RBOG 2015 Nr. 19
Keine Geschädigtenstellung des Aktionärs bei Strafuntersuchung wegen Urkundenfälschung zufolge falscher Buchhaltung der Aktiengesellschaft
Art. 251 StGB, Art. 115 Abs. 1 StPO
1. a) Die X AG bezweckt den Erwerb, das Halten und die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen. Sie tätigt ihre Investitionen hauptsächlich über ihre Tochtergesellschaft, die Y Ltd. mit Sitz auf den Cayman Islands. Die Z AG bezweckt das Erbringen von Beratungsleistungen für Investitionen in Unternehmen. Verschiedene Aktionäre der X AG erstatteten Anzeige gegen Mitglieder der Verwaltungsräte dieser Gesellschaft sowie gegen einen mandatsleitenden Revisor ihrer Revisionsstelle. Das Portfolio der X AG bestehe – so der Vorwurf – nur noch aus einer Beteiligung am Unternehmen A Inc. mit Sitz in den USA. Gestützt auf einen Beratervertrag zwischen der Y Ltd. und der Z AG hätten die Beschuldigten aufgrund einer unhaltbar hohen Bewertung der A-Beteiligung überrissene Beratungshonorare bezogen. Durch die Aufrechterhaltung dieser überhöhten Bewertung der (für den inneren Wert der Aktie der X AG massgeblichen) A-Aktie in den Geschäftsberichten und Jahresrechnungen der X AG hätten die Beschuldigten Art. 251 StGB in der Tatbestandsvariante der Falschbeurkundung verletzt.
b) Die Staatsanwaltschaft verfügte, gegen die Angeschuldigten werde keine Strafuntersuchung wegen Urkundenfälschung an die Hand genommen. Die Anzeigeerstatter erhoben Beschwerde und beantragten, die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, gegen die Beschuldigten eine Strafuntersuchung zu eröffnen.
2. a) Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, kann gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO ein Rechtsmittel ergreifen.
b) Die Staatsanwaltschaft bejahte die Geschädigtenstellung der Beschwerdeführer. Die Rechtsmittellegitimation bildet eine Prozessvoraussetzung und ist daher von der mit der Sache befassten Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen zu prüfen. Fehlt sie, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten[1].
3. a) Partei ist namentlich die Privatklägerschaft[2]. Als solche gilt gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren im Straf- oder Zivilpunkt zu beteiligen. Dies taten die Beschwerdeführer.
b) Geschädigt ist nach Art. 115 Abs. 1 StPO, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist. Das Wort "unmittelbar" bezieht sich auf die durch die Straftat verletzten Rechte und hat damit die Funktion, den Kreis der zur Privatklägerschaft prozessrechtlich legitimierten Personen einzuschränken[3].
c) In seinen Rechten unmittelbar verletzt ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist, das durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden soll. Bei Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist[4]. Im Allgemeinen genügt es, wenn das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den verletzten Straftatbestand auch nur nachrangig oder als Nebenzweck geschützt wird, selbst wenn der Tatbestand in erster Linie dem Schutz von kollektiven Rechtsgütern dient. Werden indes durch Delikte, die nur öffentliche Interessen verletzen, private Interessen bloss mittelbar beeinträchtigt, ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinn des Strafprozessrechts[5]. Wer als Geschädigter und Privatkläger am Verfahren teilnehmen will, muss einen Schaden und einen Kausalzusammenhang zwischen diesem und der angezeigten Straftat zumindest glaubhaft machen[6].
4. a) aa) Urkundendelikte schützen in erster Linie die Allgemeinheit. Geschütztes Rechtsgut ist das besondere Vertrauen, das im Rechtsverkehr einer Urkunde als Beweismittel entgegengebracht wird[7], oder Treu und Glauben im Geschäftsverkehr[8]. Art. 251 StGB schützt also in erster Linie öffentliche Interessen. Der Tatbestand ist entsprechend als Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet[9]. Daneben können bei Urkundendelikten allerdings auch private Interessen oder Individualinteressen unmittelbar verletzt werden; die von der Tat betroffene Person ist Geschädigter, falls die Urkundenfälschung tatsächlich auf die Benachteiligung dieser Person abzielt[10]. Dies ist der Fall, wenn die Urkundenfälschung gleichzeitig Bestandteil eines den Betroffenen direkt schädigenden Vermögensdelikts ist[11], oder auch, wenn die Urkundenfälschung die direkte Benachteiligung anderer Interessen als solche vermögensrechtlicher Art einer bestimmten Person bezweckte[12]. Dagegen wird durch die tatbestandsmässige Handlung der Urkundenfälschung allein noch kein individuelles Recht verletzt oder ein Individuum im Sinn der StPO geschädigt[13].
