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RBOG 2008 Nr. 37

Zulässigkeit eines Alternativbegehrens


§ 90 ZPO


1. Die Rekurrentin und der Rekursgegner sind Nachbarn. Zu Gunsten der Parzelle der Rekurrentin und zu Lasten derjenigen des Rekursgegners besteht ein jederzeitiges und unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht. Zwischen den Parteien kam es zu Differenzen über die Ausübung des Wegrechts beziehungsweise Behinderungen desselben durch den Rekursgegner.

2. Mit Eingabe an das Gerichtspräsidium beantragte die Rekurrentin, der Rekursgegner sei zu verpflichten, das Tor an der Zufahrtsstrasse, den auf der westlichen Seite angebrachten Stellriemen sowie die westlich daran anschliessende Wacholder-Hecke und die am nördlichen Ende der Zufahrt eingeschlagenen Eisenstangen unverzüglich zu entfernen, die östlich der Zufahrt befindlichen Sträucher und Bäume zurückzuschneiden und in Zukunft Beeinträchtigungen des Fuss- und Fahrwegrechts zu unterlassen. Das Gerichtspräsidium verpflichtete den Rekursgegner unter Hinweis auf die Strafandrohung von Art. 292 StGB, das von ihm erstellte Eisentor zu entfernen. Die übrigen Anträge wies es ab.

Die Rekurrentin erhob Rekurs und beantragte, der Rekursgegner sei anzuweisen, entweder den von ihm auf der westlichen Seite der Zufahrtsstrasse auf seiner Parzelle angebrachten Stellriemen sowie die westlich daran anschliessende Wacholder-Hecke oder stattdessen die östliche der beiden von ihm am oberen (nördlichen) Ende der Zufahrt eingeschlagenen Eisenstangen unverzüglich zu entfernen.

3. Mit dem anlässlich des Vermittlungsvorstands oder in der schriftlichen Eingabe vorgetragenen Rechtsbegehren wird der Umfang des Streits definiert. Das Rechtsbegehren beinhaltet die Umschreibung der Rechtsfolge, welche die Partei beurteilt haben will. Es ist vom Kläger als Folge der Dispositionsmaxime[1] so zu formulieren, dass es bei gänzlicher Gutheissung der Klage ohne Ergänzung und Präzisierung zum Entscheid des Gerichts erhoben und ohne weitere Verdeutlichungen auch vollstreckt werden kann. Der Sachrichter muss dem Antrag klar entnehmen können, was letztlich Gegenstand der Vollstreckung bilden soll; der Vollstreckungsrichter seinerseits ist auf ein Urteilsdispositiv angewiesen, das den Vollstreckungsgegenstand klar und abschliessend umschreibt. Der Inhalt des Rechtsbegehrens bestimmt sich im Wesentlichen nach dem materiellen Recht. Unzulässig ist ein Begehren, dessen Anspruch als solcher des Rechtsschutzes von vornherein nicht fähig ist. Kann das Rechtsbegehren nicht zum Urteil erhoben werden, und ist es nicht im Sinn von § 135 ZPO verbesserbar, ist auf die Klage nicht einzutreten[2].

4. Die Rekurrentin will, dass der Rekursgegner entweder den von ihm angebrachten Stellriemen sowie die Wacholder-Hecke oder aber eine der Eisenstangen entfernt. Dass sie nicht mehr die Beseitigung aller sie störenden Elemente verlangt, sondern sich damit zufrieden gibt, dass entweder die westliche Grenze der Parzelle oder aber der nördliche obere Rand der wegrechtsbelasteten Zufahrt wieder frei ist, betont sie ausdrücklich. Sie überlässt es folglich im Ergebnis dem Rekursgegner, welches der beiden Vorkehren er treffen will, ob er den Stellriemen und die Wacholder-Hecke entfernt oder aber eine Eisenstange.

