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RBOG 2013 Nr. 9

Auskunftsrecht nach Art. 8 Abs. 1 DSG


Art. 8 Abs. 1 DSG, Art. 9 Abs. 4 DSG, Art. 2 Abs. 2 ZGB


1. Nach Art. 8 Abs. 1 DSG kann jede Person vom Inhaber einer Datensammlung Auskunft darüber verlangen, ob Daten über sie bearbeitet werden. Das Auskunftsrecht stellt ein Grundprinzip des Datenschutzes dar, das der betroffenen Person ermöglicht, diese Daten zu kontrollieren mit dem Ziel, die Einhaltung der Grundsätze wie rechtmässige Beschaffung der Daten, Treu und Glauben bei der Bearbeitung, Richtigkeit der Daten und Verhältnismässigkeit der Datenbearbeitung in der Rechtswirklichkeit zu überprüfen und deren Durchsetzung zu ermöglichen. Das Auskunftsrecht steht damit am Anfang der übrigen Rechte nach dem DSG und ist Voraussetzung für deren Wahrnehmung, da es Kenntnis verschafft[1].

2. Wie jedes andere Recht steht auch das Auskunftsrecht gemäss Art. 8 DSG unter dem Vorbehalt des offenbaren Rechtsmissbrauchs gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB[2]. Diesfalls wird kein Rechtsschutz gewährt.

a) Das Bundesgericht erwog in BGE 138 III 431 f., ob das Auskunftsrecht missbräuchlich ausgeübt werde, sei stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. In Lehre und Rechtsprechung seien Fallgruppen anerkannt worden, in denen typischerweise ein offenbarer Missbrauch vorliege. So werde etwa Rechtsmissbrauch angenommen bei zweckwidriger Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Institut nicht schützen wolle. Die Beweislast für die Umstände, die auf Rechtsmissbrauch schliessen liessen, trage derjenige, der sich auf Rechtsmissbrauch berufe. Das Datenschutzgesetz diene dem Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen, über die Daten bearbeitet würden. In Übereinstimmung mit dieser Zwecksetzung gelte das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG primär als Institut zur Durchsetzung des Persönlichkeitsschutzes. Es ermögliche der betroffenen Person, die über sie in einer Datensammlung eines Dritten bearbeiteten Daten zu kontrollieren mit dem Ziel, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Grundsätze, wie Beschaffung der Daten mit rechtmässigen Mitteln oder Gewährleistung der Richtigkeit der Daten und der Verhältnismässigkeit ihrer Bearbeitung, in der Rechtswirklichkeit zu überprüfen und durchzusetzen. Das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG könne grundsätzlich ohne Nachweis eines Interesses geltend gemacht werden; vorbehalten bleibe aber das Rechtsmissbrauchsverbot. Rechtsmissbrauch falle in Betracht, wenn das Auskunftsrecht zu datenschutzwidrigen Zwecken eingesetzt werde, etwa um sich die Kosten einer Datenbeschaffung zu sparen, die sonst zu bezahlen wären. Zu denken sei auch an eine schikanöse Rechtsausübung ohne wirkliches Interesse an der Auskunft, lediglich um den Auskunftspflichtigen zu schädigen. Eine zweckwidrige Verwendung des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts und damit Rechtsmissbrauch sei wohl auch anzunehmen, wenn das Auskunftsbegehren einzig zum Zweck gestellt werde, die (spätere) Gegenpartei auszuforschen und Beweise zu beschaffen, an die eine Partei sonst nicht gelange, denn das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG wolle nicht die Beweismittelbeschaffung erleichtern oder in das Zivilprozessrecht eingreifen[3].

b) Zu dieser Rechtsprechung äusserten sich in der Lehre Bracher/Tavor[4]. Sie stellten fest, es sei in den letzten Jahren vereinzelt darüber diskutiert worden, ob der Anwendungsbereich des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts im Vorfeld eines Zivilprozesses zu beschränken sei. In BGE 138 III 425 ff. habe sich das Bundesgericht mit dieser Frage eingehend auseinandergesetzt und die Anwendbarkeit des DSG bestätigt. Unter Vorbehalt einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung könne somit auch das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht zur Vorbereitung eines Zivilprozesses geltend gemacht werden. Der mit Spannung erwartete Entscheid habe für Aufsehen gesorgt. Es scheine die Befürchtung zu bestehen, dass das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht die zivilprozessualen Regeln der Stoffsammlung ausheble und verpönte Beweisausforschungen ermögliche.

