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RBOG 2005 Nr. 22

Anforderungen an eine superprovisorische Verfügung als Titel für die definitive Rechtsöffnung


Art. 80 SchKG, § 111 ZPO, § 163 ZPO


1. Die Vorinstanz erteilte definitive Rechtsöffnung für Unterhaltsbeiträge gestützt auf eine superprovisorische Verfügung des Gerichtspräsidiums.

2. a) Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil, kann der Gläubiger beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen (Art. 80 Abs. 1 SchKG). Obwohl der Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 SchKG nur verlangt, dass der Entscheid vollstreckbar sein muss, fordert die Praxis seit jeher, dass der Entscheid auch formell rechtskräftig sein muss, mithin nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden kann (Staehelin, Basler Kommentar, Art. 80 SchKG N 7). Nach der strengen Praxis des Obergerichts und entgegen der Auffassung von Staehelin (Art. 80 SchKG N 55) genügt es in der Regel nicht, dass der Schuldner die Rechtskraft des Urteils im Rechtsöffnungsverfahren nicht bestritten hat. Erforderlich ist vielmehr, dass der Gläubiger die formelle Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteils mit einer Rechtskraftbescheinigung nachweist. Die Rechtskraft kann auch dadurch nachgewiesen werden, dass dargetan wird, gegen den entsprechenden Entscheid sei kein ordentliches Rechtsmittel gegeben (Staehelin, Art. 80 SchKG N 55). Nicht erforderlich ist materielle Rechtskraft. Provisorische und vorsorgliche beziehungsweise vorläufige Massnahmen, die ein Dauerrechtsverhältnis für eine bestimmte Zeit regeln, und die nicht in materielle, aber in formelle Rechtskraft erwachsen, wie beispielsweise Verfügungen über Unterhaltsbeiträge, sind deshalb grundsätzlich vollstreckbare Urteile im Sinn von Art. 80 Abs. 1 SchKG (Staehelin, Art. 80 SchKG N 10).

b) Gemäss § 235 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 ZPO sind die im summarischen Verfahren ergangenen Erledigungsverfügungen mit Rekurs anfechtbar. Nicht anfechtbar sind vorläufige (superprovisorische) Verfügungen gemäss § 163 ZPO. Superprovisorische Verfügungen werden somit mit dem Erlass formell rechtskräftig. Sie sind damit auch vollstreckbar (§ 257 ZPO; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, § 257 N 1).

Zu Recht wendet der Rekurrent deshalb nicht ein, superprovisorische Verfügungen könnten grundsätzlich nicht zur definitiven Rechtsöffnung verhelfen. Zu Recht stellte denn auch die Vorinstanz fest, wenn dem so wäre, hätte der Erlass vorläufiger Verfügungen keinen Sinn mehr, da sich der Schuldner ihnen stets widersetzen könnte, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Schwyz, wonach superprovisorische Massnahmen, die ohne Anhörung des Schuldners erlassen worden seien, erst in formelle Rechtskraft erwachsen würden, wenn dem Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei und er dagegen keine Einsprache erhoben habe (Staehelin, Art. 80 SchKG N 10), ist eine (unzutreffende) Einzelmeinung: Entscheidend ist, dass den vorläufigen Verfügungen formelle Rechtskraft zukommt; beschränkt ist nur die materielle Rechtskraft, was aber kein Grund ist, die definitive Rechtsöffnung auszuschliessen. Auch eine (definitive) Eheschutzmassnahme erwächst nicht beziehungsweise nur beschränkt in materielle Rechtskraft (Merz, Die Praxis zum Eheschutz, Sulgen 2005, S. 224 N 1) und stellt selbstverständlich einen Entscheid im Sinn von Art. 80 Abs. 1 SchKG dar. Zudem geht es hier insofern um eine atypische superprovisorische Verfügung, als sie nach Anhörung des Schuldners erlassen wurde. Genau gesehen erweist sie sich als vorsorgliche Massnahme im Eheschutzverfahren. Das ist in dieser Form zulässig und in gewissen Fällen auch sinnvoll (RBOG 2001 Nr. 3).

