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RBOG 2006 Nr. 20

Eventualvorsatz; schlagen und treten mehrere Täter auf ein wehrloses, am Boden liegendes Opfer ein, nehmen sie dessen Tod in Kauf


Art. 18 StGB, Art. 111 StGB


1. Die sieben Angeklagten hatten beschlossen, "Punks aufzumöbeln". Als sie die Opfer erblickten, bildeten sie eine V-Kampf­formation und schritten auf die beiden zu. Sie traktierten sie mit massiven Fusstritten und Faustschlägen und hörten damit auch nicht auf, als die beiden schon zu Boden gesunken waren. Welcher der Angeklagten welchem Opfer welche Schläge austeilte, liess sich nicht mehr stimmig rekonstruieren. Erstellt ist, dass das eine Opfer bereits nach kurzer Zeit reglos am Boden lag, während das andere versuchte, davon zu kriechen. Deshalb wurde dieses vorab mit den Füssen traktiert und versucht, es durch gewaltsames Hinunterdrücken des Kopfes am Wegkriechen zu hindern. Ohne sich um dieses schwerverletzte und das andere, reglos am Boden liegende Opfer zu kümmern, rannten die Angeklagten daraufhin weg.

Das eine Opfer erlitt schwere Hirnverletzungen und wäre ohne sofortige medizinische Versorgung verstorben. Es muss mit bleibenden geistigen und körperlichen Schäden rechnen. Beim anderen Opfer wurden leichtere Verletzungen ohne bleibende Schädigung festgestellt.

2. Es ist unbestritten, dass das eine Opfer eine schwere Körperverletzung im Sinn von Art. 122 StGB und das andere Opfer eine einfache Körperverletzung gemäss Art. 123 StGB erlitten. Die Vorinstanz verurteilte die Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung zum Nachteil des einen und wegen versuchter eventualvorsätzlicher schwerer Körperverletzung zum Nachteil des andern Opfers. Die Angeklagten machten auch im Berufungsverfahren geltend, ihr Vorsatz habe sich lediglich auf eine einfache Körperverletzung gerichtet. Ein Angeklagter verlangte einen Freispruch, weil er nicht geschlagen habe. Die Staatsanwaltschaft beantragte einen Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung.

3. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist Mittäter, wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als Hauptbeteiligter dasteht. Dabei kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles und dem Tatplan für die Ausführung des Delikts so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt. Das blosse Wollen der Tat, der subjektive Wille allein genügt zur Begründung von Mittäterschaft jedoch nicht. Der Täter muss vielmehr bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung der Tat auch tatsächlich mitwirken. Daraus folgt aber nicht, dass Mittäter nur ist, wer an der eigentlichen Tatausführung beteiligt ist oder sie zu beeinflussen vermag. Dass der Mittäter bei der Fassung des gemeinsamen Tatentschlusses mitwirkt, ist nicht erforderlich; es genügt, dass er sich später den Vorsatz seiner Mittäter zu eigen macht[1]. ... Die Möglichkeit der Erfüllung der tatbestandsmässigen Voraussetzungen eines Delikts durch Beteiligung ist auch ohne äusserlich erkennbare eigene Handlung zu bejahen. Das ist der Fall, wenn der Mittäter sich in räumlicher Nähe zur Gruppe als Verbindung zu ihr befindet und darüber hinaus die feindselige Absicht gegenüber dem Opfer mitträgt[2].

b) Gemäss Art. 18 Abs. 2 StGB verübt ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. ... Neben diesem direkten Vorsatz erfasst Art. 18 Abs. 2 StGB auch den Eventualvorsatz. Hier strebt der Täter den Erfolg nicht an, sondern weiss lediglich, dass dieser möglicherweise mit der willentlich vollzogenen Handlung verbunden ist. Die Rechtsprechung bejaht Eventualvorsatz, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein. Eventualvorsatz kann etwa angenommen werden, wenn sich dem Täter der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs infolge seines Verhaltens als so wahrscheinlich aufdrängte, dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als Inkaufnahme dieses Erfolgs gewertet werden kann[3]. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt"[4].