3. Die Berufungsklägerin wirft der Vorinstanz eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, weil sie sich in ihren Erwägungen in pauschaler und zu wenig differenzierter Weise auf den Leitentscheid BGE 138 III 425 ff. abgestützt habe, ohne sich eingehend mit den konkreten Umständen des Einzelfalls auseinanderzusetzen. Tatsächlich ging die Vorinstanz ausführlich auf die Problematik der Anwendbarkeit des DSG ein, während sie sich zum behaupteten Rechtsmissbrauch und zu den angeblichen überwiegenden Eigeninteressen der Berufungsklägerin nur oberflächlich und ohne Einbezug der fallspezifischen Besonderheiten äusserte. Zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör[5] gilt es nachfolgend auf diese Aspekte einzugehen.

4. a) aa) Materiell rügt die Berufungsklägerin im Wesentlichen, der Berufungsbeklagte habe durch den Unfall vom 3. November 2004, wenn überhaupt, eine Distorsion der Halswirbelsäule oder umgangssprachlich ein "Schleudertrauma der Schweregrade I oder II" erlitten. Die Verletzungen seien weder bildlich noch durch Labortests oder durch andere Methoden erfassbar, womit sie allein in der persönlichen Wahrnehmung des Patienten gründeten. In der Praxis bedeute dies, dass der untersuchende Arzt in höchstem Mass auf die Angaben des Patienten angewiesen sei, was wiederum zur Folge habe, dass bei nicht korrekten Angaben des Patienten auch die gestellte(n) Diagnose(n) nicht richtig sei(en). Folglich komme es stark, wenn nicht gar allein, auf die Integrität und Glaubwürdigkeit des Patienten an. Träten alsdann in den Aussagen des Patienten wesentliche Inkohärenzen und Widersprüche auf, so sähen sich die Versicherungen oft gezwungen, die Aussagen mittels Observationen zu überprüfen. Weil es sich hier so verhalten habe, habe die Berufungsklägerin am 10. Januar und 12. Juli 2011 einer Detektivfirma entsprechende Observationsaufträge erteilt. Die Observationsergebnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse wolle sie dem Berufungsbeklagten noch nicht preis geben, denn einerseits brauche dieser diese Resultate für eine Bezifferung der Schadenersatzforderung nicht, und andererseits sei das einzige Motiv des Berufungsbeklagten in einer verpönten Beweisausforschung zu sehen, sei mithin bloss prozessualer Natur. Der Berufungsbeklagte erführe mit den Observationsunterlagen nichts Neues über sich selbst, wisse doch niemand besser als er, was er könne und was nicht. So habe denn ein "ehrlicher Schleudertraumapatient" auch nichts zu befürchten, stimme doch das Observationsmaterial mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein. Folglich könne es dem Berufungsbeklagten auch nicht um die Überprüfung der Richtigkeit der Daten gemäss Art. 5 DSG gehen. Sofern das Observationsmaterial aber zeige, dass der Berufungsbeklagte hinsichtlich seiner körperlichen Beschwerden übertreibe, habe eine Offenlegung zur Folge, dass der Berufungsbeklagte über den Wissensstand der Berufungsklägerin in Kenntnis gesetzt würde, mit der Konsequenz, dass der in der Klage zu schildernde Sachverhalt entsprechend angepasst werden könnte. Der Berufungsbeklagte könnte somit bereits in der Klage allfällige aus den Observationen ersichtliche und für die behaupteten Beschwerden aussergewöhnliche körperliche Betätigungen so beschreiben, dass jegliche Argumente in der Klageantwort ins Leere führten. Bei nicht objektivierbaren Beschwerden wie dem Schleudertrauma werde die Glaubwürdigkeit des Patienten aber an dem von diesem in der Klage fixierten Sachverhalt beziehungsweise an dem in der Klage behaupteten Gesundheitszustand gemessen. Würden nun bereits mit der Klage allfällige Argumente der Berufungsklägerin pariert, könne die Glaubwürdigkeit des Berufungsbeklagten nicht mehr überprüft werden. Das Aufzeigen von unglaubwürdigen Aussagen werde der Berufungsklägerin verunmöglicht. Dabei sei es für sie zentral, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Berufungsbeklagten zu streuen. Dies gelinge, wenn der Berufungsbeklagte erst in einer allfälligen Replik Stellung beziehen könne, müsse er sich doch dann an die in der Klage beschriebenen Beschwerden halten oder sich auf Kosten seiner Glaubwürdigkeit widersprechen. Somit missbrauche der Berufungsbeklagte das Auskunftsrecht gemäss Art. 8 DSG allein aus prozesstaktischen Gründen.

