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RBOG 2016 Nr. 18

Keine Sistierung eines Zivilverfahrens betreffend Unterlassung eines Bauvorhabens bei Hängigkeit eines Rekurses gegen die Baubewilligung


§§ 104 ff. PBG, Art. 126 Abs. 1 ZPO, Art. 203 Abs. 1 und 4 ZPO


1. a) Die Eigentümer der Parzelle X reichten bei der Gemeinde ein Baugesuch für den Abbruch des bestehenden und den Bau eines neuen Einfamilienhauses auf ihrem Grundstück ein. Dagegen erhoben die Nachbarn, deren Parzelle mit einem Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten der Parzelle X belastet ist, Einsprache. Die Gemeinde schützte die Einsprache, soweit sie öffentlich-rechtlich begründet war, teilweise; soweit die Einsprache zivilrechtlich begründet war, wurde sie auf den Zivilweg verwiesen. Gleichentags erteilte die Gemeinde den Eigentümern der Parzelle X die Baubewilligung für den Abbruch und den Neubau des Einfamilienhauses; nicht bewilligt wurden jedoch die Besucherparkplätze. Gegen diese Baubewilligung erhoben die Nachbarn beim Departement für Bau und Umwelt Rekurs; das Verfahren ist noch pendent.

b) Die Nachbarn gelangten zudem an den Friedensrichter und beantragten, es sei das Bauvorhaben auf der Parzelle X zu unterlassen, weil es mit dem bestehenden Fuss- und Fahrwegrecht nicht vereinbar sei. Der Friedensrichter lud die Parteien zur Schlichtungsverhandlung vor. Daraufhin beantragten die Nachbarn die Absetzung der Schlichtungsverhandlung sowie die Sistierung des Schlichtungsverfahrens bis zum Abschluss des Rekursverfahrens beim Departement für Bau und Umwelt. Der Rekurs werde unter anderem mit der "streitgegenständlichen Dienstbarkeitsvereinbarung" begründet.

c) Der Friedensrichter sistierte in der Folge das Verfahren bis zum Abschluss des Rekursverfahrens, wobei mit Blick auf die Erledigung des Schlichtungsverfahrens die Jahresfrist gemäss Art. 203 Abs. 4 ZPO einzuhalten sei. Dagegen reichten die Eigentümer der Parzelle X Beschwerde ein und beantragten, es sei die Verfügung des Friedensrichters aufzuheben; gleichzeitig sei der Friedensrichter anzuweisen, das Schlichtungsverfahren unverzüglich fortzusetzen.

2. a) Im Schlichtungsverfahren hat die Verhandlung innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs oder nach Abschluss des Schriftenwechsels stattzufinden[1]. Mit Zustimmung der Parteien kann die Schlichtungsbehörde weitere Verhandlungen durchführen. Das Verfahren ist spätestens nach zwölf Monaten abzuschliessen[2]; dabei handelt es sich um eine Ordnungsfrist[3].

b) Das Gericht kann das Verfahren sistieren, wenn die Zweckmässigkeit dies verlangt[4]. Auch im Schlichtungsverfahren muss eine Sistierung zulässig sein, wenn die sofortige Durchführung der Verhandlung unzweckmässig erscheint. Das Protokoll kann aber nur für eine angemessene Zeit offen gelassen werden; eine Sistierung, die zu einer Hängigkeit des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle von über zwölf Monaten führt, ist daher nur mit Zurückhaltung anzuordnen[5].

c) Das Verfahren kann namentlich sistiert werden, wenn der Entscheid vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig ist[6]. Ein zureichender Grund für die Sistierung ist gegeben, wenn der Ausgang eines anderen Prozesses voraussichtlich eine bedeutende Vereinfachung des Verfahrens mit sich bringt. Erforderlich ist aber nicht eine identische Klage mit identischen Parteien, auf die das später angerufene Gericht nicht einzutreten hätte, sondern bloss eine dahingehende Konnexität der beiden Verfahren, dass die Sistierung zur Vermeidung sich widersprechender Entscheide angebracht erscheint[7].

