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RBOG 2005 Nr. 13

Verwirkung des Rechts auf Wandelung durch Gebrauch der mangelhaften Sache; grobes Verschulden oder arglistiges Handeln des Verkäufers


Art. 205 OR


1. Der Berufungskläger kaufte von der Berufungsbeklagten ein als unfallfrei zugesichertes Occasionsfahrzeug. Nach der Übergabe des Fahrzeugs wurde der Berufungskläger von einem Dritten darauf aufmerksam gemacht, dass dieses einen Unfall erlitten haben müsse, worauf der Berufungskläger gegenüber der Berufungsbeklagten Mängelrüge erhob. Nachdem zwischen den Parteien keine Einigung zustande kam, insbesondere die Berufungsbeklagte eine Offerte des Berufungsklägers zur Minderung nicht annahm, leitete der Berufungskläger Klage ein. Dabei stellte er den Antrag, die Berufungsbeklagte sei zu verpflichten, ihm gegen Rückgabe des Fahrzeugs den Kaufpreis zurückzuzahlen, abzüglich eines vom Gericht festzusetzenden Betrags für den von ihm gehabten Nutzen.

2. Die Vorinstanz wies die Klage ab. Sie zog in Erwägung, die Zusicherung der Unfallfreiheit durch die Berufungsbeklagte sei zwar falsch gewesen, denn beim fraglichen Fahrzeug habe es sich sowohl im juristischen Sinn als auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch um einen Unfallwagen gehandelt. Die Berufungsbeklagte hafte für die zugesicherten Eigenschaften, gleichgültig, ob sie vom Unfall Kenntnis gehabt habe. Allerdings sei der Berufungskläger trotz seines Wissens um die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs mit diesem weiterhin gefahren und habe dabei bis zur Erstattung der Klageschrift rund 24'000 km zurückgelegt. Ein stichhaltiger Grund für diese erhebliche Weiterbenutzung sei nicht vorgebracht worden, so dass der Berufungskläger sein Recht auf Wandelung im Sinn von Art. 207 Abs. 3 OR verwirkt habe. Zwar sei der Richter nach Art. 205 Abs. 2 OR frei, selbst bei einer Wandelungsklage bloss Ersatz des Minderwerts zuzusprechen, falls die Umstände es nicht rechtfertigen würden, den Kauf rückgängig zu machen. Indessen könne dieses Korrektiv nicht angewandt werden, wenn wie hier das Recht auf Wandelung verwirkt sei und nicht gleichzeitig auf Minderung geklagt werde. Art. 205 Abs. 2 OR diene nicht dazu, falsch gestellte Rechtsbegehren zu retten.

3. Im Berufungsverfahren ist noch streitig, ob der Berufungskläger das Recht auf Wandelung verwirkte, weil er in Kenntnis der Mängel mit dem von der Berufungsbeklagten gekauften Fahrzeug bis zur Einleitung der Klage noch rund 24'000 km fuhr. Zudem ist umstritten, ob bei allfälliger Verwirkung des Rechts auf Wandelung der Richter auch im Fall, dass keine Minderung verlangt wurde, gestützt auf Art. 205 Abs. 2 OR den Ersatz des Minderwerts zusprechen kann.