bb) Die Berufungsklägerin macht somit zusammengefasst geltend, die vom Berufungsbeklagten genannten Gründe seien nur vorgeschoben, denn in Tat und Wahrheit gehe es diesem einzig und allein darum, die Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Observation in die Begründung seiner Schadenersatzklage so einzubauen, dass seine Glaubwürdigkeit auch durch die Klageantwort der Berufungsklägerin nicht mehr in Frage gestellt werden könne. Für diese Behauptung trägt die Berufungsklägerin die Beweislast, wobei ihr das Recht auf entsprechende Beweisabnahme zusteht[6]. Folglich hätte die Vorinstanz für dieses von der Berufungsklägerin behauptete Motiv Beweis abnehmen müssen, zumal es bereits in der Klageantwort vorgebracht wurde. Hievon kann aber abgesehen werden, wenn von vorneherein feststeht, dass kein (offenbarer) Rechtsmissbrauch vorliegt.

b) Zwar muss der Berufungsbeklagte sein Auskunftsbegehren nicht begründen[7], doch ist die Darlegung des Interesses an der Auskunft notwendig, um dem Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Auskunftsrechts entgegen zu treten. Ebenso kann die nach Art. 9 Abs. 4 DSG gebotene Abwägung der gegenseitigen Interessen erfordern, dass der um Auskunft Ersuchende seine Interessen darlegt[8]. Folglich kommt den (wahren) Interessen des Berufungsbeklagten, die dieser mit der Geltendmachung seines Auskunftsrechts verfolgt, entscheidende Bedeutung zu.

aa) Der Berufungsbeklagte argumentiert, wegen der Herausgabeverweigerung der Berufungsklägerin könne er die ihm gemäss DSG zustehenden Rechte nicht wahrnehmen, nämlich die Rechtmässigkeit und Richtigkeit der Daten zu überprüfen und gegebenenfalls die Sperrung, Berichtigung oder Löschung unrichtiger Daten zu verlangen. Auch könne er wegen der Herausgabeverweigerung nicht verhindern, dass allenfalls falsche Daten an Dritte gelangten, mit deren Daten vermischt und schliesslich neue unrichtige Daten geschaffen würden.

bb) Hiezu führt die Berufungsklägerin aus, Observationsmaterialien seien, anders als die in BGE 138 III 425 ff. herausverlangten Entscheidgrundlagen der auskunftspflichtigen Bank, nicht einfach richtig oder falsch. Observiert und festgehalten werde nur, wie sich eine Person, wenn sie sich unbeobachtet fühle, verhalte. In der Folge beurteile der externe Aktengutachter, ein Arzt, die Befunde aus übergeordneter Sicht, setze sie in Beziehung zueinander und zu den Lebensumständen des Observierten und bewerte sie schliesslich. Im Haftpflichtprozess unterlägen solche Gutachten alsdann der freien richterlichen Beweiswürdigung. Folglich passe das Kriterium der Richtigkeit der Daten gemäss Art. 5 Abs. 1 DSG weder für die Observationsergebnisse noch für das Aktengutachten.

cc) Mit dem Berufungsbeklagten ist davon auszugehen, dass Observationsmaterialien durchaus überprüfbar sind, basieren sie doch regelmässig auf einer Auswahl von Videosequenzen und dem subjektiv wertenden Bericht des dem Auftraggeber verpflichteten Observierenden, der nach seiner Auffassung Unwesentliches weglässt oder wegschneidet. Somit wäre das Material durchaus einer Überprüfung hinsichtlich Objektivität beziehungsweise Ausgewogenheit in der Auswahl zugänglich. Doch auch unabhängig von einer allfälligen tendenziösen Berichterstattung seitens des Observierenden lassen sich Bildaufnahmen, zugehörige schriftliche Aufzeichnungen sowie auswertende (ärztliche) Stellungnahmen auf die Schutzfunktionen des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts hin überprüfen, das der betroffenen Person ermöglicht, das gesammelte Datenmaterial auf Rechtmässigkeit in der Beschaffung und Weitergabe sowie auf Richtigkeit, aber auch auf Treu und Glauben und Verhältnismässigkeit in der Bearbeitung zu kontrollieren[9]. Somit beruft sich der Berufungsbeklagte für sein Auskunftsersuchen durchaus auf datenschutzkonforme Motive und Interessen.