4. Die Angeklagten sprachen sich nicht darüber ab, auf welche Art und Weise und in welcher Intensität sie "Linke" beziehungsweise die beiden Opfer verprügeln wollten. Aufgrund des massgeblichen Sachverhalts ist aber ohne vernünftige Zweifel davon auszugehen, dass alle Angeklagten den Tod der Opfer in Kauf nahmen:

a) aa) Es ist gerichtsnotorisch, dass (mehrfache) Schläge oder Fusstritte gegen den Körper tödlich sein können. Lebensgefährlich sind im Bereich des Kopfes insbesondere Schläge und Tritte von vorn gegen die Schläfe, den Kehlkopf sowie allgemein gegen den Hals, aber auch Schläge und Tritte gegen die Ohren und die Nase und von hinten gegen das Genick. Im übrigen Körperbereich können Schläge oder Tritte gegen den Solarplexus sowie gegen Milz und Niere tödlich sein. Tritte und Schläge gegen die Brust, den Bauch und den Unterleib können zu inneren Blutungen und zu Brüchen der Rippen führen, was wiederum tödliche Verletzungen der Lunge nach sich ziehen kann. Der Kopf eines Menschen ist am ehesten gefährdet und lebensgefährlichen Verletzungen ausgesetzt.

Auch wenn diese Fakten nicht im gesamten Umfang und in allen Details als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können und dürfen, gehört es zum Allgemeinwissen eines Durchschnittsbürgers, dass insbesondere der Kopf ‑ und wohl auch der Unterleib ‑ mit Bezug auf Tritte und Schläge besonders gefährdet sind. Entsprechende Informationsquellen sind reichlich vorhanden (Film, Fernsehen, Zeitungen, Internet, andere Medien, Schul- oder Sportunterricht, Kurse über lebensrettende Sofortmassnahmen gemäss Art. 10 VZV[5]). Auch bei einer nur halbwegs intelligenten Person darf die Kenntnis vorausgesetzt werden, dass keine Schläge gegen die Schläfen und den Hals geführt werden dürfen; das lernt man bereits als Kind. Weiter ist bekannt, dass im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen bei einem Aufprall mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe tödliche Verletzungen entstehen können, weshalb eine Gurtenpflicht besteht und die Fahrzeuge seit Jahren mit Airbags ausgerüstet werden. Man soll einen Velohelm tragen, um den Kopf bei Stürzen zu schützen; solche Stürze mit Kopfverletzungen können zum Tod führen (Informationskampagnen des BfU und der SUVA). Bei vielen Sportarten besteht eine Helmpflicht oder zumindest die Pflicht, den Kopf zu schützen (Eishockey, Football, Boxen [zumindest die Amateure], Velorennen, Wildwassersportarten, Automobil- und Motorradsport, Reiten). Gerade beim Boxen kam es schon verschiedentlich zu tödlichen Verletzungen, was auch in Boxfilmen thematisiert wurde. In verschiedenen Lebensbereichen ist das Tragen eines Helms vorgeschrieben, etwa bei der Arbeit (auf dem Bau), im Strassenverkehr, im Kampf (Soldaten und Polizeibeamte). Gerade auf dem Bau kommt es wegen Kopfverletzungen immer wieder zu tödlichen Unfällen. Ferner ist bekannt, dass es ‑ insbesondere in Asien ‑ Kampftechniken gibt, mit denen aufgrund eines einzigen Schlags der Tod des Gegners herbeigeführt werden kann und soll. Auch dies wurde und wird auf mannigfaltige Weise in Filmen gezeigt (z.B. "Kung-Fu"-Filme). Zu erwähnen ist schliesslich die Steinigung als Vollzugsform für die Todesstrafe: Durch gezielte Steinwürfe auf eine ‑ meistens mehr oder weniger im Erdboden eingegrabene - Person soll der Tod herbeigeführt werden. Solche Steinwürfe können durchaus mit gezielten Faustschlägen und Fusstritten verglichen werden.