4. Die Vorinstanz führte aus, der Berufungskläger habe sein Recht auf Wandelung im Sinn von Art. 207 Abs. 3 OR verwirkt, weil er im Wissen um die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs ohne stichhaltigen Grund mit diesem weiterhin gefahren sei und dabei rund 24'000 km zurückgelegt habe. Zwar sei der Richter nach Art. 205 Abs. 2 OR frei, selbst bei einer Wandelungsklage bloss Ersatz des Minderwerts zuzusprechen, falls die Umstände es nicht rechtfertigen würden, den Kauf rückgängig zu machen. Indessen könne dieses Korrektiv nicht angewandt werden, wenn der Kläger wie hier das Recht auf Wandelung verwirkt und nicht gleichzeitig auf Minderung geklagt habe. Dagegen macht der Berufungskläger geltend, die Verwendung des Fahrzeugs bis zur Einleitung des Verfahrens könne ihm nicht zum Nachteil gereichen, denn er habe sich erst in diesem Zeitpunkt entscheiden müssen, ob er auf Wandelung oder Minderung klagen wolle. Zwischenzeitlich sei das Fahrzeug aus dem Verkehr genommen worden. Die blosse Benützung der mangelhaften Sache falle nicht unter Art. 207 Abs. 3 OR und lasse daher das Recht auf Wandelung nicht verwirken. Abgesehen davon würden die von der Vorinstanz angegebenen Gründe für die Nichtanwendbarkeit von Art. 205 Abs. 2 OR bei Verwirkung des Rechts auf Wandelung nicht überzeugen.

a) Nach Art. 205 Abs. 1 OR steht es grundsätzlich im Belieben des Käufers, ob er im Gewährleistungsfall die Wandelung des Kaufvertrags anstrengen oder ob er Minderung oder Ersatzleistung verlangen will. Das Recht auf Wandelung ist indessen ausgeschlossen, wenn die Sache durch Verschulden des Käufers unterging oder von diesem weiter veräussert oder umgestaltet wurde (Art. 207 Abs. 3 OR). Ferner kommt die Wandelung nicht mehr in Frage, wenn der Käufer den Bestand des Kaufvertrags in Kenntnis der Mängel genehmigt, sei es ausdrücklich, sei es durch konkludentes Verhalten, wie etwa bei Weiterbenützung der mangelhaften Kaufsache ohne stichhaltigen Grund (Pra 68, 1979, Nr. 173). Ausserdem ist der Richter nach Art. 205 Abs. 2 OR frei, selbst bei einer Wandelungsklage bloss Ersatz des Minderwerts zuzusprechen, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen. Es handelt sich dabei um eine Billigkeitsentscheidung im Sinn von Art. 4 ZGB (vgl. Meier-Hayoz, Berner Kommentar, Art. 4 ZGB N 56 ff., N 64). Die dem Richter zugestandene Billigkeitsentscheidung dient dem Schutz des Verkäufers und erlaubt es, einen im Einzelfall gerechten Ausgleich der Interessen von Käufer und Verkäufer zu finden (Keller/Siehr, Kaufrecht, 3.A., S. 87). Gemäss BGE 124 III 461 f. ist die Wandelung gerechtfertigt, wenn der Vertragsgegenstand aufgrund des Mangels unbrauchbar ist, oder wenn die Reparaturkosten bzw. der Minderwert hoch sind und sich der Mangel dennoch nicht gänzlich beseitigen lässt. Ist dem Käufer aber das Aufrechterhalten des Vertrags zumutbar und sprechen die Interessen des Verkäufers gegen eine Rückabwicklung des Vertrags, ist bloss auf Minderung zu erkennen. Allgemein lässt sich die Regel aufstellen, dass der Richter die Minderung aussprechen soll, wenn die Nachteile der Aufhebung des Vertrags für den Verkäufer ungleich schwerer wiegen als die Vorteile für den Käufer (Keller/Siehr, S. 87). Grobes Verschulden des Verkäufers oder aber arglistiges Handeln bezüglich nicht bloss nebensächlicher Vertragsbestimmungen muss dagegen zur Wandelung führen (Keller/Siehr, S. 88). So wurde die Wandelung zugelassen beim Verkauf eines Autos, das entgegen der Zusicherung des Verkäufers nicht unfallfrei war (Giger, Art. 205 OR N 53). Wandelung ist Rückgängigmachen des Kaufs. Die Rückerstattung der gegenseitigen Leistungen erfolgt Zug um Zug. Die Wandelung erschöpft sich nicht in der Rückgewähr der gegenseitigen Leistungen, sondern verfolgt die Wiederherstellung des früheren Zustands. Beide Parteien sollen so gestellt werden, wie wenn der Vertrag nicht geschlossen worden wäre. Der Käufer muss die inzwischen gezogenen Nutzungen herausgeben (Art. 208 Abs. 1 OR); der Verkäufer hat den Kaufpreis zu verzinsen (Art. 208 Abs. 2 OR; Honsell, Schweizerisches Obligationenrecht, BT, 5.A., S. 94). Für die Benützung eines Privatautos kann der Verkäufer eine angemessene Entschädigung verlangen, die dem Wert des durch den Gebrauch bezogenen Nutzens entspricht. Dieser lässt sich etwa anhand üblicher Mietzinsen abzüglich der Gewinnmargen oder mittels eines angemessenen kalkulatorischen Zinses bestimmen (Keller/Siehr, S. 89; vgl. Giger, Art. 208 OR N 22). Daneben kann der Nutzen in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der gesamten Kilometerleistung des Fahrzeugs eine Nutzungsentschädigung pro gefahrenem Kilometer festgelegt wird.