c) Sollte der Berufungsbeklagte daneben (vor)prozessuale Ziele verfolgen, so lassen diese das Auskunftsbegehren (noch) nicht als (offenbar) rechtsmissbräuchlich erscheinen.

aa) Das Rechtsmissbrauchsverbot[10] bezweckt nicht, die Interessenlage zu Gunsten des Auskunftsverpflichteten zu verschieben, sondern dient dazu, "Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten" in der Anwendung des Rechts zu verhindern[11]. Dementsprechend ist ein Auskunftsbegehren nicht schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil die Datenüberprüfung auch im Hinblick auf einen allfälligen Schadenersatzprozess vorgenommen werden soll[12].

bb) Der Berufungsbeklagte bestreitet nicht, dass er das Auskunftsbegehren auch mit Blick auf seine Schadenersatzforderung beziehungsweise auf die Rückzahlungsforderung der Berufungsklägerin gestellt habe, welche zwischenzeitlich im Umfang von Fr. 400'000.00 in Betreibung gesetzt worden sei. Allein um diese Rückzahlungsforderung und um die in diesem Zusammenhang gegen den Berufungsbeklagten eingeleitete Betreibung drehen sich die im Berufungsverfahren ins Recht gelegten Beilagen der Parteien sowie deren Eingaben vom 13. März respektive 19. März 2013. Ob die Eingabe der Berufungsklägerin vom 13. März 2013 aus dem Recht zu weisen ist, wie der Berufungsbeklagte mit Stellungnahme vom 19. März 2013 verlangt, kann indessen offen bleiben, weil mehr als der bereits vor Vorinstanz vorgetragene Umstand, wonach die Berufungsklägerin angeblich zu Unrecht erbrachte Zahlungen zurückverlange, gar nicht entscheidrelevant ist. Dabei geht es dem Berufungsbeklagten gemäss eigener Darstellung konkret darum, nicht innert den vergleichsweise kurzen zivilprozessualen Fristen eine Überprüfung der Daten auf ihre Richtigkeit und Rechtmässigkeit hin vornehmen zu müssen. Mit anderen Worten befürchtet der Berufungsbeklagte, allfällige medizinische oder sachverhaltsmässige Abklärungen nicht mehr rechtzeitig in Auftrag geben zu können[13]. Damit will der Berufungsbeklagte jene Zeit zur Verfügung haben, welche ihm das DSG dafür auch lässt. Darin ist aber kein (offenbarer) Rechtsmissbrauch zu erkennen. Zwar schliesst ein solches Motiv nicht aus, dass der Berufungsbeklagte die Daten auch will, um die Observationsergebnisse und –erkenntnisse in einer zukünftigen Schadenersatzklage zu berücksichtigen. Der Berufungsbeklagte weist aber darauf hin, ein solches Vorgehen sei gar nicht mehr möglich, weil er sich bereits mehrfach gegenüber Ärzten, Gutachtern, Case-Managern und Versicherungsmitarbeitern zu seinem Gesundheitszustand geäussert habe. Dabei sei er völlig unbefangen vom Ergebnis einer Observation gewesen. Somit seien die Befürchtungen der Gegenpartei, wonach er in einer allfälligen Klage die bereits mehrfach vorgebrachten Behauptungen neu darlegen könne, unbegründet. Zwar ist diese Behauptung mangels medizinischer Berichte in den Akten nicht belegt, doch ist davon auszugehen, dass der Berufungsbeklagte in den rund 8½ Jahren seit dem Unfall mehrfach zu seinen Beschwerden beziehungsweise zu seinem physischen Zustand befragt wurde. Nach der Berufungsklägerin soll dem Gutachten des Schweizerischen Instituts für Versicherungsmedizin (SVIM) beispielsweise zu entnehmen sein, dass der Berufungsbeklagte von einem "Dauerschwindel", welcher immer – Tag und Nacht - vorhanden sei, berichtet habe. Zudem habe der Berufungsbeklagte gegenüber den Ärzten des SVIM erklärt, er fahre über längere Strecken Auto und sogar auch Velo. Damit bestünden Widersprüche, welche bereits vor der Observation zu Tage getreten seien. Wenn dem aber so ist, überschätzt die Berufungsklägerin die Möglichkeiten des Berufungsbeklagten, den Sachverhalt in einer allfälligen Klage zum Zweck der Richterbeeinflussung an die Observationsergebnisse anzupassen. Das Gericht, das den Haftpflichtfall gegebenenfalls zu beurteilen haben wird, wird die Vorbringen des Berufungsbeklagten in der Klagebegründung durchaus im Kontext zu würdigen wissen. Dazu gehört auch, dass der Berufungsbeklagte die Klagebegründung in Kenntnis der Observationsmaterialien verfasste, und dass es sich dabei um blosse Parteibehauptungen handelt. Das Gericht wird dabei auch ohne weiteres die Angaben des Berufungsbeklagten in den medizinischen Akten zu den Observationsmaterialien in Bezug setzen können.