3. a) Sowohl im Rekursverfahren als auch im Schlichtungsverfahren stellten sich die Beschwerdegegner auf den Standpunkt, der geplante Neubau auf der Parzelle X lasse sich nicht über das zulasten der Nachbarsparzelle eingetragene Fuss- und Fahrwegrecht erschliessen.

b) Die Gemeinde hielt in ihrem Beschluss mit Blick auf die Erschliessung der Parzelle X fest, es würden Hinweise fehlen, dass das zulasten der Nachbarsparzelle eingetragene Fuss- und Fahrwegrecht nur für ein bestimmtes Gebäude Gültigkeit habe. Deshalb bestünden keine Zweifel, dass die Bauherrschaft diese Dienstbarkeit als Zufahrt zur Garage des geplanten Hauses benützen dürfe und das Baugrundstück somit über eine hinreichende Erschliessung verfüge, weshalb das geplante Einfamilienhaus mit Garage bewilligt werden könne. Nicht eindeutig ergebe sich aus dem Dienstbarkeitsvertrag allerdings, ob das Fuss- und Fahrwegrecht auch als Zufahrt zu weiteren oberirdischen Parkplätzen benützt werden dürfe. Eine entsprechende Auslegung der Dienstbarkeit sei nicht Sache der Baubewilligungsbehörde, sondern vielmehr vom Zivilrichter vorzunehmen. Demzufolge könne für die beiden geplanten Parkplätze keine Baubewilligung erteilt werden. Sofern die Bauherrschaft an diesen Parkplätzen festhalten wolle, so habe sie vorab mit einer Feststellungsklage beim Zivilrichter zu klären, ob die im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit die Berechtigung enthalte, dieses Fuss- und Fahrwegrecht auch als Verbindung zu diesen Parkplätzen zu nutzen. Sofern die Einsprecher an ihrer Rüge, wonach das Bauvorhaben die im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit verletze, festhalten wollten, so hätten sie dazu binnen 30 Tagen ebenfalls den Zivilweg zu beschreiten.

c) aa) Im Baubewilligungsverfahren prüft die Gemeindebehörde, ob ein Baugesuch sämtliche öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, insbesondere solche aus dem Planungs-, Bau- und Umweltschutzrecht einhält[8]. Privatrechtliche Einsprachen gegen die Erstellung von Bauten und Anlagen sind, soweit der Tatbestand einer übermässigen Einwirkung auf fremdes Eigentum gemäss Art. 684 ZGB streitig ist, im öffentlich-rechtlichen Verfahren zu entscheiden. Die zuständige Behörde beurteilt eine solche Einsprache gleichzeitig mit dem Entscheid über die Baubewilligung[9]. Will ein Einsprecher an seiner Einsprache festhalten, soweit sie privatrechtlicher Natur ist und nicht den Tatbestand der übermässigen Einwirkung im Sinn von Art. 684 ZGB betrifft, hat er innert 30 Tagen auf Unterlassung des Bauvorhabens zu klagen. Der Baustreit ist beim Friedensrichteramt am Ort der gelegenen Sache anhängig zu machen. Das Amt orientiert die Gemeindebehörde umgehend über den Eingang der Klage[10]. Somit stützt sich die Baubewilligung grundsätzlich auf öffentliches Recht. Ausnahmsweise hat die Baubewilligungsbehörde ihrem Entscheid zivilrechtliche Fragen zu Grunde zu legen, etwa bei der Prüfung übermässiger Einwirkungen auf fremdes Eigentum. Überdies ist die Baubewilligungsbehörde befugt, andere privatrechtliche Einwände vorfrageweise zu prüfen. So darf etwa der Entscheid über die Bauberechtigung oder über den Inhalt einer Dienstbarkeit von der Baubewilligungsbehörde als Vorfrage getroffen werden. Vorausgesetzt ist, dass der Sachverhalt leicht feststellbar ist und die Interpretation etwa eines Dienstbarkeitsvertrags ein unzweifelhaftes Resultat ergibt. Setzt die Beurteilung der Vorfrage umfangreiche Beweismassnahmen voraus, muss zunächst die formell zuständige Instanz entscheiden[11].