Als bekannt vorausgesetzt werden darf ferner, dass es für eine Durchschnittsperson aufgrund der üblichen motorischen Fähigkeiten kaum möglich ist, einen Fusstritt ebenso gezielt und relativ genau zu führen wie einen Schlag mit der Hand. Das Risiko, daneben zu treffen, ist beim Fusstritt deutlich höher als beim Faustschlag. Das gilt wegen der Grösse vorab auch für Tritte gegen den Kopf, besonders wenn sich das Opfer noch bewegt. Auch eine nicht besonders geschulte Person vermag zudem einen wesentlichen Teil ihres Körpergewichts in einen Fusstritt oder in das "Aufgumpen" mit den Füssen auf das Opfer zu legen. Ein Fusstritt trifft das Opfer in der Regel daher mit einer wesentlich höheren Energie und Wucht als ein Faustschlag. Das gilt umso mehr, je schwerer das getragene Schuhwerk ist.

bb) Die Vorinstanz erwog, wenn sich eine Gruppierung von sieben Personen entschliesse, auf zwei Gegner einzuschlagen, gehöre es nicht grundsätzlich zum üblichen Risiko, dass dabei eines der Opfer getötet werde. Auch die Angeklagten machten geltend, der Tod eines Beteiligten gehöre nicht zum üblichen Risiko einer Schlägerei. In dieser allgemeinen Formulierung trifft diese Auffassung indessen nicht zu. Das mag mit Bezug auf eine "normale" Schlägerei gelten, wenn die Beteiligten nur so lange aufeinander einschlagen, bis der Gegner zu Boden geht. Auch in diesem Fall wächst allerdings das Risiko des Todes eines Beteiligten erheblich, wenn Waffen (Baseballschläger, Stahlrohre, Schlagringe) zum Einsatz kommen. Bei mehrfachen Schlägen und Fusstritten mehrerer Personen und mit ‑ teilweise ‑ schwerem Schuhwerk gegen den Kopf und den Oberkörper eines Opfers liegt das Risiko eines Todeseintritts hingegen verhältnismässig nahe oder sogar sehr nahe. Letzteres gilt insbesondere für den Fall, dass das Opfer bereits am Boden liegt und trotzdem weiter traktiert wird. Noch (lebens‑)gefährlicher ist dieses Vorgehen, wenn das Opfer bewusstlos ist.

cc) Gegen diese Schlussfolgerung kann auch nicht eingewendet werden, zwei Angeklagten dürfe dieses Wissen nicht angerechnet werden, weil sie im Zusammenhang mit einem Angriff auf ein Opfer im Jahr 2000 lediglich wegen einfacher Körperverletzung angeklagt worden waren. Damals traten beziehungsweise schlugen ebenfalls mehrere Täter auf ein am Boden liegendes Opfer. Der eine Angeklagte wurde immerhin wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, der andere hingegen nur wegen einfacher Körperverletzung. Aus dieser Erfahrung können die beiden nicht für den Rest des Lebens ableiten, es sei relativ ungefährlich, ein wehrloses und am Boden liegendes Opfer zu traktieren. Solche, allenfalls aus dem Vorfall gezogenen "Lehren" stellen höchstens eine Verdrängung des an sich vorhandenen Wissens dar.

b) aa) Die Vorinstanz erwog, es sei den Angeklagten nur darum gegangen, ihnen missliebige Personen zusammenzuschlagen und dadurch einzuschüchtern. Damit sei kein (eventualvorsätzlicher) Tötungsvorsatz verbunden gewesen. Eine solche Feststellung kann indessen ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände nicht getroffen werden. Ist der (direkte) Vorsatz für eine Schlägerei erwiesen, muss in einem Fall aufgrund der Vorgehensweise und der übrigen Umstände auf eventualvorsätzliche Tötung geschlossen werden, während im andern Fall nicht einmal der Eventualvorsatz auf eine schwere Körperverletzung beweisbar ist. Im Übrigen lässt sich hier aufgrund der diffusen Tatplanung ohnehin nicht klar feststellen, was genau beabsichtigt war. Ferner ist das Prügeln letztlich gerade ein Markenzeichen aller ‑ rechten und linken ‑ Schlägertrupps mit der Folge, dass das Opfer am Schluss ‑ in welchem Zustand auch immer ‑ einfach liegen gelassen wird. In solchen Fällen dient das "Prügeln" wohl häufig nicht der Einschüchterung des konkreten Opfers, sondern stellt eine allgemeine Warnung an die Adresse der Gegner dar.

