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RBOG 2006 Nr. 39

Ob eine Person formell als Zeuge oder als Partei einvernommen wurde, ist für die Urteilsfindung letztlich nicht von Belang


§ 187 ZPO, § 209 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO, § 219 Abs. 6 ZPO


1. Gemäss § 209 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO entscheidet das Gericht nach Ermessen, ob Personen als Zeugen einvernommen werden, die in einer engen Beziehung zu einer Prozesspartei stehen. Wer wegen seiner Beziehung zu einer Prozesspartei nicht als Zeuge einvernommen wird, kann nach § 219 Abs. 6 ZPO persönlich befragt werden.

2. Der von der Vorinstanz als Zeuge Einvernommene ist Sohn des Verwaltungsratspräsidenten der Berufungsbeklagten und bei dieser als Prokurist tätig. Aus dem Handelsregister ergibt sich sogar, dass er bereits seit mehreren Jahren selber Mitglied des Verwaltungsrats ist. Er wäre damit als Organ der Berufungsbeklagten als Partei und nicht als Zeuge einzuvernehmen gewesen. Dieser Umstand für sich macht die Aussagen indessen nicht etwa minderwertig oder gar unverwertbar. Die ZPO enthält keine (überholten[1]) Beweisregeln, sondern normiert in § 187 ZPO ohne Einschränkung die freie richterliche Beweiswürdigung. Es besteht für den Richter also keine Regel über den Wert eines Beweismittels[2], was richtig ist, da sich die Beweiskraft der einzelnen Beweismittel nicht objektiv messen lässt. Massgebend ist daher stets die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls einem Beweismittel beizumessende Beweiskraft[3]. Auch eine Beweisaussage stellt damit ein vollwertiges Beweismittel dar, das wie alle anderen Beweismittel der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt[4]. Im Rahmen dieser Beweiswürdigung hat das Gericht nach seiner frei gebildeten Überzeugung zu entscheiden, welcher Beweiswert einem Beweismittel zukommt[5]. Im Zivilprozess gilt dabei nichts anderes als im Strafverfahren: Die richterliche Überzeugung beruht nicht auf der äusseren, sondern allein auf der inneren Autorität eines Beweismittels, weshalb der Richter sein Urteil unabhängig von der Zahl der Beweismittel fällt, die für eine bestimmte Tatsache sprechen, und ohne Rücksicht auf die Form des Beweismittels[6]. Es macht also letztlich für die Urteilsfindung keinen Unterschied, ob eine Person formell als Zeuge oder als Partei einvernommen wurde[7].

Obergericht, 4. Mai 2006, ZBR.2005.98/ZBR.2006.21


[1] Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8.A., 10. Kap. N 58 und 62

[2] Vogel/Spühler, 10. Kap. N 66

[3] Bühler, Die Beweiswürdigung, in: Der Beweis im Zivilprozess (Hrsg.: Leuenberger), Bern 2000, S. 87

[4] Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 150 N 1

[5] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, Bern 2000, § 187 N 2a

[6] Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 151 N 5

[7] Vgl. Merz, § 209 ZPO N 1

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