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RBOG 2001 Nr. 24

Sorgfaltspflichtverletzung durch Unterlassung


Art. 18 StGB, Art. 117 StGB


1. Das Opfer fuhr auf seinem Fahrrad in ein Band, das über die alte Landstrasse in der Nähe des Landwirtschaftsbetriebs des Berufungsklägers gespannt war, stürzte und starb an den Unfallfolgen. Der Berufungskläger sowie sein Praktikant erklärten übereinstimmend, das Band nach dem Weidegang entfernt zu haben. Die Vorinstanz sprach den Landwirt der fahrlässigen Tötung schuldig und büsste ihn mit Fr. 2'000.--.

2. Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich verübt. Ist die Tat darauf zurückzuführen, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat, so begeht er das Verbrechen oder Vergehen fahrlässig. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 18 Abs. 1 und 3 StGB). Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft (Art. 117 StGB).

a) Ein Täter handelt fahrlässig, wenn er sich die Möglichkeit des deliktischen Erfolgs vorstellt, jedoch pflichtwidrig darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten ("bewusste Fahrlässigkeit"), oder wenn er an die Möglichkeit des Erfolgseintritts überhaupt nicht denkt, wenn er die Gefahr nicht sieht, obgleich er sie hätte sehen sollen und sehen können, wenn also die fehlende Voraussicht auf pflichtwidriger Unvorsichtigkeit beruht ("unbewusste Fahrlässigkeit"; Trechsel/Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 5.A., S. 260). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter die Sorgfalt ausser Acht lässt, die jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., Art. 18 N 23).

aa) Der Täter muss mit seinem Verhalten eine Sorgfaltspflicht verletzt haben. Die Sorgfaltspflichten bemessen sich gemäss Art. 18 Abs. 3 StGB einerseits nach den Umständen, andererseits nach den persönlichen Verhältnissen des Täters. Das heisst, der Täter muss stets soviel Sorgfalt aufwenden, wie er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, insbesondere auch nach seiner Ausbildung, kann (Trechsel/Noll, S. 263). Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 121 IV 14). Lässt ein Täter ein Gesetz im materiellen Sinn oder eine für die Ausübung eines bestimmten Berufs allgemein anerkannte Kunstregel ausser Acht, handelt er grundsätzlich pflichtwidrig (Trechsel/Noll, S. 264). Dies schliesst aber nicht aus, dass sich der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz stützen kann, wonach derjenige, welcher einen Gefahrenzustand schafft, alles Zumutbare tun muss, damit die Gefahr zu keiner Verletzung fremder Rechtsgüter führt (BGE 121 IV 14 f.; Trechsel, Art. 18 StGB N 29).

bb) Der zum Erfolg führende Geschehensablauf muss für den Täter mindestens in seinen wesentlichen Zügen voraussehbar sein (BGE 127 IV 38). Für die Beantwortung der Frage, ob die Gefahr des Erfolgseintritts für den Täter erkennbar bzw. voraussehbar war, gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss sein Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ist zu bejahen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursachen hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 127 IV 39, 121 IV 15, 120 IV 311 f.). Grundsätzlich ist aber ein Drittverschulden oder ein Verschulden des Opfers ohne Bedeutung. Gemäss dieser Rechtsprechung sind somit praktisch bei jedem pflichtwidrigen Setzen einer Gefahr die schlimmsten Folgen vorauszusehen, auch wenn sie auf sehr ungewöhnliche Weise eintreten (Trechsel, Art. 18 StGB N 27 f.).

b) Aufgrund des Verletzungsbildes, der am Fahrrad vorgefundenen Spuren sowie der Aussage des Begleiters des Opfers ist erstellt, dass das Opfer mit seinem Fahrrad in das gespannte, etwa 1 cm breite, schlecht sichtbare Absperrband fuhr und zu Boden geworfen wurde. Hingegen lässt sich nicht mehr feststellen, wer dieses Band spannte. Zu Gunsten des Berufungsklägers ist davon auszugehen, dass er nach erfolgtem Viehtrieb am frühen Nachmittag das Band ausgehängt und beim Pfosten abgelegt hatte. Unbestritten ist, dass das orange-gelb-farbene Band nicht gekennzeichnet war. Es stellt sich daher die Frage, ob dem Berufungskläger zum Vorwurf gemacht werden kann, das beim Pfahl angebundene und deponierte Band nicht mit einer ständigen Markierung versehen zu haben.

Dass ein gespannter Draht bzw. ein schlecht sichtbares Band eine Gefahr für Dritte bedeutete, war dem Berufungskläger nach eigenen Ausführungen bekannt, zumal er in seiner Einvernahme erklärte, dass er jeweils einen Lappen am Band befestigt habe, wenn er die Tiere von einer weiter entfernt liegenden Weide habe holen müssen. Der Berufungskläger führte im Weiteren aus, er habe an den anderen Orten, wo er die Rinder herauslasse, einen Wimpel am Draht.

c) Der Berufungskläger war sich somit der Gefahr, welche von einem nicht gekennzeichneten und unbeaufsichtigten über die Strasse gespannten Band ausging, bewusst, so dass sich einzig die Frage stellt, ob der Berufungskläger damit rechnen musste, dass möglicherweise Dritte - allenfalls aus Unfug oder Leichtsinn - in seiner Abwesenheit das Band spannen könnten.

Ein solches Fehlverhalten Dritter kann weder ausgeschlossen noch als aussergewöhnlich bezeichnet werden. Wenn ein Band - wie im vorliegenden Fall - mit entsprechendem Griff zur Befestigung liegen gelassen wird, besteht durchaus die Möglichkeit, dass dieses - entsprechend seiner Bestimmung - von einem Dritten als Absperrung gespannt wird, sei es beispielsweise aus Versehen von einem am Schluss einer Gruppe wandernden Ortsunkundigen oder aus Leichtsinn von Kindern oder Jugendlichen. Dies war für den Berufungskläger voraussehbar, womit die fehlende Markierung des Bandes dem Berufungskläger als Sorgfaltspflichtverletzung, welche kausal zum Unfall und damit zum Tod des Opfers führte, vorzuwerfen ist. Wäre das Band nicht beim Pfosten angebunden liegen gelassen worden, so hätte der Unfall mit Sicherheit vermieden werden können. Ebenso hätte eine genügende Markierung dem Radfahrer ermöglicht, rechtzeitig vor dem Band anzuhalten, womit der Unfall ebenfalls vermieden worden wäre. Diesbezüglich ist auch der Broschüre der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) über den landwirtschaftlichen Strassenverkehr zu entnehmen, dass für eine Absperrung rot/weiss gestreifte Bänder mit geringem Reisswiderstand zu verwenden sind und keineswegs Drähte, Schnüre, Zaunbänder oder andere reissfeste und schlecht sichtbare Materialien benutzt werden dürfen. Indem der Berufungskläger das Band weder markierte noch vom Pfosten entfernte, hat er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt und dadurch den Tod des Opfers verursacht. Er hat sich daher der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht.

Obergericht, 14. Dezember 2000, SBR.2000.60


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