bb) Auch die Aussagen der Angeklagten, was sie gewollt beziehungsweise nicht gewollt hätten, hilft im Zusammenhang mit dem Vorsatz nicht weiter. Die Beteuerung eines Angeklagten, er habe nie gewollt, dass am Schluss jemand im Spital liege, ist eine offensichtliche Schutzbehauptung zur nachträglichen Rechtfertigung: Die Angeklagten schlugen das eine Opfer nicht nur spitalreif, sondern zum Krüppel. Offensichtlich zutreffend ist auch die Aussage eines Angeklagten, er habe das Opfer nicht töten wollen. Der Eintritt des Todes war für die Angeklagten unbestrittenermassen nicht das Ziel, ansonsten der direkte Tötungsvorsatz gegeben wäre. Es trifft auch zu, dass der Tod für die Angeklagten eine unerwünschte Folge des Angriffs gewesen wäre. Das steht der Annahme eines Eventualvorsatzes auf Tötung aber gerade nicht entgegen. Auch die Aussage eines Täters, wenn er hätte töten wollen, hätte er eine Pistole oder ein Messer mitgenommen, und dann wäre es anders abgelaufen, dürfte richtig sein. Für die Frage des Eventualvorsatzes ist damit aber nichts gewonnen, weil unter diesen Umständen der (direkte) Tötungsvorsatz erstellt wäre, wenn der Angeklagte eine Waffe mitgenommen hätte.

cc) Richtig ist, dass nicht schon deshalb auf versuchte Tötung geschlossen werden darf, weil der Tatbestand der schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 StGB auch lebensgefährliche Verletzungen einschliesst. Es müssen daher weitere Umstände vorhanden sein, um einen Eventualvorsatz auf Tötung anzunehmen. Solche Momente können auch nicht ohne weiteres in der grundsätzlichen Gewaltbereitschaft der Angeklagten oder in ihrem Vorleben gesucht werden. Wesentlich sind vielmehr Elemente wie die Grösse des dem Täter bekannten Risikos, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Allerdings würde es den Bogen überspannen, wenn zusätzlich noch weitere Umstände im Sinn von Fakten bezüglich der Tat oder der Täter bewiesen werden müssten. Es liegt in der Natur der Sache, dass es in solchen Fällen an "zusätzlichen Umständen" ‑ z.B. der Verwendung von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen ‑ gerade fehlt.

dd) Für die Frage, worauf sich der Eventualvorsatz richtete, sind verschiedene Umstände von Bedeutung. Dabei ist zu betonen, dass nicht jedes dieser Indizien für sich allein betrachtet werden darf. Entscheidend sind die Schlussfolgerungen unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände, wobei ein Element gewichtiger, ein anderes unbedeutender sein mag. Das übersehen die Angeklagten, wenn sie nur einzelne, von der Vorinstanz herangezogene Indizien herauspflücken und argumentieren, daraus könne kein Eventualvorsatz auf eine schwere Körperverletzung oder gar Tötung abgeleitet werden.

aaa) Das Tragen von Handschuhen und die Verwendung von Masken, das Vorgehen in einer Kampfformation und die krasse Überzahl von sieben Angreifern gegen zwei Opfer lassen darauf schliessen, dass die Angeklagten "Gröberes" vorhatten. Diese Gegebenheiten können ohne weiteres zur Begründung des Eventualvorsatzes auf schwere Körperverletzung herangezogen werden. Darüber hinausgehende Schlüsse auf eine eventualvorsätzliche Tötung liefern sie aber nicht.