Ein Alternativbegehren beziehungsweise eine alternative Anspruchshäufung, in welcher der Kläger/Gesuchsteller eine von mehreren Leistungen nach Wahl des Beklagten/Gesuchsgegners – oder des Gerichts – fordert, ist jedoch unzulässig[3]. Wer von einer anderen Person mit Hilfe des Gerichts etwas verlangen will, muss detailliert und im Einzelnen angeben, worum es sich handelt. Der Grund liegt darin, dass der Antrag der gesuchstellenden Partei und das Dispositiv des Entscheids bei einem Schutz des Begehrens einerseits übereinstimmen müssen, und dass andererseits die Vollstreckung einer Verfügung beziehungsweise eines Beschlusses auf Entfernung entweder der Stellriemen und der Wacholder-Hecke oder stattdessen der Eisenstange wegen fehlender Bestimmtheit der Verpflichtung ausgeschlossen ist. In einem solchen Fall wäre die Vollstreckung erst möglich, wenn der Rekursgegner eine Wahlerklärung abgeben oder das Gericht von sich aus bestimmen würde, welche Handlung vorzunehmen ist. Die Vollstreckung muss aber ohne jegliche Weiterungen oder zusätzliche Handlungen direkt gestützt auf das Urteil möglich sein. Voraussetzung hiefür ist, dass die antragstellende Partei klar kundtut, was sie von der Gegenpartei fordert. Bei Forderungsklagen ist deshalb die Summe, welche der Kläger vom Beklagten verlangt, im Rechtsbegehren bestimmt anzugeben; der Antrag um Zusprache eines Betrags "nach richterlichem Ermessen" genügt ebenso wenig wie derjenige, es sei dem Kläger ein "über Fr. 8'000.00 liegender Betrag" zuzusprechen. Vom Grundsatz, dass ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur schon im Rechtsbegehren zu beziffern ist, lässt das kantonale Prozessrecht nur Ausnahmen zu, wenn die Verwirklichung eines materiellen bundesrechtlichen Anspruchs wegen dieses Erfordernisses beeinträchtigt würde[4]. Gleiches muss bei unbestimmten, alternativen Rechtsbegehren gelten. Sie können höchstens zugelassen werden, wenn sich die eingeklagte Alternative aus dem materiellen Rechtsverhältnis der Parteien ergibt; in einem solchen Fall rechtfertigt sich eine Sonderregelung für die Vollstreckung[5].

Bei der hier zu beurteilenden Streitsache besteht keine Notwendigkeit für eine alternative Klage und auch kein Rechtsschutzinteresse an einer solchen. Die Rekurrentin hätte durchaus mittels eines zulässigen Antrags klar und eindeutig darlegen können, dass sie sich mit einer der beiden Möglichkeiten der Hindernisbeseitigung zufrieden gibt: Sie hätte bloss ein Haupt- und ein Eventualbegehren stellen müssen. Dem Gericht ein Alternativbegehren zu unterbreiten, geht hingegen nicht an. Da dieses nicht zum Entscheid erhoben werden kann, ist auf den Rekurs nicht einzutreten.

Obergericht, 25. Februar 2008, ZR.2007.132


[1] § 97 ZPO

[2] RBOG 1997 Nr. 48, 1996 Nr. 32, 1987 Nr. 15; Berger/Güngerich, Zivilprozessrecht, Bern 2008, N 648; Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8.A., 7. Kap. N 5 f.; Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.A., S. 193; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 90 N 3-5, 7a

[3] Schellhammer, Zivilprozess, 9.A., N 1572; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart­mann, Zivilprozessordnung, 61.A., § 260 N 6 f.; Zöller, Zivilprozessordnung, 15.A., § 260 N 5

[4] Merz, § 36 ZPO N 4a und b

[5] Vgl. Weber, Berner Kommentar, Art. 72 OR N 46 ff.; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht, AT, 8.A., N 2278 ff.

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