bb) Bei den Straftaten gegen das Vermögen gilt der Inhaber des geschädigten Vermögens als geschädigte Person. Bei Vermögensdelikten zum Nachteil einer Aktiengesellschaft sind weder die Aktionäre noch die Gesellschaftsgläubiger unmittelbar verletzt[14]. Die Aktiengesellschaft ist eine juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit. Es ist daher zwischen dem Vermögen der Aktiengesellschaft und demjenigen des Aktionärs zu unterscheiden, dessen wirtschaftliche und rechtliche Interessen von denjenigen der Gesellschaft abweichen können. Der Aktionär ist zwar Eigentümer der von ihm gehaltenen Aktien, nicht jedoch des Gesellschaftsvermögens. Bei Vermögensdelikten zum Nachteil des Gesellschaftsvermögens ist die Aktiengesellschaft unmittelbar verletzt, während der Aktionär nur mittelbar betroffen ist und nicht als Geschädigter nach Art. 115 Abs. 1 StPO gilt[15].
b) aa) Die Staatsanwaltschaft erwog, die gemäss Strafanzeige inhaltlich falschen Buchhaltungsabschlüsse hätten gegen aussen und somit auch gegenüber den Beschwerdeführern als Aktionären Verwendung gefunden. Dabei müsse sich der (potentielle) Aktionär gerade bei der kaufmännischen Buchhaltung einer Publikumsgesellschaft, die verschärften Regeln der Rechnungslegung unterliege, auf deren Richtigkeit verlassen können. Die Buchhaltungsabschlüsse bildeten regelmässig die Entscheidungsgrundlage zur Ausübung von Aktionärsrechten. Entsprächen die Abschlüsse nicht der Wahrheit, werde der Aktionär in der uneingeschränkten Ausübung seiner Aktionärsrechte direkt tangiert. Folglich seien die Beschwerdeführer bezüglich Urkundenfälschung unmittelbar geschädigt, womit sie als Privatkläger zuzulassen seien.
bb) Zuzustimmen ist der Staatsanwaltschaft insofern, als Art. 251 StGB an die inhaltliche Qualität der Rechnungslegung beziehungsweise daran anknüpft, dass Wertangaben in den Jahresrechnungen objektiv wahr sein sollen[16]. Ziel der Rechnungslegung ist, den Adressaten der Jahresrechnung eine möglichst zuverlässige Beurteilung der Vermögens- und Ertragslage zu erlauben. Die Umsetzung dieses Ziels ist Voraussetzung dafür, dass Gesellschafter (etwa Aktionäre) ihre Mitwirkungs- und Vermögensrechte wahrnehmen können[17]. Damit sichert Art. 251 StGB die Ziele und Zwecke des Rechnungslegungsrechts, nämlich den (Eigen-)Kapitalschutz und die Transparenz gegenüber bestehenden Aktionären und potentiellen Investoren[18]. Es ist somit zwar bereits die abstrakte Gefährdung von Aktionärsinteressen strafbar; für die Geschädigtenstellung des einzelnen Aktionärs genügt diese abstrakte Gefährdung allein jedoch noch nicht.
c) aa) Für die Geschädigtenstellung ist, wie von Art. 115 Abs. 1 StPO verlangt, die unmittelbare, direkte Verletzung des konkreten Aktionärs in konkreten Rechten notwendig, wozu die körperliche Integrität, das Eigentum und die Ehre gehören[19]. Solche konkreten, als Folge der Urkundenfälschung direkt verletzten Rechte konkreter Aktionäre benennen weder die Beschwerdeführer noch die Staatsanwaltschaft in ihrer angefochtenen Verfügung.
bb) Die Beschwerdeführer werfen den Beschwerdegegnern zusammengefasst vor, jahrelang an einer überhöhten Bewertung der A-Aktie festgehalten zu haben, um in dieser Weise zu hohe Beratungshonorare beziehen zu können. Daraus lässt sich aber keine direkte Schädigung des Vermögens der Beschwerdeführer entnehmen. Unmittelbar geschädigt wäre vorab die Y Ltd., welche der Z AG gestützt auf die Bewertung der A-Aktie und damit des inneren Werts der X AG allenfalls übermässige Beratungshonorare ausrichtete. Die Beschwerdeführer erlitten höchstens als Aktionäre der X AG einen Reflexschaden. Als mittelbar Betroffene sind sie nicht zur Beschwerde legitimiert.
