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RBOG 2013 Nr. 18

Sturz aus Balkontüre bei fehlendem Balkon; strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers und des Bauleiters; Selbstverschulden


Art. 328 OR, Art. 11 StGB, Art. 125 StGB


1. a) Von Mitte September bis Ende Oktober 2006 liess X an seiner Liegenschaft das als Terrasse für die Wohnung im ersten Geschoss dienende Flachdach sowie den Balkon der von ihm bewohnten Wohnung im zweiten Stock sanieren. Die Bauarbeiten wurden von Y als verantwortlichem Bauleiter geplant und koordiniert.

b) Am 26. Oktober 2006 begab sich Z in die Wohnung von X, um als Putzfrau die üblichen Haushaltsarbeiten zu erledigen. Kurz nach sieben Uhr morgens öffnete sie die Balkontüren und die geschlossenen Fensterläden, trat aus der Türe hinaus und stürzte 2,85 Meter in die Tiefe. Dabei erlitt sie eine instabile Fraktur des zweiten Lendenwirbels, einen Verrenkungsbruch des linken Fusses sowie eine Blasenentleerungsstörung durch Quetschung des Rücken­markendes.

2. a) Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter gestützt auf Art. 125 Abs. 2 StGB von Amtes wegen verfolgt.

b) Im Hinblick auf den Sachverhalt ist unbestritten, dass Z am Morgen des 26. Oktober 2006 auf den Balkon gelangen wollte, dabei wegen des Fehlens des Balkons in die Tiefe stürzte und sich schwere Verletzungen zuzog. Umstritten ist einzig, ob den Berufungsklägern eine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

3. a) Gemäss des zur Tatzeit in Kraft gestandenen Art. 18 Abs. 3 aStGB wird ein Verbrechen oder Vergehen fahrlässig begangen, wenn dieses darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. Mit dem seit 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Art. 12 Abs. 3 StGB wurde das Recht inhaltlich nicht geändert. Da das neue Recht für den Täter nicht milder ist[1], kommt in Bezug auf die Fahrlässigkeit noch das alte Recht zur Anwendung[2].

b) aa) Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist ein Verhalten, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Dies schliesst nicht aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann, denn einerseits begründet nicht jeder Verstoss gegen eine gesetzliche oder für bestimmte Tätigkeiten allgemein anerkannte Verhaltensnorm den Vorwurf der Fahrlässigkeit, und andererseits kann ein Verhalten sorgfaltswidrig sein, auch wenn nicht gegen eine bestimmte Verhaltensnorm verstossen wurde. Die Vorsicht, zu der ein Täter verpflichtet ist, wird letztlich durch die konkreten Umstände und seine persönlichen Verhältnisse bestimmt, weil naturgemäss nicht alle tatsächlichen Gegebenheiten in Vorschriften gefasst werden können[3].

bb) Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein[4]. Das Handeln des Täters muss die Ursache des Erfolgs, aber zusätzlich auch geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen, was nur dann nicht der Fall ist, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste, welche derart schwerwiegend sind, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache alle anderen mitverursachenden Faktoren – namentlich das Verhalten des Angeschuldigten – in den Hintergrund drängen[5]. Sodann muss der Erfolg für den möglichen Täter bei eigenem pflichtgemässem Verhalten ausgeblieben beziehungsweise vermeidbar gewesen sein[6].

cc) Haben mehrere Personen durch ihr unsorgfältiges Handeln zu der Gefahr beigetragen, auf die der Erfolg zurückgeht, so ist jeder von ihnen Nebentäter des Delikts, gleichviel ob er die den Erfolg unmittelbar herbeiführende Handlung vorgenommen oder nur einen anderen zu deren Vornahme veranlasst, sie ermöglicht oder gefördert hat[7].

c) aa) Nach Art. 11 Abs. 1 StGB kann ein Verbrechen oder Vergehen auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtsstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund des Gesetzes, eines Vertrags, einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft oder der Schaffung einer Gefahr[8]. Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte[9].

bb) Für die Annahme einer Garantenstellung genügt nicht jede, sondern nur eine qualifizierte Rechtspflicht. Der Täter muss sich in einer Situation befinden, die ihn gerade in diesem Punkt verpflichtet, ein bestimmtes Gut gegen unbestimmte Gefahren zu schützen oder die Verwirklichung bekannter Risiken, denen unbestimmte Rechtsgüter ausgesetzt sind, zu verhindern, damit seine Unterlassung dem Fall der Verursachung des Erfolgs durch ein aktives Tun gleichgestellt werden kann[10]. An die Stelle des Kausalzusammenhangs bei den erfolgsbezogenen Begehungsdelikten tritt bei den Unterlassungsdelikten die Möglichkeit der Erfolgsabwendung, das heisst die Handlungsmöglichkeiten und die hypothetische Kausalität[11]. Eine hypothetische Kausalität besteht, wenn durch eine Handlung des Unterlassenden der Taterfolg hätte verhindert werden können[12]. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt es, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete[13].