bbb) Die Angeklagten waren teilweise mit schwerem Schuhwerk ausgerüstet. Es darf ohne vernünftige Zweifel davon ausgegangen werden, dass alle Beteiligten davon Kenntnis hatten. Daraus kann nur geschlossen werden, dass sie bewusst die Kraft und die Wirkung von Fusstritten verstärken wollten. Wer im Wissen und mit dem Willen auf eine bevorstehende Schlägerei festes und teilweise schweres Schuhwerk trägt, tut dies nicht zum Schutz seiner eigenen Gelenke. Entsprechende Vorbringen müssten als unglaubwürdige Schutzbehauptung qualifiziert werden. Aufschlussreich ist die Aussage, wenn mehr als einer Stiefel getragen hätte ‑ was erwiesenermassen der Fall war ‑, könne man davon ausgehen, "dass etwas ganz faul läuft". Im Zusammenhang mit dem Schuhwerk ist ferner der Hinweis wesentlich, dass mehrfache Fusstritte mit schweren Schuhen an verschiedene Stellen des Kopfs (Schläfe, Kehlkopf, Ohren und Nase) mit verhältnismässig grosser Wahrscheinlichkeit zum Tod führen können. Aber auch Tritte mit Turn- oder Halbschuhen können sehr gefährlich sein. Das gilt insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden und damit weitgehend wehrlosen Opfers.

ccc) Die Motive der Angeklagten sind wirr und wenig greifbar. Sie reichen vom schwammig definierten "Kampf gegen die Linken" bis zum "Wieder-einmal-Dampf-ablassen". Allerdings zeigt sich bereits in dieser Einstellung eine erstaunliche Gleichgültigkeit der Sache gegenüber, denn üblicherweise wird ein Täter, der einem Opfer eine "gröbere Abreibung" verpassen will, über ein klares und verhältnismässig starkes Tatmotiv ‑ z.B. Rache ‑ verfügen.

ddd) Aus den SMS, die vor der Schlägerei kursierten, kann nichts geschlossen werden, was über einen Vorsatz auf Körperverletzung hinaus ginge. Von Bedeutung ist allerdings, dass die Angeklagten, die sich nicht alle (gleich gut) kannten, sich zu einer losen Gruppe, zu einem zusammengewürfelten Haufen zusammentaten. Den Angeklagten war es letztlich egal, mit wem im Einzelnen sie zusammenwirken würden. Wichtig war faktisch nur das (diffuse) Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund desselben (ebenso diffusen) Gedankenguts, sei es der Kampf "gegen die Roten" oder das "Wieder-einmal-Dampf-ablassen". Diese lose Beziehung bedeutet aber auch, dass sich bei der Frage, wie weit man beim "Einsatz" gehen sollte, keiner auf den andern wirklich verlassen konnte. Jeder musste damit rechnen, dass der Vorsatz und das Vorgehen eines oder mehrerer Mitbeteiligter weniger weit oder weiter als die eigene Absicht oder das eigene Verhalten gehen würden. Dementsprechend nahm sich beispielsweise ein Angeklagter nach seinen eigenen Angaben ohne weiteres das Recht heraus, nur herumzustehen und zuzuschauen und angeblich am Schluss auch noch nach den Opfern zu sehen. Der Umstand, dass die Gruppe weder einen Chef hatte noch eine konkrete Absprache über das Vorgehen traf, ist ein Indiz für die Gleichgültigkeit jedes einzelnen Angeklagten mit Bezug auf den Ausgang der Schlägerei. Im Zusammenhang mit der Absprache wohl kaum zutreffend ist die Feststellung der Vorinstanz, Eventualvorsatz auf Tötung wäre allenfalls gegeben, wenn die Angreifer vorher abgemacht hätten, die Opfer spitalreif zu schlagen und sie dann in Kenntnis von lebensgefährlichen Verletzungen liegen zu lassen. Wäre eine solche Absprache nachweisbar, wäre direkter Vorsatz auf eine schwere Körperverletzung zu bejahen. Zwar könnte daneben ein weitergehender Eventualvorsatz auf Tötung bestehen, doch liesse sich dieser wohl kaum nachweisen, weil sich die Täter auf die konkrete Absprache berufen würden. Sie könnten mithin geltend machen, sie hätten nur das Ziel der "Spitalreife" vor Augen gehabt und sich aufgrund der getroffenen Absprache ‑ allenfalls auch leichtsinnig ‑ darauf verlassen, dass die anderen Mittäter ebenfalls nicht darüber hinausgehen würden. Eine solche konkrete Absprache trafen die Angeklagten aber gerade nicht. Auch war das Vorgehen nicht klar definiert und der Tatplan diffus.

