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RBOG 2010 Nr. 16

Kostenregelung beim Verfahren betreffend Gewährleistung im Viehhandel; Höhe der Entschädigung


Art. 16 , § 2 AnwT, § 10 AnwT, Art. 202 OR, § 173 Ziff. 4 ZPO


1. Im von der Rekursgegnerin gegen den Rekurrenten eingeleiteten Verfahren betreffend Gewährleistung im Viehhandel liess die Vorinstanz das Pferd, um welches sich der Streit drehte, durch einen Sachverständigen untersuchen. Als das Gerichtspräsidium das Verfahren schloss, auferlegte es der Rekursgegnerin die Verfahrensgebühr von Fr. 1'500.00 sowie die Kosten der Expertise von Fr. 2'762.70 und sprach keiner Partei eine Entschädigung zu. Art. 16 der Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel[1] sehe lediglich vor, dass die Verlegung der gerichtlichen Kosten dem Hauptverfahren vorbehalten sei. Es verhalte sich dabei nicht anders als im Verfahren betreffend vorsorgliche Beweiserhebung, in welchem ebenfalls keiner der Parteien eine Prozessentschädigung auferlegt oder zugesprochen werden könne.

2. a) Der Rekurrent beantragt, die Rekursgegnerin habe ihm eine Entschädigung von Fr. 9'450.00 zu bezahlen, unter Vorbehalt der Rückforderung im Hauptprozess. Eventuell seien die Parteikosten vorläufig wettzuschlagen, und es sei festzustellen, dass der Rekurrent bei der Vorinstanz die Festsetzung und Zusprache einer Parteientschädigung verlangen könne, falls die Rekursgegnerin den Hauptprozess nicht innert längstens drei Monaten seit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens einleite. In Art. 16 der Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel finde sich keine Beschränkung auf die gerichtlichen Kosten. Das Verfahren nach Art. 202 OR sei kein freiwilliges Beweissicherungsverfahren, sondern ein bundesrechtlich vorgeschriebenes Verfahren, dessen Durchführung ohne andere Vertragsabrede Voraussetzung und Bedingung für die kaufrechtliche Gewährleistungsklage beim Viehkauf sei. Das Vorverfahren sei eine Art materiellrechtliche Prozessvoraussetzung, in welchem abschliessend geklärt werde, ob der vom Käufer behauptete Mangel bestehe. Bestätige sich der Mangel nicht, komme es zu keinem Hauptverfahren, weil dem Käufer der Beweis im Vorverfahren nicht gelungen und er damit von der weiteren Beweisführung ausgeschlossen sei. Deshalb gebe es im Vorverfahren stets Sieger und Verlierer. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung sowie nach der Regelung in allen Kantonen bestehe bei den "freiwilligen" Beweissicherungsverfahren ein Anspruch auf Ausrichtung einer Parteientschädigung. Die meisten Prozessordnungen würden dies sogar ausdrücklich vorsehen. In Vorverfahren gemäss Art. 202 OR erfolge die Kostenverlegung zwar nur vorläufig, aber über die Kostenhöhe werde definitiv entschieden. Bei einem Streitwert von Fr. 206'250.00 erweise sich eine Entschädigung von Fr. 9'450.50 als angemessen.

b) Die Rekursgegnerin beantragt Abweisung des Rekurses. Der von ihr behauptete Mangel habe sich bestätigt. Die gesundheitliche Beeinträchtigung des Pferdes sei gutachterlich erstellt. Die Einleitung des Verfahrens sei somit rückwirkend betrachtet begründet und angezeigt gewesen. Eine Vertretung des Rekurrenten sei im Vorverfahren weder zu erwarten noch angezeigt gewesen. Art. 16 der Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel sage mit Bezug auf eine allfällige Verpflichtung zur Bezahlung einer Parteientschädigung nichts. Die Auffassung der Vorinstanz sei nachvollziehbar. Auch die ZPO enthalte keine besonderen Bestimmungen über die Kosten- und Entschädigungsfolgen für das Verfahren nach Art. 202 OR. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei ein Verfahren betreffend vorsorgliche Beweisführung ein eigenständiges Verfahren. Selbst wenn es so etwas wie Sieger und Verlierer geben würde, sei die Verlegung der Kosten nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens mit Blick auf die gestellten Rechtsbegehren erfolgt. Dem Begehren der Rekursgegnerin sei entsprochen und das Pferd einer Untersuchung durch einen Sachverständigen zugeführt worden. Die Anwesenheit des Rekurrenten und seines "Parteisachverständigen" Dr. med. vet. X an der Untersuchung in Deutschland sei überflüssig gewesen. Der Rechtsvertreter des Rekurrenten habe keine Expertenfragen formulieren müssen. Er habe auf die Stellung von Ergänzungsfragen verzichtet und selbst nicht an der Expertisierung des Pferdes teilgenommen. Teilweise habe er ohne Aufforderung und Veranlassung aus Eigeninitiative gehandelt.