4. a) aa) Z war in der Wohnung von X als Putzfrau tätig und von diesem hierfür angestellt. Die Vorinstanz stellte daher für das Mass der von X zu beachtenden Sorgfalt zu Recht auf die aus dem Arbeitsverhältnis fliessende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab.

bb) Nach Art. 328 Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht sexuell belästigt werden, und dass den Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen. Gestützt auf Art. 328 Abs. 2 OR hat der Arbeitgeber zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebs oder Haushalts angemessen sind, soweit es ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden kann.

cc) Dementsprechend hat der Arbeitgeber für eine einwandfreie Beschaffenheit der Arbeitsräume und anderer vom Arbeitnehmer zu benutzender Räume zu sorgen, Maschinen und Geräte mit den erforderlichen Schutzvorrichtungen versehen zu lassen und den Arbeitsablauf möglichst gefahrlos zu gestalten. Er hat ferner den Arbeitnehmer auf Gefahren hinzuweisen, ihn zu instruieren und für geeignete Überwachung bezüglich der Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen zu sorgen[14].

b) aa) Z gab in der persönlichen Befragung durch die Polizei an, sie sei vor dem 26. Oktober 2006 längere Zeit nicht mehr bei X gewesen. Sie habe sich an diesem Morgen zu X begeben, und sie hätten noch einige Worte miteinander gewechselt. Er habe ihr noch von seinen Ferien erzählt. Sie sei ungefähr um 6.00 Uhr bei ihm gewesen, und kurz vor 7.00 Uhr habe er die Wohnung verlassen. X sagte aus, er sei wegen der Bauarbeiten am 18. September 2006 in die Ferien gereist und am 10. Oktober 2006 in seine Wohnung zurückgekehrt. Er habe anschliessend noch zweimal zu Hause genächtigt, das letzte Mal vom Mittwoch, 25. Oktober 2006, auf Donnerstag, 26. Oktober 2006. Er habe mit Z vereinbart, dass sie etwa zweimal im Monat seine Wohnung säubere. Er habe ihr jeweils eine SMS geschrieben; sie sei ja auch im Besitz eines Hausschlüssels.

bb) Es ist davon auszugehen, dass Z – ausser am 26. Oktober 2006 – während der Bauarbeiten nie in der Wohnung von X war, da während dessen Ferienabwesenheit keine Reinigungsarbeiten notwendig waren. Sie war daher nicht über die Bauarbeiten orientiert. Weil Z von der A-strasse her direkt das Gebäude betrat, konnte sie auch von aussen her nicht feststellen, dass der Balkon fehlte, umso mehr, als es bei ihrer Ankunft um 6.00 Uhr noch dunkel war[15].

cc) Unbestritten ist, dass X am Morgen des 26. Oktober 2006 wusste, dass der Balkon der Wohnung fehlte. Er hätte daher seine Angestellte auf diesen Umstand aufmerksam machen müssen. Alternativ hätte er sicherstellen müssen, dass sich die Balkontür nicht einfach öffnen lasse. Es genügte nicht, die Balkontür und die Balkonläden einfach zu schliessen. Diese hätten entweder verriegelt werden müssen, so dass sie nicht mehr hätten geöffnet werden können, oder es hätte zumindest ein gut sichtbarer Gefahrenhinweis an die Balkontür angebracht werden müssen. Der Unfall hätte sich somit durch ganz einfache und kostengünstige Massnahmen verhindern lassen, zu welchen der Berufungskläger aufgrund seiner Fürsorgepflichten als Arbeitgeber verpflichtet gewesen wäre.

dd) X kann sich nicht darauf berufen, dass Z die Wäsche nicht wie beabsichtigt auf dem Balkon hätte aufhängen sollen, sondern wie üblich in den Wohnungsräumlichkeiten, weil es auf den Grund, weshalb sie auf den Balkon treten wollte, gar nicht ankommt. X machte nicht geltend, er habe Z je (strikte) verboten, die Balkontüre zu öffnen und auf den Balkon zu treten. Er hätte somit damit rechnen müssen, dass sie im Verlauf ihrer Tätigkeit, sei es, um die Wohnung zu lüften, sei es auch, um eine Pause zu machen, die Balkontür und die entsprechenden Fensterläden öffnen und auf den Balkon treten könnte.