eee) Den Angeklagten war es gleichgültig, wer Opfer der geplanten Schlägerei werden sollte. Sie kannten die Opfer nicht. Es handelte sich mithin nicht um eine "persönliche Abreibung". Die Auswahl der Opfer wurde praktisch völlig dem Zufall überlassen. Entscheidend war lediglich, dass sie für die Angeklagten der Gruppe der "Roten" oder "Linken" zuzuordnen waren. Ein Täter etwa meinte, die Opfer seien zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, und laut eines andern wurden die Opfer aus Zufall zusammengeschlagen.

fff) Die beiden Opfer gingen rasch zu Boden. Sie wiesen Verletzungen am Kopf auf. Es muss daher geschlossen werden, dass bei beiden Opfern schwergewichtig, jedenfalls aber in einem nicht unwesentlichen Ausmass Fusstritte und nicht Schläge mit den Händen oder Fäusten ausgeteilt wurden. Daraus ist im Zusammenhang mit den eingetretenen Verletzungen zu folgern, dass ganz bewusst die Kopfpartien der Opfer als Ziel gesucht und mit gefährlicheren Mitteln ‑ Fusstritten und nicht nur Faustschlägen ‑ traktiert wurden.

ggg) Die Angeklagten handelten nicht als Einzeltäter. Sie gingen nicht "Mann gegen Mann" vor, sondern als lockere Gruppe und bezüglich ihrer Gegner in Überzahl. Ihr Zusammenwirken bei den Schlägen und Tritten erfolgte intuitiv und nicht koordiniert. Abgesehen von der Ungenauigkeit von Treffern bei Fusstritten waren sie angesichts des raschen Ablaufs kaum in der Lage, die Wirkungen der eigenen Handlungen im Detail abzuschätzen. Sie konnten aber auch nicht abwägen, welche Verletzungen andere Täter dem Opfer bereits zugefügt hatten. Aufgrund des unkoordinierten Vorgehens konnten und durften die Angeklagten nicht darauf vertrauen, es werde (nur) bei sicher nicht tödlichen Verletzungen bleiben. Das gilt umso mehr, wenn das von einzelnen Angeklagten getragene schwere Schuhwerk berücksichtigt wird.

hhh) Auf das (schwer verletzte) Opfer wurde auch noch eingeschlagen, als es wegzukriechen versuchte und damit offensichtlich nicht mehr in der Lage war, aufzustehen und wegzurennen. Die Schlussfolgerung, dieser (hilflose) Versuch des Wegkriechens beruhe nicht lediglich auf einigen leichteren, sondern auf bereits schweren oder gar lebensgefährlichen Verletzungen, lag damit zwangsläufig sehr nahe. Zumindest ein Angeklagter zog sie denn am Ende der Prügelei auch tatsächlich in Betracht. Er sagte aus, er habe festgestellt, das beim Absperrgitter liegende Opfer werde nicht nur fünf Minuten, sondern schon "genug lang" liegen bleiben. Das heisse, es sei stark verletzt, was er daran gesehen habe, dass es sich nicht mehr bewegt habe.