3. a) Entgegen der Auffassung des Rekurrenten besagt Art. 16 der Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel nicht, dass unter den vorerst vom Gesuchsteller zu tragenden und im Hauptprozess (definitiv) zu verlegenden Kosten nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch Parteientschädigungen zu verstehen seien. Diese Bestimmung besagt lediglich, dass der Richter im Hauptprozess definitiv über die Kosten zu entscheiden hat. Dabei wird er sich an die Bestimmungen der jeweils gültigen ZPO zu halten haben.

b) Beim Vorverfahren gemäss Art. 202 Abs. 1 OR handelt es sich zwar nicht um ein Verfahren nach § 170 ZPO, sondern um ein ähnliches, bundesrechtlich vorgesehenes Beweissicherungsverfahren, welches gemäss § 173 Ziff. 4 ZPO vom Gerichtspräsidenten im summarischen Verfahren abzuwandeln ist. Trotzdem rechtfertigt es sich aber, auf die ständige Praxis des Obergerichts abzustellen. Demnach ist mangels eigentlichen Obsiegens oder Unterliegens weder der einen noch der anderen Partei eine Prozessentschädigung aufzuerlegen oder zuzusprechen[2]. Entgegen der Auffassung des Rekurrenten ist diese Praxis in der Schweiz nicht einmalig, sondern entspricht beispielsweise jener im Kanton Zürich und im Kanton St. Gallen[3]. Die vom Rekurrenten erwähnte anderslautende kantonale Rechtsprechung beruht auf ausdrücklich anderslautenden gesetzlichen Regelungen. Massgebend ist aber die entsprechende kantonale Regelung. Es besteht kein Anlass, die bisherige thurgauische Praxis aufzugeben. Das gilt umso mehr, als das Viehgewährleistungsverfahren ein äusserst verkäuferfreundliches Institut ist und der Käufer durch das zwangsweise einem Hauptverfahren vorgelagerte Vorverfahren nicht noch finanziell schlechter gestellt werden sollte.

c) Der Rekurs ist damit abzuweisen.

4. Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass die vom Rekurrenten geltend gemachte Entschädigung ohnehin viel zu hoch ist und herabzusetzen wäre. Im Vorverfahren gemäss Art. 202 OR ist die notwendige Leistung eines Rechtsanwalts beschränkt. Es geht vorab um Tatsachenfeststellungen. Der Streitwert ist somit erst im Hauptverfahren von massgebender Bedeutung. Rechtlicher Unterstützung bedürfen die Parteien im Vorverfahren kaum, weshalb in einem solchen summarischen Verfahren von vornherein gestützt auf § 10 AnwT höchstens eine Gebühr von 10% der ordentlichen Grundgebühr berechnet werden dürfte. Gemäss § 2 AnwT würde bei einem Streitwert von rund Fr. 200'000.00 die ordentliche Grundgebühr Fr. 11'750.00 betragen. Im Vorverfahren entspräche dies gemäss § 10 AnwT einer Grundgebühr von Fr. 1'170.00. Zusammen mit den geltend gemachten Auslagen von Fr. 83.00 ergäbe sich daher eine maximale Entschädigung von Fr. 1'253.00 zuzüglich 7,6% Mehrwertsteuer. Zu keinem anderen oder zu einem eher tieferen Ergebnis gelangt man, wenn gemäss § 11 AnwT der notwendige Aufwand entschädigt würde.

Obergericht, 21. Juni 2010, ZR.2010.50


[1] SR 221.211.22

[2] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 170 N 6

[3] Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.A., § 233 N 3; ZR 80, 1981, Nr. 99; SGGVP 1988 Nr. 64

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