5. a) aa) Y hatte sich verpflichtet, einerseits die Planungsarbeiten für die Sanierung des Flachdachs durchzuführen und andererseits die Bauleitung und Koordination zu gewährleisten.

bb) Zum Aufgabenbereich der Bauleitung gehört die Realisierung eines Bauprojekts bis und mit Abschlussphase, die Aufsicht über die Ausführung der Arbeiten und die Koordination der verschiedenen Unternehmer. Der Aufgabenbereich der Bauleitung ist bezüglich der Bauausführung umfassend; ihr kommt die Funktion zu, die Baustelle zu organisieren und zu überwachen. Es gehört zu den Pflichten eines Bauleiters, sich regelmässig persönlich ein Bild über den Zustand der Baustelle und den Fortschritt der Bauarbeiten zu machen und gegebenenfalls Anordnungen, auch im Sicherheitsbereich, zu treffen[16].

cc) Der Bauleiter muss die durch die Umstände gebotenen Sicherheitsvorkehrungen anordnen und generell für die Einhaltung der anerkannten Regeln der Baukunde sorgen. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob die gefährdeten Personen dem Bauleiter direkt unterstellt sind. Kann die Bauleitung jederzeit durch Anordnungen und Weisungen in den Gang der Arbeiten eingreifen, muss sie sicherstellen, dass die Sicherheitsvorschriften beachtet werden. Ansonsten gehört die Überprüfung der Arbeit eines beigezogenen Spezialisten nicht zum Pflichtenkreis des bauleitenden Architekten. Dieser muss jedoch einschreiten, wenn er eine Verletzung elementarer Sicherheitsvorschriften feststellt. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch eine Gefahr für die körperliche Integrität oder das Leben Dritter hervorgerufen wird[17].

dd) Es besteht daher eine Garantenstellung des Bauleiters aus Ingerenz, welche sich mit den gleichen Überlegungen wie bei der Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde nach Art. 229 StGB auch für den Tatbestand von Art. 125 StGB herleiten lässt[18]. Wie weit die strafrechtliche Verantwortung einer am Bau beteiligten Person reicht, bestimmt sich auf Grund von gesetzlichen Vorschriften, vertraglichen Abmachungen oder der ausgeübten Funktionen sowie nach den jeweiligen konkreten Umständen. Die Verantwortung für die Verhütung von Unfällen kann in gewissen Grenzen delegiert werden, wenn für die nötige Instruktion und Überwachung gesorgt wird[19].

b) aa) Y hätte veranlassen müssen, dass die notwendigen Sicherheitsmassnahmen während der Bauphase getroffen werden. Dazu gehört auch, den Ausgang beim Balkon so zu sichern, dass niemand hinabstürzen kann. Dabei genügte es insbesondere nicht, den Mieter im ersten Stock anzuweisen, die Balkontüre und Fensterläden einfach zu schliessen; Y hätte vielmehr sicherstellen müssen, dass sich die Balkontüre und die Fensterläden nicht ohne weiteres öffnen liessen, oder dass ein Gefahrenhinweis oder eine bauliche Sperre angebracht würden. Dies hätte auch vor dem Beginn der Bauarbeiten und mit der Zustimmung von X erfolgen können. Entgegen der Ansicht von Y trifft daher nicht zu, dass er für die Anordnung der notwendigen Sicherheitsvorkehren zwingend das Hausrecht von X hätte verletzen und ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs hätte riskieren müssen.

bb) Y war darüber informiert worden, dass der Eigentümer der Wohnung während der Bauarbeiten in die Ferien reisen werde. Er ging zudem davon aus, dass zur Wohnung nur X, der Mieter der Wohnung im ersten Stock und die Mutter von X Zugang hätten. Ob seine Annahme auch tatsächlich zutraf, überprüfte er jedoch gar nicht. Er bedachte nicht, dass allenfalls Familienmitglieder oder Dritte, wie die Putzfrau oder auch andere Handwerker, Zugang zur Wohnung haben könnten, was eine Sicherung des Ausgangs beim Balkon notwendig machte. Ob eine Haftung von Y auch zu bejahen wäre, wenn jemand unbefugt die Wohnung betreten und danach gestürzt wäre, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

cc) Wohl hatte während der Bauarbeiten ein Notdach bestanden, welches entsprechend schwere Stürze wahrscheinlich verhindert hätte, doch war dieses am Vorabend des 26. Oktober 2006 abgebaut worden. Bis zur Montage des Balkons am nachfolgenden Tag blieb somit die Baustelle vollständig ungesichert, was sich der verantwortliche Bauleiter als Unterlassung, welche zur schweren Körperverletzung des Opfers führte, anrechnen lassen muss. Dass der Abbruch des Gerüsts und des Notdachs nicht durch den Bauleiter selber, sondern durch eine andere Bauunternehmung erfolgte, ist dabei nicht von Bedeutung, denn es oblag Y als Bauleiter, für die Koordination der verschiedenen Unternehmer und die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu sorgen.