c) Die Vorinstanz gewährte definitive Rechtsöffnung gestützt auf das Schreiben des Eheschutzrichters, in welchem das Gerichtspräsidium unter anderem superprovisorisch einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'500.-- verfügt hatte. Dass die Verfügung in Briefform erging und nicht in einer Entscheidform mit Rubrum, Dispositiv, Ergebnissen und Entscheidgründen schadet grundsätzlich nicht. Gerade dringliche superprovisorische Verfügungen werden praxisgemäss in einfachen Fällen ebenfalls in dieser Form erlassen. Der Rekurrent kann daher nur einwenden, der fragliche Entscheid enthalte nicht alle notwendigen Bestandteile.

d) Der Rekurrent bestreitet den Verfügungscharakter damit, die superprovisorische Verfügung enthalte keine Entscheidbegründung.

aa) Gemäss § 108 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO sind alle schriftlich eröffneten Urteile zu begründen. Das gilt für alle Endentscheide über streitige Begehren in der Sache selbst, auch solche, die im summarischen Verfahren ergehen (RBOG 1993 S. 18); die Begründungspflicht fliesst aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV verankerten Gehörsanspruch.

Vorläufige (superprovisorische) Verfügungen nach § 163 ZPO sind allerdings keine Endentscheide. Es sind provisorische Zwischenentscheide, die eine Streitsache vorläufig und für eine beschränkte Dauer regeln und im Normalfall ohne Anhörung der Gegenpartei erlassen werden (RBOG 2003 Nr. 28). Zwischenentscheide sind gemäss § 111 Abs. 1 ZPO soweit summarisch zu begründen, als die Parteien im Dispositiv die massgebenden richterlichen Überlegungen nicht hinreichend erkennen können. Die fehlende Begründung eines Zwischenentscheids stellt eine Rechtsverweigerung dar, wenn die Parteien dadurch über wesentliche Dinge, die für die Fortsetzung des Prozesses beziehungsweise die Einreichung eines Rechtsmittels von Bedeutung sind, im Unklaren bleiben (Merz, § 111 ZPO N 1).

bb) Die Begründung der superprovisorischen Verfügung vermag den Anforderungen von § 111 Abs. 1 ZPO nicht zu genügen. Der Eheschutzrichter hielt lediglich fest, aufgrund der nun zumindest einmal teilweise etwas konkreter gewordenen Vermögensverhältnisse werde superprovisorisch die Reduktion des Unterhaltsbeitrags von bisher Fr. 3'000.-- auf Fr. 1'500.-- verfügt, und zwar mit Wirkung ab Beginn der letzten superprovisorischen Verfügung. Dieses Geld sei von der Rekursgegnerin für die Bedürfnisse des Haushalts zu verwenden. Das derzeitige Einkommen des Rekurrenten entspreche, so wie es deklariert worden sei, offensichtlich nicht dem Normaleinkommen während der Ehe. Der Eheschutzrichter räumte den Parteien eine Frist von 20 Tagen ein, um Aktenergänzungsbegehren mit Bezug auf die jetzige und längerfristige künftige Erwerbsfähigkeit beider Parteien, insbesondere des Rekurrenten, zu stellen. Auch die ältere superprovisorische Verfügung, welche abgeändert wurde, hilft mit Bezug auf die fehlende Begründung nicht weiter, da dort nur festgehalten wurde, es werde "hiermit einmal" superprovisorisch verfügt, dass der Rekurrent der Rekursgegnerin bis zum Erlass der Massnahmeverfügung Fr. 3'000.-- pro Monat zu bezahlen habe, in Anrechnung an allfällige, später verfügte Unterhaltsbeiträge oder güterrechtliche Ansprüche. Mit diesen Begründungen werden die Parteien im Unklaren darüber gelassen, weshalb superprovisorisch verfügt und der Unterhaltsbeitrag auf Fr. 1'500.-- festgesetzt wurde.

