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RBOG 2017 Nr. 11

Auflage der Verfahrenskosten an den Kanton nur in Ausnahmefällen; Kostenverteilung bei Schutz eines rein prozessualen Eventualantrags


Art. 106 ZPO, Art. 107 Abs. 2 ZPO


1. a) Die Friedenrichterin wies die Herausgabeklage des Beschwerdeführers ab und beliess den Hund bei der Beschwerdegegnerin.

b) Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde und beantragte, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm den Hund herauszugeben. Eventuell sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und eine Klagebewilligung auszustellen.

c) Die Beschwerdegegnerin beantragte in der Beschwerdeantwort, die Beschwerde sei mit Ausnahme des Eventualantrags abzuweisen. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Ausstellung einer Klagebewilligung zurückzuweisen.

d) Das Obergericht hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Streitsache zur Ausstellung der Klagebewilligung an die Vorinstanz zurück.

2. a) aa) Strittig ist die Kostenverteilung. Der Beschwerdeführer beantragte, der Staat habe die Kosten- und Entschädigungsfolgen des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

bb) Die Überbindung von Verfahrenskosten an den Kanton in zivilrechtlichen Verfahren im Sinn von Art. 107 Abs. 2 ZPO muss die absolute Ausnahme bleiben[1]; dabei bezieht sich diese Bestimmung ohnehin nur auf die Gerichtskosten und nicht auf Parteientschädigungen[2]. Voraussetzung einer Kostenüberbindung an den Kanton ist, dass die Kosten weder durch die Parteien noch durch am Verfahren beteiligte Dritte veranlasst wurden; in den meisten Fällen dürften spezifische Fehlleistungen des Gerichts, die jedoch kein Verschulden voraussetzen, zur Anwendung von Art. 107 Abs. 2 ZPO führen[3]. Es muss sich um einen gravierenden, von den Parteien nicht mitverschuldeten Verfahrensfehler (Justizpanne) handeln, mithin um eine krass falsche Anwendung gesetzlicher Bestimmungen[4]; ebenso kommt eine Anwendung dieser Bestimmung in Frage, wenn ein Entscheid als offensichtlich falsch aufzuheben ist und keine Partei mit einem Antrag auf diesen Entscheid hinwirkte[5].

cc) Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, zumal der Beschwerdeführer mit seinem Hauptantrag noch im Beschwerdeverfahren einen materiellen Entscheid forderte.

b) aa) Wird das Hauptbegehren zugesprochen, fallen mit Blick auf die Verteilung der Prozesskosten Eventualbegehren nicht in Betracht; wird hingegen nur das Eventualbegehren zugesprochen, so gilt im Umfang der Differenz, um welchen der Streitwert des Eventualbegehrens unter demjenigen des Hauptbegehrens liegt, der Kläger als unterliegend[6]. Allerdings ist auch im Rechtsmittelverfahren entscheidend, ob eine Partei in der Hauptsache durchdringt, denn massgebend ist das Gesamtergebnis, wobei es nicht darauf ankommt, wie über die einzelnen Angriffs- oder Verteidigungsmittel entschieden wird[7]. Damit bleiben Eventualbegehren, die wie hier nur in einem prozessualen Antrag (Rückweisung an die Vorinstanz) bestehen, für die Frage des Unterliegens oder Obsiegens ohne Belang[8].

bb) Somit unterliegt der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren mit seinem Hauptantrag; die Beschwerdegegnerin obsiegt hingegen, da sie im Hauptantrag den Schutz des Eventualbegehrens des Beschwerdeführers verlangte.

Obergericht, 1. Abteilung, 21. Juni 2017, ZR.2017.26


[1] Sterchi, Berner Kommentar, Art. 107 ZPO N 24

[2] BGE 140 III 389; Sterchi, Art. 107 ZPO N 25

[3] Sterchi, Art. 107 ZPO N 26

[4] BGE vom 23. März 2012, 5A_61/2012, Erw. 4

[5] Jenny, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 107 N 25

[6] Sterchi, Art. 106 ZPO N 4; vgl. Urwyler/Grütter, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), 2.A., Art. 106 N 6

[7] Jenny, Art. 106 ZPO N 6

[8] So schon die frühere thurgauische Rechtsprechung: RBOG 1957 Nr. 8; Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 75 N 10d; vgl. Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 60 N 21

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