d) Das Bundesgericht erwog in BGE 138 III 433, es stehe nicht fest, dass die um Auskunft ersuchende Partei Beweisurkunden verlangt habe, an die sie in einem (späteren) Zivilprozess nicht gelangen könnte. Dies gilt auch für diesen Fall, zumal die Berufungsklägerin mehrfach in Aussicht stellte, alle Akten prozessual vorzulegen. Wann dies allerdings der Fall sein wird, ist ebenso offen wie die vom Berufungsbeklagten aufgeworfene Frage, wie es sich denn mit der Herausgabe verhielte, wenn er bloss eine Teilklage erheben sollte. Weiter fragt sich auch, wie es sich verhielte, wenn noch lange nicht geklagt werden sollte; diesfalls wäre die Berufungsklägerin – gemäss eigener Darstellung – zur Herausgabe des Observationsmaterials nicht bereit. Es besteht die Gefahr, dass aus der bloss "aufgeschobenen" eine endgültige Herausgabeverweigerung würde mit der Konsequenz, dass der Berufungsbeklagte die Datensammlung der Berufungsklägerin überhaupt nie überprüfen könnte. Ein solches Ergebnis kann aber nicht im Sinn des Datenschutzes sein.

e) Zusammenfassend ist nicht von einem (offenbaren) rechtsmissbräuchlichen Auskunftsbegehren auszugehen.

5. Der private Inhaber einer Datensammlung kann gemäss Art. 9 Abs. 4 DSG die Auskunft verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit eigene überwiegende Interessen es erfordern und er die Personendaten nicht Dritten bekannt gibt.

a) aa) Das Bundesgericht nannte in BGE 138 III 433 ff. als Beispiele überwiegender Interessen des Auskunftspflichtigen die Befürchtung einer Wirtschaftsspionage, Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsrechte des Auskunftspflichtigen oder auch überwiegende finanzielle Interessen. Das Bundesgericht erwog, es sei stets eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei zunächst der Auskunftspflichtige seine Interessen darzutun habe. Diese seien sodann auf ihre Berechtigung zu prüfen und den Interessen des Auskunftsersuchenden gegenüberzustellen. Nur sofern Erstere die Letzteren über­wögen, könne die Auskunft verweigert, eingeschränkt oder aufgeschoben werden. Zum Vorwurf, das Auskunftsbegehren sei nur zur Beweisausforschung gestellt worden, führte das Bundesgericht aus, es sei nicht erstellt, dass die Auskunftsersuchenden sich einen von der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenen Vorteil verschaffen wollten oder eine eigentliche Beweisausforschung beziehungsweise eine verpönte "fishing expedition" betrieben. Sie verlangten vielmehr lediglich Auskunft über Daten betreffend ihre eigene Person im Rahmen der bei der auskunftspflichtigen Bank gehaltenen Konto- und Depotbeziehungen. Über diese Daten aber habe die Bank ohnehin auch gestützt auf Art. 400 OR Auskunft erteilen müssen, wobei der Anspruch auf Rechenschaftsablegung nach Art. 400 OR selbst dann nicht ausgeschlossen sei, wenn sich die beauftragte Bank damit Schadenersatzansprüchen aussetze.