b) Ob der Gebrauch des mangelhaften Fahrzeugs durch den Berufungskläger das Recht auf Wandelung untergehen lässt, kann mindestens vorderhand dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass die Vorinstanz ausser Acht liess, dass ein grobes Verschulden des Verkäufers oder aber arglistiges Handeln bezüglich nicht bloss nebensächlicher Vertragsbestimmungen zur Wandelung führen muss. Dass es sich bei der zugesicherten Unfallfreiheit um eine wesentliche Vertragsbestimmung und damit um einen wesentlichen Mangel handelt, ist offensichtlich und auch unter den Parteien unbestritten, so dass es dazu keiner weiteren Ausführungen bedarf.

aa) Der Berufungskläger behauptete bereits in der Klageschrift, offenbar habe die A Autorecycling das Unfallfahrzeug von der B Versicherung übernommen. Anschliessend sei das Fahrzeug an die Carrosserie C gegangen, die den Wagen augenscheinlich repariert habe. Danach habe die D AG das Fahrzeug gekauft und ihn hernach der Berufungsbeklagten überlassen. Dabei hätten nicht nur die A Autorecycling und die Carrosserie C Kenntnis von den Unfallschäden gehabt, sondern auch die D AG und die Berufungsbeklagte. An der Hauptverhandlung wurde darauf beharrt, dass die Berufungsbeklagte die einzelnen Zwischenverkäufe bezüglich des fraglichen Wagens gekannt habe. Aus dem zum Beleg angerufenen Aktenstück ergibt sich die Richtigkeit der Behauptung allerdings nicht ohne weiteres. Somit ist über das behauptete Wissen der Berufungsbeklagten und damit verbunden deren Verschulden oder Arglist bei der Zusicherung der Unfallfreiheit ein Beweisverfahren unentbehrlich. Sollte sich dabei erhärten, dass die Berufungsbeklagte den fraglichen Wagen trotz Kenntnis der wahren Sachlage wider besseres Wissen als unfallfrei weiterverkaufte, muss die Benutzung des Fahrzeugs durch den Berufungskläger gegenüber dem arglistigen Handeln des Verkäufers in den Hintergrund treten, so dass ein Anspruch auf Wandelung zu bejahen wäre.

