RBOG 2005 Nr. 8
Eheschutzmassnahmen: Berechnung des Unterhaltsbeitrags; Verteilung des Überschusses
1. Das Vizegerichtspräsidium sah davon ab, einer der Parteien einen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen. Ihr Grundbedarf sei in Anbetracht des ehelichen Lebensstandards sehr grosszügig berechnet worden; beide Parteien könnten ihren eigenen Bedarf selbstständig decken, und es verbleibe bei beiden ein Überschuss. Sowohl der Ehefrau als auch dem Ehemann sei die Weiterführung der bisherigen ehelichen Lebenshaltung möglich; sie seien nicht auf eine Unterstützung des Partners angewiesen. Die Rekurrentin verlangt einen Unterhaltsbeitrag.
2. Mit ihrer Rüge, die Vorinstanz habe sie von der hälftigen Partizipation am Überschuss ausgeschlossen, womit ihr lediglich ihre eigenen Einkünfte zur Verfügung stünden, was in diesem Fall unangemessen sei, wendet sich die Rekurrentin grundsätzlich zu Recht gegen die Anwendung der in BGE 128 III 67 f. statuierten Grundsätze, welche die Vorinstanz zur Begründung des Verzichts auf Unterhaltsbeiträge an die Ehefrau heranzog:
a) Es wäre zu kurz gegriffen, die Unterhaltsbeiträge an einen Ehegatten im Eheschutzverfahren, welches nicht die Wiederherstellung des ehelichen Zusammenlebens, sondern die Regelung des Getrenntlebens bis zur Scheidung bezweckt, (allein) nach Art. 125 ZGB festzusetzen. Zum einen hatte sich das Bundesgericht in BGE 128 III 65 ff., worauf die Rekurrentin zu Recht hinweist, in erster Linie mit der Frage zu beschäftigen, ob, inwieweit und ab welchem Zeitpunkt es einer 41-jährigen Ehefrau nach einer lebensprägenden Ehe von rund 20 Jahren zumutbar sei, ihre bisherige 20%-ige Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Zum andern wurde auch in der Regeste ausdrücklich festgehalten, wenn mit der Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts nicht mehr ernsthaft zu rechnen sei, seien bei der Beurteilung des Unterhalts und insbesondere der Frage der Wiederaufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit eines Ehegatten die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien miteinzubeziehen. Das Bundesgericht sprach sich demzufolge nicht für die ausschliessliche Anwendung der Kriterien gemäss Art. 125 ZGB aus. Es ist - insbesondere bei länger dauernden Ehen - auch nicht ausser Acht zu lassen, dass die Ehe (während der Trennung) formell weiterbesteht; daran ändert nichts, dass nurmehr nach einer bloss zweijährigen Dauer des Getrenntlebens ein absoluter Scheidungsanspruch besteht (Art. 114 ZGB). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das geltende Recht den ehelichen und den nachehelichen Unterhalt bewusst und zu Recht differenziert regelt, was beispielsweise bereits in der Botschaft über die Änderung des ZGB vom 15. November 1995 (BBl 1996 I 45) zum Ausdruck kommt: Danach steht in Bezug auf die Unterhaltsverpflichtung unter geschiedenen Ehegatten die Idee einer gewissen nachehelichen Solidarität und die Notwendigkeit, ehebedingte Nachteile auszugleichen, im Vordergrund, woraus sich ergebe, dass Unterhaltsbeiträge unter geschiedenen Ehegatten weniger hoch anzusetzen seien als diejenigen unter Ehegatten. Daran ändert grundsätzlich auch nichts, dass sich bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts und des Unterhaltsanspruchs im Eheschutzverfahren die Kriterien mittlerweile stark angeglichen haben.
b) Aus diesen Überlegungen folgt, dass kein Grund besteht, von der bisherigen konstanten Rechtsprechung des Obergerichts abzuweichen, den Unterhaltsanspruch des Ehegatten im Eheschutzverfahren nach den bisherigen Richtlinien zu prüfen und zu bemessen. Demgemäss wird vom Gesamteinkommen der Parteien das Total der beiden nach den betreibungsrechtlichen Richtlinien errechneten Existenzminima in Abzug gebracht. Massgebend sind die beidseitigen Grundbeträge, zu welchen allenfalls Zuschläge, die sich ebenfalls nach den Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom 24. November 2000 richten, zu machen sind (BGE 127 III 70, 126 III 356 f.). Diese Richtlinien gelten seit 1. März 2001 auch für den Kanton Thurgau; das Obergericht verzichtete darauf, eigene Richtlinien zu erlassen (RBOG 2001 S. 13). Verbleibt nach Abzug des Gesamtbedarfs der Parteien von ihrem Totaleinkommen ein Rest, ist dieser bei einem kinderlosen Ehepaar hälftig aufzuteilen (RBOG 1997 Nr. 1; BGE 126 III 9 f., 119 II 318 f.), wobei jedoch darauf zu achten ist, dass keine Vermögensverschiebung eintritt, welche die güterrechtliche Auseinandersetzung vorwegnimmt (BGE 121 I 100).
Demgemäss ist ein Überschuss in Fällen wie diesem, in dem die kinderlose Ehe mit einer Ehedauer von rund 15 Jahren lebensprägend war und beide Parteien ein volles Arbeitspensum versahen, hälftig zu teilen, wenn keine Sparquote behauptet und belegt wird (Merz, Die Praxis zum Eheschutz, Sulgen 2005, S. 152 f. N 4 f.; BGE vom 23. Februar 2005, 5P.467/2004, Erw. 3.2).
c) Im Weiteren garantiert der gebührende Unterhalt im Sinn von Art. 125 ZGB zwar nicht in jedem Fall den bisherigen Lebensstandard, aber es ist anzustreben, den während der Ehe gepflegten Lebensstil wenn immer möglich als Richtwert für den gebührenden Unterhalt beizubehalten. Dieser bildet denn auch gleichzeitig grundsätzlich die obere Grenze für den nachehelichen Unterhalt. Ausgeschlossen werden soll grundsätzlich nur die über den bisherigen vollen Lebensbedarf hinausgehende Teilhabe am Luxus eines sehr wohlhabenden Partners (BBl 1996 I 116; Gloor/Spycher, Basler Kommentar, Art. 125 ZGB N 3; Schwenzer, in: FamKommentar Scheidung [Hrsg.: Schwenzer], Bern 2005, Art. 125 ZGB N 4).
Obergericht, 30. Mai 2005, ZR.2005.21
Die gegen diesen Beschluss eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 1. Dezember 2005 ab.