bb) Damit erweist sich die Kritik der Berufungsklägerin am angefochtenen Entscheid insofern als zutreffend, als die Vorin­stanz allzu pauschal auf BGE 138 III 425 ff. abstellte und dabei ausblendete, dass das Bundesgericht in jenem Entscheid von fehlender Beweisausforschung ausging, sowie, dass sich das Bundesgericht mit Blick auf die Herausgabepflicht der Bank (auch) auf Art. 400 OR stützte, welche Bestimmung infolge Fehlens eines Auftragsverhältnisses zwischen den Parteien hier nicht anwendbar ist. Damit konnte das Bundesgericht im genannten Entscheid auf eine eigentliche Interessenabwägung verzichten.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist somit in einem ersten Schritt die Schutzwürdigkeit der angerufenen eigenen Interessen des Auskunftspflichtigen zu prüfen. Nur wenn diese zu bejahen ist, sind in einem zweiten Schritt die Interessen des Auskunftspflichtigen gegen jene des Auskunftsberechtigten abzuwägen. Ein allfälliges Interesse des Auskunftspflichtigen an der Anwendbarkeit zivilprozessualer Regeln im Vorfeld eines sich abzeichnenden Prozesses bildet keinen Einschränkungsgrund im Sinn von Art. 9 Abs. 4 DSG. Vielmehr gelten für Auskunftsbegehren, die vor Rechtshängigkeit eines Zivilprozesses gestellt werden, selbst dann die Regeln des Datenschutzrechts, wenn sich ein Prozess anbahnt. Eine Einschränkung des Auskunftsrechts im Vorfeld eines Zivilprozesses ist deshalb nur zulässig, wenn das angerufene Interesse im vorgenannten Sinn schutzwürdig ist und das Interesse des Auskunftspflichtigen überwiegt. Dem ist so, wenn der Auskunftsberechtigte im konkreten Fall datenschutzfremde Interessen verfolgt, etwa, wenn es ihm (primär oder allein) darum geht, seine Schadenersatzansprüche abzuklären. Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Interessenabwägung nicht pauschal, sondern für jede Personenangabe beziehungsweise für jedes Aktenstück gesondert vorzunehmen ist. Selbst bei Bejahung überwiegender eigener Interessen des Auskunftspflichtigen muss daher sorgfältig geprüft werden, wie weit dessen Einschränkungsrecht im Einzelfall konkret reicht[14].

6. a) Die Berufungsklägerin erklärt, ihr privates (finanzielles) Interesse wie auch dasjenige (öffentliche) der Versichertengemeinschaft bestehe darin, nur haftpflichtrechtlich erwiesene Leistungen erbringen zu müssen. Sie habe auch ein schützenswertes Interesse an der Wahrheitsfindung sowie daran, Versicherungsbetrug in einem möglichst frühen Stadium zu erkennen, weshalb die Observation des Berufungsbeklagten berechtigt gewesen sei. Wenn die Observationsergebnisse bereits im Vorfeld eines Prozess herauszugeben seien, könne der Berufungsbeklagte allfällige Widersprüche bereits in der Klageschrift zunichte machen, indem er in der ersten Stellungnahme eines Prozesses die Behauptungen bereits so aufstelle, dass die Berufungsklägerin die Glaubwürdigkeit nur noch schwer in Zweifel ziehen könne. Wenn die Observationsergebnisse hingegen bis nach der Klage zurück behalten würden, könne der Berufungsbeklagte eine allfällige Anpassung an das Observationsmaterial erst in einem zweiten Schriftenwechsel vornehmen, was dem Gericht die Überprüfung der Glaubwürdigkeit ermögliche. Demgegenüber habe der Berufungsbeklagte bislang nur prozessuale Interessen geltend gemacht, beziehungsweise gehe es ihm allein darum, die gegen ihn gerichteten Forderungen abzuwehren und die von ihm geltend gemachten Forderungen einzuklagen. Es gelte hier eine ähnliche Interessenabwägung vorzunehmen wie bei einer Persönlichkeitsverletzung durch Observation. Eine mit der Observierung durch Privatdetektive einhergehende Persönlichkeitsverletzung erachte das Bundesgericht als im überwiegenden privaten und öffentlichen Interesse, weil andernfalls die Versicherung und die dahinter stehende Versichertengemeinschaft zu Unrecht Leistungen zu erbringen hätten. Dies gelte zumindest dann, wenn – wie hier – der Versicherte Fr. 2'000'000.00 fordere, welchen Betrag das Bundesgericht als "erheblich" qualifiziert habe. Während mit der Observation allerdings eine definitive Persönlichkeitsverletzung einhergehe, werde bei einer bloss aufgeschobenen Auskunft nur vorübergehend in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen, weshalb die Eingriffsanforderungen hier tiefer anzusetzen seien. Letztlich sei die Abwägung ein Anwendungsfall des Verhältnismässigkeitsprinzips. Folglich müsse der Eingriff in die Persönlichkeit zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sein, und schliesslich seien Zweck und Mittel so auszugestalten, dass den Interessen eines jeden Beteiligten mindestens angemessen Rechnung getragen werde. Eignung und Erforderlichkeit seien gegeben, weil die Glaubwürdigkeit des angeblichen "Schleudertraumapatienten" nur schwer zu überprüfen sei, wenn der Sachverhalt bereits im Zeitpunkt der Klage fixiert und so zurecht gebogen werde, dass sie, die Berufungsklägerin, mit ihren Einwänden ins Leere stosse. Ferner sei zu beachten, dass die Auskunft nur vorübergehend verweigert werde, womit der Eingriff in die Persönlichkeit weniger einschneidend sei als im Fall von BGE 138 III 425 ff. Beschränkt sei der Eingriff aber auch dadurch, dass nur gerade die Observationsergebnisse zurückbehalten würden. Diese aber brauche der Berufungsbeklagte für den von ihm einzuleitenden Prozess nicht.

