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RBOG 2005 Nr. 21

Die Arrestlegung der Eidgenössischen Steuerverwaltung für eine Mehrwertsteuerforderung räumt kein Vorzugsrecht an den Arrestgegenständen ein


Art. 69 f MWSTG, Art. 44 SchKG, Art. 274 SchKG


1. a) Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) verpflichtete die Beschwerdegegnerin, für angefallene Mehrwertsteuern Fr. 380'000.-- sicherzustellen. Gestützt auf den von der ESTV gleichzeitig erlassenen Arrestbefehl vollzog das Betreibungsamt bei der Beschwerdegegnerin den Arrest. Nach erfolgter Arrestprosequierung vollzog das Betreibungsamt gemäss dem Begehren der ESTV um Fortsetzung der Betreibung auf Sicherheitsleistung die Pfändung. Als Pfändungsteilnehmer wird in der Pfändungsurkunde ausser der ESTV auch der Ehemann der Beschwerdegegnerin aufgeführt, der diese für ausstehende Lohnforderungen bezüglich das Jahr 2003 betrieben hatte. Die Lohnbetreffnisse für November und Dezember 2003 bezeichnete das Betreibungsamt als Forderung erster, die restlichen als Forderung dritter Klasse; den Anspruch der ESTV qualifizierte es ebenfalls als Forderung dritter Klasse.

b) Die ESTV wandte sich mit Beschwerde an das Gerichtspräsidium und verlangte, die Pfändungsurkunde sei aufzuheben, ihre Forderung sei als pfandgesichert aufzunehmen, und sie sei dafür aus den verarrestierten Vermögenswerten vorab zu befriedigen. Die Vorinstanz wies die Beschwerde ab. Das Mehrwertsteuerrecht habe das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht in Teilbereichen modifiziert, auf ein eigenständiges Vollstreckungsverfahren aber verzichtet. Die ESTV sei demzufolge nur insoweit privilegiert, als sie entgegen den gewöhnlichen Vorschriften des SchKG selber Arrestbefehle erlassen und in bestimmten Fällen selber Rechtsvorschläge beseitigen könne. Eine Privilegierung von Steuerforderungen oder gar blosser Sicherstellungen gegenüber anderen Gläubigern im Betreibungsverfahren sei im Mehrwertsteuergesetz nirgends vorgesehen. Die Arrestlegung der ESTV gebe dieser folglich kein Vorzugsrecht an den Arrestgegenständen; die Pfändungsurkunde verletze kein Pfandrecht.

2. Gegen diese Verfügung erhob die ESTV Beschwerde beim Obergericht und beantragte, ihre Forderung sei als einzige, da pfandgesicherte Forderung in der Pfändungsurkunde aufzuführen, und die verarrestierten/gepfändeten Vermögenswerte seien an die in ihrer Sicherstellungsverfügung bezeichnete Stelle zu überweisen; das Betreibungsamt sei aufzufordern, ihr Frist gemäss Art. 111 Abs. 4 SchKG zur Bestreitung des privilegierten Anschlusses einzuräumen. Zur Begründung machte die ESTV im Wesentlichen geltend, ihre Forderung gelte als Pfandforderung; ein Pfändungsanschluss sei nicht möglich. Es treffe nicht zu, dass im Mehrwertsteuergesetz auf ein eigenständiges Vollstreckungsrecht verzichtet worden und der Arrest eine reine Sicherungsmassnahme zur Sicherstellung von Geldforderungen sowie Sicherheitsleistungen für das nachfolgende Betreibungsverfahren sei. Über die Zulässigkeit und die Wirkung einer Beschlagnahme habe einzig die gemäss Art. 70 MWSTG zuständige Behörde und Rechtsmittelinstanz zu entscheiden. Mit dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 44 SchKG sei das Vollstreckungsrecht hinsichtlich von Mehrwertsteuerforderungen bundesrechtlich speziell geregelt worden. Art. 70 Abs. 2 MWSTG lege fest, dass die Sicherstellungsverfügung den Rechtsgrund der Sicherstellung, den sicherzustellenden Betrag und die Stelle, welche die Sicherheiten entgegennehme, anzugeben habe. Die ESTV habe gestützt auf diese Vorschrift die Wirkungen und Modalitäten der Verwertung festgesetzt. In der Sicherstellungsverfügung bzw. dem Arrestbefehl sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass ihr sowohl das Bargeld als auch die Wertschriften direkt zugesandt werden müssten. Entgegen der Annahme der Vorinstanz finde kein nachfolgendes Betreibungsverfahren, d.h. eine Betreibung auf Pfandverwertung, statt, und die Auszahlung der sichergestellten Vermögenswerte erfolge auch nicht erst, wenn die Mehrwertsteuern rechtskräftig veranlagt worden seien. Der Ehemann der Beschwerdegegnerin habe nicht eine Betreibung auf Sicherheitsleistung, sondern eine solche auf Pfändung eingeleitet. Es lägen somit nicht zwei gleichartige Betreibungen vor. Ein Pfändungsanschluss sei nicht möglich. Allenfalls sei der ESTV Frist zur Bestreitung des privilegierten Pfändungsanschlusses anzusetzen.