iii) Es war offensichtlich ein Ziel der Angeklagten, die Opfer so lange zu traktieren, bis sie sich nicht mehr regten. Das erklärt auch den Umstand, dass das eine Opfer verhältnismässig glimpflich davonkam. Die Regungslosigkeit der Opfer als vordergründiges Ziel offenbart aber gleichzeitig eine aufgrund verschiedener Tatumstände feststehende Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, aus welchen Gründen die Opfer regungslos dalägen. Es war den Angeklagten egal, ob die Opfer aufgrund einer blossen, eventuell kurzen Bewusstlosigkeit oder aufgrund von mittleren, schweren oder lebensgefährlichen Verletzungen oder aufgrund des Todeseintritts reglos blieben. Die Angeklagten liess auch der Zustand der Opfer nach dem Angriff völlig gleichgültig. Sie überliessen die Opfer am Schluss des Angriffs trotz der zumindest teilweisen Erkennbarkeit ihrer Verletzungen ihrem Schicksal. Dies geschah in einer Situation, in der die Verletzungen beim einen Opfer zum Tod geführt hätten, wenn es nicht medizinisch versorgt worden wäre. In diesem Zusammenhang hilft den Angeklagten auch der Hinweis nichts, bei der Einlieferung des Opfers ins Spital habe auch das Fachpersonal zunächst die Schwere der Verletzungen nicht erkannt. Dies könne daher umso weniger von den Angeklagten verlangt werden. Entscheidend ist hier nicht die Frage, ob die Angeklagten die konkreten Verletzungen und die möglichen ‑ dann auch eingetretenen ‑ Komplikationen erkennen konnten oder hätten erkennen können. Von Bedeutung ist allein, dass aufgrund der Tatumstände nur geschlossen werden kann, dass ihnen der Zustand der Opfer völlig gleichgültig war. Sie hätten sich nicht anders verhalten, wenn bei einem oder beiden Opfern der Tod eingetreten wäre, da sie dies gar nicht festgestellt hätten.

jjj) Zu Recht wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, den Tätern könne unmöglich entgangen sein, dass das eine Opfer besonders stark zusammengeschlagen worden sei. Das ergebe sich verschiedentlich aus den Äusserungen der Angeklagten. Dieses Wissen stellte sich bei den Angeklagten vernünftigerweise nicht erst einige Stunden oder Tage nach der Schlägerei ein, sondern schon während und unmittelbar nach Beendigung der Prügelei. Trotzdem kümmerten sie sich nicht um die Verletzten. Auch dieser Umstand weist mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass den Angeklagten der Ausgang der Schlägerei völlig gleichgültig war.

ee) Aufgrund all dieser Umstände nahmen alle Angeklagten den Tod eines der Opfer in Kauf. Die teilweise erkennbar mit schwerem Schuhwerk ausgerüsteten Angeklagten fanden sich am fraglichen Abend zu einer losen Gruppe zusammen, obwohl sich nicht alle gleich gut kannten. Keiner führte die Gruppe an, und die Angeklagten trafen keine konkrete Absprache über das Vorgehen. Jeder wusste von den Anderen im Einzelnen über das Motiv und die Absicht nichts Konkretes. Nach dem Zufallsprinzip wählten die Angeklagten zwei Opfer aus, um diese so lange mit wahllos und unkoordiniert ausgeteilten, teils erkennbar lebensgefährlichen Schlägen und insbesondere Fusstritten zu traktieren, bis die Opfer reglos ‑ beziehungsweise das schwer verletzte Opfer praktisch reglos ‑ liegen blieben. Anschliessend überliessen sie die Opfer ihrem Schicksal. Ihnen war mehr oder weniger gleichgültig, was der eigentliche Grund des Angriffs war, wen es treffen würde, aus welchen Gründen die Opfer reglos liegen blieben und was mit ihnen nach dem Angriff passieren werde. Aufgrund der Vorgehensweise blieb es einzig dem Zufall überlassen, welche Folge eintrat. Die Angeklagten konnten den Ausgang vernünftigerweise gar nicht in der Weise beeinflussen, dass "nur" eine einfache oder schwere Körperverletzung resultieren werde. Keiner der Angeklagten konnte grob sorgfaltswidrig, leichtsinnig oder frivol darauf vertrauen, es werde schon nicht zum Tod eines der Opfer kommen. Sie taten es denn auch nicht. Vielmehr muss aufgrund der Umstände davon ausgegangen werden, dass ihnen auch dies in jenem Zeitpunkt völlig gleichgültig war. Es blieb ihnen höchstens die blosse Hoffnung, die Sache werde glimpflich ausgehen. Diese Hoffnung war, so sie denn überhaupt bestanden haben sollte, derart vage, dass nicht auf ein Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolgs im Sinn bewusster Fahrlässigkeit geschlossen werden kann. Es liegt ein mit BGE 131 IV 1 ff. insofern vergleichbarer Fall vor, als zwar nicht bei jeder solchen Schlägerei wie der hier zu beurteilenden der Tod eines Opfers tatsächlich und häufig eintritt. Das Risiko des Todes ist aber vorhanden und wohl grösser als die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus (und damit eine schwere Körperverletzung) bei ungeschütztem Sexualverkehr.

