, die Frauen würden erschossen, wenn sie nicht während fünf Minuten ruhig blieben.

2. X gibt an sich zu, dass der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt ist, vertritt jedoch die Ansicht, die Tatumstände würden keinen eigenständigen Charakter aufweisen, sondern durch Art. 140 StGB konsumiert.

a) Der Freiheitsberaubung macht sich schuldig, wer jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemandem in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht (Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Als Freiheitsberaubung wird jene Handlung angesehen, welche die Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit, somit des klassischen Grundrechts der persönlichen Freiheit, zur Folge hat (Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 5.A., § 5 N 22; Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., Art. 183 N 1). Geschützt ist die Freiheit, sich nach eigener Wahl vom Ort, an dem man sich befindet, an einen anderen Ort zu begeben. Vollendet ist das Delikt erst, wenn der Wille zur Ortsveränderung sich nicht hat durchsetzen können. Die Freiheitsberaubung muss sich somit gegen den Willen des Opfers richten (Rehberg/Schmid, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 7.A., S. 352 f.; Stratenwerth, § 5 N 24 f.; Trechsel, Art. 183 StGB N 2). Als weitere Voraussetzung der Freiheitsberaubung wird verlangt, dass sie eine gewisse Erheblichkeit aufweisen muss; ein kurzfristiges Festhalten genügt nicht. Die Anforderungen der Praxis sind aber nicht sehr hoch: So genügen ca. 10 Minuten (Rehberg/Schmid, S. 355; Stratenwerth, § 5 N 28; Trechsel, Art. 183 StGB N 7). Subjektiv wird Vorsatz vorausgesetzt. Dieser muss sich nicht nur auf den Freiheitsentzug als solchen beziehen, sondern auch auf dessen Unrechtmässigkeit erstrecken (Rehberg/Schmid, S. 357; Stratenwerth, § 5 N 29; Trechsel, Art. 183 StGB N 10).

Ein Teil der Lehre bejaht Realkonkurrenz zum Raub bereits dann, wenn die Freiheitsberaubung über das hinausgeht, was unmittelbar zum Angriff auf den Körper gehört (Trechsel, Art. 183 StGB N 12). Bildet aber die Freiheitsberaubung lediglich eine Begleiterscheinung der vom Täter bewirkten Widerstandsunfähigkeit des Opfers, und dauert sie nicht länger an, als es zur Ausführung der Tat erforderlich ist, wird sie vom Tatbestand des Raubs konsumiert (Rehberg/Schmid, S. 357 f.). Wie weit diese "Ausführung der Tat" geht, wird nicht näher erläutert. Stratenwerth ist der Ansicht, dass, wenn der Raub und die Freiheitsberaubung in so engem zeitlichem Zusammenhang stehen, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als eine Einheit erscheinen, die Freiheitsberaubung vom Raub konsumiert sei (Stratenwerth, § 13 N 141; vgl. SOG 1992 Nr. 18). Dementsprechend wurde insofern Handlungseinheit angenommen, als die Freiheitsberaubung als Variante der Nötigungsmittel zur Erreichung der Widerstandsunfähigkeit eingesetzt worden war. In jenem Fall ging es darum, dass die Angeklagten einen Raubüberfall auf eine Poststelle geplant hatten. Sie beabsichtigten hiefür, den Posthalter in seinem Privathaus aufzusuchen, ihn zur Fahrt zur Post und zur Öffnung des Tresors zu zwingen und seine Familie im Keller seines Privathauses gefangen zu halten. Sie bedrohten die Tochter mit einer geladenen Waffe, führten sie in den Keller und fesselten sie. Kurze Zeit später zerrten sie auch den heimkehrenden Sohn in den Keller und fesselten ihn ebenfalls. Der Sohn machte die Angeklagten darauf aufmerksam, dass der Posttresor mit einer Zeitsicherung versehen sei und nicht vor dem nächsten Morgen geöffnet werden könne. Aufgrund dieser Angaben gaben sie den geplanten Postraub auf und befragten die Kinder nach im Haus befindlichen Wertgegenständen. Die Angeklagten liessen die Kinder sodann gefesselt im Keller zurück, behändigten in der Wohnung eine Kassette mit Wertsachen und verliessen hierauf das Haus des Posthalters (BJM 1985 S. 33). Das Bundesgericht bejahte gar ein einheitliches, zusammengehörendes Tun und hielt die Freiheitsbeschränkung durch die Verurteilung wegen Raubs als abgegolten, weil die Angeklagten ihr Opfer, welches nach Verabreichung von zwei bis drei Spritzen Schlaf- oder Betäubungsmittel bewusstlos war, am Treppengeländer festgebunden hatten. Mit diesem zusätzlichen Festbinden des Opfers habe die Täterschaft die Zeitspanne bis zur Entdeckung der Tat verlängern und sich damit eine unbehelligte Flucht sichern wollen. Die Gewaltanwendung zur Sicherung der Flucht stehe demnach in direktem Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Raub (BGE 98 IV 315).

b) Indem die Täter die beiden Frauen in das WC, welches sich im Parterre dieses Hauses befindet, eingesperrt haben, konnten und mussten sie nicht damit rechnen, dass diese Freiheitsberaubung länger dauern würde. So befindet sich das Bijouteriegeschäft an der Hauptstrasse, ist also nicht abgelegen. Das Haus ist bewohnt, und ausserdem war damit zu rechnen, dass mitten am Nachmittag noch Kundschaft in dieses Geschäft kommen würde. Die Hilferufe wie auch die Klopfzeichen der beiden Frauen konnten somit von verschiedener Seite gehört werden, so dass die Freiheitsberaubung ohnehin nur wenige Minuten dauern konnte.

Mit dem Einsperren der beiden Frauen wollte die Täterschaft somit noch das eine oder andere Deliktsgut einpacken, aber vor allem die Zeitspanne bis zur Entdeckung der Tat verlängern und sich damit eine unbehelligte Flucht sichern. Die Gewaltanwendung zur Sicherung der Flucht steht demnach in direktem Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Raub. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs, der bei natürlicher Betrachtungsweise das gesamte Tätigwerden als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen lässt, rechtfertigt sich die Annahme, der in der Einsperrung liegenden Freiheitsbeschränkung komme keine selbstständige Bedeutung zu und sie werde durch die Verurteilung wegen Raubs abgegolten. Dies muss umso mehr gelten, als die Täter nicht damit rechnen mussten, dass die Freiheitsbeschränkung viel länger als fünf Minuten andauern würde. Der Berufungskläger ist somit vom Vorwurf der Freiheitsberaubung freizusprechen.

Obergericht, 26. September 2000, SBO.2000.5


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