RBOG 2015 Nr. 13
Richterliche Fragepflicht im vereinfachten Verfahren
1. a) Das Bezirksgericht wies die Klage der Berufungsklägerin ab. Es erwog, die Berufungsklägerin sei ihrer obliegenden Behauptungs- und Substantiierungslast nicht genügend nachgekommen. Selbst wenn man angesichts und trotz der beiderseitigen anwaltlichen Vertretung noch davon ausgehen wolle, dass gleichwohl eine beschränkte Fragepflicht seitens des Gerichts bestanden habe, hätte hier eine Befragung nicht zielführend sein können angesichts von 221 Positionen des "Zeitraffers", des Umfangs von 25 Seiten der Arbeitsrapporte und der Abrechnungsdetails und Abgrenzungshintergründe der Rechnung über rund Fr. 123'000.00.
b) Die Berufungsklägerin bringt vor, es müsse entgegen der Darstellung der Vorinstanz "bei Bejahung der beschränkten Fragepflicht angeführt werden, dass eine solche sehr wohl zielführend" sei. "Die beschränkte richterliche Fragepflicht hätte sich schwerpunktmässig an den Projektstudien/Modellbauten" sowie "an den Besprechungen mit den Behörden etc." zu orientieren gehabt. Damit werde "der Rahmen einer beschränkten Untersuchungsmaxime bei weitem nicht gesprengt". Die Vorinstanz habe die Fragepflicht zu Unrecht nicht wahrgenommen.
2. a) Ist das Vorbringen einer Partei unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich unvollständig, so gibt ihr das Gericht gemäss Art. 56 ZPO durch entsprechende Fragen Gelegenheit zur Klarstellung und zur Ergänzung. Im vereinfachten Verfahren, welches hier zur Anwendung kommt, weil der Streitwert weniger als Fr. 30'000.00 beträgt[1], wirkt das Gericht nach Art. 247 Abs. 1 ZPO durch entsprechende Fragen darauf hin, dass die Parteien ungenügende Angaben zum Sachverhalt ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. Das vereinfachte Verfahren ist eine besondere Form des ordentlichen Verfahrens[2]. Abgesehen von den hier nicht anwendbaren Fällen von Art. 247 Abs. 2 ZPO gilt somit auch im vereinfachten Verfahren grundsätzlich der Verhandlungsgrundsatz[3]. Abgeschwächt wird die Verhandlungsmaxime allerdings durch die verstärkte Fragepflicht nach Art. 247 Abs. 1 ZPO[4].
b) Damit die richterliche Fragepflicht zum Tragen kommt, müssen jedoch entsprechende Parteibehauptungen vorliegen[5]. Auch im Anwendungsbereich von Art. 247 Abs. 1 ZPO ist es Sache der Parteien, die rechtlich relevanten Tatsachen vorzutragen[6]. Die verstärkte gerichtliche Fragepflicht gemäss Art. 247 Abs. 1 ZPO dient lediglich dazu, den Sachverhalt zu ergänzen, wobei die von der Partei vorgetragenen Behauptungen Ausgangspunkt für die Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht bilden[7]. Es ist hingegen nicht Sache des Gerichts, fehlende Angaben zu erheben[8]. Die gerichtliche Fragepflicht ersetzt ferner weder die zumutbare Mitwirkung der Parteien bei der Feststellung des Sachverhalts noch dient sie dazu, prozessuale Nachlässigkeiten auszugleichen[9]. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist das Gericht selbst in Verfahren, in welchen gestützt auf Art. 247 Abs. 2 ZPO die soziale Untersuchungsmaxime gilt, nicht verpflichtet, die Akten von sich aus zu durchforsten, um abzuklären, was sich daraus zu Gunsten der Partei, die das Beweismittel eingereicht hat, herleiten liesse[10].
c) Die gerichtliche Fragepflicht hat grundsätzlich das Gebot der gerichtlichen Unparteilichkeit und Neutralität zu wahren[11]. Das Ausmass der richterlichen Hilfestellung durch Wahrnehmung der Fragepflicht hängt von den Besonderheiten des Einzelfalls ab, insbesondere der intellektuellen Fähigkeiten der Parteien, der Schwierigkeit der Materie oder einer allfälligen anwaltlichen Vertretung[12]. Sind die Parteien anwaltlich vertreten, soll und darf das Gericht die Fragepflicht zurückhaltend ausüben, sodass die gerichtliche Fragepflicht bei anwaltlicher Vertretung gemildert ist[13]. So dürfen von einer Anwältin oder einem Anwalt schlüssige und in sich stimmige Vorbringen erwartet werden[14].
