RBOG 2004 Nr. 30
Im Berufungsverfahren kann der Mangel der sachlichen Zuständigkeit geheilt werden
§§ 45 ff. aZPO (TG), § 223 aZPO (TG)
1. a) Gemäss § 45 Abs. 1 ZPO beurteilt der Bezirksgerichtspräsident sämtliche Mietrechtsstreitigkeiten sowie alle übrigen zivilrechtlichen Streitigkeiten, deren Streitwert den Betrag von Fr. 500.--, nicht aber Fr. 8'000.-- übersteigt. Die Bezirksgerichtliche Kommission beurteilt nach § 46 Abs. 1 ZPO alle zivilrechtlichen Streitigkeiten, deren Streitwert den Betrag von Fr. 8'000.--, nicht aber Fr. 30'000.-- übersteigt.
b) Die Aberkennungsklage gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG ist nach herrschender Lehre und Praxis keine betreibungsrechtliche Klage, auch nicht eine solche mit Reflexwirkung auf das materielle Recht, sondern eine materiellrechtliche Klage. Mit ihr kann die Feststellung der Nichtexistenz der betriebenen Forderung verlangt werden. Sie unterscheidet sich mit Ausnahme der Verteilung der Parteirollen und des Gerichtsstands grundsätzlich nicht von einer ordentlichen Feststellungsklage (BGE 128 III 46 f.; Staehelin, Basler Kommentar, Art. 83 SchKG N 14). Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem jeweils anwendbaren Prozessrecht, mithin in der Regel nach kantonalem Recht. Soweit nicht kantonalrechtliche Spezialvorschriften bestehen, ist dasjenige Gericht zur Behandlung der Aberkennungsklage sachlich zuständig, das für eine entsprechende normale materielle Klage zuständig wäre. Die Aberkennungsklage muss somit unter Umständen beim Arbeitsgericht, beim Handelsgericht oder beim Versicherungsgericht angehoben werden (Staehelin, Art. 83 SchKG N 39).
2. a) Im zu beurteilenden Aberkennungsprozess behauptete die Berufungsbeklagte, der Berufungskläger habe als solidarisch haftender Mieter die vertraglich vereinbarten Mietzinse zu bezahlen. Der Berufungskläger erhob den Einwand, er könne dafür nicht in Anspruch genommen werden, weil er dem Mietverhältnis zwischen der Berufungsbeklagten einerseits und den Mietern X, Y und der Z AG andererseits nur beigetreten sei, um das Sicherungsinteresse der Vermieterin an der Erfüllung der Hauptschuld abzudecken. Damit handelt es sich ohne Zweifel um eine mietrechtliche Streitigkeit. Einerseits ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die bundesrechtliche Zuständigkeitsordnung des Mietrechts allgemein zu verstehen, und es sind dieser Ordnung solche Streitigkeiten, die mit der Benützung der Mietsache in Zusammenhang stehen, einheitlich zu unterstellen. Andererseits ist zu vermeiden, die Zuständigkeit vom Beweisergebnis in der Sache abhängig zu machen (BGE 120 II 117). Schliesslich leitet sich der Anspruch, um dessen Bestand es geht, aus einem Mietverhältnis ab (RBOG 1999 Nr. 5; Higi, Zürcher Kommentar, Art. 274 OR N 44 und 57). Die Klage auf Aberkennung einer mietrechtlichen Forderung verändert die Rechtsnatur als mietrechtliche Streitigkeit nicht (vgl. Higi, Art. 274b OR N 9).
Sachlich zuständig zur Beurteilung der vorliegenden Klage wäre somit der Gerichtspräsident als Einzelrichter und nicht die Bezirksgerichtliche Kommission.
b) Hier beurteilte die Bezirksgerichtliche Kommission die Aberkennungsklage. Damit stellt sich die Frage nach der Gültigkeit des angefochtenen Entscheids. Die funktionelle und sachliche Unzuständigkeit stellt einen schwerwiegenden Mangel und damit grundsätzlich einen Nichtigkeitsgrund dar, es sei denn, der verfügenden Behörde komme auf dem betreffenden Gebiet allgemeine Entscheidungsgewalt zu, oder der Schluss auf Nichtigkeit würde sich nicht mit der Rechtssicherheit vertragen. Nichtigkeit tritt daher z.B. ein, wenn der ordentliche Richter über eine Verwaltungssache befindet, oder wenn sich ein Gemeinderat Kompetenzen der Schätzungskommission in Enteignungssachen anmasst, nicht aber, falls eine Behörde in ihrem Aufsichtsbereich wenn auch unzuständigerweise Verfügungen trifft (BGE 127 II 47 f.; Imboden/Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 5.A., S. 242).
In Strafsachen kann nach der Praxis des Obergerichts die Verletzung eines verfassungsmässigen Anspruchs formeller Natur seitens der Vorinstanz im Berufungsverfahren in der Regel geheilt werden (RBOG 1996 Nr. 41; BGE 127 I 132 f. i.V.m. 126 V 132). Gestützt auf § 199 Abs. 3 i.V.m. § 210 StPO erwog das Obergericht, der Mangel mit Bezug auf die sachliche Zuständigkeit der Vorinstanz könne ohne weiteres geheilt werden, indem die Berufung von derjenigen Rechtsmittelinstanz behandelt werde, die bei Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften vor erster Instanz zuständig wäre. Auch wenn in der ZPO eine § 199 Abs. 3 StPO entsprechende Bestimmung fehlt, sind diese Grundsätze bei zivilrechtlichen Streitigkeiten ebenfalls anwendbar. Sowohl dem Einzelrichter als auch der Bezirksgerichtlichen Kommission (Dreierbesetzung) und dem Bezirksgericht (Fünferbesetzung) kommt Entscheidungsbefugnis in Zivilsachen zu. Rechtsmittelinstanz gegenüber Entscheiden des Einzelrichters, sofern er nicht endgültig entscheidet, und der Bezirksgerichtlichen Kommission ist das Obergericht in Dreierbesetzung (§ 48 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO). Zudem könnte man sich fragen, ob die Beurteilung einer Streitsache durch ein "grösseres" Gericht (Bezirksgerichtliche Kommission statt Einzelrichter, Bezirksgericht statt Bezirksgerichtliche Kommission oder Einzelrichter) überhaupt eine Verletzung des Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter darstellt (vgl. § 25 Abs. 2 StPO). Diese Frage kann aber offen gelassen werden, weil der Mangel der sachlichen Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts im Berufungsverfahren ohnehin geheilt wird.
Obergericht, 16. November 2004, ZBR.2004.34