3. Die Beschwerdeführerin verlangt, dass in der Pfändungsurkunde einzig ihre Forderung aufgeführt, dass somit der Anspruch des Ehemanns der Beschwerdegegnerin nicht erwähnt wird, und dass ihr die verarrestierten/gepfändeten Vermögenswerte überwiesen werden. Dies sei eine Folge davon, dass dem Staat gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung mit steuerrechtlicher Sicherstellung beziehungsweise Verarrestierung ein Pfandrecht bestellt werde. An sich wäre das Verfahren deshalb auf dem Weg der Pfandverwertung fortzusetzen; Art. 70 MWSTG stelle jedoch ein eigenes Vollstreckungsverfahren zur Verfügung, welches seinerseits auf Art. 44 SchKG basiere.

4. a) Gegenstand des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes ist die Vollstreckung von Ansprüchen auf Geldzahlung und Sicherheitsleistung, gleichgültig ob sie aus privatem oder öffentlichem Recht entstanden sind. Auch öffentlich-rechtliche Forderungen wie Bussen, Gebühren, Steuern und andere Abgaben sind daher grundsätzlich nach dem SchKG zu vollstrecken (Acocella, Basler Kommentar, Art. 38 SchKG N 4, 7). Dieser Grundsatz erleidet indessen durch Art. 44 SchKG eine wesentliche Einschränkung: Die Verwertung von Gegenständen, welche aufgrund strafrechtlicher oder fiskalischer Gesetze mit Beschlag belegt sind, geschieht nach den entsprechenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzesbestimmungen. Nach Lehre und Rechtsprechung steht fest, dass dieser Vorbehalt entgegen dem zu engen Wortlaut von Art. 44 SchKG, der nur von der Verwertung spricht, auch die Beschlagnahme als solche betrifft. Eine derartige Beschlagnahme geht einer Pfändung oder einem Konkursbeschlag auch vor, wenn sie zeitlich später erfolgt (Acocella, Art. 44 SchKG N 1 f.; BGE 120 IV 367, 115 III 3).

Art. 44 SchKG bezieht sich jedoch nur auf die Verwertung von Gegenständen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Straf- oder Steuerverfahren nach den betreffenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzen beschlagnahmt worden sind. So fällt z.B. die strafprozessuale Beschlagnahme zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wie etwa die Beweissicherung oder die Beschlagnahme im Sinn von Art. 58 ff. StGB unter diese Bestimmung. Hingegen ist sie nach der neueren Bundesgerichtspraxis nicht allgemein auf die Durchsetzung von Steuerforderungen anwendbar. Andernfalls könnten die Kantone in ihren Steuergesetzen ein Verfahren vorsehen, mit welchem sie in jedem Stadium eines Betreibungs- oder Konkursverfahrens mit einer Beschlagnahmeverfügung eingreifen und gepfändete oder zur Konkursmasse gehörende Vermögenswerte für die Deckung von Steuerforderungen beanspruchen dürften. Dies würde jedoch dem Grundsatz, dass öffentlich-rechtliche Forderungen unter Vorbehalt bundesrechtlicher Vorschriften kein Privileg geniessen, klar zuwiderlaufen (BGE 115 III 3, 108 III 106; Acocella, Art. 44 SchKG N 4). Eine Ausnahme hievon ist nur möglich für die Beschlagnahme von Gegenständen in einem Strafverfahren zur Deckung von Untersuchungs-, Gerichts- und Gefangenenschaftskosten: Nach Art. 44 SchKG steht es den Kantonen frei, hierüber selber zu legiferieren (Acocella, Art. 44 SchKG N 5 mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Praxis).