Diese Schlussfolgerungen gelten für sämtliche Angeklagten, d.h. sowohl für diejenigen, die sich vorwiegend oder ausschliesslich auf das leichter verletzte Opfer konzentrierten, als auch für diejenigen, die auf das schwer verletzte Opfer einschlugen. Selbst dass einzelne Angeklagte vermutlich härter geschlagen haben als andere, hilft den übrigen Beteiligten nichts: Sie billigten dieses Vorgehen, beziehungsweise es war ihnen gleichgültig, wie stark andere Mittäter "draufhielten". Selbst wenn von einem ‑ allerdings aufgrund des Beweisergebnisses auszuschliessenden ‑ Exzess einzelner Täter auszugehen wäre, müssten die Mittäter sich diesen daher anrechnen lassen.

Diese Schlussfolgerungen treffen auch auf den Angeklagten zu, der einen Freispruch beantragte. Auch wenn ihm nicht nachzuweisen ist, dass er selbst auf eines der Opfer einschlug, blieb er während der Schlägerei bei der Gruppe, um zu schauen oder, wie er es selbst ausdrückte, "primitiv gesagt als Zuschauer". Er schlug und trat nicht deshalb nicht auf die Opfer ein, weil er damit nichts zu tun haben wollte, sondern weil er der Auffassung war, angesichts der grossen Überzahl brauche es ihn nicht. Das ergibt sich aus den glaubwürdigen Aussagen eines Mittäters, der Angeklagte habe im Fahrzeug auf dem Rückweg gemeint, er habe nicht geschlagen. Es hätte nichts gebracht, wenn er selber auch noch eingegriffen hätte, weil sie schon genug gewesen wären. Er habe sich spasseshalber noch überlegt, sich eine Zigarette anzuzünden, während die anderen sechs mit der Schlägerei beschäftigt gewesen seien. Er sah zugestandenermassen selbst, wie die beiden Opfer mit Fäusten traktiert und "gestiefelt" wurden. Er war beim Grundsatzentschluss, nach Frauenfeld zu fahren, bei der Vorbereitung, beim konkreten Tatentschluss, bei der Bildung der Kampfformation direkt mitbeteiligt und billigte offensichtlich das weitere Vorgehen der Mitangeklagten. Mit seiner physischen Präsenz signalisierte er den Mitbeteiligten, allenfalls helfend einzugreifen, falls dies erforderlich sein sollte.

ff) Bei diesem Ergebnis braucht nicht näher auf die Frage eingegangen zu werden, ab welchem Zeitpunkt dieser Eventualvorsatz auf Tötung bei jedem einzelnen Angeklagten vorhanden war. Aufgrund der Umstände darf ohne vernünftige Zweifel geschlossen werden, dass er zu Beginn und während der Auseinandersetzung bei allen Angeklagten gegeben war. Spätestens in diesem Moment schlugen die Angeklagten auf eines der Opfer ein und billigten ‑ was für alle Angeklagten gilt ‑ zumindest konkludent die Tathandlungen der anderen Mittäter. Ob die Schlägerei einen tödlichen Ausgang nehmen könnte, war ihnen letztlich gleichgültig. Sie nahmen mithin den Tod der Opfer in Kauf.

Obergericht, 12. Mai 2006, SBO.2005.16

Das Bundesgericht wies die Nichtigkeitsbeschwerden und staatsrechtlichen Beschwerden am 21. Februar 2007 ab (6P.184-188/2006 und 6S.417-420, 423, 424/2006).


[1] BGE 130 IV 66, 125 IV 136; Forster, Basler Kommentar, vor Art. 24 StGB N 8 f., 12

[2] AGVE 2004 S. 81

[3] BGE 131 IV 4, 130 IV 61, 125 IV 251

[4] BGE 125 IV 251, 96 IV 99 ff.

[5] Art. 10 Abs. 3 lit. b VZV erwähnt die "lebenswichtigen Körperfunktionen" ausdrücklich.

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