cc) Worin eine anderweitige vermögensmässige oder nicht vermögensmässige direkte Benachteiligung der Beschwerdeführer bestehen könnte, erläuterten sie nicht. Dies geht weder aus der Strafanzeige hervor noch ergibt sich dies aus ihrer Stellungnahme zur Parteistellung. Dort führten die Beschwerdeführer lediglich unsubstantiiert aus, die Rechnungslegung habe sich an sie als Investoren und Aktionäre gerichtet, und sie hätten in beiden Eigenschaften Transaktionen und Dispositionen im Vertrauen auf die fraglichen Abschlüsse getätigt. Damit machten die Beschwerdeführer nicht geltend, es seien ihre Rechte konkret verletzt oder gefährdet worden, sondern beriefen sich nur auf den abstrakten Schutz von Art. 251 StGB. Namentlich brachten die Beschwerdeführer auch nicht vor, welche Transaktionen und welche Dispositionen sie konkret im Vertrauen auf (falsche) Auskünfte eines der Beschwerdegegner tätigten, und inwiefern sie einen Schaden erlitten. Sie machten insbesondere nicht geltend, sie hätten gestützt auf die unwahren Abschlüsse ihnen nachteilige Anlageentscheide getroffen. Solches ist aus den Akten auch nicht ersichtlich.
5. Folglich ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Obergericht, 2. Abteilung, 27. Oktober 2015, SW.2015.78
[1] Ziegler/Keller, Basler Kommentar, Art. 382 StPO N 1; Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, N 215 f.
[2] Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO
[3] BGE 138 IV 265
[4] BGE 138 IV 263, 129 IV 98 f., 128 I 223
[5] BGE 140 IV 157 f., 138 IV 263; BGE vom 19. Oktober 2015, 6B_316/2015, Erw. 2.3.1 (zur Publikation vorgesehen); BGE vom 12. Dezember 2013, 6B_641/2013, Erw. 1.3.2; BGE vom 5. November 2013, 6B_416/2013 und 6B_417/2013, Erw. 2.3
[6] BGE vom 14. August 2014, 1B_191/2014, Erw. 3.1; BGE vom 26. August 2013, 6B_299/2013, Erw. 1.2; BGE vom 13. Mai 2013, 1B_104/2013, Erw. 2.2; vgl. BGE 139 IV 91
[7] BGE 140 IV 159, 137 IV 168 f., 129 IV 133, 125 IV 22, 123 IV 63; BGE vom 16. Februar 2012, 6B_26/2012, Erw. 2.4
[8] BGE 129 IV 58
[9] BGE 129 IV 58, 119 Ia 346; Trechsel/Erni, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 2.A., Art. 251 N 1; vgl. Boog, Basler Kommentar, vor Art. 251 StGB N 6
[10] BGE 140 IV 159, 119 Ia 346 f.; BGE vom 29. Januar 2015, 6B_890/2014, Erw. 5.1; BGE vom 12. Dezember 2013, 6B_641/2013, Erw. 1.3.2; BGE vom 18. April 2013, 6B_496/2012, Erw. 5.2
[11] BGE 119 Ia 342, 347; BGE vom 30. Juni 2014, 6B_96/2014, Erw. 1.3; BGE vom 24. Februar 2014, 6B_549/2013, Erw. 2.2.2; BGE vom 6. Februar 2014, 6B_982/2013, Erw. 1.1.1; BGE vom 16. Februar 2012, 6B_26/2012, Erw. 2.4
[12] Vgl. BGE 140 IV 159; Entscheid des Obergerichts Zürich vom 27. April 2015, UE150032, Erw. 3.1
[13] Entscheid des Obergerichts Zürich vom 27. April 2015, UE150032, Erw. 3.1
[14] BGE 140 IV 158; vgl. BGE vom 16. Juni 2015, 1B_29/2015, Erw. 2.3.2
[15] BGE 141 IV 384 f.; BGE vom 14. Mai 2014, 6B_1207/2013, Erw. 3.2.1; BGE vom 6. November 2013, 6B_680/2013, Erw. 3
[16] Handschin, Rechnungslegung im Gesellschaftsrecht, in: Schweiz. Privatrecht, Bd. VIII/9, Basel 2013, N 267
[17] Handschin, N 2
[18] Handschin, N 8 ff., 17
[19] BGE vom 6. November 2013, 6B_680/2013, Erw. 3