b) Das Mehrwertsteuerrecht kennt kein spezielles Vollstreckungsrecht. Mehrwertsteuerforderungen sind somit nach SchKG zu vollstrecken. Wohl wäre gestützt auf Bundesrecht eine Vollstreckung ausserhalb des SchKG möglich; alsdann müsste dies aber gesetzlich klar festgelegt sein. Daran fehlt es jedoch. Gemäss Art. 69 Abs. 1 MWSTG ist die Betreibung einzuleiten, wenn der Anspruch auf Steuern, Zinsen, Kosten und Bussen auf Mahnung hin nicht befriedigt wird; vorbehalten bleibt die Eingabe in einem Konkurs- oder Nachlassvertragsverfahren. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese Forderungen sichergestellt werden (Art. 70 Abs. 1 MWSTG). Wenn nun die Steuerforderung als solche auf dem Betreibungsweg geltend zu machen ist, muss dies folgerichtig auch für deren Sicherstellung gelten. Aus Art. 70 Abs. 2 MWSTG, welcher festhält, dass die Sicherstellungsverfügung nebst deren Rechtsgrund und dem sicherzustellenden Betrag auch die Stelle, welche die Sicherheiten entgegennimmt, anzugeben hat, ergibt sich nichts anderes: Diese Angaben sind unabdingbar, damit eine Sicherstellungsverfügung überhaupt ihren Zweck erfüllen kann; auf eine spezielle Vollstreckung kann hieraus nicht geschlossen werden. Kommt der Schuldner der Sicherstellungsverfügung nicht nach, hat der Gläubiger mittels Betreibung auf Pfändung die Betreibung auf Sicherstellung einzuleiten (vgl. Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 6.A., S. 332 f.). Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die Sicherstellungsverfügung gemäss Art. 70 Abs. 2 MWSTG als Arrestbefehl im Sinn von Art. 274 SchKG gilt. Nach Art. 281 SchKG begründet der Arrest indessen ausser in Bezug auf den provisorischen Pfändungsanschluss und die Arrestkosten eben gerade kein Vorzugsrecht. Schliesslich verweist auch Art. 70 Abs. 6 MWSTG in Zusammenhang mit der Arrestprosequierung auf die Notwendigkeit, die Betreibung einzuleiten.

c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sieht das MWSTG folglich kein eigenständiges Vollstreckungsrecht vor. Zwar trifft zu, dass das Bundesgericht im von der Beschwerdeführerin eingereichten, nicht veröffentlichten Urteil 2P.41/2003 festhielt (Erw. 5.3), der Staat als Steuergläubiger erlange aufgrund der Sicherstellungsverfügung kein Eigentum am hinterlegten Geld, sondern es werde ihm lediglich ein Pfandrecht bestellt; gleich anschliessend führte es jedoch aus was die Beschwerdeführerin nicht mehr zitiert , der im ordentlichen Steuerveranlagungsverfahren zu treffende oder getroffene Entscheid über Bestand und Umfang der Steuerforderung berechtige den Steuergläubiger nicht, ohne Zustimmung des Steuerschuldners formlos auf die geleisteten Sicherheiten zu greifen. Entsprechend habe er die Zwangsvollstreckung auf dem Weg der Pfändung oder der Pfandverwertung fortzusetzen (Art. 38 Abs. 2 SchKG). Das Verfahren der Steuerfestsetzung sei von demjenigen der Sicherstellung einer Steuerforderung zu unterscheiden. Die Funktion und Bedeutung einer Sicherstellungsverfügung bestehe nicht darin, einen Entscheid über die Steuerforderung herbeizuführen, und sie sei auch nicht auf Zahlung der Steuerforderung gerichtet. Bei ihr gehe es um eine reine Massnahme der Steuersicherung, die auf Leistung einer Sicherheit gerichtet sei. Komme der Steuerpflichtige der Sicherstellungsverfügung nicht freiwillig nach, erfolge deren Vollzug grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der Zwangsvollstreckung (Erw. 5.2).