3. a) Die Rüge der Berufungsklägerin, die Vorinstanz habe die Fragepflicht zu Unrecht nicht wahrgenommen, geht fehl. Fehlt es wie hier in den materiell-rechtlich wesentlichen Punkten an jeglicher Schlüssigkeit der Parteibehauptungen, so kann auch die gerichtliche Fragepflicht nicht eingreifen, zumal das Gericht (auch im Rahmen seiner Objektivitäts- und Neutralitätsverpflichtung) nicht Sachverhaltselemente erheben darf, für die sich in den Parteidarstellungen keine Anhaltspunkte finden. Dementsprechend verzichtete die Vorinstanz zu Recht darauf, im Rahmen der gerichtlichen Fragepflicht die wesentlichen, nicht ausreichend substantiiert und insgesamt nicht schlüssig vorgetragenen Sachverhaltsbehauptungen von Amtes wegen zu erheben. Dies gilt umso mehr, als die Berufungsklägerin bereits im vorinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertreten war.
b) Entgegen den Ausführungen der Berufungsklägerin hätte es in diesem Zusammenhang denn auch bei weitem nicht nur darum gehen können, dass sich die Fragepflicht "an den Projektstudien/Modellbauten" beziehungsweise "an den Besprechungen mit den Behörden etc." hätte orientieren können. Abgesehen davon, dass auch diesbezüglich im vorinstanzlichen Verfahren keine entsprechenden Hinweise durch die Berufungsklägerin erfolgten, ist nicht ersichtlich und nachvollziehbar, dass eine auf diese Punkte beschränkte Befragung in irgendeiner Hinsicht die massgeblichen Aufschlüsse hätte erbringen können. Weder brachte die Berufungsklägerin im erstinstanzlichen Verfahren (substantiiert) vor, inwiefern diese behaupteten Bemühungen jeweils im Einzelnen auf eine Auftragserteilung durch die Berufungsbeklagte zurückgegangen und für diese erbracht worden seien, noch zeigte sie insbesondere auf, welcher spezifische Zeitaufwand jeweils mit den behaupteten Verrichtungen und Leistungen verbunden gewesen sei. Auch wenn berücksichtigt wird, dass lediglich eine Teilklage erhoben wurde, ist der Verzicht der Vorinstanz auf Tatsachenerhebungen im Rahmen der gerichtlichen Fragepflicht gemäss Art. 247 Abs. 1 ZPO nicht zu beanstanden.
Obergericht, 2. Abteilung, 23. Oktober 2014, ZBR.2014.37
[1] Art. 243 Abs. 1 ZPO
[2] Mazan, Basler Kommentar, Art. 247 ZPO N 1; Hauck, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 2.A., Vorbemerkungen zum Art. 243 N 3
[3] Mazan, Art. 247 ZPO N 1; Hauck, Art. 247 ZPO N 2; Killias, Berner Kommentar, Art. 247 ZPO N 3
[4] Mazan, Art. 247 ZPO N 9; Hauck, Art. 247 ZPO N 2; Killias, Art. 247 ZPO N 8
[5] Sutter-Somm/Von Arx, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 2.A., Art. 56 ZPO N 19; Gehri, Basler Kommentar, Art. 56 ZPO N 8; Hurni, Berner Kommentar, Art. 56 ZPO N 10
[6] Mazan, Art. 247 ZPO N 11; Hauck, Art. 247 ZPO N 15; Killias, Art. 247 ZPO N 9; BGE vom 2. Dezember 2013, 4D_57/2013, Erw. 3.2
[7] Killias, Art. 247 ZPO N 17
[8] Mazan, Art. 247 ZPO N 12
[9] BGE vom 2. September 2014, 5A_209/2014, Erw. 3.2.3; BGE vom 5. Februar 2014, 4A_444/2013, Erw. 6.3.3; BGE vom 2. Dezember 2013, 4D_57/2013, Erw. 3.2; BGE vom 20. April 2012, 5A_115/2012, Erw. 4.5.2
[10] BGE vom 19. April 2013, 4A_701/2012, Erw. 1.2
[11] Sutter-Somm/Von Arx, Art. 56 ZPO N 15; Gehri, Art. 56 ZPO N 15; Glasl, in: ZPO Kommentar (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 56 N 26; Hurni, Art. 56 ZPO N 49 f.
[12] Mazan, Art. 247 ZPO N 16; BGE vom 2. Dezember 2013, 4D_57/2013, Erw. 3.2
[13] Mazan, Art. 247 ZPO N 19; Hauck, Art. 247 ZPO N 17; Killias, Art. 247 ZPO N 11, 17; Hurni, Art. 56 ZPO N 31 ff.; BGE vom 2. Dezember 2013, 4D_57/2013, Erw. 3.2
[14] Sutter-Somm/Von Arx, Art. 56 ZPO N 40