bb) Damit kann auch offen bleiben, ob die vom Berufungskläger angerufene Schadensminderungspflicht an sich ein stichhaltiger Grund für die Benutzung des Fahrzeugs gewesen wäre. Immerhin wäre bei der Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigen, dass der Berufungskläger der Berufungsbeklagten sowohl Minderung als auch Wandelung offerierte, letztere aber ab der Mängelrüge im November 2002 bis zur Einreichung der Klage Ende August 2003 darauf überhaupt nicht einging. Der Berufungskläger wusste bei Einleitung des Prozesses somit nicht, welche seiner Offerten von der Berufungsbeklagten allenfalls akzeptiert würde. Der Vorwurf der Weiterbenützung des Fahrzeugs im Sinn eines konkludenten Verzichts auf die Wandelung könnte daher von vornherein höchstens für die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens gelten. Allerdings bestritt die Berufungsbeklagte auch damals jegliche Ansprüche des Berufungsklägers; namentlich behauptete sie weiterhin die Unfallfreiheit und bestritt eine rechtzeitige und substantiierte Mängelrüge, so dass bereits angesichts dieser Haltung ein stichhaltiger Grund für eine Weiterbenützung des Fahrzeugs durch den Berufungskläger gegeben war. Abgesehen davon musste der Berufungskläger trotz der Tatsache, dass er bloss Wandelungsklage erhob, auch mit einem richterlichen Billigkeitsentscheid nach Art. 205 Abs. 2 OR rechnen. Damit lag das Risiko von Standschäden entgegen der Auffassung der Vorinstanz eben gerade nicht (nur) bei der Berufungsbeklagten. Angesichts der besonderen Umstände des Falls erweist sich daher die Annahme eines konkludenten Verzichts als nicht zutreffend, während ein direkter Anwendungsfall von Art. 207 Abs. 3 OR ohnehin nicht vorliegt.

cc) Schliesslich ist der angefochtene Entscheid auch bezüglich der Meinung zu korrigieren, bei Verwirkung des Rechts auf Wandelung bestehe generell auch kein Raum für einen richterlichen Billigkeitsentscheid nach Art. 205 Abs. 2 OR. Zwar ist ein Vorgehen nach Art. 205 Abs. 2 OR tatsächlich nicht angezeigt, wenn der Käufer den Untergang der Kaufsache im Sinn von Art. 207 Abs. 3 OR verschuldete, sie veränderte oder weiterveräusserte. Im hier zu beurteilenden Fall liegen aber gerade keine der in Art. 207 Abs. 3 OR aufgezählten Tatbestände vor. Zudem unterschied die Vorinstanz bei ihrer Annahme eines konkludenten Verzichts nicht zwischen dem Verzicht auf Wandelung und der Genehmigung des Kaufs. Nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt der Käufer seinen Anspruch auf Wandelung nur, wenn er ausdrücklich oder konkludent den Willen manifestiert, die mangelhafte Sache behalten zu wollen. Davon ist die Genehmigung zu unterscheiden: Mit dem Verzicht auf Wandelung beschränkt der Käufer seine Ansprüche auf die Preisminderung; durch Genehmigung aber akzeptiert er die Kaufsache als vertragskonform und verzichtet somit zugleich auf seinen Minderungsanspruch. Ob im konkreten Fall eine Genehmigung oder ein Wandelungsverzicht vorliegt, ergibt die Auslegung (Giger, Art. 207 OR N 40). Für eine Genehmigung des Fahrzeugs im gelieferten mangelhaften Zustand fehlen hier ganz offensichtlich jegliche Indizien, so dass weiterhin Raum für den richterlichen Billigkeitsentscheid nach Art. 205 Abs. 2 OR bleibt. Bei dieser Betrachtungsweise wird auch der vom Berufungskläger zu Recht vermisste Einklang mit dem von der Vorinstanz erwähnten, in Pra 68, 1979, Nr. 173 publizierten Bundesgerichtsentscheid hergestellt, in welchem das Bundesgericht eine Minderung prüfte, obwohl wie hier lediglich auf Wandelung geklagt und kein entsprechender Antrag auf Minderung gestellt worden war.

c) Zusammengefasst kann ohne Abklärung, ob seitens der Berufungsbeklagten arglistiges Handeln oder zumindest grobes Verschulden vorliegt, kein Ausschluss des Rechts auf Wandelung angenommen werden. Die Streitsache ist daher zur Durchführung eines Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Selbst wenn ein Anspruch auf Wandelung zu verneinen wäre, hat die Vorinstanz auf jeden Fall gestützt auf Art. 205 Abs. 2 OR einen Anspruch des Berufungsklägers auf Minderung zu prüfen.

Obergericht, 7. Dezember 2004, ZBO.2004.13


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