Die Begründung einer Unterhaltsverpflichtung setzt sich üblicherweise mit der Leistungsfähigkeit und dem Bedarf der Parteien auseinander. Auch beim Erlass superprovisorischer Massnahmen ist es trotz Dringlichkeit möglich, den Parteien die zu einem bestimmten Unterhaltsbeitrag führenden Überlegungen mindestens kurz zu eröffnen und darzulegen, weshalb überhaupt eine superprovisorische Verfügung erlassen werde. Dabei können die entscheidenden Faktoren grob geschätzt werden. Je nach dem Stand des Verfahrens und den Vorbringen der Parteien genügt auch ein Hinweis auf den grob geschätzten Bedarf der Unterhaltsberechtigten, der superprovisorisch festgelegt wird, und die Annahme, der Unterhaltspflichtige sei aufgrund seiner Tätigkeit in der Lage, diesen Bedarf und seinen eigenen Notbedarf zu decken. Der Richter hat somit in einer superprovisorischen Verfügung kurz darzulegen, weshalb er der Auffassung ist, der verfügte Unterhaltsbeitrag sei vorläufig in dieser Höhe zu bezahlen. Die zeitliche Dringlichkeit ist kein Grund, auf eine minimale Begründung zu verzichten. In ganz dringenden Fällen ist es allenfalls auch möglich, die schriftliche Kurzbegründung nachzureichen.

cc) Eine fehlende Begründung oder Rechtsmittelbelehrung führt indessen grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit eines Entscheids (Stücheli, Die Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 215). Im öffentlichen Recht wird zwar ein nichtiger Entscheid angenommen, wenn er ergangen ist, ohne dem Betroffenen vor der Ausfällung oder wenigstens durch eine Rechtsmittelmöglichkeit Gelegenheit zu geben, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (Stücheli, S. 214). Das kann aber ohne Zweifel nur für die Streitsache definitiv regelnde Endentscheide gelten. Bei superprovisorischen Verfügungen ist entsprechend ihrem Charakter eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nur eine vorläufige, die im Lauf des Verfahrens beziehungsweise mit dem das Verfahren abschliessenden begründeten Endentscheid geheilt wird. Dies gilt erst recht für einstweilige Verfügungen beziehungsweise vorsorgliche Massnahmen in Form von superprovisorischen Verfügungen im Rahmen des Eheschutzverfahrens. Ihnen muss klar entnommen werden können, dass ein weiterer Entscheid folgen werde, beziehungsweise welche Punkte aus welchen Gründen noch nicht abgeklärt worden sind, und in welcher Form sich die Parteien am Verfahren zu beteiligen haben (RBOG 2001 Nr. 5 S. 79).

Entgegen der Auffassung des Rekurrenten macht die mangelhafte Begründung die superprovisorische Verfügung somit nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar, da dieser Mangel grundsätzlich heilbar ist. Das gilt für alle Entscheide. Wäre dem nicht so, könnte jedes Urteil zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, es sei mangelhaft begründet. Gegen superprovisorische Verfügungen ist zwar kein ordentliches kantonales Rechtsmittel gegeben (§ 235 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO). Es fehlt hier eine Berufungs- oder Rekursinstanz, die im Rechtsmittelverfahren den Mangel heilen kann. Der Rekurrent hätte die seiner Auffassung nach mangelhafte Begründung der superprovisorischen Verfügung aber mit dem ausserordentlichen Rechtsbehelf der Aufsichtsbeschwerde anfechten können, die in hängigen Verfahren zulässig ist wegen Rechtsverweigerung, Rechtsverzögerung oder anderen Verletzungen von Amtspflichten durch richterliche Behörden oder Beamte (§ 242 ZPO). Die fehlende Begründung eines Zwischenentscheids kann eine Rechtsverweigerung darstellen (Merz, § 111 ZPO N 1). Zwar kann im Aufsichtsbeschwerdeverfahren der Entscheid nicht aufgehoben oder geändert und mithin auch die fehlende Begründung nicht nachgeliefert werden. Die Vorinstanz kann aber von der Aufsichtsbehörde angewiesen werden, den mangelhaft begründeten Entscheid ausreichend zu begründen.

e) Die superprovisorische Verfügung ist zusammenfassend trotz fehlender Begründung nicht nichtig. Zu Recht qualifizierte die Vorinstanz diese vorläufige Eheschutzverfügung mit Bezug auf die darin festgelegten Unterhaltsbeiträge als Titel für die definitive Rechtsöffnung.

Obergericht, 31. Oktober 2005, BR.2005.71


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