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RBOG 2017 Nr. 12

Keine Akontozahlungen des Staates an die Offizialanwältin im Zivilverfahren


Art. 122 ZPO


1. In einem familienrechtlichen Verfahren gewährte die Einzelrichterin des Bezirksgerichts der Ehefrau die unentgeltliche Rechtspflege mit Offizialanwältin und entzog ihr diese später wieder. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob der Staat die Offizialanwältin für ihre bis zum Zeitpunkt des Entzugsentscheids getätigten Aufwände durch Ausrichtung einer Akontozahlung zu entschädigen hat.

2. a) aa) Art. 122 ZPO regelt die Liquidation der Prozesskosten, wenn mindestens eine Partei den Prozess unentgeltlich führte[1]. Unterliegt die unentgeltlich prozessführende Partei, so wird der Offizialanwalt vom Kanton angemessen entschädigt[2]. Weiter hat die unentgeltlich prozessführende Partei der Gegenpartei die Parteientschädigung zu bezahlen[3]. Obsiegt jedoch die unentgeltlich prozessführende Partei, so hat grundsätzlich die Gegenpartei die unentgeltlich prozessführende Partei zu entschädigen. Nur wenn diese Parteientschädigung bei der Gegenpartei nicht oder voraussichtlich nicht einbringlich ist, so wird der Offizialanwalt vom Kanton angemessen entschädigt[4]. Dabei richtet sich das "Unterliegen" und das "Obsiegen" im Sinn von Art. 122 ZPO nicht nach dem Ergebnis der materiellen Anspruchsprüfung. Von Bedeutung ist vielmehr, ob der unentgeltlich prozessierenden Partei die Prozesskosten im Endentscheid ganz oder teilweise auferlegt wurden. Dabei ist unerheblich, ob dies gestützt auf Art. 106 ZPO nach Massgabe des Obsiegens oder aber in Anwendung der Kostenverteilungsregeln nach Ermessen geschieht[5]. Das Gericht kann die Prozesskosten insbesondere in familienrechtlichen Verfahren nach Ermessen verteilen[6]; dabei sind auch Billigkeitspunkte wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den Entscheid über die Kostenregelung einzubeziehen[7].

bb) Wer also letztlich die Offizialanwältin in welchem Umfang zu entschädigen hat, steht erst am Ende des Verfahrens fest. Daher ist es nicht angezeigt, dass der Staat der Offizialanwältin Akontozahlungen ausrichtet.

b) Soweit die Offizialanwältin auf Akontozahlungen an Offizialverteidiger im Strafverfahren[8] hinweist, ist die Situation im Strafverfahren nicht vergleichbar mit jener im Zivilverfahren: Während die amtliche Verteidigung im Strafverfahren sowohl bei einem Schuldspruch als auch bei einem Freispruch immer vorweg durch den Staat entschädigt wird[9], ist im Zivilverfahren die Entschädigungspflicht des Staates vom Ausgang des Verfahrens und den finanziellen Verhältnissen der Gegenpartei abhängig.

c) Auch das Argument der Offizialanwältin, ihre Mandantin und sie müssten Kenntnis darüber haben, welche Kosten der Staat übernehme, erweist sich nicht als stichhaltig. Die Vorinstanz entzog die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Offizialanwältin. Damit steht fest, dass die bis zum Zeitpunkt des Entzugsentscheids getätigten Aufwände der Offizialanwältin vom Staat übernommen werden, sofern nicht die Gegenpartei dafür aufkommen muss. Demgegenüber hat die Ehefrau ab dem Zeitpunkt des Entzugsentscheids grundsätzlich selber für die Anwaltskosten aufzukommen, sofern ihr im Endentscheid nicht eine Prozessentschädigung zugesprochen wird.

d) Folglich ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Entschädigung für die Offizialanwältin noch nicht festsetzte und ihr auch keine Akontozahlungen ausrichtete.

Obergericht, 1. Abteilung, 10. Mai 2017, ZR.2017.24


[1] Bühler, Berner Kommentar, Art. 122 ZPO N 3; Rüegg/Rüegg, Basler Kommentar, Art. 122 ZPO N 1

[2] Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO

[3] Art. 122 Abs. 1 lit. d ZPO

[4] Art. 122 Abs. 2 ZPO

[5] Bühler, Art. 122 ZPO N 6, 83; Rüegg/Rüegg, Art. 122 ZPO N 2, 4

[6] Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO

[7] Vgl. Rüegg/Rüegg, Art. 107 ZPO N 6

[8] In sehr lange dauernden Verfahren kann es sich rechtfertigen, auf Gesuch hin dem Offizialverteidiger oder Offizialvertreter bei Vorliegen triftiger Gründe einen Vorschuss aus der Gerichtskasse auszurichten (Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 52 N 28; vgl. SOG 2002 Nr. 15).

[9] Ruckstuhl, Basler Kommentar, Art. 135 StPO N 21

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