6. a) Entgegen der Ansicht beider Berufungskläger liegt auch kein kausalitätsunterbrechendes Selbstverschulden von Z vor.

b) aa) Zunächst kann Z nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie den Balkon überhaupt betreten wollte, denn das Betreten des Balkons war ihr nicht verboten worden, und es bestehen aufgrund der Akten auch keine Anzeichen dafür, dass sie jemals darüber informiert worden war, dass es nicht sicher sei, den Balkon zu betreten. Ob ihr Pflichtenheft Aufgaben enthielt, für welche das Betreten des Balkons notwendig gewesen wäre, ist unter diesen Umständen völlig unerheblich. Im Übrigen kann für eine Putzfrau nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Lebenserfahrung im Rahmen ihrer üblichen Aufgaben jederzeit und in vielerlei Hinsicht Anlass bestehen, während der Reinigungsarbeiten den Balkon der zu reinigenden Wohnung zu betreten, sei es um einen Besen auszuschütteln, sei es um einen Teppich zu klopfen, sei es um einen nassen Lappen auszuwringen, oder sei es um den Balkon zu fegen oder zu wischen.

bb) Weiter kann Z nicht vorgeworfen werden, dass sie den Balkon betreten wollte, obwohl die Fensterläden geschlossen waren, denn für geschlossene Fensterläden können verschiedenste Gründe vorliegen. Damit, dass die Fensterläden aus Sicherheitsgründen geschlossen waren, weil sich hinter der Balkontüre kein Balkon befand, musste Z nicht rechnen. Dies gilt auch, wenn in der Wohnung von X nur gerade dieser eine Fensterladen geschlossen war.

cc) Ferner ist Z auch nicht anzulasten, dass sie nach dem Öffnen der Fensterläden und der Balkontüre nicht bemerkte, dass der Balkon abmontiert worden war. Wer in einer Wohnung eine Balkontüre aufmachen kann, der muss sich beim Heraustreten nicht noch zuerst vergewissern, ob sich dort tatsächlich ein Balkon befindet, sondern kann sich auf die Existenz eines Balkons (oder einer sichernden Abschrankung) verlassen. Es ist daher nicht von Bedeutung, welche Handgriffe Z zum Öffnen der Fensterläden vornahm, und ob sie auch bei Dunkelheit aufgrund des aus dem Zimmer dringenden Lichtscheins das fehlende Geländer oder den fehlenden Balkonboden hätte erkennen können.

Obergericht, 1. Abteilung, 3. Juni 2013, SBR.2012.44

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 24. März 2014 ab, soweit es darauf eintrat (6B_885/2013).


[1] Art. 2 Abs. 2 StGB

[2] BGE vom 24. Oktober 2012, 6B_468/2012 und 6B_469/2012, Erw. 2.4

[3] BGE 135 IV 64

[4] Trechsel/Jean-Richard, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 2.A., Art. 12 N 38

[5] BGE 130 IV 10

[6] Jenny, Basler Kommentar, Art. 12 StGB N 79

[7] Jenny, Art. 12 StGB N 106; Trechsel/Jean-Richard, Art. 12 StGB N 44

[8] Art. 11 Abs. 2 StGB

[9] Art. 11 Abs. 3 StGB

[10] BGE 134 IV 259 f. = Pra 98, 2009, Nr. 25 S. 138

[11] Seelmann, Basler Kommentar, Art. 11 StGB N 26

[12] Seelmann, Art. 11 StGB N 29

[13] BGE 121 IV 290

[14] Portmann, Basler Kommentar, Art. 328 OR N 10; Rehbinder/Stöckli, Berner Kommentar, Art. 328 OR N 17

[15] Sonnenaufgang war am 26. Oktober 2006 erst gegen 8.00 Uhr; vgl. www.sunrise-and-sunset.com; Schweiz; Frauenfeld; Oktober 2006.

[16] BGE vom 16. Februar 2009, 6B_969/2008, Erw. 3.3

[17] BGE vom 27. August 2012, 1B_184/2012, Erw. 4.4; BGE vom 11. Februar 2010, 6B_1016/2009, Erw. 5.2.2

[18] BGE vom 11. Februar 2010, 6B_1016/2009, Erw. 5.1; BGE vom 3. November 2009, 6B_516/2009, Erw. 3.3.1; BGE vom 3. August 2004, 6P.58/2003, Erw. 5.2 und 5.3

[19] BGE vom 11. Februar 2010, 6B_1016/2009, Erw. 5.2.1

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