b) Dem hält der Berufungsbeklagte entgegen, der behauptete temporäre Aufschub der Akteneinsicht komme von der Wirkung her einer umfassenden Verweigerung gleich. Eine "Aggravation oder Simulation" sei von keinem behandelnden oder begutachtenden Mediziner attestiert worden. Vielmehr habe der psychiatrische Gutachter dies unter Hinweis auf ein konsistentes Gesamtbild sogar ausdrücklich verneint. Somit habe ein begründeter Anfangsverdacht für eine Observation gefehlt, womit diese unzulässig respektive rechtswidrig gewesen sei. Durch die Einsicht in die entsprechenden Akten könne aber gezeigt werden, dass die gesammelten Unterlagen unrechtmässig und wertlos seien und die Haltung der Berufungsklägerin nicht zu stützen vermöchten. Dazu passe, dass die Berufungsklägerin nicht in der Lage sei, konkrete betrügerische Absichten aufzuzeigen. Bezeichnenderweise erfolge die überwiegende Anzahl von Observationen zur Abklärung von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen. Die Argumentation der Berufungsklägerin, wonach die verfrühte Herausgabe von Observationsakten deren spätere Verwendung zunichte mache, könne demnach nicht richtig sein, ansonsten sich im Sozialversicherungsbereich eine Observation regelmässig als sinnlos erwiese, da deren Erkenntnisse zur Wahrung des rechtlichen Gehörs vor Erlass der Verfügung der versicherten Person offen zu legen seien. Dies zeige, dass es der Berufungsklägerin gar nicht um die von ihr bloss vorgeschobene "Wahrheitsfindung" gehe. Vielmehr wolle die Versicherungsgesellschaft ihn durch Vorenthalten der Akten unter Druck setzen respektive ihm die Akten irgendwann zu einem ungünstigen Zeitpunkt zukommen lassen. Entgegen der Darstellung der Berufungsklägerin habe er gar keine prozessualen Gründe für die beantragte Einsicht vorgebracht. Ihm gehe es um die Prüfung der Rechtmässigkeit und Richtigkeit der Daten, aber auch um die Verhältnismässigkeit der Datenbeschaffung sowie darum, ob die Daten nach Treu und Glauben bearbeitet worden seien. Schliesslich beabsichtige er, den Bestand der von der Berufungsklägerin gegen ihn geltend gemachten Forderung sowie den Bestand eigener haftpflichtrechtlicher Ansprüche gegenüber der Berufungsklägerin zu prüfen. Demgegenüber wolle ihm die Berufungsklägerin mit Blick auf die kurzen Fristen in einem allfälligen künftigen Zivilprozess ein Vorgehen in gleichem zeitlichen Umfang, wie es ihr möglich sei, verweigern.

c) aa) Sowohl bei der Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Observation als auch bei der Prüfung der Zulässigkeit der Einschränkung des Auskunftsrechts nach Art. 8 DSG ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Indessen braucht das Ergebnis nicht dasselbe zu sein, zumal sich der Prüfgegenstand unterscheidet. Die Rechtmässigkeit der Observation ist an dieser Stelle aber nicht zu beurteilen. Tatsache ist, dass der Berufungsbeklagte observiert wurde und entsprechende Ergebnisse existieren. Zu beurteilen ist vielmehr einzig das Interesse der Berufungsklägerin an der Verweigerung der Auskunft bis zur Klagebegründung durch den Berufungsbeklagten respektive das Interesse des Berufungsbeklagten an der Auskunft.