bb) Zu ergänzen ist, dass die Zivilgerichte ihrerseits nicht an den Entscheid über die Vorfrage durch die Verwaltungsbehörde gebunden sind, denn im Entscheid dieser anderen Behörde erscheint die Entscheidung über die Vorfrage nicht im Dispositiv[12]. Sofern der Zivilrichter aber bereits entschieden hat, kommt dem Grundsatz der Gewaltenteilung grössere Bedeutung zu; deshalb soll hier in der Regel eine Verwaltungsbehörde, für die sich diese Frage nur als Vorfrage stellt, nicht selbstständig entscheiden, sondern an den Entscheid der sachkompetenten Behörde gebunden sein[13].

d) Die Bestimmung des Inhalts und des Umfangs einer Dienstbarkeit obliegt grundsätzlich dem Zivilrichter[14]; ob hier die Verwaltungsbehörde diese Aspekte aufgrund "einfacher und klarer Verhältnisse" überhaupt vorfrageweise überprüfen kann, kann offen gelassen werden. Zwar ist die Konnexität zwischen den beiden Verfahren zu bejahen; trotzdem rechtfertigt sich eine Sistierung des Zivilverfahrens nicht. So ist im Auge zu behalten, dass das Interesse an einer Auslegung der Dienstbarkeit durch die Zivilgerichte auch bei den Beschwerdegegnern ohne weiteres wieder aktuell würde, sofern im Rekursverfahren die Erteilung der Baubewilligung bestätigt würde, zumal der Rekursentscheid für den Zivilrichter nicht bindend ist. Eine Sistierung des Zivilverfahrens erweist sich somit nicht zuletzt auch aus Sicht der Beschwerdegegner als nicht prozessökonomisch. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner besteht auch nicht die Gefahr widersprüchlicher Urteile. Die den Inhalt der Servitut nur vorfrageweise prüfende Rekursinstanz fällt hinsichtlich der Tragweite der Dienstbarkeit mangels Aufnahme dieses Punktes ins Dispositiv gar keinen verbindlichen Entscheid. Insofern kann es in rechtlicher Hinsicht von vornherein keine widersprüchlichen Urteile geben; vielmehr kann nur der Zivilrichter "verbindlich" für die Verwaltungsbehörde entscheiden. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich nicht, das Zivilverfahren auszusetzen, bis die Verwaltungsbehörde entschieden hat.

Obergericht, 1. Abteilung, 26. Oktober 2016, ZR.2016.40


[1] Art. 203 Abs. 1 ZPO

[2] Art. 203 Abs. 4 ZPO

[3] Infanger, Basler Kommentar, Art. 203 ZPO N 20

[4] Art. 126 Abs. 1 Satz 1 ZPO

[5] Infanger, Art. 203 ZPO N 20

[6] Art. 126 Abs. 1 Satz 2 ZPO

[7] Gschwend/Bornatico, Basler Kommentar, Art. 126 ZPO N 11

[8] § 106 Abs. 1 PBG (Planungs- und Baugesetz, RB 700)

[9] § 104 Abs. 1 und 2 PBG

[10] § 105 Abs. 1 und 2 PBG

[11] Erläuterungen des Departements für Bau und Umwelt: Kapitel 7 "Bewilligungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung", S. 5 f. (www.raumentwicklung.tg.ch; PBG-Erläuterungen; Kapitel 7); Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6.A., N 61; vgl. auch BGE 131 III 550

[12] Häfelin/Müller/Uhlmann, N 69

[13] Häfelin/Müller/Uhlmann, N 72

[14] BGE vom 28. Juli 2014, 1C_736/2013, Erw. 4.4.2; BGE vom 23. Mai 2001, 1P.595/2000, Erw. 3b

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