In der hier zu beurteilenden Streitsache gilt nichts anderes. Die Privilegierung des Bundes als Steuergläubiger liegt nicht in einer materiellen Bevorzugung gegenüber Drittgläubigern, sondern darin, dass er selber einen Arrestbefehl erlassen und damit sofort, aber nur provisorisch, auf das Vermögen des Schuldners greifen kann, und zwar bereits in einem Zeitpunkt, in dem die Steuerforderung noch nicht definitiv feststeht. Die steuerrechtliche Sicherstellung bzw. der Arrest verschafft der Beschwerdeführerin nur ein beschränktes dingliches Recht, ein Pfandrecht, an den hinterlegten Vermögenswerten (vgl. Krauskopf, Wesen und Bedeutung der Betreibung auf Sicherheitsleistung, in: BlSchK 42, 1978, S. 167). Bei der Betreibung auf Sicherheitsleistung muss der Schuldner den Gläubiger nicht direkt befriedigen, wie er es bei einer Geldzahlung tun müsste, sondern er muss dem Gläubiger für seine Forderung Sicherheit gewähren, damit sich dieser bei Nichterfüllung seines Anspruchs durch die Verwertung der als Sicherheit gegebenen Vermögensgegenstände befriedigen kann. Die geleistete Sicherheit wird dem Gläubiger nicht ausgehändigt; vielmehr wird sie vom Betreibungsamt für ihn bei der zuständigen Depositenanstalt hinterlegt (Krauskopf, S. 163). Der Gläubiger kann zwar im Rahmen einer Betreibung der Grundforderung auf die sichergestellten und deponierten Geldsummen, Wertpapiere und Wertsachen greifen; insofern besitzt er ein Pfandrecht. Das "Pfand", der Umfang der Sicherstellung, steht aber nicht im Voraus fest, sondern wird erst durch das Arrest- und Betreibungsverfahren (auf Sicherstellung) bestimmt. Dies gilt auch, wenn Mehrwertsteuerforderungen und sich darauf beziehende Sicherstellungsverfügungen zur Diskussion stehen. Der Gläubiger hat sich hier die Vermögenswerte des Schuldners ebenfalls entsprechend den massgebenden Bestimmungen mit allfälligen Drittgläubigern zu teilen. Wie jeder Gläubiger ist er berechtigt, Rang und Bestand der Forderung von Drittgläubigern mittels Kollokationsklage anzufechten. Dies übersah das Betreibungsamt anlässlich des Pfändungsvollzugs. Es teilte die Forderungen der Beschwerdeführerin und des Ehemanns der Beschwerdegegnerin, der sich in der gleichen Pfändungsgruppe befindet, zu Unrecht bereits in der Pfändungsurkunde verschiedenen Klassen zu; ebenso nahm es zu Unrecht schon dort zu den Überweisungen nach Rechtskraft der Pfändungsurkunde Stellung: Richtigerweise hat es nach Abschluss der Pfändung, sofern nicht sämtliche Gläubiger befriedigt werden können, einen Kollokationsplan und eine Verteilungsliste zu erstellen, aufzulegen und den Gläubigern zuzustellen (Art. 146 f. SchKG). Alsdann beginnt die Frist zur Kollokationsklage zu laufen (Art. 148 SchKG), und die Beschwerdeführerin hat in diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, die Forderung oder den Rang des Ehemanns der Beschwerdegegnerin zu bestreiten. An der Notwendigkeit, dieses gesetzlich vorgeschriebene Verfahren einzuhalten, ändert nichts, dass die Betreibung der ESTV auf Sicherheitsleistung und nicht auf Geldzahlung lautet. Die Betreibung auf Sicherheitsleistung ist keine besondere Betreibungsart, sondern lediglich eine Betreibung mit einem besonderen Ziel: Nicht Zahlung, sondern bloss Sicherheitsleistung wird angestrebt; dabei gilt aber das gleiche Verfahren wie bei der Betreibung auf Geldzahlung (vgl. Art. 38 Abs. 1 SchKG), wobei allerdings nur die Betreibung auf Pfändung in Frage kommt (Art. 43 Ziff. 3 SchKG).

Obergericht, 15. November 2004, BS.2004.24

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 20. April 2005 ab.


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