bb) aaa) Es stellt sich somit die Frage, ob der Berufungsklägerin ein schutzwürdiges Interesse zukommt, die Observationsergebnisse einstweilen zurückzubehalten. Die Berufungsklägerin machte im Kern geltend, dieses Interesse bestehe in der Sicherstellung der Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Berufungsbeklagten in einem zukünftigen Haftpflichtprozess. Nur so lasse sich gewährleisten, dass das Gericht die Beschreibung des Gesundheitszustands durch den Berufungsbeklagten auf Kohärenz und Stimmigkeit überprüfen könne, und dass keine unberechtigten Zahlungen geleistet würden.

bbb) Wie bereits im Zusammenhang mit der Prüfung des Vorwurfs des Rechtsmissbrauchs dargelegt, wird das Gericht, das den Haftpflichtfall dereinst zu beurteilen haben wird, die Vorbringen des Berufungsbeklagten in der Klagebegründung durchaus im Kontext zu würdigen wissen, wozu auch gehört, dass das Gericht zu berücksichtigen wissen wird, dass der Berufungsbeklagte die Klagebegründung in Kenntnis der Observationsmaterialien verfasste, und dass es sich dabei um blosse Parteibehauptungen handelt. Das Gericht wird dabei auch ohne weiteres die Angaben des Berufungsbeklagten in den medizinischen Akten zu den Observationsmaterialien in Bezug setzen können. Damit fehlt es aber seitens der Berufungsklägerin mit Blick auf die (einstweilige) Zurückbehaltung der Akten bereits an einem schutzwürdigen Interesse. Somit scheint die Verweigerung der Herausgabe der Observationsmaterialien im Hinblick auf die Verhältnismässigkeitsprüfung weder geeignet noch notwendig, um die Glaubwürdigkeit des Berufungsbeklagten zu beurteilen.

ccc) Wollte eine beschränkte Eignung und damit auch beschränkte Erforderlichkeit bejaht werden, stünde diese in keinem Verhältnis zum höher zu gewichtenden Interesse des Berufungsbeklagten, die Rechtmässigkeit und Richtigkeit der gesammelten Daten sowie die Angemessenheit der Datenbearbeitung zu überprüfen. Dieses dem Berufungsbeklagten vom DSG gewährte Recht darf nicht unterwandert werden, bloss um der Berufungsklägerin ein prozessuales "Überraschungsmoment" zu ermöglichen. Somit fiele auch eine Interessenabwägung zu Ungunsten der Berufungsklägerin aus.

d) Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die Berufungsklägerin sich überhaupt noch auf Art. 9 Abs. 4 DSG stützen kann, oder ob ihr dies allenfalls verwehrt ist, weil sie die besagten Personendaten bereits Dritten bekanntgab.

7. Somit erweist sich die Berufung als unbegründet. Die Berufungsklägerin wird verpflichtet, dem Berufungsbeklagten Einsicht in alle ihn betreffenden Akten im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 3. November 2004 zu gewähren.

Obergericht, 2. Abteilung, 14. Mai 2013, ZBR.2013.10


[1] Gramigna/Maurer-Lambrou, Basler Kommentar, Art. 8 DSG N 1; Rosenthal/Jöhri, Handkommentar zum Datenschutzgesetz, Zürich/Basel/Genf 2008, Art. 8 N 1

[2] Rosenthal/Jöhri, Art. 9 DSG N 2

[3] BGE 138 III 431 f.

[4] Bracher/Tavor, Das Auskunftsrecht nach DSG - Inhalt und Einschränkung im Vorfeld eines Zivilprozesses, in: SJZ 109, 2013, S. 45 ff.

[5] Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 53 Abs. 1 ZPO

[6] Art. 152 Abs. 1 ZPO

[7] Rosenthal/Jöhri, Art. 8 DSG N 12

[8] BGE 138 III 432

[9] Gramigna/Maurer-Lambrou, Art. 8 DSG N 1

[10] Art. 2 Abs. 2 ZGB

[11] Vgl. Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13.A., S. 58 N 15

[12] BGE 138 III 433

[13] Daran vermag die auch Möglichkeit von Fristerstreckungen nach Art. 144 Abs. 2 ZPO nichts zu ändern.

[14] Bracher/Tavor, S. 50; Rosenthal/Jöhri, Art. 9 DSG N 17

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